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Titel
Kontaktzone Bonn. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und die staatliche Öffentlichkeitsarbeit 1949–1969


Autor(en)
Schwarz, Angela; Stahl, Heiner
Erschienen
Göttingen 2023: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
498 S., 2 Abb.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Ruhkopf, Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, Stuttgart

Mit ihrer Monografie legen Angela Schwarz und Heiner Stahl eine erste kritische Studie zur Geschichte des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung zwischen 1949 und 1969 vor. Sie geht auf eine Ausschreibung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aus dem Jahr 2017 zurück und gehört zum Feld der historischen Behördenforschung, die Belastungen und Kontinuitäten in den deutschen Behörden nach dem Nationalsozialismus untersucht.

Schwarz und Stahl analysieren, welche Vorstellungen von staatlicher Öffentlichkeitsarbeit nach 1949 im Amt existierten, welche Netzwerke und Personen diese Erfahrungen sowie Vorstellungen einbrachten und welche Mittel (wieder) eingesetzt wurden, um staatliche Öffentlichkeitsarbeit in der westdeutschen Demokratie zu gestalten. Als analytischer Rahmen dient hierzu die titelgebende „Kontaktzone Bonn“ (S. 15). Hier begegneten sich Journalisten, Korrespondentinnen und Beamte, zirkulierten Wissen und Erfahrungen aus gemeinsamer (und seltener: getrennter) Vergangenheit, strömten finanzielle Zuwendungen, hallte eine spezifische mediale Sprache nach. Die Rolle des Amtes im Zentrum der Zone habe darin bestanden, „mit Nachdruck auf die Grenzziehung zwischen freier Presse und staatlichen Informations- und Mitteilungswünschen einzuwirken“ (S. 21); also eben nicht nur Information zu sammeln oder ein breites Spektrum an Meinungen abzubilden, sondern ihre „Verlautbarungen“ – ein Quellenbegriff (S. 32) – im Regierungsinteresse zu vereinheitlichen, Information also zu lenken. Dieses im gesamten Untersuchungszeitraum ausgemachte Verständnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit gründete auf überkommenen Praktiken und Wissensbeständen, welche die Angehörigen des Amtes vielfach aus der Zeit vor 1945 verinnerlicht und eingesetzt hatten.

Diese These wird in fünf Analysekapiteln entfaltet. Die wesentlichen „(Neu-)Ordnungen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit“ (Kapitel zwei) bildeten sich mit der Entscheidung heraus, das Amt – wie auch zunächst die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten – als Abteilung des Bundeskanzleramtes aufzubauen und in weiten Teilen nicht auf den etablierten Pressedienst der Zonenverwaltung zurückzugreifen. Das Amt war somit kein Ergebnis politischer Vorstellungen und Vorgaben der Alliierten. Das brachte verschiedene personelle Kontinuitäten mit sich, insbesondere aus der Kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes seit 1933. Von Anfang an setzte das Amt auf Lenkungsmechanismen: Das entstehende „Beziehungsgeflecht“ ermöglichte der Regierung, das Bild der Bundesrepublik ohne den Umweg über Medienhäuser direkt zu kommunizieren, indem das Amt belastete Journalisten über Honorarverträge direkt an die Regierungslinie band. Die vage bürokratische Oberfläche von Haushaltstiteln verbarg das tatsächliche Vorgehen, die konkreten inhaltlichen Maßnahmen sowie ihre politische Begründung. So schuf das Amt eine Zuwendungsroutine, mit der sich immer weiter steigende Mittelforderungen begründen ließen.

Im entstehenden „Informationsgeschäft“ (Kapitel drei) wurde das Amt zur Kommunikationsmaschine. Es trug einheitliche Information statt breiter Diskussion nach außen und setzte auch innerhalb der Bundesressorts auf eine Informationsdisziplin, um die Verlautbarung von Informationen zu zentralisieren sowie jede Eigenständigkeit und somit potenzielle Angriffsfläche zu neutralisieren. Auch wird deutlich, dass nicht allein Adenauer oder die Staatssekretäre im Bundeskanzleramt das Amtsverständnis prägten. Mehr noch: Es war die koalitionsinterne Kritik am Kommunikationsstil des Kanzlers und an der als mangelhaft bewerteten Arbeitsweise des Amtes, die diesen Prozess mit vorantrieb. All das war Auftakt für die Idee des Staatssekretärs Otto Lenz, 1953 ein alle Kanäle vereinendes und überwachendes „Informationsministerium“ ins Leben zu rufen. Als diese Idee – zuerst aus dem Ausland, dann seitens der Alliierten und erst spät aus dem Inland – zunehmend Gegenwind erfuhr, wich Lenz auf das von dem Allensbacher Meinungsforscher Erich Peter Neumann soufflierte Konstrukt eines „Koordinierungsausschusses für Verlautbarungen“ (S. 150) aus. Deutlich tritt hervor, dass beide Vorhaben neben vereinzelter Kritik bei den Journalisten in Bonn viel Zuspruch fanden und auch verteidigt wurden. Das belegt eindrücklich die immer wieder benannte Strategie des Amtes, Information zu lenken.

