G. Backhaus u.a. (Hrsg.): Symbolic Landscapes

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Titel
Symbolic Landscapes.


Herausgeber
Backhaus, Gary; Murungi; John
Erschienen
Dordrecht 2009: Springer Gabler
Anzahl Seiten
399 S.
Preis
€ 189,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Zechner, Berlin

Entgegen landläufiger Auffassungen ist Natur nicht lediglich ein Phänomen der materiellen Umwelt und damit eine Angelegenheit der Naturwissenschaften. Denn als Projektionsfläche für kulturelle und politische Konstruktionen stellt sie darüber hinaus ein ergiebiges Themengebiet für die Geistes- und Sozialwissenschaften dar.1 Dabei geriet insbesondere der zwischen Natur und Kultur changierende Status von Landschaften in den Fokus interdisziplinärer Forschungen.2 Die Ideen- und Imaginationsgeschichte spezifischer Landschaften thematisierten Publikationen, die während der letzten fünfzehn Jahre in den USA3 und im deutschen Sprachraum4 erschienen.

In diesem Zusammenhang befassen sich die 16 Beiträge des hier zu besprechenden Sammelbandes mit einer Vielzahl symbolischer Landschaften zwischen Antike und Gegenwart. Deren Spektrum umfasst Blumenschauen und Gärten, Einkaufszentren und Schaustellerkolonien, Heiligtümer und Wanderrouten bis hin zu Robinson Crusoes literarischer Insel und Wiens musikalischer ‚deathscape‘. Während vier Artikel von Vertretern der im engeren Sinne historischen Fächer stammen, repräsentieren die übrigen Autoren eine dem Thema gemäße disziplinäre Breite von unter anderem Architektur, Ethnologie, Geographie, Kultur- und Literaturwissenschaft sowie Philosophie.

Ausgangspunkt ist die vieldiskutierte Frage, in welchem Verhältnis reale und imaginäre Landschaften zueinander stehen. In seinen einleitenden Bemerkungen bezeichnet Mitherausgeber Gary Backhaus bereits diese begriffliche Dichotomie als „inherently problematic“ (S. 12), da es erkenntnistheoretisch keine Landschaft ‚an sich‘ geben könne: Jede Wahrnehmung von Landschaft habe notwendigerweise ‚imaginäre‘ Aspekte, sei aber im Gegenzug für diese Konstruktionsleistung auf deren ‚reale‘ Aspekte angewiesen. Gleichwohl nimmt dann die Kapitelgliederung diese theoretisch gerade verabschiedete Zweiteilung zwischen real existierenden Landschaften und deren vor allem künstlerischen Bearbeitungen wieder auf.

Wie so oft bei Sammelbänden sind die einzelnen Beiträge von durchaus unterschiedlicher Qualität und nicht bei allen erschließen sich ohne weiteres inhaltliche Gründe für ihre Aufnahme – was ja leider fast schon ein ceterum censeo in den Besprechungen derartiger Werke geworden ist. Daher seien drei aus historischer Perspektive methodisch inspirierende und thematisch innovative Aufsätze herausgehoben: Zu Beginn skizziert Alex Zukas die „historically and socially layered landscapes“ (S. 34) der kalifornischen Wüste als ein Palimpsest aufeinander folgender, sich manchmal sogar widersprechender Symbole. Am Beispiel des Ortes Indian Wells legt er kulturelle Sedimentationen frei, die von der früheren Sakralisierung durch ‚Native Americans‘ bis zur gegenwärtigen Inszenierung als ‚weißes‘ Luxusresort reichen. Dadurch wird deutlich, wie sehr die jeweilige Landschaftswahrnehmung die Ausformung kollektiver Identitäten prägen konnte; die Wüstennatur selbst war dabei kaum mehr als der Ausgangspunkt für die imaginative Konstruktion der verschiedenen Ideallandschaften.

Veronica della Dora begreift die neuzeitliche Symbolgeschichte des vorchristlichen Athos in Griechenland als „constant re-shaping and re-signification“ (S. 126). Vor allem die visuelle Verbreitung diesbezüglicher Mythen verlief ihr zufolge weitgehend unabhängig von einem etwaigen Besuch der Symbolproduzenten vor Ort. Erfolgte dennoch eine Begegnung mit der Reallandschaft, führte diese paradoxerweise keineswegs zu einem Hinterfragen der längst etablierten Bilder. Athos (die spätere ‚Mönchsrepublik‘) wurde somit zu einer von der Reallandschaft entkoppelten Chiffre, die bis in die Gegenwart kulturellen und politischen Instrumentalisierungen dienstbar gemacht werden konnte.

