Zum vierten Mal in Folge betrug der Gender Pay Gap auch in diesem Jahr 18 Prozent. Darauf wurde anlässlich des Equal Pay Day am 7. März aufmerksam gemacht.1 Neben diesem Datum, das die Entgeltungleichheit von Frauen gegenüber Männern sichtbar machen soll, erschien bereits im Jahr zuvor der Sammelband „Gender Pay Gap“, der sich diesem Thema multiperspektivisch und interdisziplinär annimmt. Ausgangspunkt des Sammelbandes war die im April 2021 veranstaltete gleichnamige Tagung, die von der Friedrich-Ebert- und der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde.
In der Einleitung legen Wiebke Wiede und Johanna Wolf zunächst dar, wie es um das geschlechtsspezifische Lohngefälle zwischen Männern und Frauen steht, und weisen darauf hin, dass Frauenerwerbsarbeit noch immer devaluierenden Argumenten unterliegt und auch angeblich objektive tarifliche Bewertungskataloge nicht dazu beitrugen, eine Ungleichbehandlung der Geschlechter im Lohnsystem zu beseitigen. Vielmehr zeigen sie auf, welche historisch gewachsenen Beharrungstendenzen den Grundstein für eine Minderbezahlung von Frauen legten und wie langwierig sich der Prozess der Entgeltgleichheit noch immer gestaltet. In drei Themenschwerpunkten werden gebündelte Schlussfolgerungen verschiedener Forschungsdisziplinen präsentiert, die Anstöße für weitere Forschungen liefern sollen.
Im ersten Themenschwerpunkt widmen sich Beiträge den gesellschaftlichen Bedingungen der Anerkennung von unbezahlter und bezahlter Arbeit. Michaela Kuhnhenne betrachtet Ungleichbezahlungsmechanismen im Generellen. Diese sieht sie vor allem in den Unterschieden in Bildung und Ausbildung begründet, die auf „Natur gegebenen“ Eigenschaften basieren und Frauen vermeintlich als geringer qualifiziert ausweisen. Die anschließenden Beiträge zeigen anhand von vier Berufsgruppen auf, wie die von Kuhnhenne präsentierten geschlechtlichen Zuschreibungen und Annahmen „natürlich“ gegebener Talente eine geringe Bezahlung rechtfertigten. So verdeutlichen Michaela Bräuninger und Susanne Kreutzer in ihren Aufsätzen zu Pfarrfrauen und der Pflegearbeit, wie tiefgreifend christliche Vorstellungen von Nächstenliebe und angenommenen „weiblichen“ Eigenschaften das Entlohnungsverständnis eben jener Berufszweige prägten. Während es jedoch den Pfarrfrauen sukzessive gelang, sich vom von ihnen erwarteten Ehrenamt zu emanzipieren und nicht länger als „Anhängsel ihres Mannes“ (S. 63) zu gelten, kann für die Pflege ein gegenteiliges Fazit gezogen werden. Vielmehr beschreibt Kreutzer, wie die Transition des Pflegeberufs aus dem Komplex eines christlichen Mutterhauses in säkulare Organisationen zu einer Degradierung des Berufsbildes führte und dabei eine geringe Entlohnung, in Anlehnung an den „Gotteslohn“ festgeschrieben wurde. Auch der Beitrag von Laura Moser zum staatlichen Modellprojekt „Tagesmütter“ in den 1970er-Jahren verdeutlicht, wie die Ausführung von Care-Arbeit die Finanzierungssystematik bei der Etablierung des Berufsbildes der Tagesmutter prägte. Frappierend ist hierbei, dass im Modellprojekt aus dem Jahre 1976 die arbeitsrechtliche Position der Tagesmütter vorab nicht thematisiert wurde und zuvor gemachte Zusicherungen nicht eingelöst wurden. Vielmehr orientierte sich das gesamte im Modellprojekt angelegte Berufsbild an der Idee der nachbarschaftlichen Hilfe und baute darauf, dass die Tagesmütter über ihren Ehemann finanziell abgesichert waren. In einer weiteren Fallstudie nimmt Mareike Witkowski einen der unbeliebtesten und schlecht bezahltesten „Frauenberufe“ in den Blick: die Haushaltsgehilfin. Dieses Berufsfeld zeichnete sich dadurch aus, dass zumeist keine Qualifikation in Form einer Ausbildung gegeben, das Alter der Beschäftigten sehr gering war und sie zudem oft aus armen Verhältnissen stammten. Eine geringe Entlohnung spiegelte die Entwertung des Berufs anhand dieser Kriterien wider. Darüber hinaus führte die Zusammensetzung des Lohns aus Barlohn, Kost und Logis zu einer Intransparenz der Löhne und kulminierte aufgrund der Einbindung in den Diensthaushalt in einer Entgrenzung der Arbeit.
Im zweiten Themenschwerpunkt des Sammelbandes wird die Institutionalisierung von Ungleichheit innerhalb und mittels gesetzlicher und tariflicher Regelungen in den Blick genommen. Leonie Kemper zeigt anhand des Berufs der Volksschullehrerin auf, wie entgegen der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 Beamtinnen weiterhin geringer bezahlt wurden als ihre Kollegen. Obwohl die Regierung bestimmte, dass Ausnahmebestimmungen gegen „weibliche Beamte“ aufgehoben werden sollten, passten zahlreiche Länder ihre Besoldung dahingehend an, dass Frauen und Männer nicht gleich entlohnt wurden. Als ausschlaggebendes Argument wurde hier, wie so oft, der Familienlohn ins Feld geführt, da die zumeist ledigen Lehrerinnen keine Familie zu versorgen hätten. Darüber hinaus erwies sich als zentrale Frage, ob Frauen in der Lage seien, dieselbe Leistung zu erbringen wie Männer und eine gleiche Bezahlung dadurch überhaupt angemessen sei. Anschließend beleuchtet Anna Quadflieg in ihrem Beitrag die Ebenen der Rechtsentwicklung der Entgeltgleichheit zwischen 1949 und 1976. Zentraler Ausgangspunkt ihrer Analyse ist dabei die Diskussion, inwiefern Artikel 3 des Grundgesetzes Einfluss auf zivilrechtliche Beziehungen und damit auf Tarif- und Arbeitsverträge hatte. Sie zeigt, dass zwar nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ab 1955 der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ galt, dies aber letztendlich zur Schaffung von Leichtlohngruppen in Tarifverträgen führte, „deren Tätigkeitsprofile auf ,Frauenarbeit‘ zugeschnitten waren“ (S. 151).
