„Automatisierung ist ein Treiber gesellschaftlicher Veränderungen“ (S. 21), leitet der Soziologe Ulrich Jürgens seine Arbeit zur Geschichte der Automatisierung der Industriearbeit ein, die sein wissenschaftliches Wirken der letzten Jahrzehnte gekonnt zusammenführt und zugleich neuere Befunde integriert. Dass sich Jürgens der Automatisierung am Beispiel der Automobilindustrie zuwendet, liegt sicherlich einerseits an seinem Forschungsinteresse; andererseits handelt es sich dabei vielleicht nicht um die, aber zumindest um eine der „Schlüsselbranche[n] des 20. Jahrhunderts“ (S. 22). Zudem war Automatisierung für die Automobilindustrie bereits von Beginn an zentral, weshalb die historische Entwicklung vom frühen 20. bis ins 21. Jahrhundert am Beispiel des US-amerikanischen Unternehmens Ford, des japanischen Herstellers Toyota und des deutschen Automobilunternehmens Volkswagen historisch vergleichend analysiert werden kann.
Jürgens nähert sich seinem Untersuchungsgenstand aus der Perspektive des „Shopfloor“ und nimmt so insbesondere die in den Unternehmen ablaufenden Prozesse und Praktiken in den Blick. Dabei berücksichtigt er, dass in einem Automobilunternehmen – abhängig vom Produktionsstandort – durchaus unterschiedliche Automatisierungsprozesse abliefen. Seine Studie löst dieses methodische Problem, indem er lediglich bestimmte Werke analysiert und darauf aufbauend klar und präzise allgemeine Befunde ableitet. Für Ford wählt Jürgens die klassischen Produktionsstandorte Highland Park und River Rouge aus, anhand derer er die Geschichte des fordistischen Produktionsmodells von 1900 bis 1970 aufzeigt. Die Merkmale des Toyota-Produktionssystems (TPS) zeichnet er an den japanischen Werken nahe der Firmenzentrale für die Zeit von 1950 bis 1990 nach. Das Stammwerk von Volkswagen in Wolfsburg wiederum analysiert er von den 1950er-Jahren bis in die Gegenwart. Jürgens begründet seine Auswahl damit, dass Ford die „Ära der Massenproduktion“ (S. 31) eingeleitet und die Studie „The Machine that Changed the World“ das TPS zum „Produktionssystem des 21. Jahrhunderts ausgerufen“ habe.1 Volkswagen prägte einen dritten Weg der Automatisierung, der auch die Rechte der Mitbestimmung berücksichtigte und zudem qualifizierten Facharbeitern – anders als bei Toyota und Ford – eine zentrale Rolle zuschrieb.
In einem einführenden inhaltlichen Kapitel skizziert Jürgens die Vorgeschichte der Automatisierung im 19. Jahrhundert. Die von Ford adaptierten Elemente der Massenproduktion, wie die Typisierung und Normierung von Teilen, die Präzisionsfertigung mit Einzweckmaschinen, der Austauschbau und die Zergliederung der Arbeitsschritte sowie das „Deskilling der Produktionsarbeit“ (S. 73) und die Fließfertigung stammten aus dem „‚American system‘ of manufacturers“ und waren damit keine genuinen Erfindungen der Automobilindustrie. Prägend für diese Produktionsmethoden waren im 19. Jahrhundert Eli Whitney, Samuel Colt, Oliver Evans, Isaac Singer und Cyrus McCormick, was durchaus noch stärker hätte betont werden können.
Anschließend zeigt Jürgens auf, wie sich das „Fordsche System der Massenproduktion“ (S. 75) mit der Herstellung des Ford Model T in Highland Park zwischen 1910 und 1930 durchsetzte. Unter anderem geht er auf das Fließband ein, das erstmalig 1913/14 in der industriellen Massenfertigung installiert wurde. Darüber hinaus unternimmt er einen „Gang durch die Gewerke“ (S. 96), der sich in den folgenden Kapiteln wiederholt, wodurch sich die historische Entwicklung der Automatisierungsprozesse in den einzelnen Bereichen gut nachvollziehen lässt.
