Das besprochene Werk stellt die überarbeitete Version einer 2021 bei der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich eingereichten Dissertation dar. Den Untersuchungsgegenstand bilden die burgundischen Bischöfe, die Luther als „stabilisierende Größe“ beschreibt. Sie hätten „durch ihre sozialen Beziehungen einen von kirchlichen Strukturen geprägten Raum Burgund“ geschaffen, der das salische mit dem westfränkischen Reich, West- mit Mitteleuropa verbunden habe, sodass sie bestimmte Einflüsse hätten transportieren, aber auch selbst hätten aufnehmen können (S. 14f.). Ambitioniertes Ziel der Studie ist es, „die bischöflichen Gruppenbildungen und Vernetzungen im burgundischen Raum des 11. und 12. Jahrhunderts einer Gesamtbeurteilung zu unterziehen“ (S. 16). Als Mehrwert gestaltet sich dabei die Absicht, die Masse des Episkopats unter die Lupe zu nehmen, also auch bislang wenig berücksichtigte Bistümer und ihre Vorsteher miteinzubeziehen. Die Studie untersucht den Wandel der Gruppenbildung in verschiedenen historischen Phasen, der Bindungsarten innerhalb der Gruppen sowie die Agenda burgundischer Oberhirten vor ihrem regionalen Hintergrund. Das Augenmerk soll auch auf den Platz der burgundischen Bischöfe in überregionalen Strukturen des europäischen Raums gelegt werden.
Die spezielle Methodik entfaltet sich an exemplarischen Fallstudien von (Erz-)Bischöfen (und auch einem Abt) sowie ihren spezifischen Personennetzwerken, was einerseits in einem gewissen Widerspruch zur eingangs formulierten Absichtserklärung steht, andererseits wohl pragmatischen Gründen geschuldet ist. Insgesamt umfasst der zu untersuchende Personenkreis jedoch die Erzbischöfe der Kirchenprovinzen Besançon, Tarentaise, Vienne und Lyon sowie deren 15 Suffragane (vgl. die Karte bei Abb. 2, S. 48), immerhin 200 Personen. Den Raum Burgund definiert Luther dabei mit Verena Türck als sozialen Raum, der durch bischöfliche Beziehungen maßgeblich geprägt worden sei (S. 26–28). Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 1032 bis 1156, also vom Übergang Burgunds an die Salier bis zur Heirat Kaiser Friedrichs I. mit Beatrix von Burgund – Ereignisse, die jeweils mit einer signifikanten Änderung der politischen Konfigurationen vor Ort einhergingen. Der Betrachtungszeitraum eigne sich besonders, da in dieser Zeit nur ein geringes „Eingreifen“ (S. 18) der königlichen Gewalt und daher eine stärkere Stellung der Bischöfe zu beobachten sei.
Die Gruppenbildung der Bischöfe wird mithilfe von vier „Kategorien“, die unter anderem an die Arbeiten Bourdieus angelehnt sind (S. 30–34), untersucht: 1. „Attribute“, die soziale und geographische Herkunft, der kirchliche und verwandtschaftliche Hintergrund, die Wahrnehmung geistlicher oder weltlicher Ämter. 2. „Bindungen“: Interaktionen, hervorgehend aus Quellen wie Urkunden oder Synoden sowie solchen zu Hoftagen, Placita etc. 3. „Differenzierung“ von Funktionen in den Gruppen. 4. Formen der „Wahrnehmung“ und der Darstellung der Gruppenbildungen.
Einleitend werden zunächst Quellenlage und Forschungsstand sowie die heterogene Literaturlage zu den verschiedenen Teilen des burgundischen Raums beschrieben. Letztere wird insgesamt als gut eingeschätzt, weshalb die Studie hier in besonderem Maße anknüpfen könne. Höchst unterschiedlich gebart sich der Erhaltungs- und Erschließungsgrad der Quellen zu den einzelnen Diözesen. Zur Abmilderung problematischer „Bischofslisten“, womit Luther wohl die relative Abfolge der Oberhirten und die genaue chronologische Fixierung ihrer Pontifikate meint, verweist er auf eine eigene tabellarische Übersicht im Anhang der Arbeit (S. 492–537). Auf dieser Basis könne der Fokus also vor allem auf die „Aufarbeitung der sozialen Beziehungen von Bischöfen aus diesem Raum“ (S. 25) gelegt werden.
