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Titel
Fernsehserien im medienkulturellen Wandel.


Autor(en)
Zündel, Jana
Erschienen
Anzahl Seiten
377 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhold Viehoff, Abteilung Medien- und Kommunikationswissenschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Fernsehserien sind seit dem Beginn des – linearen – Fernsehprogramms fester Bestandteil des Programms. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten die Programme der zuerst nur öffentlich-rechtlichen Sender, dann auch der privatwirtschaftlichen Bezahlsender strukturiert und wesentlich dazu beigetragen, Zuschauerinnen und Zuschauer zu binden. Knut Hickethier, der Großmeister der Fernsehserienforschung, schrieb dazu: „Im Fernsehen hat sich die Serie aufgrund der […] Präsentationsstruktur des Mediums mit seiner permanenten Nachfrage nach neuen Sendungen zu einer bestimmenden Form entwickelt. Die periodische oder serielle Angebotsstruktur […] führt dazu, verstärkt fiktionale Serien zu produzieren und zu senden.“1

In den gut zwanzig Jahren, die seit diesen Beobachtungen vergangen sind, hat sich „die Fernsehserie“ als Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses der Medienwissenschaft verändert. Diesen Veränderungen der Serien und ihres „medienkulturellen“ Umfeldes seit 1997 geht Jana Zündel in ihrer 2021 von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommenen Dissertation nach. Ihre Studie ist in zwei Hauptkapitel gegliedert. Im ersten Teil diskutiert sie „Die Transformationen der Fernsehserie und des Fernsehens“ (S. 22–192), im zweiten Teil konzentriert sie sich auf einen speziellen Aspekt der transformierten Serien, indem sie „Fernsehrezeptionswandel durch das Brennglas serieller Paratexte betrachtet“ (S. 193–335).

Ihr Ziel im ersten Hauptteil ist „eine Re-Theoretisierung als transmediales Konzept der audiovisuellen Textorganisation und Rezeptions(an)leitung“ (S. 19) der Fernsehserie zu leisten, weil der „medienkulturelle Wandel“ das Fernsehen (und seine Serien) (als Produkt und als Rezeptionshandlung) flexibilisiert und verschlankt hat. Eine zentrale Dimension dieses medienkulturellen Wandels, der als Rahmen für die Veränderungen der Fernsehserie modelliert wird, sieht Jana Zündel in der Veränderung des Dispositivs der Präsentation von Serien, weil sich diese Präsentation vom linearen Programm einzelner Sender und Programme („monolithisches Rundfunk-Medium“) gelöst hat und zuerst auf DVD-Boxsets, dann auf Streamingangeboten diverser privater Firmen frei (bezahlbar), das heißt jederzeit und – bei geeigneten Geräten – überall verfügbar geworden ist.

Dieses dynamische Dispositiv der sich wandelnden Fernsehserie lässt sich nach Zündel besonders in drei Bereichen festmachen und als medienkultureller Wandel beschreiben: im technologischen, ökonomischen und institutionellen Bereich. Technologisch ist die hier interessierende Dynamisierung der Serien durch die Digitalisierung und das Internet (Streaming) in den letzten zwanzig Jahren vorangetrieben worden. Ökonomisch durch die marktbeherrschende Rolle der großen US-amerikanischen Streamingdienste und ihre finanziellen Kalkulationen bei der Produktion und transnationalen Vermarktung ihrer Produkte (Serien werden „als haptische Ware kapitalisiert“, S. 44). Und schließlich institutionell werden Fernsehserien verändert durch die von Programmstrukturen unabhängige, diskontinuierliche, narrativ-ästhetisch diversifizierte Modi der Produktion und durch flexibel einsetzbare, das Publikum tendenziell in Einzelrezipienten aufsplitternde Modi der Rezeption (Fernsehen wird „parallel zum Alles-Medium und zum Überall-Medium“, S. 148).

