A.-S. Anglaret: Au service du Maréchal?

Titel
Au service du Maréchal?. La Légion française des combattants 1940–1944


Autor(en)
Anglaret, Anne-Sophie
Reihe
Nationalismes et guerres mondiales
Erschienen
Paris 2023: CNRS Éditions
Anzahl Seiten
331 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Hobe, Hamburger Institut für Sozialforschung

Die Légion française des combattants (LFC) war mit etwa 1,4 Millionen Mitgliedern die einzige Massenorganisation des Vichy-Staates. Die Staatsführung um Marschall Philippe Pétain überführte die vielen Veteranenverbände der südlichen Zone in eine einzelne Organisation, der Pétain selbst vorstand. Damit hoffte man, kontrollierend in die gesamte Gesellschaft hineinwirken zu können. Mit dem Buch Anne-Sophie Anglarets, das auf ihrer Doktorarbeit basiert, liegt nun die zweite Monografie über die LFC vor. Dabei interessiert sich Anglaret vor allem für die Frage, was sich auf Basis der massenhaften Mitgliedschaft über die französische Gesellschaft der Vichy-Zeit lernen lässt. Sie setzt den Akzent damit anders als ihr Vorgänger Jean-Paul Cointet. Dessen Untertitel „Die Versuchung des Faschismus“ ordnete seine Fragestellung in den Komplex eines etwaigen französischen Faschismus ein.1

Anglaret setzt allgemeiner an. Ihr Interesse für die breite Mitgliedschaft der LFC erlaubt eine kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Deutungsansätzen der französischen Vichy-Historiographie. Sie hebt dabei zwei hervor – nämlich den „Maréchalismus“, der die Unterstützung der französischen Veteranen für die Vichy-Regierung aus dem Renommee Marschall Pétains erklärt, und die Deutung, nach der es das Fronterlebnis gewesen sei, das die Veteranen politisiert und radikalisiert habe. Anglaret weist beide Deutungen als homogenisierend zurück. Eine diverse Veteranenbewegung mit auch politischen Trennlinien sei das entscheidende Erbe der Zwischenkriegsjahre für die LFC gewesen.

Anglaret arbeitet auf einer breiten Quellenbasis. Besonders überzeugend ist ihre statistische Analyse einer großen Menge von Mitgliedschaftsformularen (deren Aussagekraft in einer lückenhaften Quellenlage sie gründlich einordnet), aufgrund derer sich Aussagen über den Ablauf von Beitritts- und Austrittswellen sowie die gesellschaftliche Zusammensetzung der Mitgliedschaft treffen lassen. Allein damit erschließt sie sich neue, tiefer in die Mitgliedschaft hineinreichende Erkenntnishorizonte, die Cointet verborgen bleiben mussten. Das harmoniert mit der Analyse von klassischen Textquellen wie Korrespondenzen und den Veröffentlichungen aus den Verbandszeitschriften.

Das Buch folgt einer chronologischen Ordnung, innerhalb derer thematische Schwerpunkte gesetzt werden. Das erste Kapitel untersucht die Gründung der LFC. Vichy erließ zu diesem Zweck ein Gesetz, das die Auflösung der alten Veteranenorganisationen und deren Überführung in die LFC anordnete. In der Erfüllung dieser Forderung gab es allerdings einigen Spielraum und Anglaret zeigt, wie sich der linkere Veteranenverband Union fédérale eher zurückhielt, während sich die rechtere Union nationale des combattants aktiver einbrachte. Zur „Rechtsbewegung“ („droitisation“, S. 74) trugen zusätzlich Kader aus der extremen Rechten bei, insbesondere aus dem Parti social français (PSF); untermauert wurde dies durch eine Organisationshierarchie, in der Offiziere und andere Notable vorherrschten, eine Parallele zur Union nationale.

Das zweite Kapitel stellt die Frage, wer in der Anfangsphase Mitglied der LFC wurde. Anglaret grenzt sich hier von der Annahme eines spontanen „Maréchalismus“ ab, nach der die Treue zum Sieger von Verdun insbesondere bei Veteranen des Ersten Weltkriegs zu plötzlichen massenhaften Beitritten geführt habe. Eine Analyse der Chronologie der Beitritte widerlegt das; diese folgten ihren eigenen Logiken, nicht der öffentlichen Meinung zu Vichy. Anglaret zeigt, in welch großem Ausmaß die LFC vom Erbe der Zwischenkriegsorganisationen geprägt war. Zwar rückte sie regimekonform nach rechts, aber diese Bewegung sei schon vor 1940 angelegt gewesen.

