Cover
Titel
Demokratie im Bild.


Herausgeber
Heinrich, Horst-Alfred; Klumpp, Lorenz
Erschienen
Stuttgart 2022: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
154 S., 7 SW- und 30 Farb-Abb., 3 Tabellen
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabel Groll, Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Wir leben in einer Welt der Bilder. Angesichts ihrer alltäglichen Omnipräsenz in Medien und Werbung, ihrer historischen Fülle in Kunst- und Bildgeschichte überrascht es, dass ein großer Teil der Geisteswissenschaften noch immer überwiegend Sprache und Text zur Grund- und Ausgangslage ihrer Forschung macht. Dabei sind Bilder spätestens seit dem iconic bzw. pictorial turn der 1990er-Jahre als machtvolle Agenten zu verstehen, die Wirklichkeiten ab- als auch mit- und zuweilen sogar vorbilden.

Eine spannende Frage kommt vor diesem Hintergrund der Bildlichkeit von Staatsformen zu. Keine Politik kam jemals ohne Bilder aus, kein Herrscher oder Herrscherkollektiv ohne Inszenierung der eigenen Macht. Nicht nur, aber auch angesichts des häufig proklamierten Aufstiegs totalitärer Regime und autokratisch-diktatorischer Machthaber drängt sich die Frage nach einer Bildsprache der Demokratie, einer visuellen Kultur des Demokratischen geradezu auf.

Dieser Frage widmet sich der jüngst von Horst-Alfred Heinrich und Lorenz Klumpp herausgegebene, angenehm handliche Sammelband mit sechs Beiträgen aus mehreren geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Die empirische Sozialforschung ist mit drei Beiträgen am stärksten vertreten, hinzu gesellen sich Artikel aus der Kunstgeschichte, der Anthropologie und der Politikwissenschaft.

Hierbei mag das von Heinrich früh zitierte Diktum des sechsten US-amerikanischen Präsidenten John Quincy Adams, Demokratie sei „in ihrem Wesen ikonoklastisch“ (S. 11), als provozierendes Movens der Herausgeber gegolten haben, Demokratie ganz der Aussage zum Trotz in den uns umgebenden Bilderwelten aufzuspüren – in Zeitschriftencovern und Symbolen, in politischen Dresscodes und Architektur sowie Zeichnungen aus der deutschen Bevölkerung. Es wird also ein begrüßenswert breiter Bildbegriff angelegt, der im Band allerdings eine ausführlichere Behandlung digitaler und paneuropäischer bzw. globaler Bildkulturen vermissen lässt. Positiv hervorzuheben am Gesamtbild ist die aufwändige materielle Verarbeitung des Buches, in dem an hochwertigen (manchmal leider etwas klein geratenen) Abbildungen in guter Farbqualität nicht gespart wurde.

Die Herausgeber stellen mit ihren quantitativ-qualitativen Analysen von Zeichnungen und Spiegel-Titelseiten die hier prozentual stärkste Disziplin der empirischen Sozialwissenschaften. Heinrich, der mit zwei Texten vertreten ist, liefert den Auftakt mit einer Analyse von Zeichnungen aus der deutschen Bevölkerung, die er bat, ihre Vorstellungen von Demokratie primär bildlich darzustellen. Sein zweiter Beitrag wiederum untersucht das Bildmotiv des Kompositkörpers auf dessen politischen Bedeutungsgehalt und -wandel ausgehend von einem Vergleich des berühmt gewordenen Frontispiz des Hobbes´schen Leviathan mit verschiedenen Spiegel-Coverdarstellungen autoritärer Machthaber aus den letzten 40 Jahren. Das Ergebnis zeigt „bei diesem Bildtypus eine Bedeutungsverschiebung vom Schutzpatron hin zum Diktator“ (S. 147). Auch Lorenz Klumpp sucht einen Weg zur Demokratie im Bild über ausgewählte Cover des politischen Magazins. Sein Augenmerk liegt auf Darstellungen der Demokratie in Momenten ihrer größten Fragilität und Bedrohung, hier durch die politische „Katastrophe“ der Trump-Regentschaft.

Während die grundsätzlichen Ideen aller drei Texte – Demokratie im Bild aus Sicht der Bevölkerung und ex negativo im Zustand ihrer Bedrohung bzw. ihres autokratisch-totalitären Gegenteils – originell und fruchtbar für potentielle Anschlussforschung sind, so entstehen doch Zweifel am methodischen Umgang beider Autoren mit ihren Forschungsobjekten – eben den Bildern.

