Vom „Radiofieber“ ergriffene Gerätebastler und „Wellenjäger“, Sammler von hunderten Radiogeräten, „Radionostalgiker“, die sich mit ihren Sendungsmitschnitten in längst vergangene Hörerlebnisse imaginieren: Ein Jahrhundert lang verbindet sie jenseits des mehrheitlich alltäglichen Gebrauchs des Radios eine emotionale Beziehung zum drahtlosen Audiomedium. Mit „Radiophilia“ bezeichnet Carolyn Birdsall diese Phänomene, die sie – nach eigenem Anspruch – erstmals systematisch sowie im historischen Zusammenhang untersucht und damit also das in den Fokus nimmt, was schlichter als „Radio-Fantum“ (engl.: fandom) bezeichnet werden kann.
Die soziologische Fanforschung definiert Fans als „Menschen, die längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt“1 unterhalten und dafür vor allem Zeit sowie gegebenenfalls auch Geld aufwenden. Diese Forschung beschäftigt sich damit, nach welchen Kriterien der „normale“ Besucher etwa eines Fußballspiels, eines Popkonzerts, Zuschauer einer Fernsehserie vom Fan abzugrenzen ist, welche Auswirkungen sein Fantum auf jenen selbst, das Fanobjekt und gegebenenfalls den weiteren gesellschaftlichen Kontext hat.
Im „Love“ überschriebenen ersten Kapitel skizziert die Autorin ein theoretisches Rahmenkonzept zu Emotion und Affekt, mit dem sie – analog zu zahlreichen Fanstudien – die Praxisfelder des Radiofans herausarbeitet, in denen sich das Fantum manifestiert: Aneignung von Kenntnissen über das Radio und seine (technische) Funktionsweise (Kapitel 2 „Knowledge“), der Sicherung von Zeugnissen des Umgangs mit dem Radio (etwa Hörerlebnisse) beziehungsweise von Artefakten, die Funktionsabläufe in Produktion und Rezeption dokumentieren (Kapitel 3 „Saving“). Auch Radiofans überschreiten die Grenzen ihres persönlichen Umgangs mit dem Fanobjekt und vernetzen sich im meist organisiert kollektiven Austausch über Wissensbestände und Erinnerungsstücke (Kapitel 4 „Sharing“).
Birdsall trägt auf Basis umfänglicher, fast ausschließlich englischsprachiger Sekundärliteratur (Archivmaterial wird nicht herangezogen) eine Fülle von Details zum „Radiofantum“ meist in den Vereinigten Staaten (USA), dem Vereinigten Königreich (UK) und Australien in Geschichte und Gegenwart zusammen. Einen darüber hinaus gehenden globalen Überblick kündigt sie an, muss ihn verständlicherweise jedoch auf exemplarische Fundstücke beschränken. Ähnlich eklektisch sind verstreute Hinweise auf weibliche Radiofans, die bisher in der Fixierung auf männliche Fans unberücksichtigt geblieben sind.
Was den psychophysischen Vorgang der Emotion beziehungsweise des Affekts angeht, so arbeitet Birdsall auf Basis verschiedener Theorieansätze heraus, dass Fansein keine lediglich individuelle Praxis darstellt, sondern kollektiv gelebt wird, und sich dies in den erwähnten Praxisfeldern manifestiert. Dadurch, so die Autorin, sei bestimmbar, inwieweit sich der Radiofan vom normalen Nutzer unterscheide.
Ersteren zeichnet ein vergleichsweise intensiver bis exzessiver Erwerb von Wissen über das Objekt seiner Leidenschaft aus. Das hatte anfangs praktische Gründe: Die meisten der in den 1920er-Jahren vom Radiofieber Ergriffenen konnten sich nur einfachste (Detektor-)Geräte im Eigenbau leisten. Die entsprechenden Kenntnisse zirkulierten in Bastelgruppen und -vereinen, die durch spezielle Zeitschriften und Bauanleitungen in der aufkommenden Programmpresse unterstützt wurden.
Mit dem wachsenden Angebot in der Bedienung komfortablerer Geräte als Konsumgut bereits in den 1930er-Jahren veränderte sich ein bis dahin affektkonnotierter Wissenserwerb über das Radio. Nun stand rudimentäres technisches Basiswissen für die Handhabung der Geräte im Vordergrund, vermittelt durch Werbung der Geräteindustrie beispielsweise in Presse, Werbefilmen sowie (Funk-)Ausstellungen. Radionutzung wurde popularisiert für gewinn- beziehungsweise einnahmensteigernde Neukäufe bei wachsenden Teilnehmerzahlen. Es ging und geht um Wissens-Angebote für den Nicht-Fan. Inwieweit sie auch für den Radiofan von Interesse sein konnten beziehungsweise dazu geeignet waren, ein solcher zu werden, bleibt ungeklärt.