Das dritte Kapitel untersucht die Ideologie der LFC auf der Basis von deren Veröffentlichungen. Propaganda für das Regime spielte eine große Rolle: Erneut zeigt Anglaret die Kontinuität insbesondere der antirepublikanischen Invektiven zur Republikkritik der Zwischenkriegszeit auf, die sich erst ab dem Sommer 1941 radikalisierte und deutlicher auf die Feindbilder Kommunisten, Juden, Freimaurer und Gaullisten einschoss. Anglaret schreibt von einer „großen Konformität“ (S. 186) mit dem Regime, die allerdings nicht auf „Maréchalismus“ zurückzuführen sei. Vielmehr erkennt sie in der Verlängerung der Republikkritik aus der Zwischenkriegszeit eine überzeugendere Wurzel der Unterstützung Vichys.

Kapitel vier fragt nach der sozialen und politischen Rolle der LFC. Erneut offenbart Anglaret ein Spiel zwischen Anschluss an alte Traditionen und Anpassung an neue Gegebenheiten, wenn sie beispielsweise über die Umwidmung des alten Symbols der „heiligen Flamme“ in die „Flamme des Marschalls“ (S. 199) schreibt. Versuche, explizit politische Macht auszuüben, wurden der LFC vonseiten der Machthaber verweigert und waren allenfalls lokal und vereinzelt erfolgreich. Auch diverse spezialisierte – zum Beispiel berufliche – Unterorganisationen blieben letzten Endes irrelevant, sieht man vom Service d‘ordre légionnaire (SOL) ab, der aber bezeichnenderweise später ausgegliedert wurde, bevor er sich zur paramilitärischen Milice umformte. In klarer Fortsetzung zur Zwischenkriegszeit stand schließlich die soziale Aktion der LFC, die sich aber nun deutlicher als in den vormaligen Organisationen an staatlichen Maßgaben orientiere und sich letztlich deren Kriterien unterwarf.

Im fünften Kapitel schließt sich der chronologische Rahmen. Es geht hier um die Interpretation des Zusammenbruchs der LFC und der massenhaften Austritte in den Jahren 1943/44. Diese will Anglaret explizit nicht als Abbruch der inhaltlichen Übereinstimmung mit Vichy werten – auch und insbesondere nicht nach der Rückkehr Pierre Lavals in die Regierung. Ebenso habe ein Verbleiben in der Organisation nicht automatisch Zustimmung bedeutet, vielmehr erkläre sich dieses häufig aus alter Soziabilität. Ein Unterkapitel analysiert die Überlappungen der LFC mit der Milice einerseits und der Résistance andererseits. Wenngleich diese in beiden Fällen nur bei kleinen Minderheiten in der Organisation vorlagen, lag der entscheidende Unterschied bei der Milice darin, dass hier beide Seiten das dortige Engagement als Fortsetzung der LFC-Tätigkeit deuteten, während bei der Résistance eher ein Bruch erzählt wurde.

Anglaret verbessert und erweitert den Forschungsstand zur LFC. Dabei strahlen ihre Ergebnisse auch auf andere Zeitabschnitte aus. Exemplarisch kann man dies am Fall des PSF zeigen: War dessen Gründung – also die Umformung der „Liga“ Croix de Feu in eine Partei – bisher teilweise als eine Art Demokratisierung wider Willen verstanden worden, so kann man dies mithilfe Anglarets zumindest mit einem neuen Fragezeichen versehen, bedenkt man die vielfältigen Überlappungen, die sie zwischen PSF, LFC und später auch SOL ausmacht.

Anglarets Arbeit ist mehr als „nur“ die Geschichte der LFC. Zwar hält sie sich von Behauptungen einer Repräsentativität der Massenorganisation fern, betont vielmehr immer wieder deren Spezifika und innere Inkohärenz. Aber gerade indem sie dies auf das Erbe der Zwischenkriegsbewegung zurückführt, gelingt ihr ein größeres Argument gegenüber anderen Erklärungsansätzen wie dem Maréchalismus. Stattdessen erklärt sich die Mitgliedschaft in doppelter Hinsicht aus der Zwischenkriegsgeschichte: Erstens kamen die Mitglieder in großem Umfang aus den Zwischenkriegsverbänden. Zweitens nutzte die „Rechtsbewegung“ zwar die Gelegenheit des Machtwechsels, war zugleich aber Auswuchs der vorherigen Trennlinien. So führt Anglaret zum Beispiel die Häufung aktivistischer Sektionen in städtischen Gebieten auf regionale Unterschiede in der Zwischenkriegszeit zurück, als auch der PSF in urbanen Gebieten stark war (überhaupt sind die immer wieder herausgearbeiteten regional unterschiedlichen Entwicklungen ein weiteres Argument gegen eine homogenisierende Sichtweise).

In dem Buch lernt man einiges über die Vorprägungen, die in ein autoritäres Regime hineinführten und dessen Unterstützung bedingten, und darüber, wie diese sich mit Anpassungsbewegungen verquickten und verzankten. Es ist lesenswert, auch wenn man sich nicht in erster Linie mit der Geschichte der Veteranenbewegung oder Frankreichs befasst.

Anmerkung:
1 Jean-Paul Cointet, La Légion franc̜aise des combattants. La tentation du fascisme, Paris 1995.

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