Es ist selten, dass man ein Buch zu rezensieren hat, welches schon kurz nach seinem Erscheinen zwei Preise erhalten hat. Beide Auszeichnungen sind wirklich verdient.1
Das Buch umfasst 456 Seiten Text, Abbildungen und 64 Seiten Anhang. Es ist aus einer Züricher Dissertation hervorgegangen und konfrontiert die Leser:innen mit der versunkenen Welt der „Hofzwerge“, mit denen viele oft Mitleid verbinden, weil sie lediglich Spielzeuge der Potentaten zu sein schienen. Aber war da nicht noch etwas? Ja, in den Gemälden von Velazquez treten dem Betrachter keine lächerlichen Figuren, keine Menschen, die unterdrückt scheinen, gegenüber, sondern selbstbewusste Frauen und Männer als Angehörige des Hofes. Deren Geschichten nachzugehen, hat sich Eva Seemann zur Aufgabe gemacht.
In einer klar und konzis verfassten Einleitung geht die Autorin der Frage nach, wieso ein solches negatives Bild der „Hofzwerge“ entstehen konnte und welche Ansätze aus verschiedenen Disziplinen für die Erforschung der Geschichte von „Hofzwergen“ hilfreich sein können. Daher greift die Arbeit auch nicht allein auf soziologische und historische, sondern auch auf Ansätze aus den Theaterstudien und den Disability Studies unter anderem zurück. Maßgeblich sind außerdem Ansätze aus der Hofforschung, Körpergeschichte und Studien zur Gesellschaft der Anwesenden. Es wird deutlich, wie in vielen Überblicksdarstellungen vorschnell „Narren“ mit „Zwergen“ gleichgesetzt und damit zwei in Anspruch und Stellung bei Hofe unterschiedliche Gruppen zusammengeworfen wurden. Als problematisch erweist sich zudem ein vorschnelles Urteil: Weil sich viele Autor:innen nicht vorstellen konnten, dass kleinwüchsige Menschen freiwillig Lebenswege am Hof einschlagen konnten und wollten, wurden oftmals Ergebnisse der historischen Opferforschung unreflektiert auf sie übertragen.
Die Autorin zeigt nun auf, dass es sich bei „Hofzwergen“ um sehr wichtige und geachtete Persönlichkeiten handeln konnte, die besonders an deutschen Fürstenhöfen, aber auch im Rest Europas, zu finden waren. Sie stützt ihre Untersuchung auf die beeindruckende Zahl von 250 Fallbeispielen, einem beachtlichen Wert, bedenkt man die Schwierigkeiten, die bei der Rekonstruktion von Einzelbiographien auftreten können. Als Untersuchungsraum nimmt Eva Seemann vornehmlich den süddeutschen Raum und die Habsburgermonarchie (Wien, München, Stuttgart und Ansbach), aber auch Dresden und Berlin in den Fokus, wobei sie aber zudem eine Reihe europäischer Vergleichsbeispiele berücksichtigt. Zu bedauern ist es, dass norddeutsche Adelshöfe oder die geistlichen Fürsten weitgehend unberücksichtigt bleiben.
Es ist das Verdienst der Autorin, bei der Quellenauswertung einen breiten Rahmen gespannt zu haben. So werden Archivquellen, Reiseberichte, normative Hofordnungen, und, was besonders zu begrüßen ist, auch materielle Kultur und Bildquellen in die Untersuchung mit einbezogen. Leider sind indes die Bildquellen nicht immer in guter Auflösung wiedergegeben, sodass hier wichtige Details verloren gehen.
In fünf Kapiteln entwickelt Seemann ihre Analyse. Nach dem 2. Kapitel, das die „Wege an den Hof“ beleuchtet, folgt im 3. Kapitel die Untersuchung des Amts des „Hofzwergs“, dann im 4. Kapitel die Rolle von Scherz, Lachen und Spott und schließlich im 5. Kapitel ein Blick auf das Fest und das Zeremoniell.
