H. Bock u.a. (Hrsg.): Religion and Its Other

Title
Religion and Its Other. Secular and Sacral Concepts in Interaction


Editor(s)
Bock, Heike; Feuchter, Jörg; Knecht, Michi
Series
Eigene und Fremde Welt 8
Published
Frankfurt am Main 2008: Campus Verlag
Extent
248 S.
Price
32,20 €
Reviewed for H-Soz-Kult by
Nils Riecken, Institut für Islamwissenschaft, Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies, Freie Universität Berlin

Aus säkularisierungstheoretischer Perspektive ließ sich lange Zeit von einem Bedeutungsverlust der Religion in der Moderne sprechen. Säkularisierung erschien so als eine Geschichte des Verschwindens, der Nachfolge oder der einfachen Trennung von Religion und dem Säkularen. Die Kritik an dieser Vorstellung ist der Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes, der auf eine vom Sonderforschungsbereich 640 „Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel“ und dem Zentrum Moderner Orient organisierte Konferenz an der Humboldt Universität zu Berlin im Frühjahr 2007 zurückgeht. In Anlehnung an Talal Asads Arbeiten 1 ist das Ziel, so Michi Knecht und Jörg Feuchter in ihrer Einleitung, Religion in Beziehung zu ihrem Anderen – was sowohl andere Religionen als auch das Säkulare meint – zu untersuchen, um so das Phänomen Religion womöglich besser in den Blick zu bekommen als aus einer säkularisierungstheoretischen Perspektive. Vor diesem Hintergrund erschließt sich der nicht ganz griffige Untertitel des Bandes, „Secular and Sacral Concepts and Practices in Interaction“.

Verorten lässt sich der Band somit in der Diskussion um den modernen europäischen Religionsbegriff und die Frage, was es bedeutet, wenn bestimmte Gesellschaften als säkular beschrieben werden – oder eben auch nicht – beziehungsweise wie sich das Verhältnis von Religiösem und Säkularem überhaupt angemessen begrifflich fassen lässt.2 Dabei wollen die Herausgeber mit dem Band keine neue Theorie liefern, sondern Einzelstudien, die historischen Figurationen des Verhältnisses von Religion und ihrem Anderen nachgehen. Die Themen der Beiträge von Autorinnen und Autoren aus der Anthropologie, Geschichts-, Islamwissenschaft und Judaistik reichen von muslimischen Reformdenkern über wissenschaftsgeschichtliche Studien zu Christentum, Islam und Judentum bis hin zu Texten, die mit unterschiedlichen regionalen Bezügen stärker lebensweltliche Zusammenhänge untersuchen. Vorab sei gesagt, dass alle Beiträge das Ziel der Einleitung erfüllen, Religion und ihr Anderes in ihrer wechselseitigen Bezogenheit und nicht als Schwundgeschichte der Religion oder ihrer einfachen Ersetzung durch das Säkulare zu beschreiben. Aus Platzgründen kann hier leider nicht auf jeden Beitrag einzeln eingegangen werden.

In den ersten drei Beiträgen geht es um Reformansätze im Vorderen Orient zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Den Auftakt bildet Talal Asads Beitrag, in dem er in den Texten des ägyptischen, in Großbritannien ausgebildeten Juristen Ahmad Safwat Verschiebungen im Verhältnis von Recht und Moral gegenüber der islamischen Rechtswissenschaft (fiqh) untersucht. Safwat entwickelte im Hinblick auf das islamische Familienrecht eine Interpretation der islamischen Rechtskategorie des Erlaubten (halal), die in seiner Konzeption ein Regelungsfeld für positives staatliches Recht eröffnete. Moral war dabei als privat und autonom gedacht, allerdings, und das ist entscheidend, in Relation zu einem positiven staatlichen Recht, das auf „universellen“ Prinzipien beruhte, und die Grenzen dieses moralischen Raums definieren durfte. Safwats Trennung von moralischen und rechtlichen Regeln organisierte die Reichweite von „Religion“ damit auf neue Weise. Das eröffnete andere Möglichkeiten und Bedingungen, als moralisches und juristisches Subjekt zu handeln. Diese ließen sich, so Asad, indes nicht angemessen mit dem Bild eines säkularen Freiraums beschreiben. Denn es verstelle den Blick auf eine komplexere Geschichte des Säkularen in Ägypten wie auch in den so genannten säkularen westlichen Gesellschaften.

Ähnlich wie Asad geht Dyala Hamzah in ihrem Beitrag einer Verschiebung nach, und zwar am Beispiel von Muhammad Rashid Rida, einer der wirkungsmächtigsten Figuren des Reformislams, der Salafiyya. Gegen das Bild, in Rida vor allem einen letztlich gescheiterten Theoretiker einer islamischen Moderne zu sehen, betont sie seine unterschätzte Wendung zu einem neuen Praxis- und Wissensfeld: dem Journalismus. Dieser hatte nach Rida vor allem drei Funktionen: zu bilden, in und zur Öffentlichkeit zu sprechen sowie das Gute zu fördern und das Schlechte abzuwenden. Darüber hinaus sollte der Journalismus zwischen Regierten und Regierenden vermitteln, eine Aufgabe, die traditionellerweise die Religionsgelehrten innehatten. In der Entwicklung dieses neuen Feldes sieht Hamzah eine säkularisierende, da auf moralische Autonomie umstellende Bewegung. Denn die Rolle von Journalisten war allein aus ihrer Rolle als professionelle öffentliche Vermittler begründet, die beanspruchten, im Namen des Allgemeinwohls zu sprechen.