Im zweiten Hauptkapitel diskutiert Jürgens, wie sich das fordistische System zum „Leitmodell“ entwickelte und dabei die Rouge Plant mit ihrem „einzigartig hohe[n] Integrationsgrad“ (S. 127) paradigmatisch für dessen Hochphase war. In der Nachkriegszeit waren „Automatisierung und Rationalisierung“, so das folgende Kapitel, die zentralen Leitbilder bei Ford und General Motors, die die Fertigung prägten. Überdies sei zu diesem Zeitpunkt das Modell der Automatisierung vom kybernetischen Denken, das sich in seiner Blütezeit befand, geprägt worden. Gleichzeitig zeigt Jürgens schlüssig auf, wie das fordistische Produktionsmodell ab den 1950er-Jahren an seine Grenzen geriet, zum Beispiel, weil das Konzept der „Detroit Automation“ mit seinen extrem langen und dadurch starren Transferstraßen nicht flexibel auf die regelmäßigen Veränderungen von Ausstattungsmerkmalen, Motorleistungen und Designkonzepten reagieren konnte.
Die Leser:innen bekommen in jedem der Kapitel überdies einen umfassenden Überblick zu den organisatorischen, technischen und strukturellen Entwicklungen; sie erfahren zum Beispiel, wie lang in der Rouge Plant die Durchlaufzeit von der Eisenerzanlieferung bis zur Auslieferung eines Autos war oder wie die Beschäftigungsstruktur nach Produktionsbereichen aussah. Darüber hinaus geht Jürgens auch auf die Entwicklungen bei General Motors (unter anderem den „Sloanismus“) ein, die insgesamt prägend für die Automobilindustrie waren und deshalb nicht ausgespart bleiben dürfen. So übernahmen andere Hersteller die von GM eingeführten jährlichen Modellwechsel oder sie diversifizierten ihre Produktlinien. Weiterhin behandelt er die Arbeitskämpfe zwischen den Herstellern und der Gewerkschaft (UAW) sowie Fragen der „Rassen“-Segregation oder die Einführung von Industrierobotern bei General Motors (Programmable Universal Machine for Assembly, PUMA). Dass Jürgens diese zentralen Sachverhalte anspricht, macht seine historisch argumentierende soziologische Studie insbesondere anschlussfähig an die Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte. Gleichzeitig zeigen die Verweise auf diese Themen, dass die in der Einleitung dargelegte konzeptionelle Engführung nicht konsequent umgesetzt wird. Vielleicht hätte dies einfach in der Einleitung kurz ausgeflaggt werden sollen, zumal sich dann den Leser:innen der Mehrwert von Jürgens’ Studien bereits eingangs gezeigt hätte.
Es folgt ein Kapitel zum Toyota-Produktionssystem, das auf Taiichi Ohno zurückgeht und unter anderem die Elemente Just-in-Time-Prinzip (JiT) und Total Quality Control (TQC) umfasst. Darüber hinaus behandelt Jürgens die Bedeutung des Personalsystems und geht kurz auf die Relevanz von Gruppenarbeit ein. Er betont an dieser Stelle, dass bei Toyota die Produktion mittels „quasi-automatischer Mechanismen durch Handlungsroutinen“ (S. 234) effizienter gestaltet wurde. Zudem wurden die verwendeten Ansätze des Technikeinsatzes und der Automatisierung an das Leitprinzip der Fließfertigung angepasst. Überdies sollten die Mitarbeitenden durch individuelle Verbesserungsvorschläge (Kaizen) die Effizienz der Produktion steigern. Eng getaktete Teamarbeitskonzepte verfolgten ebenfalls dieses Ziel.
Anschließend wendet sich Jürgens der Automatisierung bei Volkswagen zu, die er in drei chronologischen Kapiteln analysiert. Vertiefend geht er auf die Belegschaftsstruktur sowie die ausgeführten Tätigkeiten ein und behandelt dabei die Rolle der „Gastarbeiter“ und deutschstämmigen Facharbeiter. Während Letztere für die Qualitätskontrolle zuständig waren, fielen die repetitiven Einlegearbeiten verstärkt in das Tätigkeitsprofil der Ersteren. Jürgens diskutiert an dieser Stelle auch die Folgen der Automatisierung für die Produktionsarbeit, wie sie von der arbeits- und industriesoziologischen Forschung unter den Schlagworten „Abwertung, Aufwertung [...] oder Polarisierung“ (S. 274) verhandelt wurde.
Der „Automatisierung der Montagearbeit“ (S. 279) ist hier ebenfalls ein eigenes Kapitel gewidmet. An dieser Stelle geht Jürgens zunächst vertiefend auf das zeitgenössisch verhandelte Konzept der Humanisierung der Arbeit ein und wendet sich anschließend der Roboterisierung sowie der Halle 54 zu. Während zum Beispiel der Automatisierungsgrad im Presswerk bereits zwischen 1975 und 1985 von 80 Prozent auf 85 Prozent angestiegen war, galt eine automatisierte Endmonate als letzte technische Hürde. Volkswagen gelang es schließlich, mit der Halle 54 den Automatisierungsgrad in diesem Bereich immerhin von fünf auf 25 Prozent zu steigern.