Im ersten Kapitel kann anschaulich gezeigt werden, wie schon in der Frühen Neuzeit das Wissen in Familien, dass ein kleinwüchsiges Kind als „Hofzwerg“ ein gesichertes Auskommen erhalten würde, existierte. Dies führte dazu, dass sich Eltern mit solchen Kindern entschließen konnten, diese an den Hof zu senden. Auf diese Weise nämlich konnten sie ein Hofamt bekleiden, welches zudem oft rangmäßig über dem Herkunftsstand lag. Die Liste der Ämter, die es an den verschiedenen Höfen gab, zeigt, dass auch Kleinwüchsige ganz selbstverständlich als Mitglieder des Hofstaates geführt und besoldet wurden. Oft war ihre Rolle mit der Darreichung von Speisen verbunden, was mit der Bedeutung, die ihnen als Begleiter:innen des fürstlichen Mahls zugewiesen wurde, zu erklären ist. Seemann zeigt in diesem Zusammenhang sehr gut auf, dass es dabei darauf ankam, dass die „Hofzwerge“ den Fürsten, die in der zeitgenössischen Literatur als durch ihre Tätigkeiten besonders belastet portraitiert wurden, eine einzigartige Zerstreuung boten. Die fürstliche Gesundheit konnte, so die Vorstellung, durch die Anwesenheit eines/r „Hofzwerg:in“ verbessert werden.
Dabei darf man diese Zerstreuung nicht als eine Narretei abtun, denn Narren hatten im höfischen Zusammenhang ganz andere Aufgaben und es wurden auch andere Ansprüche an sie gestellt. Maßgeblich für die „Hofzwerge“ war, dass Aufgaben, die als gewöhnlich galten, auch von ihnen erfüllt werden konnten und somit als Besonderheit galten, die auch einer Notiz wert war: So wurde notiert, dass ein „Hofzwerg“ wie andere Höflinge tanzen könne oder dass er wie ein Normalwüchsiger schwitze. Seemann interpretiert die Vorführung von „Hofzwergen“ als erfüllten Wunsch der frühneuzeitlichen Hofgesellschaft, sich eben gerade das Starren auf die aus der Norm fallenden Menschen erlauben zu dürfen.
Die zentrale Rolle, die ihnen im Hofstaat eingeräumt wurde, konnte sich gleichermaßen in Erhebungen in den Adelsstand, monetären Zuwendungen oder auch Gnaden- und Gunstbeweisen, die weit über jene für andere Angestellten hinausgehen konnten, äußern. Diese Zuwendungen verdeutlichen teilweise auch, dass sich Mitglieder des Hofes um „ihre“ Kleinwüchsigen wie um Kinder kümmerten. Denn diese „Hofzwerge“ teilten häufig den intimen Raum mit den Fürst:innen. Dies konnte im Extremfall auch bedeuten, dass sie die einzigen Menschen waren, die ihre Herr:innen in die Gefangenschaft oder das Exil begleiten durften. Damit wurde der Verlust eines „Zwerges“ auch als schwerer Schicksalsschlag gewertet. Eine Reihe von Beispielen von Leichenpredigten oder Grabmälern können diese Nähe belegen. Zeitgenössische Kritiker an dieser zentralen Rolle gab es in Deutschland wenige. Eine Ausnahme stellt diesbezüglich aber die scharfe Kritik der Lady Montagu bei ihrem Besuch in Wien dar, weil sie sich als Adelige und Botschaftergattin durch die privilegierte Anwesenheit nicht adeliger „Hofzwerge“ zurückgesetzt fühlte.