Nach der instruktiven Klärung von oft allzu leichtfertig gebrauchten Begrifflichkeiten wie „Netzwerk“, „Netz“ oder „Vernetzung“, „Gruppe“, „Reformer“ und „Vermittler“ für den Gebrauch in der vorliegenden Arbeit (S. 26–34) gliedert sich die Studie wie folgt: Zunächst wird zur Orientierung ein differenzierter Überblick über den burgundischen Raum und seine Wahrnehmung (S. 38–42) sowie die Entwicklung der dortigen Kirchenprovinzen seit der Spätantike (!) gegeben (S. 43–47). Die kirchlichen Strukturen seien von einer ungleich größeren Beständigkeit als weltliche Herrschaftsräume gewesen (S. 43). Erweiternd wird sodann die burgundische Sakraltopographie systematisch entlang der behandelten Kirchenprovinzen vorgestellt (S. 49–76), um die Strukturen, die die „Voraussetzungen für die bischöflichen Gruppenbildungen im Hochmittelalter“ (S. 76) darstellten, zu explizieren. Diesbezüglich kann gefragt werden, ob Vorkenntnisse zur – natürlich nicht uninteressanten – Entwicklung und Zusammensetzung der burgundischen Kirchenprovinzen oder zur Konstitution der Bistumsgrenzen seit der Spätantike in dieser Ausführlichkeit akut zur Untersuchung bischöflicher Netzwerke im 11. und 12. Jahrhundert vonnöten sind, Leser:innen des Hauptteils wirklich solch ein großes Orientierungsbedürfnis besitzen, zumal dieser Abschnitt keine wirklichen Neuigkeiten aufweist (Verflechtung des Episkopats mit lokalen weltlichen Machthabern, königliche Tradition der Bischofsstädte etc.). Tatsächlich hinführend zum Untersuchungsgegenstand ist vielmehr der darauffolgende Abschnitt zur Geschichte des burgundischen Raums und seiner Kirche seit der Jahrtausendwende; eine Zeit weltlich-politischer wie kirchenpolitischer Umbrüche, für die der Wandel der Herrschaftssituationen in Burgund und seine Auswirkungen auf den Episkopat beschrieben werden (S. 77–112).
Der Verfasser wendet sich nun dem eigentlichen Analysezeitraum zu: Der analytische Abschnitt wird in drei chronologische Phasen unterteilt, in denen jeweils verschiedene Gruppen von Bischöfen agiert hätten. Die Kapitel zu den jeweiligen Phasen sind dabei stets dahingehend strukturiert, als dass der Verfasser zunächst – teils ausführlich und abermals mit hinleitendem Charakter – die Ereignisgeschichte sowie den Forschungsstand referiert und diesen gegebenenfalls erweitert. Sodann wird auf die Herkunft, den Werdegang und die Ämter der Bischöfe etc. im Sinne der oben genannten vier Kategorien eingegangen. Zuletzt werden Gruppenbildungsprozesse anhand von prominenten und quellenmäßig gut zu handhabenden Fallbeispielen untersucht. Für die erste Phase (1032–1073, die Zeit „der frühen Kirchenreform“ zwischen dem Tod König Rudolfs III. und dem so genannten Investiturstreit) bedeutet dies beispielsweise, dass hier zunächst die Herrschaftssicherung Konrads II. in Burgund (auch mithilfe der Bischöfe) referiert wird, sodann das Verhältnis seines Sohns Heinrichs III. und Papst Leos IX. zum Königreich und seinen Oberhirten, eine Umbruchphase nach dem Tod Heinrichs III. 1056, die eine Kontaktverringerung zum salischen Herrscher mit sich brachte, die Lage im westfränkischen Burgund und zuletzt der Einfluss der Nachfolger Leos IX. auf die burgundische Kirche (S. 114–134). Zu Herkunft und Werdegang der Bischöfe dieser Zeit wendet der Autor zwei ganze Seiten auf (S. 135 f.): Zu finden sind hier lediglich summarische Betrachtungen, die wenig überraschen; für die genauen Nachweise wird auf die teils spärlichen Angaben im prosopographischen Anhang verwiesen. Stärker mit Beispielen angereichert, wenn auch ähnlich schmal ist der nächste, die Ämter betreffende Abschnitt (S. 136–139). Die Ausführungen zu den zentralen Akteuren dieser ersten Phase (S. 139 f.) haben lediglich überleitenden Charakter und rechtfertigen die Auswahl der drei nachfolgendenden Fallbeispiele Hugos I. von Besançon, Halinards von Lyon und Leodegars von Vienne, die jeweils im Zentrum verschiedener bischöflicher Gruppen gestanden hätten. Vorgestellt werden dann allerdings nicht die Gesamtbiographien der genannten Prälaten, sondern etwa im Falle des Erstgenannten einzelne ausgewählte Quellen, die besondere Auskunft über sein personelles Umfeld geben: eine Totenliste aus einem verlorenen Sakramentar, sein so genanntes Testament von 1044 und Dokumente einer Legationsreise des Petrus Damiani von 1063.
