Schon in der berühmt-berüchtigten Bücher-Meyer-Kontroverse des 19. und 20. Jahrhunderts war ein wichtiger Punkt bei der Beurteilung der antiken Wirtschaft als eher „modern“ oder eher „primitiv“ die Frage, ob die Akteure der Antike in der Lage waren, „rational“ (worunter man ausschließlich verstand: gewinnmaximierend) zu wirtschaften und strategisch zu planen. Das hier vorzustellende Buch, die überarbeitete Promotionsschrift des Verfassers (im folgenden S.), unternimmt den Versuch, der antiken römischen Wirtschaft mithilfe aktueller Modelle auf betriebswirtschaftlicher Ebene in dieser Hinsicht neue Aspekte abzugewinnen. Dies ist auf volkswirtschaftlicher Ebene eine seit Beginn der Erforschung antiken Wirtschaftens angewandte Methode, die zunächst durch die bis heute zumindest in Teilen relevanten Arbeiten M. Finleys eine systematische und ebenfalls bis heute nachwirkende Ablehnung erfuhr, bevor sie mit dem 21. Jahrhundert etwa durch die Methoden aus der Neuen Institutionenökonomik oder komparative Ansätze wieder Eingang in die Geschichtsforschung fand.1 Konkret hat sich S. das Ziel gesetzt, ausgehend von den römischen Agrarschriftstellern (doch nicht auf diese beschränkt), zunächst für die Landwirtschaft und dann auch für andere Sektoren ein „umfassende[s] Bild über das Wirtschaften des einzelnen Wirtschaftsakteurs“ herzustellen und für die ‚römische Antike‘ „ein Gesamtverständnis betriebswirtschaftlichen Denken und Handeln herzustellen“ (S. 3). Dieses ebenso interessante wie umfangreiche Unterfangen wird durch S. erstmals in monographischem Maßstab unternommen.
Zu diesem Zweck verfolgt S. eine Methode die sich an die vielfach (vor allem aufgrund ihrer mangelnden Quellenbasis) kritisierte Studie „The Roman Market Economy“ von Peter Temin (Princeton 2013) orientiert. Temin war zu dem Ergebnis gekommen, es habe auf makroökonomischer Ebene eine „römische Marktwirtschaft“ modernen Zuschnitts gegeben. S. Arbeitshypothese ist nun, dass „das Existieren einer römischen Marktwirtschaft […] auch ein ‚modernes‘ marktwirtschaftliches Denken und Handeln des Einzelnen bedingt“ (S. 32).
Ein Kapitel (3) zu „Quellen und Methodik“ stellt die drei im Zentrum stehenden Autoren Cato, Varro und Columella kurz vor, passt deren Aussagen in ein recht problematisches Schema ein, das „expliziten und belehrenden“ Aussagen grundsätzlich größeres Gewicht beimisst als „impliziten und beschreibenden“ und erläutert dann seine Absicht, die solcherart an diesen drei Autoren entwickelten Handlungsmuster auch in anderen Quellengattungen aufzudecken. Ein weiteres einleitendes Kapitel (4) liefert einen knappen Überblick über die historische Entwicklung makroökonomischer Strukturen sowie, noch knapper in jeweils eigenen Teilkapiteln über die Akteursgruppen. Besonders bemerkenswert ist dabei Kapitel 4.2.2 („Begriffliche Sicht“), wo vom Grundbesitzer über die Pächter bis hin zum Institor deren Rolle in einem Betrieb spezifiziert wird.
Den Kern des Buchs bildet ein Kapitel (5) zu den Kompetenzbereichen. Als solche definiert S. in Anlehnung an die moderne Betriebswirtschaftslehre und in einzelnen Teilkapiteln Unternehmertum, Betriebsführung und Projektmanagement, Führung, Wachstum und Transformation sowie Entscheidungsfindung und Beratung. In ihren zahlreichen Facetten. Besonderen Wert legt S. dabei auf solche, die längerfristiges, strategisches Planen und rationales Wirtschaften erkennen lassen. Bei entsprechender Quellenlage werden hier auch nicht-landwirtschaftliche Wirtschaftszweige angesprochen wie etwa der Seehandel (Projektmanagement), die Terra-Sigillata-Produktion (Wachstum) oder das Handwerk (Führung). Die Ergebnisse sind dabei teilweise ausgesprochen anregend. So stellt S. zum Thema „Führung“ eine Fortentwicklung von Cato bis Columella fest, was „Führungsinstrumente und Kommunikation“ (S. 232) betrifft. Dies überrascht angesichts der bekannten Entwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe von der relativ kleinen Einzelvilla bei Cato bis zu den weit verstreuten Latifundien bei Columella natürlich nicht (so auch S. selbst implizit S. 321), aber die Herausarbeitung bei einem Fokus auf dem einzelnen Akteur ist hier wie auch in anderen Teilkapiteln ein erhebliches Verdienst.
Die Zusammenfassung konstatiert, in Abgrenzung zu anderen Thesen habe es in der römischen Antike speziell bei der Betriebsführung durchaus planvolles, rationales Handeln gegeben, und auch in anderen Bereichen des Wirtschaftens lasse sich dies nachweisen. Weitblickende Planung, Wissenstransfer und die an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung orientierte Fortentwicklung der Kommunikations- und Führungsprozesse in den römischen Betrieben seien zu konstatieren, und dies stütze die These, dass „marktwirtschaftliche Prinzipien und ein marktwirtschaftliches System zur in dieser Arbeit betrachteten Zeit der römischen Antike vorherrschte“ (S. 323).