Die Arbeitsweise im „Kommunikationsamt“ (Kapitel vier) kennzeichneten eine Reihe solcher Strategien. Sie entstammten sowohl dem Erfahrungsraum der Zwischenkriegszeit als auch den gesammelten praktischen Erfahrungen im NS-Staat. Das Amt legitimierte dieses Vorgehen – wenn es überhaupt notwendig war – nach 1949 mit der Verteidigung von „Demokratie“ und „Grundgesetz“ gegenüber dem Kommunismus. Zugleich brachten die Starre und der Kontrollfetisch des Amtes seine Probleme selbst hervor: Weil Informationen nur zentralisiert verlautbart wurden, konnte das Amt nur langsam reagieren und ließ Raum für Spekulationen, die dann als „Entstellungen“ galten. Eingebracht wurden diese Strategien und Erfahrungen von Angehörigen der Rundfunkpolitischen Abteilung des „alten“ Außenamtes, der Wehrmacht sowie schillernden Netzwerkern der zweiten Reihe wie etwa dem Düsseldorfer Kommunikationsberater und Wirtschaftslobbyisten Martin Liebes. Nahtlos weiterbetrieben wurden diese Praktiken von Personal aus dem Verwaltungsrat der Trizone wie Ruth Müller, die aufgrund ihrer jüdischen Abstammung im Nationalsozialismus diskriminiert worden war. Ihr Beispiel belegt einmal mehr, dass der antikommunistische Grundkonsens in Westdeutschland „verschiedene professionelle Erfahrungswelten integrierte“ und unterschiedlich belastete Biographien im Verwaltungsapparat zusammenführte (S. 211). Unbeweglich hielt das Amt auch in den 1960er-Jahren an seinen 1949 gegebenen Leitlinien der Lenkung fest, blieb dem gemeinsamen Erfahrungshintergrund und dem Praxiswissen der NS-Zeit verhaftet. „Professionalisierung überschrieb Liberalisierung“ (S. 294), Anpassung an einen gesellschaftlichen Wandel kam nicht vor.

Eine materielle NS-Belastung erwies sich für die „Bonner Karrieren“ (Kapitel fünf) von Journalisten und Angehörigen des Amtes als Karriereschrittmacher. Einstellungs- und Beförderungsverfahren zeigen auf, welches Personal das Amt benötigte – und die Biografien der Sprachenexpertinnen Inge Liebe und Ingeborg Harnack stehen beispielhaft dafür, welche Laufbahnen Frauen während des Nationalsozialismus einschlagen und in der frühen Bundesrepublik fortsetzen konnten. Die bekannte und geteilte Vergangenheit deuten Schwarz und Stahl als „eine Ressource, die Verbindung und Vertrauen schuf und Kommunikation und Kollaboration ermöglichte“ (S. 307). Für die Gegenprobe dieser These nutzt die Studie die Biographie der Journalistin Inge Deutschkron, an der zugleich sichtbar wird, was der Mangel jener „Ressource“ in der „Kontaktzone“ bedeutete. Einerseits war das Amt auf Deutschkron, ihre Netzwerke und Expertise angewiesen, andererseits war die Journalistin als sozialdemokratisch sozialisierte Jüdin im Blick des Amtes nie wirklich vertrauenswürdig. Deutschkron war in diesem Kräftemessen letztlich die Unterlegene, denn sie musste die Regeln, die das Amt vorgab, akzeptieren, um in der „Kontaktzone“ arbeiten zu können.

Diesen Regeln und Lenkungsmanövern blieb das Amt auch weit nach 1960 verpflichtet, wie beispielhafte „Innen- und Außenansichten“ (Kapitel sechs) zeigen. Vertreter der FDP übten zwar stichhaltige Kritik am Personal und der Struktur des Amtes – aber zumeist war dies Übung für potenzielle Koalitionsverhandlungen, während die Verlautbarungspraxis weitgehend unbehelligt blieb. Leitende Beamte beschrieben und rechtfertigten das Handeln des Amtes so, dass es nicht in die Schusslinie geriet: Die Formel der „formierten Gesellschaft“ Ludwig Erhards wurde zur Steilvorlage, müsse sie doch eine selbstredend durch das Amt „informierte Gesellschaft“ (S. 422) sein, um der inneren Gefahr fehlender Einheit(-lichkeit) zu begegnen. Mit Bildung der Großen Koalition von 1966 und der Regierungsbeteiligung der SPD definierte das Amt den Begriff der „informierten Gesellschaft“ wiederum neu: Es stelle Öffentlichkeit und Medien schnelle und einfach dargestellte Information mittels Journalisten zur Verfügung – denn zu komplexe Information würde die Öffentlichkeit nicht erreichen. So konnte sich das Amt treu bleiben, auch nach 1969 noch, als die SPD-geführte Regierung nun selbst Angriffe der Opposition auf die Praxis der Kontaktzone abwehren musste – und damit etablierte Strukturen bestätigte.