Richard van Leeuwens Beitrag über Rida hat einen anderen Fokus. Er wendet sich gegen die geläufige Vorstellung, in Rida vor allem den Gegner von Säkularisierungsprozessen zu seiner Zeit und den Vordenker des politischen Islams zu sehen. Demgegenüber stellt er heraus, dass in dessen Denken religiöse und säkulare Deutungselemente zusammenflossen. So hatten Wunder in seiner Konzeption eines reformierten Islams durchaus einen Ort, aber nur insoweit als sie nicht mit seiner Vision eines modernisierten, rationalisierten Islams kollidierten. Letzterer zielte auf das moralische Verhalten individueller Muslime als Akteure der Veränderung ab und sollte die moralischen Grundlagen für eine auf diese Weise islamisierte Gesellschaft schaffen. Religion war dabei als eine eigene, von der Gesellschaft getrennte Sphäre gedacht, die die Veränderung der Gesellschaft ermöglichen sollte. Die hier zugrunde liegende funktionalistische Vorstellung von Religion und Gesellschaft als zweier getrennter Sphären ließe sich wiederum durchaus als säkular bezeichnen, so Leeuwen.

Im zweiten Teil des Bandes geht es um das Umschreiben von Genealogien des Verhältnisses von Religion und ihrem Anderen. Zunächst beschäftigt sich Dorothea Weltecke mit dem Begriff des Unglaubens in der Zeit zwischen dem zwölften und fünfzehnten Jahrhundert in Europa. Obwohl Unglaube in der Forschung gegenüber dem Begriff des Atheismus als adäquaterer Begriff betrachtet werde, trage auch dieser problematische Vorstellungen an diese Zeit heran. Der lateinische Terminus infidelitas bezog sich nicht auf das Fehlen von Glauben an sich, sondern auf abweichende Glaubensvorstellungen und -praktiken, wie Weltecke zeigt. Die Vorstellung eines Freiseins von Glauben identifiziert Weltecke überzeugend als Teil einer heroischen Vorgeschichte von Säkularisierung, die der Begriff des Unglaubens miterzähle und so Differenzierungen in der damaligen Welt unsichtbar mache.

Jörg Feuchter zeichnet in seinem Beitrag die Forschungsgeschichte eines angenommenen Kulturtransfers zwischen Ribats (Grenzbefestigungen islamischer Herrschaftsgebiete) und christlichen Ritterorden nach. Von Vertretern dieser, wie Feuchter anmerkt, nicht unangefochtenen These werden die christlichen Ritterorden auf die Ribats als islamischer Vorgänger oder zumindest als ein Anstoß zu den christlichen Orden zurückgeführt. Feuchter stellt fest, dass bislang jeder handfeste Beweis für diesen Transfer fehle. Der entscheidende Punkt sei indes die Einbettung dieser Annahme in eine weitere Tradition, mittelalterliche christliche Formen der Gewalt durch Kulturtransfers aus dem Islam zu erklären. Gewalt erscheint hier als das Andere, das von außen in die christliche Religion hineingetragen wird. Umgekehrt argumentiert Feuchter dafür, dass das Ribat nach Vorstellungen christlichen Mönchstums und in Parallele zu den christlichen Ritterorden als plausibles wissenschaftliches Objekt konstruiert worden ist.

Vera Isaiasz zeigt in ihrem Beitrag im dritten Teil mit der Überschrift „Überschreiten von Grenzen und Abgrenzungen“ wie der Glaube an den Teufel im frühneuzeitlichen Spandau nicht adäquat als ein Überbleibsel so genannter mittelalterlicher Praktiken oder des Katholizismus in einem lutherischen Umfeld gedeutet werden kann. Die Berichte über Teufelserscheinungen in Spandau wurden hingegen weithin als authentisch angesehen und nicht, wie später aus aufklärerischer Perspektive, als Ausdruck von Aberglaube und Instrument der Kirche zur Kontrolle der Gläubigen. Die Kirche antwortete zwar auf die Situation, indem sie Gebet und Buße verordnete, doch damit bestätigte sie indirekt nur den Glauben an die Teufelserscheinungen.

Wünschenswert wäre ein Fazit der Herausgeber gewesen, das die Ergebnisse der Beiträge noch einmal vergleichend hätte zusammen führen können. Zugleich ist der Band aber allen zu empfehlen, die sich für die historischen Beziehungen zwischen Religion(en) und dem Säkularen jenseits gängiger Säkularisierungserzählungen interessieren.

Anmerkungen:
1 Talal Asad, Formations of the secular: Christianity, Islam, modernity, Stanford 2003; David Scott / Charles Hirschkind (Hrsg.), Powers of the secular modern: Talal Asad and his interlocutors, Stanford 2006.
2 Vgl. etwa Sigrid Weigel, Walter Benjamin. Die Kreatur, das Heilige, die Bilder, Frankfurt am Main 2008, S. 27-56, besonders S. 56.

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