In einer Art vorläufigem Fazit zu diesen neuen Formen des Webfernsehens und nach detaillierten Betrachtungen zu den medialen Texten und Kontexten des gesamten Präsentationshalos der Fernsehserien im Netz kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass „Serien, in der hypertextuell, virtuell-räumlich und non-lineare organisierten Umgebung des Web den Zuschauer:innen anders verabreicht werden (müssen)“ (S. 191) als im klassischen linearen Fernsehen. Das geschehe so, dass „Streaming-Publika […] über die kleinen Textsorten an den Rändern des Webfernsehens und der Fernsehserie“ (S. 192) zueinander ‚positioniert‘ werden.

Im zweiten Teil ihrer Studie geht Zündel nun dieser Beobachtung nach – und zwar sehr gründlich. Dazu bedient sie sich des Konzepts der sogenannten „Paratexte“ nach Gérald Genette und Nachfolgern.2 Paratexte, die eine solche positionierende Funktion haben, identifiziert sie als „Rekapitulationen“ (S. 223–251), als „Vorspann“ (S. 252–315) und als „Abspann“ (S. 316–330). In diesen Kapiteln zeigt sie akribisch auf, welche rezeptionsbeeinflussenden Trigger solche Paratexte möglicherweise für die Wahrnehmung der neuen Web-Serien sind. Das ist so präzise bisher noch kaum gemacht worden und könnte in Zukunft auch einer empirischen Überprüfung dienen, ob denn – und wenn ja, wie – diese „Positionisierungsfunktion“ der Paratexte für die Rezeptionsmodi und -verarbeitungen der Serien bei ihren Publika wirksam ist.

In einem (kultur)kritischen Nachwort – „Fernsehen ist, was du daraus machst?“ (S. 331–335) – resümiert die Autorin, was sie als wohl zentrale medienkulturelle Veränderungen des Fernsehens und seiner Serien erfahren hat: „Durch neue Fernsehens kehren sich vor allem kulturelle Zuschreibungen und Wertigkeiten um.[...] am heutigen Fernsehen [ist] nichts mehr passiv, vieles dafür interaktiv und mobil.[…] Fernsehen bleibt mitteilsam: Programme finden Mittel und Wege, sich uns ‚aufzudrängen‘. Der Appel weiterzuschauen erreicht mich, ohne dass ich meinen Heimapparat einschalte; von wo auch immer soll ich über mein Fernsehen verfügen (und es über mich)“ (S. 332). Und das, so Jana Zündel, führt dazu, dass sich „unsere Wahrnehmungskapazitäten und- modalitäten verschoben“ haben (S. 334). Sie benutzt dann – nicht als erste – die Überflutungsmetapher, um deutlich zu machen, worin sie die spezifische Funktion der Serien sieht in diesem aufgewühlten Wahrnehmungsuniversum: „Kein Medium ist noch ein Einzelmedium, sondern Teil eines techno-, produktions-, narrato- und rezeptionslogischen Netzwerks. Aus den Kommunikationsströmen ist ein Ozean geworden. Darin zirkulieren Inhalte, Diskurse und Bedeutungen, manchmal in kleinen Strudeln, manchmal in sich auftürmenden Wellen. Sender, Kanäle, Portale und Plattformen sind die Inseln, von denen aus wir uns hineinwagen. Und serielle Texte Rettungsbojen, an denen wir uns orientieren und festhalten“. (S. 334) Und sie schließt mit einem Satz, der auch schon von Knut Hickethier vor zwanzig Jahren geschrieben worden ist: „Alles Fernsehen ist seriell“. (S. 335).

Die Studie ist in ihren Detailuntersuchungen zur Dynamisierung des Fernsehens und in der Analyse der paratextuellen Elemente und ihrer möglichen Positionierungsfunktion ein wichtiger und das heißt auch weiterführender Baustein zu einer kulturtheoretischen Bewertung webbasierter Fernsehserien.

Anmerkungen:
1 Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, 5. aktualisierte und ergänzte Aufl., Stuttgart 2012, S. 197 (1. Aufl. 1993).
2 Vgl. Gérard Genette, Seuils, Paris 1987 (dt. 1989).

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