Beide bedienen sich bei ihren Bildanalysen der ikonografisch-ikonologischen Methode nach Erwin Panofsky. Diese von Panofsky selbst lediglich als eine „Beschreibung und Inhaltsdeutung“1 angelegte Herangehensweise an Bilder erfuhr schon zu ihren Entstehungszeiten in den 1920er- bis 1950er-Jahren massive Kritik, unter anderem weil sie sich als unbrauchbar für die Annäherung an die zeitgenössische abstrakte Kunst erwies. Das größere Problem der Ikonologie Panofskys ist jedoch, dass es sich im Wesentlichen um eine textbasierte Zeichentheorie handelt, im Rahmen derer, so formulierte es einer der Begründer der Bildwissenschaft, W.J.T. Mitchell, in den 1990er-Jahren, „das ´Ikon´ gründlich vom ´Logos´ absorbiert“2, der „außerbildliche Prätext als Schlüssel zum Bildverstehen betrachte[t] und der Eigensinn des Bildes ignorier[t]“3 würde. Panofskys Ikonologie leistet einiges zur Beantwortung der Frage, was auf einem Bild zu sehen ist, aber nicht genug zur Beantwortung der Frage nach der spezifischen Wie-Wirkung eines bestimmten Bildes und seiner Gestaltung in einem bestimmten Kontext – genau darum aber geht es Heinrich und Klumpp in ihren Betrachtungen der Spiegel-Cover.

Die strenge Anwendung Panofsky´scher Methodik leistet daher auch kaum etwas zu ihren – durchaus gehaltvollen – Ergebnissen. Eine empirische Sozialwissenschaft, die sich den Bildern und ihrer Eigenlogik annehmen möchte, wäre daher vermutlich besser beraten mit einer Methode des spartenübergreifenden Bildvergleichs (den Klumpp leider fast vollständig vermissen lässt) und einem Empirieverständnis, das der präzise beschriebenen sinnlich-singulären (vergleichenden) Bilderfahrung (bei der Heinrich einige entscheidende Details entgehen) vor der „Beweisführung“ durch akkumuliertes Datenmaterial und kleinteilige Kategoriensysteme den Vortritt lässt.

Wie die zweifellos unerlässliche Bildbeschreibung gründlich, d.h. für die eigenen Zwecke dienlich und trotzdem „aus dem Handgelenk“ funktionieren kann, zeigt der Beitrag des Kunsthistorikers Matthias Bruhn zur symbolischen Funktion und Wirkung von Glas in politischer Architektur. Zügig skizziert Bruhn eine Architekturgeschichte vom (nicht immer) transparenten Werkstoff, beginnend bei den Waren-, Kauf- und Schauhäusern des 19. Jahrhunderts, über Bauikonen der modernen Industrie- und Wohnarchitektur, bis hin zu der in den 1990er-Jahren neu errichteten Berliner Reichstagskuppel. Anhand dieses Beispiels wird dem überraschend ambivalenten symbolpolitischen Bedeutungsgehalt von Glas und seiner Wirkung – etwas spät, etwas umständlich, ein bisschen zu eilig – Rechnung gezollt. Ein aufregend beunruhigender Ausblick auf eine mögliche tendenziell antidemokratische Zukunft des Werkstoffs als architektonisches Mittel der Verschleierung, Verspiegelung, Schaltung und Kontrolle hätte, wie auch der Beitrag insgesamt, noch einige Abbildungen mehr vertragen können.

Viola Hofmann nimmt in ihrem Beitrag den Politiker:innenkörper und seine Kleidung in den Blick. Auch sie spannt einen historischen Exkurs über das äußerliche Auftreten der Volksvertreter:innen auf, von der nüchternen, sachorientierten Bonner Republik über die inszenierte Nahbarkeit eines Willy Brandt bis hin zu Olaf Scholz, Armin Laschet und Wladimir Putin im Jahr 2022. Hierbei diagnostiziert sie am Beispiel des zivilen Männeranzugs die Entstehung einer „Uniform“, die für die Ablösung bürgerlich-demokratischer Werte von den vorherigen feudal-absolutistischen stehe. Hierbei hätte sie durchaus noch auf ähnlich ambivalente prototypische Veränderungen früherer Jahrhunderte hinweisen können, etwa auf Baldassare Castigliones Idealtypus des weltgewandten Hof- bzw. Edelmannes4 oder die vermeintlich schlichte, aber unendlich kostbare schwarze Kluft des früh aufstrebenden pietistischen Bürgertums. Während der Männeranzug ebenso wie sein weibliches Pendant im Kontext politisch-sozialer Veränderungen und Zuschreibungsoperationen zum Ausdruck politischer Professionalität, Neutralität und Souveränität gerann, sei zugleich, so die Autorin, auch eine Tendenz zur Individualisierung des Politiker:innenkörpers zu beobachten, dessen Träger:in vor allem auch im Kontext (massen-)medialer Repräsentation etwa als besonders nahbar, jugendlich, erotisch, alltäglich – authentisch – inszeniert wird. Hofmanns Argumentation gelingt ihr – auch bildlich – durchaus überzeugend. Positiv hervorzuheben ist überdies ihr Bewusstsein für Machtmechanismen der Diskurse, Genderdifferenzen und die aktive Performanz der Bilder, die die Öffentlichkeit, die Politiker:innen und ihre Körper mitprägen und gestalten.