Sammelleidenschaft zeichnet den Radiofan auf seine Weise aus. Frühe Zeugnisse des leidenschaftlichen Radiogebrauchs sind Alben mit sogenannten QSL-(Post-)Karten (Eingangsbestätigungen von Empfangsberichten an weit entfernte Radiostationen), Sammlungen von Fotos erster Radiostars, Programmankündigungen in allen Varianten mittels Programmzeitschriften, Werbung jeglicher Art für einzelne Programmgattungen und Sendungen. Radiofans sammel(te)n multimediale Erinnerungen an teils nicht mehr existierende Funkhäuser, für deren wenigstens partiellen Erhalt sie sich einsetzen, beispielsweise für funktionslos gewordene Funktürme. Zu den bekanntesten Fanaktivitäten gehören die weltweit verbreiteten privaten Sammlungen von Radioempfängern. Diese verdanken ihre Vielfalt dem jeweils dem Zeitgeschmack entsprechenden Design der Gehäuse. Sie verdecken in teilweise kurioser Weise die anfangs offen liegenden technischen Funktionsbauteile (beispielsweise Röhren oder Kondensatoren) der Radioempfänger.
Seit den 1950er-Jahren erlaubten Tonbandgeräte, später Kassettenrekorder, auch Fans die Sammlung von Sendemitschnitten aller Programmgattungen zum Wiederhören. Sie trugen dazu bei, vernachlässigte Audioüberlieferungen vor allem des Nicht-Mainstream-Radios zu sichern: Popmusik-Piratensender der 1950er- und 1960er-Jahre etwa hinterließen meist keine Archive. Programmstrecken unterschiedlicher Länge, vor allem die mit Live-Moderationen wären ohne Mitschnitte von Radiofans nicht mehr erhalten. Der Radiofan sammelt(e) oftmals früher und bisweilen auch umfassender als die professionellen Dokumentare oder Archivare und teils auch Kuratoren von Museen.
Historische Rückblicke zur Radiogeschichte, Editionen von historischen Audiodokumenten, zahlreiche Radiomuseen – mitgestaltet und unterstützt von den Radioenthusiasten – bieten jenen immer neue Möglichkeiten, sich über das Objekt ihrer Leidenschaft auszutauschen – dafür zählt Birdsall zahlreiche Beispiele auf. Unter Austausch und Kommunikation über das Radio versteht sie auch gemeinschaftliches Hören. Letzteres basierte historisch auf unterschiedlichen Voraussetzungen – zum Teil technischen (beim Detektor mit mehreren Kopfhörern), aber auch sozioökonomischen, weil es im Haushalt nur ein vorhandenes Gerät gab, um das man sich versammelte. Gemeinschaftsempfang diente nicht zuletzt auch der politischen Propagandalenkung. Zumindest diese historischen Formen hatten mit Fankommunikation nichts zu tun.
Abschließend ist festzuhalten, dass Birdsall in ihrem Buch eine Fülle von Beispielen der Gegenwart, jedoch vor allem der Geschichte des Radiofansein zusammenträgt. Dies betrifft die drei Handlungsfelder Wissen, Sammeln und Teilen, die sie dem Radiofansein zuschreibt. Die Akteure sind zweifellos aus der Masse der normalen Radionutzer herausgehoben. Zur Fundierung des Radiofantums im konkreten individuellen Gefühlshaushalt und vor allem zu dessen sozialer Verortung in Geschichte und Gegenwart finden sich jedoch nur spärliche Aussagen. Das Fehlen der detaillierteren sozialgeschichtlichen Fundierung der „Radiophilia“ ist angesichts von massiven Quellenproblemen verständlich. Hingegen betrachtet der Rezensent dies in Bezug auf die Gegenwart als Defizit des Buches. Auch welchen Einfluss die Fangemeinde auf die jeweils aktuellen Entwicklungen des Radios hatte und hat, bleibt bis auf wenige Beispiele offen.
Kaum zu überschätzen ist der Beitrag der Radiofans für den Erhalt und die Präsentation von – schriftlichen und bildlichen – Zeugnissen sowie von Artefakten, speziell der Audioproduktion und -rezeption. Dies gilt vor allem – jedoch nicht nur – für das, was immer noch auch als terrestrischer Rundfunk existiert. Das Engagement der Fans kommt der Geschichte des Mediums, seiner technischen Funktionsweisen und damit auch generell der Alltags(kultur-)Geschichte zugute. Dies aufgezeigt zu haben, darin liegt der wichtigste Beitrag des Buches.
Anmerkung:
1 Jochen Roose / Mike S. Schäfer / Thomas Schmidt-Lux, Einleitung. Fans als Gegenstand soziologischer Forschung, in: dies. (Hrsg.), Fans. Soziologische Perspektiven (Erlebniswelten), Wiesbaden 2010, S. 9–25, hier S. 12.