Am Beispiel der Digitalisierung beleuchten Andrea Jochmann-Döll, Christina Klenner und Alexandra Scheele, auf welchen Faktoren die Ausgestaltung von Entgeltbestimmungen basiert. Mit Hilfe zweier Beispiel-Betriebe analysieren die Autorinnen, welche Möglichkeitsfenster sich für die Beschäftigten aus einer voranschreitenden Digitalisierung ihrer Branchen ergeben und inwiefern geschlechtstypische und Frauen abwertende Eingruppierungen bei der Neubestimmung von Berufsfeldern verhindert werden können. Karin Schönpflug erweitert den Gender Pay Gap um eine LGBTIQ∗-Perspektive und verdeutlicht mit Rückbezug auf internationale Daten die Einkommensunterschiede anhand weiterer intersektionaler Diskriminierungsmerkmale. Sie legt hierbei anschaulich dar, „dass sich intersektionelle Lohnunterschiede, selbst wenn sie die sexuelle Orientierung mit einbeziehen, nicht einfach addieren, sondern auf komplexe Weise interagieren“ (S. 206).
Der dritte Themenschwerpunkt beleuchtet explizit die Politiken nationaler und internationaler Gewerkschaftsorganisationen in der Bewertung von Arbeit. Der Aufsatz von Johanna Wolf verdeutlicht die Diskussion um die vom Weltgewerkschaftsbund eingebrachte Resolution für „equal pay on equal work“ im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Darin zeigt sie auf, dass diese Diskussion im Zuge des sich verschärfenden Kalten Krieges immer mehr zu einer Frage des ideologischen Lebensstandards avancierte und weibliche Erwerbsarbeit letztendlich sowohl in ost- wie auch in westeuropäischen Staaten prekär blieb. Einem vermeintlich fortschrittlicheren Staat in Bezug auf die Entgeltgleichheit widmet sich der Beitrag von Judith Holland. So zeigt sie am Beispiel Frankreichs, dass das Ideal der „égalité“, wonach alle Menschen vor dem Staat gleich sind, konkrete Ungleichbehandlungen anhand der Kategorie Geschlecht verschleiert. Vielmehr attestiert sie auch für Frankreich eine geschlechterstrukturelle Ausdifferenzierung des Arbeitsmarktes, eine systematische Minderbewertung von weiblich gelesenen Tätigkeiten und eine eindimensionale Zuschreibung von Frauen auf die Reproduktionsarbeit. Silke Neunsinger und Ragnheiður Kristjánsdóttir analysieren abschließend, inwiefern sich das 1975 ausgerufene Internationale Jahr der Frau als Katalysator für die Forderung nach Lohngleichheit gestaltete. Anhand von drei Mikrostudien, die Island, Indien und Südafrika in den Blick nehmen, untersuchen die Autorinnen politische Gelegenheitsstrukturen, die sich durch das globale Ereignis ergaben. So zeigen die Ergebnisse, „dass Frauen während der Frauendekade der Vereinten Nationen systematisch internationale Konzepte nutzten, sofern sie Kenntnisse über diese und Zugang zu ihnen hatten, und dass sich diese Konzepte auf nationaler und lokaler Ebene als effektive Instrumente im Kampf um Lohngleichheit erwiesen“ (S. 278).
Der Sammelband belegt eindrucksvoll und auch in erschreckender Deutlichkeit die noch immer wirksamen Mechanismen zur Ungleichbezahlung zwischen den Geschlechtern. Dies betrifft nicht nur weiblich gelesene Personen, sondern auch andere Personengruppen, die aufgrund ihrer nicht binären Geschlechtsidentität und/oder sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Vermeintlich „Natur gegebene“ weiblich ausgelegte Fähigkeiten dienen hierbei immer noch als konsistente Folie, um sogar einst autarke Beschäftigungsfelder wie die der Ordensschwester zu delegitimieren und zu devaluieren. Kurzsichtig erscheint lediglich, wie in der Einleitung geschehen, die vereinzelten Erfolge von Frauen in Bezug auf die Herstellung von Entgeltgleichheit damit zu erklären, dass diese schlecht organisiert und wenig streikfreudig sind. Damit sitzen die Autorinnen axiomatischen Erklärungsmustern auf, die vor allem von einer männlich dominierten Geschichtsschreibung tradiert wurden und einer, wie Gisela Notz belegt, gewissenhaften Überprüfung bedürfen.2
Anmerkungen:
1 Equal Pay Day, https://www.equalpayday.de (24.05.2024).
2 Gisela Notz, Die Geschichte von Frauenstreiks und streikenden Frauen. „Das vierte ‚K‘ heißt Kampf, in: Ingrid Artus u.a. (Hrsg.), Arbeitskonflikte sind Geschlechterkämpfe. Sozialwissenschaftliche und historische Perspektiven, Münster 2020, S. 28–49, bes. S. 33f.