B. Fischer: Die DDR-Aufklärung in der Dritten Welt

Cover
Titel
Als Diplomat mit zwei Berufen. Die DDR-Aufklärung in der Dritten Welt


Autor(en)
Fischer, Bernd
Reihe
Geschichte der HV A, Band 4
Erschienen
Berlin 2009: Das Neue Berlin
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut Müller-Enbergs, Berlin

Oberst a. D. Bernd Fischer (Jahrgang 1940) weiß, wovon er spricht, wenn er sich über die operative Arbeit in der „Dritten Welt“ äußert. Fotos zeigen ihn 1973 auf dem Sinai (S. 123, 178), 1982 in Kuwait (S. 156) und 1983 in Ost-Berlin, als er den Leiter der PLO-Sicherheit Abu Ijad begrüßt (S. 33, 58). Seit 1965 gehörte er der Hauptverwaltung A (HV A) an, für die er von 1969 an fünf Jahre Resident in Ägypten war, offiziell als Diplomat an der DDR-Botschaft in Kairo, und von da an im Leitungsbereich der auch für die Dritte Welt zuständigen Abteilung III der HV A. Gut zwei Jahre leitete er bis zur Herbstrevolution die mit dem Bundeskanzleramt und einigen Bundesministerien befasste Abteilung I der HV A, übernahm im Oktober 1989 die Leitung des neu geschaffenen Bereiches II (Ausland ohne Bundesrepublik) und war faktisch von März bis Juni 1990 der letzte Leiter der HV A, die sich allerdings in Auflösung befand (S. 1).

Darin erschöpfen sich bedauerlicherweise die Angaben zur eigenen Person, stattdessen ist der Autor bemüht, Geschichte, Konturen und Aufgaben der operativen Arbeit der HV A in der Dritten Welt aus der Erinnerung heraus zu skizzieren, Erinnerungen, die teils über 40 Jahre zurück liegen „und ohne Zugriffsmöglichkeit“ auf womöglich in der Stasi-Unterlagenbehörde überlieferte Dokumente aufgeschrieben wurden. „Andere schriftliche Quellen standen nicht zur Verfügung“ (S. 219). Damit beschreibt der Autor eine Schwäche, die bislang für die Reihe zur Geschichte der HV A insgesamt gilt. Es werden vorliegende Forschungsergebnisse, auch aus der Birthler-Behörde, weithin nicht zur Kenntnis genommen, hingegen auf obskurste Zeitungsmeldungen Bezug genommen.

Bernd Fischer ordnet die operative Arbeit in der Dritten Welt als einen Bestandteil der Außenbeziehungen der DDR ein (S. 15f.), wobei diese auf „zwei Säulen“ beruht habe, namentlich den Residenturen in diplomatischen Vertretungen der DDR, „legal abgedeckte Residenturen“ genannt, und der Kooperation mit 14 „Partnerdiensten“ und acht nationalen Befreiungsbewegungen (S. 20f., 118). Die klassische, sonst die operative Arbeit dominierende „illegale Linie“ sei lediglich in Ausnahmefällen praktiziert worden, was anderenfalls als dritte Säule hätte charakterisiert werden müssen. Entsprechend der zwei Säulen werden die Ausführungen auf den folgenden 110 Seiten geordnet, denen 60 Seiten Anlagen beigefügt sind (darunter Auszüge aus dem Auflösungsbericht der HV A).

Mit Blick auf die Bonner Hallstein-Doktrin, die wesentlich die diplomatische Anerkennung der DDR verhindern sollte, war die operative Basis in konsularischen oder Handelsvertretungen der DDR relativ klein, beschränkte sich oftmals auf einen Offizier im besonderen Einsatz, der meist als Chiffreur tätig gewesen sei (S. 24). Das änderte sich mit der staatlichen Anerkennung der DDR. Fischer nennt für Februar 1990 in 28 Staaten 62 Mitarbeiter der HV A, überwiegend in der Dritten Welt (S. 26), was in etwa dem durchschnittlichen Personaleinsatz der HV A entsprochen habe (S. 118). Hinzu kommen in ihrer Geschichte rund 2.000 inoffizielle Mitarbeiter (S. 136). Faktisch aber war die HV A in nahezu allen Staaten vertreten und operativ aktiv, lediglich Israel sei ausgeklammert worden (S. 28, 62). Allerdings arbeiteten nahezu alle Residenturen der HV A in der Dritten Welt mit dem KGB zusammen, es habe wöchentliche Treffen und durchaus ein arbeitsteiliges Vorgehen gegeben (S. 70).

