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Title
Am Webstuhl der Zeit. Das Politikressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von 1949 bis 1982


Author(s)
Schulz, Frederic
Series
Medienakteure der Moderne
Published
Paderborn 2023: Brill / Schöningh
Extent
XXX, 443 S.
Price
€ 69,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Christoph Kleßmann, Senior Fellow, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

„Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ – das war seit 1960 der gängige Werbeslogan der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), die sich bis heute als „Zeitung für Deutschland“ tituliert. Ihre Geschichte ist umfassend erforscht und 2019 monografisch eindrucksvoll dargestellt worden von Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg.1 Das hier vorzustellende Buch ist eine von Hoeres betreute Dissertation im Rahmen des umfassenderen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts „Ein Leitmedium für Politik und Kultur. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung von ihrer Gründung 1949 bis heute“. Für die 2019 begründete Reihe „Medienakteure der Moderne“ bildete dieses DFG-Projekt den Ausgangspunkt mit drei bisher erschienenen Bänden für die Ressorts für Wirtschaft, Kultur und Politik der FAZ, die thematisch getrennt voneinander mit jeweils eigenen begrenzten Untersuchungszeiträumen vorgestellt werden. Die frei nach Goethe von einem der früheren Herausgeber übernommene Titel-Metapher vom Webstuhl zeugt von solidem Selbstbewusstsein und zielt zudem auf den vom Autor vertretenen Vorrang des Politik- vor anderen Ressorts in dieser Zeitung.

Der Blick hinter die Kulissen des Betriebs einer unstrittig wichtigen Tageszeitung der Bundesrepublik – für den konservativen Johannes Gross als Berater in einer außerordentlichen Herausgebersitzung von 1978 war sie nicht nur die beste in Deutschland, sondern sogar in der Welt! (S. 342) – ist fraglos interessant und ergiebig. Das gilt hier besonders, weil die FAZ den Bearbeitern der Bände erstmals Zugang zu ihrem Archiv und zur nicht-öffentlichen Überlieferung, insbesondere zu Protokollen der Herausgeber- und Redaktionssitzungen und auch zu Nachlässen von Herausgebern gewährt hat. Dadurch ist ein umfangreiches Buch entstanden, das über eine Überblicksdarstellung deutlich hinausgeht, auch wenn es nur bis 1982, dem Ende der sozialliberalen Ära und dem Tod des Gründungsherausgebers Erich Welter reicht.

Nach der Einleitung mit Hinweisen zum Forschungsstand und zur Methodik werden in drei Kapiteln die jeweils untersuchten Jahrzehnte der FAZ seit 1949 als Sethe-Ära, Tern-Dekade und Oppositionsjahrzehnt dargestellt. Zwei systematisch konzipierte Einschübe behandeln Vergangenheitsprobleme und das als Qualitätsmerkmal hervorstechende politische Korrespondentennetz der Zeitung. Die Bilanz der gesamten Ära wird Erich Welter am Schluss gewidmet. Welter war nicht nur der eigentliche Gründer, sondern auch bis zu seinem Ausscheiden und Tod 1982 die Schlüsselfigur für das „Innenleben“ der Zeitung. In der Tradition der alten „Frankfurter Zeitung“ knüpften die Gründungsväter an das Kollegialitätsprinzip an, aber Welter blieb der heimliche primus inter pares der fünf Herausgeber der FAZ. Für das Politik-Ressort waren zunächst Paul Sethe und Hans Baumgarten zuständig mit wechselndem Vorsitz in der ressortübergreifenden 14-tägigen „Großen Dienstagskonferenz“. Zu den unliebsamen Folgen gehörte der von Sethe für die Anfangsjahre so charakterisierte „Zick-Zack-Kurs“, der durch die alleinige Zuständigkeit Sethes ab Sommer 1952 beendet wurde.

Die frühe Personalpolitik im politischen Ressort charakterisiert Frederic Schulz treffend als ein häufig im Nachkriegsjournalismus zu findendes Nebeneinander von Belasteten und Unbelasteten (S. 149) im Hinblick auf die NS-Vergangenheit. Diese spielte im Politikteil stets eine wichtige Rolle und so war „bereits 1950 die Linie erkennbar, deutsche Verbrechen im Zweiten Weltkrieg und in der innerdeutschen Diktatur nicht nur zu benennen, sondern auch zu verurteilen, wobei auch eine Vermengung von Bericht und Kommentar in Kauf genommen wurde“ (S. 62). Hinsichtlich der viel diskutierten Rolle Hans Globkes in Konrad Adenauers Kanzleramt blieb die Kritik allerdings sehr maßvoll. Dezidiert und bissig positionierte sich die FAZ jedoch gegen die als Demütigung empfundene Reeducation-Politik der Alliierten.