Die Kapitel zu den beiden anderen Phasen (1073–1125: sogenannter Investiturstreit; 1125–1152: Zeit der Mönchsbischöfe) sind ähnlich aufgebaut und brauchen daher hier nicht näher beschrieben zu werden. Erwähnt seien lediglich die herangezogenen Fallbeispiele: So werden in der zweiten Phase die Oberhirten Hugo von Die, Guido von Vienne, Burchard von Lausanne, Ermenfried von Sitten und Guido von Genf in ihren jeweiligen Personenkreisen betrachtet. Für die dritte Phase sind dies der Abt Bernhard von Clairvaux sowie die Erzbischöfe Petrus II. von Tarentaise und Stephan von Vienne.
Der Autor fasst seine Ergebnisse dahingehend zusammen (S. 393–404), dass die burgundischen Bischöfe (sowie ihre Bischofssitze und Klöster) der integrierende Faktor für die im politischen Sinne zersplitterte Burgundia in einer von Umbrüchen geprägten, herrscherfernen Zeit gewesen seien. Um ihre Ziele zu erreichen, sei die Zusammenarbeit in den die untersuchten bischöflichen Exponenten umgebenden Reformzirkeln vonnöten gewesen. Wichtig war also der Verbund, der den Weg ins Amt sowie die Bedeutung im Amt gesichert habe. Dienten die Bischöfe zunächst als erster Anknüpfungspunkt für den weltlichen Herrscher, so sei nach dem Tod Heinrichs III. das Reformpapsttum zu ihrem überregionalen Bezugspunkt avanciert; die Bischöfe selbst wurden mehr und mehr in die Hierarchie einer zentralisierteren Kirche eingebunden.
Während des Investiturstreits ist auch in Burgund eine Spaltung des Episkopats zu beobachten, wobei eine Mehrzahl der Bischöfe auf gregorianischer Seite auszumachen sei. Höhepunkt der Funktion Burgunds als „gregorianischer Aktionsraum“ (S. 397) stellt die Erhebung Guidos von Vienne zum Papst Calixt II. dar. Andere Bischöfe wie Guido von Genf hätten aber auch trotz zunehmender Entfremdung erfolgreich eine Vermittlerposition zu den Saliern eingenommen. Für die dritte Phase prägend erweist sich die Herkunft der Oberhirten zumeist aus Mönchsklöstern oder Kanonikerstiften, was jedoch nicht zu einer Rückkehr zur Einmütigkeit innerhalb des burgundischen Episkopats geführt habe. Unterschiedliche Reformströmungen und die zunehmende politische Fragmentierung des burgundischen Raums taten dabei ihr Übriges.
Mit der Zeit änderten sich die Bindungsarten der Bischöfe untereinander: Zunächst seien verwandtschaftliche Bindungen bestimmend gewesen, später eher Loyalitäten in den Dimensionen des so genannten Investiturstreits, bevor zuletzt die institutionellen Verknüpfungen an Bedeutung gewonnen hätten. Insgesamt sei jedoch „das gemeinsame Handeln in Reformkontexten“ (S. 401) bestimmend für die bischöflichen Bindungen gewesen. Spezifische Attribute stellten dabei die Voraussetzung für Bischöfe dar, bestimmte Gruppen zu formen beziehungsweise zu diesen Zugang zu erhalten, wobei in Burgund die Akkumulation zusätzlicher Ämter eine besondere Rolle gespielt habe.
Die burgundischen Bischöfe hätten innerhalb ihrer Gruppen in einer Region relativer Herrscherferne bei gleichzeitig größer werdender Nähe zum Papsttum als Labor der Reformideen agiert. Bischöfliche Handlungsspielräume entwickelten sich dabei an der Peripherie des Reichs (beziehungsweise der Reiche), aber in einem Zentrum reformerischer Ideen. Der Verfasser sieht die Bischöfe entsprechend der Funktion Burgunds als nicht nur ideellen Transferraums, aber auch eine bedeutende Vermittlerrolle zwischen verschiedenen Polen einnehmen. Entsprechend lässt sich der Wandel im Verständnis vom Bischofsamt in dieser Übergangszeit gut beobachten.