Prominent zeichnen Schwarz und Stahl die Geschichte des Amtes als Gegenstück zum Erfolgsnarrativ der alten Bundesrepublik. Allerdings legen sie dazu ein offensichtlich gegenwärtiges Demokratieverständnis als Bewertungsfolie an. Immer wieder finden sich Einschätzungen, dass die Angehörigen des Amtes doch demokratische Tugenden hätten hochhalten können und müssen, etwa den Pluralismus oder die Meinungsfreiheit. Die Frage, warum sie das nicht taten und welchem Demokratieverständnis das Handeln des Amtes gehorchte, wird gar nicht gestellt. Hier gerät einerseits der bekannte Etatismus der frühen Bundesrepublik als Erklärungsmuster für das Selbstverständnis und die Vorgehensweisen des Amtes aus dem Blick.1 Vor allem aber vergibt sich die Studie so eine analytische Chance: Den zeitgenössischen „demokratischen Grundgedanken“ (S. 101) innerhalb einer so zentralen Behörde wie des Presse- und Informationsamtes herauszuarbeiten und produktiv in neuere Forschungen zur Demokratiegeschichte einzubetten.2 Insbesondere das zeitgenössische innerbehördliche Verständnis der Verfassungsordnung, das den herausgearbeiteten strategischen Umgang im Amt mit dem Grundgesetz als institutionellen Rahmen geprägt haben wird, wäre eine Analyse unbedingt wert gewesen.

Demgegenüber weisen Schwarz und Stahl anhand etlicher Beispiele auf dichter Quellengrundlage überzeugend nach, dass weitere professionelle, personelle und mentale Kontinuitäten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die inneren und äußeren Vorgehensweisen des Presse- und Informationsamtes seit 1949 prägten. Implizit bestätigen Schwarz und Stahl damit die These Gerhard Sälters, dass professionelle Tätigkeiten und politische Belastung trotz gemeinsamer Genese in der Frühzeit der Bundesrepublik getrennt verhandelt wurden.3 Zugleich erweitern sie die Kategorie der „Belastung“ auch auf NS-Verfolgte: Deutschkrons und zum Teil auch Müllers Position in der „Kontaktzone“ waren durch fehlende Netzwerke, „falsche“ politische Zugehörigkeit und fehlende akademische Qualifikation eingeschränkt; es waren „Belastungen“ (nur selbstverständlich gänzlich anders gelagerte), die ebenfalls im NS-Regime entstanden waren und sich nach 1945 auf diese Biografien auswirkten. Zudem gelingt an Ruth Müller erneut der Nachweis, dass die – freilich hierarchisch geprägte und asymmetrische – Zusammenarbeit zwischen Tätern und Verfolgten wie Diskriminierten professionell und konfliktfrei ablaufen konnte. Darin steckt das Potenzial für weitere Forschungen. Insgesamt zeigt Schwarz und Stahls Studie, dass sich die historische Behördenforschung zu einer kulturhistorisch informierten „Neuen Verwaltungsgeschichte“ (Bernhard Gotto) weiterentwickelt hat.4 Sie hat das Korsett der reinen Parteimitgliedschaftsarithmetik zum Vorteil weitergehender Fragestellungen abgeschüttelt. Keine behörden- oder institutionenhistorische Studie sollte dahinter zurückfallen.

Anmerkungen:
1 Vgl. zum Beispiel Frieder Günther, Zweierlei Kontinuitäten. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus, in: Magnus Brechtken (Hrsg.), Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Ein Kompendium, Göttingen 2021, S. 456–472, hier S. 470.
2 Vgl. Martin Conway, Western Europe's Democratic Age. 1945–1968, Princeton 2020.
3 Gerhard Sälter, Professionalität, NS-Belastung und die Integration der Staatsbediensteten. Über die Argumentationsfigur des Experten, in: Brechtken, Aufarbeitung, S. 417–434.
4 Niels Weise, „Mehr als Nazizählerei“. Die Konjunktur der behördlichen Aufarbeitungsforschung seit 2005, in: Brechtken, Aufarbeitung, S. 386–404.

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