Dass sich die Automatisierung der Endmontage erst vergleichsweise spät umsetzen ließ, lag anderen Studien zufolge auch an den hohen technischen Anforderungen. Dieser Forschungsmeinung widerspricht Jürgens. Vielmehr sei es nicht gelungen, die Produktionssteuerung in den Griff zu bekommen. Immer wieder seien die Produktionssequenzen durcheinandergekommen, sodass manuell in die Produktion eingegriffen werden musste. Damit positioniert sich Jürgens gegen das bisher in der Forschung immer wieder geäußerte Argument, dass die Roboter eine fehlerfreie Produktion behindert hätten. Ungeachtet der Produktionsprobleme geriet die vollautomatisierte Endmontage dennoch an ihre Grenzen, als die Produkt- und Variantenvielfalt in der Automobilindustrie in den 1980er- und 1990er-Jahren weiter anstieg. Die automatisierte Endmontage erwies sich hierfür schlicht als zu unflexibel.
Infolge dieser Erfahrungen, aber auch aufgrund der allgemein diskutierten Managementphilosophie der Lean Production, die in den 1990er-Jahren allgegenwärtig schien, adaptierte Volkswagen das Produktionssystem Toyotas an seine eigenen Anforderungen. Prozesse sollten verschlankt, Gruppenarbeit eingeführt und Kosten radikal gesenkt werden. Gerade Letzteres wurde zu einer zentralen Aufgabe, als in den frühen 1990er-Jahren eine Rezession die deutsche Automobilindustrie erfasste und Volkswagen kurz vor dem Bankrott stand. Jürgens bilanziert, dass nach einer Phase der verdichteten Automatisierung in den 1980er-Jahren nun keine weitreichende Steigerung des Automatisierungsgrades mehr erfolgt sei. Digitale Technologien, wie Roboter und Computer, hätten jedoch die Tätigkeiten deutlich verändert. So sei der klassische Beruf des Schweißers fast verschwunden, da diese Aufgaben mittlerweile fast ausschließlich von Robotern erledigt wurden. Insgesamt sei es zu einer „Aufwertung von Produktionsarbeit [...] im Bereich der maschinen- und anlagenbezogenen Tätigkeiten in den letzten Jahrzehnten“ (S. 359) gekommen – eine These, die sicherlich von soziologischen und historischen Studien in den kommenden Jahren eingehend zu prüfen sein wird. Das trifft auch für das abschließende Kapitel „Der doppelte Umbruch: Industrie 4.0 und E-Mobilität“ (S. 367) zu, da beide Prozesse keinesfalls abgeschlossen sind. Generell sollte die These von der Industrie 4.0 überdies kritisch historisiert werden.2
Immer wieder fällt beim Lesen der Arbeit auf, dass Jürgens die zentralen Entwicklungen in der soziologischen Forschung verortet, aber zentrale historische Studien nicht herangezogen werden. Dies hätte jedoch geholfen, um gerade die eingangs betonte gesellschaftliche Relevanz der Automatisierung herauszuarbeiten. So hätte sich ein Verweis auf die Bedeutung des Marketings angeboten, das durchaus zentral für die Automobilproduktion war.3 Zur Geschichte Volkswagens liegen mittlerweile ebenfalls historische Arbeiten über die im Rahmen des politischen Programms der Humanisierung des Arbeitslebens durchgeführten Forschungsprojekte vor – wenngleich diese nicht immer im Stammwerk Wolfsburg stattfanden.4 Gerade an diese Studien ist Jürgens gekonnte Überblicksdarstellung anschlussfähig. Sie sei daher nicht nur Wirtschafts- und Technikhistoriker:innen, sondern auch Industrie- und Arbeitssoziolog:innen genauso wie Ingenieur:innen und Betriebswirtschaftler:innen nahegelegt.
Anmerkungen:
1 James P. Womack / Daniel T. Jones / Daniel Roos, The Machine that Changed the World. The Story of Lean Production, New York 1990.
2 Vgl. Martina Heßler / Nora Thorade, Die Verteilung der Vergangenheit. Eine Kritik des Begriffs Industrie 4.0, in: Technikgeschichte 86 (2019), S. 153–170.
3 Vgl. Ingo Köhler, Auto-Identitäten. Marketing, Konsum und Produktbilder des Automobils nach dem Boom, Göttingen 2018.
4 Vgl. Gina Fuhrich, Humanisierung oder Rationalisierung? Arbeiter als Akteure im Bundesprogramm „Humanisierung des Arbeitslebens“ bei der VW AG, Stuttgart 2020.