Einer englischsprachigen Zusammenfassung (S. 405–415) schließt sich neben einem Abkürzungs- und Siglenverzeichnis (S. 417–420) ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis an (S. 417–490). Nach dem bereits erwähnten prosopographischen Anhang (S. 491–537) schließen acht Stammbäume, zehn ausgewählte Quellen und Abbildungen „zu den Gruppenbildungen burgundischer Bischöfe im Hochmittelalter“ (lat. / dt.), eine tabellarische Übersicht zu den Teilnehmern der Legatensynoden Hugos von Die sowie zuletzt angesichts des Untersuchungsgegenstands hilfreiche Personen- und Ortsregister den Band ab (inges. S. 538–619).
Die besprochene Arbeit analysiert also bischöfliche Gruppenbildungen im burgundischen Raum von der Mitte des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts anhand von stellvertretenden Fallbeispielen von zehn herausragenden (Erz-)Bischöfen und einem Abt, den Exponenten ihrer jeweiligen Gruppen. Eine „zusammenhängende Geschichte des burgundischen Raums und seiner Bischöfe im 11. und 12. Jahrhundert“ (S. 394), wie der Verfasser es angibt, ist dies jedoch nur pars pro toto. Den Blick im Geiste von Finck von Finckenstein oder Zielinski1, die im Übrigen in der methodischen Einleitung völlig fehlen, auf die Gesamtmasse der 200 Bischöfe zu lenken, will nicht recht gelingen; wieder einmal sind es fast ausschließlich die Exponenten der Gruppen – ohnehin oft biographische Sonder- und nicht Regelfälle –, spezifische Episoden aus beziehungsweise Quellen zu ihrem Leben, die beleuchtet werden. Die problematische Quellenlage auf der einen und das Problem der schieren Masse der zu untersuchenden Bischöfe auf der anderen Seite sind aber hier miteinzurechnen.
Weiterhin ist anzusprechen, dass der Anteil der Studie, der zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand hinleiten soll, gemessen am doch beachtlichen Gesamtvolumen der Arbeit recht groß ist. Dies stellt zwar einen wirklichen Vorteil für den oder die in puncto burgundischer Bischofsgeschichte bis dato eher wenig Umtriebige:n dar, und ist für diese:n durchaus instruktiv und problematisierend, bedeutet für diesbezüglich erfahrenere Leser:innen aber eventuell manchmal etwas größeren Leseaufwand. Zu den Vorteilen der Arbeit gehört auch, dass viele Termini eingangs differenziert betrachtet werden (siehe oben); die durchaus auch diskutablen Termini königsnah beziehungsweise -fern – die relative Königsferne wurde als konstitutives Merkmal des Untersuchungszeitraums angebracht – werden hingegen leider nicht weiter besprochen. Und auch einige Unsicherheiten verwundern: die von Zeit zu Zeit vorkommende Verwechslung der beiden Termini Episkopat (Gesamtheit der Bischöfe) und Pontifikat (Amtszeit eines Bischofs) sowie der offenbar nicht bekannte Unterschied zwischen der und das Nekrolog(ium) (beispielsweise S. 125, Anm. 75). Kleinere Satzfehler sind hingegen zu vernachlässigen, wobei sich diese von Zeit zu Zeit aber auch in für den beziehungsweise die Leser:in unangenehmer Weise häufen (beispielsweise S. 56 oder 75).
Nichtsdestotrotz stellt die Arbeit eine beachtliche Leistung dar, bischöfliche, adelige und reformerische Netzwerke zu analysieren und ihre Entwicklung in einer von fundamentalen Umbrüchen geprägten Zeit kohärent zu präsentieren. Die Arbeit Luthers kann somit durchaus als neuer Orientierungspunkt für die Auseinandersetzung mit dem bischöflichen (und monastischen) Burgund des 11. und 12. Jahrhunderts dienen, wobei sich vor allem der umfangreiche prosopographische Anhang als Mehrwert und Repertorium zu den burgundischen Bischöfen erweist.
Anmerkung:
1 Albrecht Graf Finck von Finckenstein, Bischof und Reich. Untersuchungen zum Integrationsprozeß des ottonisch-frühsalischen Reiches (919–1056) (Studien zur Mediävistik 1), Sigmaringen 1989; Herbert Zielinski, Der Reichsepiskopat in spätottonischer und salischer Zeit (1002–1125), Teil 1, Wiesbaden 1984.