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Titel
The Ruble. A Political History


Autor(en)
Pravilova, Ekaterina
Erschienen
Anzahl Seiten
543 S.
Preis
£ 30.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Feest, Nordost-Institut (IKGN e.V.) an der Universität Hamburg

Im Jahr 1809 formulierte Michail Speranskij, Staatssekretär und Berater Zar Alexanders I., einen radikalen Plan zur Reform des russischen Finanzsystems. Anstelle der alten Assignaten plante er die Einführung von Papiergeld, dessen Stabilität durch seine Konvertierbarkeit mit einem neu geschaffenen Silberrubel zu gewährleisten war. Für die Emission des Geldes schwebte ihm die Gründung einer vollkommen unabhängig vom Staat agierenden Aktienbank vor. Speranskij stand damit auf dem Boden einer liberalen Doktrin, wonach das von einer unabhängigen Bank und ihren Zweigstellen verwaltete Geld ein Volksvermögen repräsentierte, das dem unmittelbaren Zugriff des Staates entzogen war. Für Gegner dieser Doktrin, wie den Historiker Nikolaj Karamzin, war die Deckung des Papiergelds indes nicht nur unnötig, sondern nachgerade schädlich. Denn die Quelle seines Wertes liege in der Willensäußerung des Zaren allein, die durch das bedingungslose Vertrauen des Volkes Geltung erhalte. Geld war nach dieser Anschauung Ausdruck von Gemeinschaft, und bedurfte keiner externen objektivierbaren Grundlage.1

Die Frage, wie enge ökonomische Erwägungen mit breiteren politischen Grundanschauungen in Verbindung stehen, bildet den roten Faden von Ekaterina Pravilovas vorzüglicher Studie zum Rubel von Katharina II. bis Lenin. Sie möchte wissen, wie finanzielle Institutionen und Begriffe in die „Sprache der Politik übersetzt wurden“ (S. 3). Damit geht sie über eine konventionelle Deutung weit hinaus, nach der sich die eingangs dargestellte Debatte auf eine Auseinandersetzung zwischen einer monetaristischen und einer nominalistischen Interpretation von Geld reduzieren ließe. Denn wie Menschen über Geld dachten, stand nach Pravilova in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren Vorstellungen vom gesellschaftlichen Aufbau und ihrer Haltung zu staatlicher Autorität. Ebenso wie Speranskijs monetaristischer Ansatz in einem Zusammenhang zu seinen Idealen von Gewaltenteilung und dem Aufbau einer konstitutionellen Monarchie interpretiert werden müsse, in dem die Zentralbank die Rolle eines Parlaments einnehme, sei Karamzins Nominalismus ohne seine Vorstellungen von nationaler Einheit und einer unbeschränkten Macht des Zaren nicht verständlich.

Solche Leitideen wurden in vielfältiger Weise vermittelt, und Pravilova behandelt die Geschichte des Rubels aus einer Vielfalt von Perspektiven. Ihre Geschichte umspannt die zeitgenössischen geldtheoretischen Debatten, nicht weniger aber auch außerwissenschaftliche Repräsentationen von Geld, die ihm eine breitere Bedeutung verschafften. Dazu gehören Gerüchte, die über Gold und Silber kursierten, ebenso wie die sinnbildliche Bedeutung, die belletristische Schriftsteller in ihren Werken dem Geld beimaßen. Eine zusätzliche Bedeutungsdimension erhielt das Geld zudem durch seine ästhetische Ausgestaltung und die dabei verwendeten Symbole. Außerdem thematisiert Pravilova auch die Materialität der Währung: die Förderung und Lagerung von Gold und Silber, die Schwierigkeiten des Transports und die Suche nach Alternativen. So war Russland das einzige Land, das (übrigens gegen den Rat Alexander von Humboldts) zwischen 1828 und 1830 Platingeld verwendete. Zuletzt wird sogar die physische Vernichtung von Geld behandelt. Der Ofen, in dem die Staatsbank Millionen von Papierrubeln verbrannte, die nach dem russisch-türkischen Krieg 1877–1878 wertlos geworden waren, war sogar Motiv einer im Buch abgebildeten Postkarte.

Auf diese Weise entsteht die Geschichte eines russischen Sonderwegs. Dabei ziehen sich beide eingangs geschilderten Ansätze wie ein roter Faden durch die außerordentlich vielseitige und detaillierte Darstellung: Sie finden sich etwa in der Rivalität von Finanzminister Egor Kankrin (1823–1844) und dem ehemaligen Finanzminister des Königreichs Polens, Frantiszek Drucki-Lubetcki, wieder. Für Letzteren war die Koppelung des Geldes an Wertmetall eine Garantie dafür, dass sein Wert immer den aktuellen Stand der wirtschaftlichen Lage widerspiegelte. Entsprechend sprach er sich, in scharfem Gegensatz zu Kankrin, ähnlich wie vormals Speranskij, für eine unabhängige Zentralbank aus, die für die Stabilität der Währung sorgen und damit den Interessen des Handels und der Industrie dienen sollte. Dagegen empfand Kankrin, ganz im Sinne einer politisierten Geldtheorie, die Konvertierbarkeit der durch das Zarenwort in ihrem Wert garantierten Geldscheine als beleidigend und einer Monarchie unwürdig. Geld war für ihn eine Domäne des Staats, und durch die rücksichtslose Ausgabe von Papiergeld förderte er die Inflation.