Andererseits, und dies kann Seemann sehr anschaulich am Pritschenfest in Dresden nachzeichnen, konnte die Abhängigkeit vom Fürsten auch dazu führen, dass kleinwüchsige Menschen gnadenlos der Willkür eines Herren ausgesetzt waren. Kurfürst Georg von Sachsen veranstaltete beispielsweise ein Wettrennen zwischen Kleinwüchsigen und einem Bären, der zudem durch Schläge zu schnellerem Rennen angestachelt wurde. Hier zeigt sich die Kehrseite der Medaille von Zuwendung und Anerkennung, die immer abhängig von der fürstlichen Laune war. Es wären in diesem Zusammenhang noch weitere Beispiele anzuführen, aber es sei an dieser Stelle den Leser:innen überlassen, diese bei der Lektüre zu entdecken.
Im Kern ging es in der Zulassung von kleinen Menschen in der fürstlichen Gesellschaft stets um die Erhöhung des Fürsten oder der Fürstin, dies vermag Seemann sehr anschaulich durch Text und Bildanalysen nachzuweisen. Sie kann deutlich machen, wie „Zwerg:innen“ als historische Personenkategorien auf der Wahrnehmung und eben speziellen mit Kleinwuchs verbundenen Bewertung verbunden waren, die sie für die Zeitgenoss:innen zu „Kuriositäten“ werden ließen. Denn andererseits konnten „Riesen“ zwar bei Einzügen die fürstliche Glorie erhöhen, aber nur „Zwerge“ vermochten es, in jedem Moment zu zeigen, dass der Fürst eben tatsächlich „größer“ als seine Umwelt war. Somit waren gerade „Zwerge“, mehr noch als „Riesen“ oder „Hofmohren“, die auch einer „Kultur des Wunderbaren“ (S. 19) zugerechnet werden können, Ausdruck von Macht und Herrschaft durch ihre Seltenheit.
Abschließend seien mir lediglich zwei kleine Einwände erlaubt. Es gibt gewisse Redundanzen in den vielen Fallbeispielen, die angeführt werden. Zwar hat dies den Vorteil, dass man auch bei der Lektüre nur eines Kapitels manche Hintergründe erfährt, aber den Nachteil, dass beispielsweise die Geschichte der Cuvilliers oder der Familie Heistermann dreimal erläutert wird. Zweitens erfährt man zwar, dass die ersten „Zwerge“ schon im 13. Jahrhundert am Hofe der Grafen von Toulouse zu finden sind, dann mit den verschwenderischen Mahlen der Herzöge von Burgund im 15. Jahrhundert die Mode beginnt, kleinwüchsige Menschen in Pasteten zu verstecken. Aber genauso brüsk bricht dann die Mode unvermutet in der Aufklärung ab. Leider werden die Gründe des Aufkommens und des Verschwindens dieser Praxis nicht ganz deutlich. Auch die Frage, ob es an den geistlichen Höfen eine ähnliche Präsenz gab (selbst wenn man aufgrund des ausgewerteten Tagebuches des Kardinal Harrach annehmen kann, dass Geistliche durchaus auch Hofzwerge hatten), bleibt offen.
Aber dies seien nur kleine Anmerkungen für die weiteren Forschungen auf einem Feld, welches von der Autorin in beispielhafter Weise ausgeleuchtet wurde, ohne in vielen Fällen, wie es Seemann zurecht betont, auf andere Studien zurückgreifen zu können. So kann ihr Werk als eine Pionierleistung gewertet werden, welche nun weitere Forschungen ermöglicht, und kann als Lektüre sehr empfohlen werden.
Anmerkung:
1 Gleim-Literaturpreis 2023, https://www.wallstein-verlag.de/news/gleim-literaturpreis-2023-fuer-eva-seemann-572.html (12.11.2024) und Franz-Stephan-Preis 2023, https://www.dhi-paris.fr/de/aktuelles/detailseite/news/detail/News/eva-seemann-erhaelt-den-franz-stephan-preis-2023-der-oesterreichischen-gesellschaft-zur-erforschung-de.html (12.11.2024).