Das Buch ist mit einem Anhang ausgestattet, der neben einem Verzeichnis der größtenteils durch S. selbst angefertigten Abbildungen und Tabellen, einer Liste der verwendeten Sekundärliteratur sowie einem Quellenregister (leider ohne nicht-literarische Quellen und ebenso unter Auslassung aller Stellen aus Cato, Varro und Columella) auch ein Sachregister enthält. Es ist in einem angenehmen, sachlichen Stil verfasst, sorgfältig redigiert und hochwertig produziert.
In einigen formalen Einzelheiten wirkt es etwas ungewöhnlich2 und vor allem methodisch nicht immer überzeugend. Dies liegt vor allem an der geringen Aussagekraft der Agarschriftsteller für andere, nur selektiv einbezogene Wirtschaftszweige. Leider stützt sich S. auch allzu häufig, gerade in der wichtigen Einleitung, vorrangig auf ältere Handbuchliteratur, wie überhaupt die Sekundärliteratur nur in begrenztem Umfang einbezogen wurde.3 Angesichts der vielen und langen wörtlichen Zitate (original und deutsche Übersetzung) aus antiken Autoren fällt ganz besonders der bedauerliche, fast völlige Verzicht auf Kommentarliteratur auf, da dieses Vorgehen zu unbewussten Übernahmen führt, wenn Schlussfolgerungen als eigene präsentiert werden, die so bereits lange bekannt und veröffentlicht sind.4 Unter methodischen Mängeln leidet auch die Verbindung des präsentierten Quellenmaterials. Während S. in seiner Einleitung noch eine historische Perspektive für die Quellenarbeit speziell mit den römischen Agrarschriftstellern postuliert, fehlt eine solche in vielen Teilkapiteln. In Anlehnung an den oben erwähnten M. Finley wäre für eine Folgestudie zur entsprechenden antiken Systematik zu plädieren, die sich von den Kategorien moderner Betriebswirtschaftslehre unterscheiden dürfte. Vor allem die Rolle von – im Hinblick auf den Gewinn – irrationalen Motiven und Strategien, etwa im Hinblick auf Repräsentation (auch in den Werken des Agrarautoren selbst) dürfte das Bild noch erheblich erweitern.
Die eigene Zielsetzung, eine historisch kontextualisierte Geschichte moderner betriebswirtschaftlicher Prinzipien und ihrer Anwendung in der römischen Antike zu schreiben, wird von S. nicht eingelöst. Das Buch dürfte aufgrund seines innovativen Vorgehens, der Vielfalt des besprochenen Quellenmaterials und der zahlreichen, hier nicht einzeln hervorhebbaren scharfsinnigen Einzelergebnisse dennoch zurecht auf großes Interesse stoßen.
Anmerkungen:
1 Hierzu, zur Bücher-Meyer-Kontroverse und auch allgemein ergänzend zu dem hier besprochenen Buch: P. Reinard, Schlachtfeld und Pluralismus. Ein Forschungsüberblick zur griechisch-römischen Wirtschaft, in: Sitta von Reden / Kai Ruffing (Hrsg.), Handbuch Antike Wirtschaft, Berlin 2023, 7–39.
2 Hierzu gehören etwa ein eigenes Abkürzungsverzeichnis für antike Autoren und ihre Werke, die häufige Angabe des Absatzes oder gar Satzes bei Seitenhinweisen in den Anmerkungen, das Zitieren von Aufsätzen in Sammelbänden unter schlichtem Hinweis auf diese oder Anmerkungen wie „Domitius Ulpianus, römischer Jurist des 2. und 3. Jh. n.Chr.“ (S. 220, Anm. 490; Ähnliches auch sonst oft, etwa S. 319, Anm. 1 und 2).
3 So ignoriert S. auch wichtige Studien zum Kern seiner Arbeit. Zu nennen wären etwa Robert Ashford / Stefan J. Padfield (Hrsg.), The History of Economic Thought. A Concise Treatise for Business, Law, and Public Policy. Volume I: From the Ancients Through Keynes, New York 2017; Joseph R. Cammarosano, The Development of Economic Thought. An Overview, London 2018; aber auch schon der zentrale Beitrag von Henri Willy Pleket, Wirtschaft, in: Friedrich Vittinghoff (Hrsg.), Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Bd. 1, Stuttgart 1990, S. 25–160.
4 Besonders klare Fälle etwa in Anm. 103 und 796. Es fehlen – dies nur einige Beispiele – die kommentierte Varro-Ausgabe Dieter Flach, Marcus Terentius Varro. Gespräche über die Landwirtschaft. Buch 3, Darmstadt 2002, die wichtige Kommentierungen liefernde Studie Marco Johannes Bartoldus, Palladius Rutilius Taurus Aemilianus. Wesen und Wert spätrömischer Landwirtschaft, Augsburg 2012 sowie die zahlreichen Arbeiten von Francesca Boldrer. Auch etwa das wichtige Buch Silke Diederich, Römische Agrarhandbücher zwischen Fachwissenschaft, Literatur und Ideologie, Berlin 2007 wird mit seinen Schlussfolgerungen zum Quellencharakter der „Fachschriftstellerei“ zwar in Anm. 33 zur Kenntnis genommen, dann aber nicht weiter zur Quelleninterpretation verwendet.