Für die bildwissenschaftliche, in den Traditionen Aby Warburgs und W.J.T. Mitchells stehende Rezensentin stellt ein Beitrag zu Symbolen der (deutschen) Demokratie natürlich eine besondere Herausforderung dar. Die (Un-)Möglichkeit der Übersetzbarkeit von Bildern in Text ist gewissermaßen Urstreitpunkt der Debatte zwischen Semiotik und Kunst- bzw. Bildwissenschaft.5 Gerhard Göhler will vier die Demokratie repräsentierende Bild-, Ton-, Text- und Handlungssymbole identifiziert und diese aufgrund ihres hermeneutischen „Überschussgehalt[es]“ (S. 49) auch strikt von sonstigen Zeichen differenziert wissen. Die Unterscheidung ruft eine gewisse Skepsis hervor, da auch einfachste Zeichen, ein Richtungsweiser zum Beispiel, abhängig von ihrem Kontext und der Interpretation des Adressaten/der Adressatin sind: Soll ich in diese Richtung gehen oder schauen oder „nur“ wissen, dass sich dort etwas befindet? Eben jene Mehrdeutigkeit, die auch allen Bildern inhärent ist, macht nun aber fraglich, inwieweit Symbole überhaupt, wie Göhler schreibt, zum „sichtbaren Ausdruck“ von Einsicht und Konsens in einem Gemeinwesen werden können. Der Autor macht abschließend aber einen zentralen Punkt, der auch für die zukünftige Forschung zur Demokratie im Bild von großer Bedeutung sein dürfte: in der Mehrdeutigkeit der Symbole vermutet er einen potentiellen Ausdruck des demokratischen Pluralismus. Theoretisch leuchtet dies unmittelbar ein. Es ist Aufgabe der zukünftigen Forschung, auch die praktischen, materiellen Manifestationen von Vielfalt, Diversity, Toleranz und Gemeinschaft trotz Unterschieden in den uns umgebenden Bild- und Symbolwelten zu finden und zu erforschen.

Insgesamt gesehen bietet der Sammelband einen anregenden, methodisch vielfältigen Aufschlag und Anreiz zu vermehrter bildbasierter und interdisziplinärer Demokratieforschung. Die Lücken, die er lässt, sind mehr als aussichtsreiche und noch zu erschließende Gebiete zu verstehen. Die Fragen, die er aufwirft – insbesondere methodisch –, sind ein guter Anlass, um über einen zukünftigen Umgang mit Bildern als Objekten der Forschung zu diskutieren.

Anmerkungen:
1 Erwin Panofsky, Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst, in: Karen Michels / Martin Warnke (Hrsg.), Erwin Panofsky. Deutschsprachige Aufsätze II, Berlin 1998, S. 1064–1077, hier S. 1064.
2 W.J.T. Mitchell, Der Pictorial Turn, in: Christian Kravagna (Hrsg.), Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997, S. 15–40, hier S. 30.
3 Thomas Hensel, Kunstgeschichte/Kunstwissenschaft, in: Netzwerk Bildphilosophie (Hrsg.), Bild und Methode. Theoretische Hintergründe und methodische Verfahren der Bildwissenschaft, Köln 2014, S. 187–194, hier S. 190f.
4 Baldassare Castiglione, Der Hofmann. Lebensart in der Renaissance, 2. Aufl., Berlin 2004 (1. Aufl. 1996), s. etwa: S. 28–33, S. 33f, S. 37, S. 50f.
5 Andrew McNamara / W.J.T. Mitchell, Words and Pictures in the Age of the Image: An Interview with W.J.T. Mitchell, in: Krešimir Purgar (Hrsg.), W.J.T. Mitchell´s Image Theory. Living Pictures, New York 2017, S. 100–114, hier S. 108f.

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