Staaten mit prosowjetischer Orientierung erfuhren von der HV A (in Kooperation mit anderen Diensteinheiten des MfS) vielfach materielle, personelle und logistische Unterstützung. In diesem Kontext, aber auch an anderen Stellen des Buches, wird deutlich, dass die Darstellung nicht allein wesentliche Aspekte dieses operativen Bereiches der HV A beschreiben will, sondern insgesamt in einer Abwehr- und Verteidigungshaltung verfasst ist (S. 100, 116). Gegen den Vorhalt etwa, „Killerkommandos“ ausgebildet zu haben, führt Bernd Fischer an: „Das ist so unwahr wie es gelogen ist, dass Mitarbeiter des MfS an militärischen oder inneren Auseinandersetzungen in Drittstaaten aktiv beteiligt gewesen wären“ (S. 78). Zu keinem Zeitpunkt sei die Initiative zur Kooperation von der DDR ausgegangen, vielmehr habe sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten Hilfe gewährt (S. 79).

Zu den Aufgaben der Legalresidenturen habe die „Aufklärung terroristischer Aktivitäten“ gehört (S. 33), sie unterstützten palästinensische Gruppen (S. 53), bildeten diese aus (S. 59) und gewannen über sie, insbesondere über Abu Ijad, Kenntnisse über die Arbeit von BND und CIA (S. 62). Gleichwohl habe es „zu keiner Zeit“ eine „operative, auf nachrichtendienstliche Operationen oder Aktionen orientierte Zusammenarbeit“ mit Palästinensern gegeben (S. 63). Die HV A sei jedoch nicht allein informationsbeschaffend und unterstützend tätig gewesen, sondern wirkte „wiederholt“ an der Befreiung von Bürgern sozialistischer Staaten in Libanon, Angola, Mosambik und Namibia mit (S. 30).

Nur an wenigen Stellen spielt Fischer seine analytische Kompetenz aus, wie etwa über die Erwartungshaltung der HV A: „Wir waren uns der Komplikationen, jähen Wendungen und schleichenden Veränderungen durchaus bewusst und beobachteten auch diese sehr genau. Wir sahen die Differenz von Anspruch und Wirklichkeit. […] Und nicht zuletzt zogen wir den Druck ins Kalkül, der von Seiten des Westens auf diesen Ländern und ihren Beziehungen zu den sozialistischen Staaten lasteten. […] Sie waren gezwungen, sich zu entscheiden, und wenn sie sich für die sozialistischen Staaten entschieden, wozu sie naturgemäß neigten, um sich aus kolonialer und neokolonialer Unterdrückung und Bevormundung zu befreien, dann bekamen sie die ganze Wucht der Reaktion zu spüren“ (S. 111).

Es irritiert nicht, dass Bernd Fischer, auch Autor der Monatsschrift „Rotfuchs“, aus kommunistischer Perspektive die operative Arbeit in der Dritten Welt durchaus erhellend beschreibt, als vielmehr, dass er sich an verschiedenen Stellen selbst Sorgfalt bescheinigt: „Die Ausführungen zum Inhalt der Arbeit der HV A sind […] korrekt […], aber keinesfalls vollständig wiedergegeben“ (S. 219). So sind inoffizielle Quellen konsequent ausgeblendet worden. Dabei wäre schon interessant gewesen, Näheres über den längst enttarnten syrischen Zivilangestellten der westdeutschen Botschaft in Damaskus, „Ahmed“, zu erfahren, der binnen zehn Jahren über 2.000 Informationen an die HV A III/B/1 übermittelt hatte (S. 158).1

Anmerkung:
1 Vgl. Erich Schmidt-Eenboom, Der BND. Der deutsche Geheimdienst im Nahen und Mittleren Osten. München 2006, S. 188.

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