Europäischen Landkarten der Frühen Neuzeit widmet sich Christine M. Petto, um anhand der Analyse von Frontispizen und Kartuschen deren „hidden agendas“ (S. 229) offenzulegen. Meist sei hier die Verbildlichung von kolonialen, nationalen oder ökonomischen Herrschaftsansprüchen viel wichtiger gewesen als die geographisch exakte Information. In der Verbindung ‚imaginärer' und ‚realer' Elemente halfen die Kartenwerke Dynastien und Staaten dabei, die Inbesitznahme von Territorien propagandistisch vorzubereiten oder nachträglich zu legitimieren. Auf den begleitenden Abbildungen sind indes die angesprochenen Details teilweise nur zu erahnen, andere untersuchte Kartenwerke wurden überhaupt nicht erst reproduziert.

Leider grenzt das prinzipiell anregende Themenspektrum der robusten Hardcover-Publikation gelegentlich schon an inhaltliche Beliebigkeit. Zudem erschwert der übermäßige Gebrauch von Fachjargon an einigen Stellen eine interdisziplinäre Anschlussfähigkeit der Forschungsergebnisse. Oft hätte der Historiker im Rezensenten auch gerne genauer erfahren, welche Akteure, Interessen und Kontexte in den spezifischen symbolischen Aufladungen zusammenspielten. Und obgleich über das transatlantische Kerngebiet hinaus zumindest je ein Beispiel aus Asien und Australien einbezogen wurde, ist die Absenz der vielversprechenden Symbollandschaften Afrikas und der Antarktis doch zu bedauern.

Trotz dieser Kritikpunkte kann der Band Studierenden und Forschenden mit Interesse an der Kulturgeschichte der Natur einen Einblick in die Vielfalt symbolischer Landschaften und ihrer wissenschaftlichen Erkundung bieten. Freilich wird er angesichts des exorbitanten Preises von fast 200 Euro wohl kaum einen breiteren Leserkreis außerhalb der Gemeinde der Rezensenten und Benutzer von Spezialbibliotheken finden.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Helga Breuninger / Rolf Sieferle (Hrsg.), Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte, Frankfurt am Main 1999; Ludwig Fischer (Hrsg.), Projektionsfläche Natur. Zum Zusammenhang von Naturbildern und gesellschaftlichen Verhältnissen, Hamburg 2004; sowie Thomas Kirchhoff / Ludwig Trepl (Hrsg.), Vieldeutige Natur. Landschaft, Wildnis und Ökosystem als kulturgeschichtliche Phänomene, Bielefeld 2009.
2 Vgl. etwa Brigitte Franzen / Stefanie Krebs (Hrsg.), Landschaftstheorie. Texte der Cultural Landscape Studies (= Kunstwissenschaftliche Bibliothek 26), Bonn 2005 ; Irene Kazal u.a. (Hrsg.), Kulturen der Landschaft. Ideen von Kulturlandschaft zwischen Tradition und Modernisierung (= Landschaftsentwicklung und Umweltforschung 127), Berlin 2006; sowie den Tagungsbericht Landschaft quer Denken. Theorien – Bilder – Formationen. 17.09.2009-19.09.2009, Dresden, in: H-Soz-u-Kult, 05.12.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2883> (07.01.2010).
3 Vgl. etwa Simon Schama, Landscape and Memory, New York 1995; Kenneth S. Calhoon / Karla L. Schultz (Hrsg.), The Idea of the Forest. German and American Perspectives on the Culture and Politics of Trees (= German Life and Civilization 14), New York 1996; sowie Roderick Frazier Nash, Wilderness and the American Mind, 4. erweiterte Aufl. New Haven 2001 [1. Aufl. 1967].
4 Vgl. etwa Roland Siekmann, Eigenartige Senne. Zur Kulturgeschichte der Wahrnehmung einer peripheren Landschaft (= Lippische Studien 20), Lemgo 2004. Vgl. Jürgen Schmidt: Rezension zu: Siekmann, Roland: Eigenartige Senne. Zur Kulturgeschichte der Wahrnehmung einer peripheren Landschaft. Lemgo 2004, in: H-Soz-u-Kult, 04.10.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-007> (07.01.2010); Simona Boscani Leoni / Jon Mathieu (Hrsg.), Die Alpen! Zur europäischen Wahrnehmungsgeschichte seit der Renaissance (= Studies on Alpine History 2), Bern 2005. Vgl. Sophie Ruppel: Rezension zu: Leoni, Simona Boscani / Mathieu, Jon (Hrsg.): Die Alpen! Zur europäischen Wahrnehmungsgeschichte seit der Renaissance, Bern 2005, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 10, 15.10.2008, <http://www.sehepunkte.de/2008/10/12069.html> (07.01.2010); Norbert Fischer / Susan Müller-Wusterwitz / Brigitta Schmidt-Lauber (Hrsg.), Inszenierungen der Küste (= Schriftenreihe der Isa Lohmann-Siems Stiftung 1), Berlin 2007.

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