Die Unterstützung von Bundeskanzler Adenauers Politik der bedingungslosen Westbindung war in der Anfangsphase für große Teile des Blattes und insbesondere für Sethe und den Chef des Feuilletons, Karl Korn, ein erhebliches Problem. Dessen Details werden nicht nur mit Blick auf die Stalin-Noten differenziert erörtert. Für Sethe war es vor allem seine dezidiert gesamtdeutsche Orientierung und die Priorität der Wiedervereinigung als politisches Ziel, die ihn immer wieder in Konflikte mit Adenauer, aber auch mit etlichen seiner Kollegen brachte, bis man ihm schließlich nach vielen Auseinandersetzungen 1955 den Stuhl vor die Tür setzte. Sethe war offenbar kaum auf eine Linie festzulegen und wurde, so ein zeitgenössischer Beobachter, „wahlweise für einen Linken, Nationalen, Liberalen, Konservativen oder Rechten“ gehalten (S. 80). Entgegen dieser etwas übertriebenen Charakterisierung Sethes lautet das Fazit von Frederic Schulz: „Der Aufstieg zum politischen Leitmedium ist ganz wesentlich Sethes Verdienst.“ (S. 112) Sethes Abgang bildete daher auch eine große Zäsur der Jahre für das Ressort.

Mit Jürgen Terns Eintritt in die FAZ 1960 wurden einige Konstruktionsfehler in der Organisation behoben, andere der frühen Konflikte wiederholten sich. Dazu lässt sich auch der massive Krach und die Entlassung Terns 1970 zählen. Das Kündigungsschreiben begann mit den Worten, es sei leider nicht gelungen „Sie von der seit Gründung dieser Zeitung bestehenden Ordnung zu überzeugen“ (S. 237). Dieser tiefgehende Konflikt wird in seinen verschiedenen Facetten dargestellt. Er bezog sich auf die Verletzung des Kollegialitätsprinzips, hatte aber als politischen Hintergrund vor allem die internen Auseinandersetzungen um Brandts Ost- und Deutschlandpolitik. Dazu lässt sich auch der aus heutiger Perspektive wunderliche, aber für die damalige Zeit, nicht zuletzt angesichts der Festlegungen der Springerpresse, typische Streit um die Anführungszeichen bei der Nennung der „DDR“ rechnen. Schulz nennt den Abschnitt treffend „weniger Anführungszeichen und mehr Demokratie wagen“ (S. 230). Dem Wandel des Politik-Ressorts in den späten 1960er-Jahren wird viel Aufmerksamkeit gewidmet. Dazu gehören einige statistische Daten über die Größe und Verjüngung des Ressorts mit relativ geringem quantitativen Gesamtwachstum (S. 153, 203). Wenig überraschend ist der geringe Frauenanteil.

Das Buch ist in einem imponierenden, bisweilen für mich schon irritierendem Umfang aus den überwiegend erstmals zur Verfügung stehenden Archivquellen gearbeitet. Damit erklärt sich wohl auch manche entbehrliche Ausführlichkeit. Die enge Orientierung an vielen Protokollen lässt gelegentlich den roten Faden verblassen. Manche Details wären für einen zeithistorisch allgemein interessierten, aber nicht in der Pressegeschichte besonders bewanderten Leser durchaus entbehrlich gewesen. Vor allem im vorletzten Kapitel über das „lange Oppositionsjahrzehnt“ wird man, für eine Zeitung, die gemeinhin als Vorbild von Seriosität galt, mit allzu vielen Personalia konfrontiert – auch wenn das Feuilleton mit und ohne Marcel Reich-Ranicki dafür vermutlich noch mehr als das Politikressort ein bevorzugtes Gelände wurde und blieb.

Andererseits zeichnet Frederic Schulz gekonnt nach, dass die Edelfedern der FAZ sich bisweilen auch verbal kräftig beharkten, ihre Sottisen pflegten und sich auch am gehobenen internen Tratsch beteiligten. Das macht das Bild der Zeitung zumindest im Innern bunter. Dass es bei prekären Themen oft wenig seriös zuging, wird nicht nur in den breit dargestellten Auseinandersetzungen um Sethe und Tern deutlich. Primadonnen gab es eben nahezu überall. Das Buch bietet eine Fülle von sehr detailliertem Stoff mit einem hohen Informationswert für wichtige Jahre der Nachkriegsgeschichte, nennt auch vielerlei amüsante Interna, die zeigen, wie es in dem Blatt, das zu Recht viel auf sein Niveau hielt, zuging oder zumindest zugehen konnte. In der Darstellung des Politik-Ressorts finden sich wichtige Konflikte der Zeitgeschichte wieder, deren Heftigkeit für die Leserschaft von außen so kaum erkennbar war.

Anmerkung:
1 Peter Hoeres, Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ. München 2019; vgl. die Rezension von Jürgen Wilke, in: H-Soz-Kult, 10.02.2020, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28926 (07.06.2024).

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