Dass sich die konservative Ansicht durchsetzte, lag nicht zuletzt daran, dass an der theoretischen Ausformulierung dieser besonderen Art des „ökonomischen Nationalismus“ auch Historiker und politische Publizisten mitwirkten. Slavophile wie Michail Pogodin, Michail Katkov oder Nikolaj Danilevskij beschäftigten sich nun mit Geldtheorie und sorgten mit dafür, dass der „indigene Papierstandard“ (so Pravilovas prägnante Formulierung) zu einer „offiziellen Ideologie“ (S. 6) wurde. Besonders die Suche nach einer Alternative zu den im Westen üblichen Sicherheiten wie Gold und Silber trieb sie um. Nach Kankrin sollte Papiergeld noch unbestimmt durch „das ganze Patrimonium des Staates“ gedeckt werden. Spätere Ansätze sahen das Eisenbahnnetz oder den Boden als mögliche Sicherheiten für einen „Kreditrubel“ (S. 86), mit dem Russland seine imperialen Großprojekte finanzieren und sich gleichzeitig von den globalen Märkten unabhängig machen konnte. Solche Ideen griff später Sergej Witte (Finanzminister 1892–1903) beim Bau der Transsibirischen Eisenbahn wieder auf, bevor er in einer unerwarteten Wendung zu einem Anhänger des Goldstandards wurde.

Wittes abrupter geldpolitischer Richtungswechsel verweist auf ein Dilemma. Trotz des geschilderten Sonderweges nahmen die internationalen Handelsbeziehungen Russlands im 19. Jahrhundert immer weiter zu, und das Interesse, die Kreditwürdigkeit Russlands zu wahren, machte die Konvertierbarkeit am Ende unausweichlich: 1839 wurde der Rubel an den Silberstandard gebunden, 1897 trat Russland dem Goldstandard bei. Außerhalb von Kriegszeiten hatte es eine stabile Währung. Dennoch blieb der Staat im Zentrum des Finanzsystems: als unmittelbarer Besitzer des Wertmetalls sowie als Nutznießer von Krediten. Nicht das Bürgertum und Investitionen in seine Unternehmen galten als zentrale Aufgaben des Bankwesens, sondern die Finanzierung der Autokratie und adeliger Kreditgeber, die vor 1861 ihre Leibeigenen als Sicherheit gaben. Dabei waren Währungspolitik, Staatsfinanzen, Geld und Kredit Gegenstand strikter bürokratischer Kontrolle und größter Geheimhaltung. Auch die sukzessive Eingrenzung der Möglichkeiten des Staates, im Bedarfsfall einfach die Druckerpresse zu bedienen, änderten dies nicht grundsätzlich. Allerdings war zu keinem Zeitpunkt gewährleistet, dass dieses gelenkte Finanzsystem auch immer funktionierte. Ein faszinierender Abschnitt behandelt die alltäglichen Ausweichmanöver mit denen sich die Menschen behalfen, wenn der Rubel instabil war: Sie erfanden eigene Währungen und Geldsurrogate, oder fälschten Geldscheine. Hier, wie auch an anderen Stellen der Untersuchung, wird der Geschichte der politischen und wirtschaftlichen Ideen auch jene der konkreten Praktiken gegenübergestellt.

Der Oktoberumsturz änderte wenig an der grundlegenden Konstellation. Utopische Vorstellungen über die Abschaffung von Geld verwirklichte der sozialistische Staat nur mit der Abschaffung des freien Marktes zugunsten einer umfassenden Regulierung sowie durch ein kompliziertes System des Austauschs von Sachgütern zwischen den staatlichen Großbetrieben. Gleichzeitig sahen auch die Bol’ševiki die Großbanken als zentrale Institutionen an, um das Land zu regieren. Die Geldreform 1921–1924 stellte die Geldordnung von vor 1914 weitgehend wieder her – basierend auf dem Goldstandard und einer zentralen Stellung des Staates.

Pravilovas Buch ist eine Finanzgeschichte eigener Art: Auf der einen Seite ist es eine Finanzgeschichte Russlands, die grundlegende Entwicklungen der russischen Geldpolitik und ihre Auswirkungen schildert. Auf der anderen Seite ist es die Geschichte politischer Vorstellungen, die mit der Währung verbunden wurden. Hier erweist sich der Rubel nachgerade als flottierender Signifikant: Er stand für die Macht der Autokratie, für die geopolitische Stellung Russlands, für die Einigkeit des Russischen Volkes oder auch seine Andersartigkeit. Pravilova breitet auf den 543 Seiten ihrer Geschichte des Rubels ein immenses Wissen über die zeitgenössischen Diskurse und Praktiken aus. So gibt das Buch aus einer neuen Perspektive Auskunft zu vielen Detailfragen der russischen Geschichte. Doch verliert sich Pravilova nicht in Einzelheiten, sondern kehrt immer zu der Grundfrage nach dem Verhältnis zwischen finanziellen und politischen Institutionen und Praktiken. Zurück. Ihre „Biographie des Rubels“ ist damit eine erfrischend neu erzählte Geschichte Russlands.

Anmerkung:
1 Zu breiteren Fragen russischen wirtschaftlichen Denkens vgl. Vincent Barnet, A History of Russian Economic Thought, London 2005, das aber weitgehend ideengeschichtlich vorgeht. Eine Beziehungsgeschichte zwischen russischen und westlichen ökonomischen Theorien bietet der Sammelband Vladimir Avtonomov / Harald Hagemann (Hrsg.), Russian and Western Economic Thought.Mutual Influences and Transfer of Ideas, Cham 2022.