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Titel
Nazi Volksgemeinschaft Technology. Gottfried Feder, Fritz Todt, and the Plassenburg Spirit


Autor(en)
Guse, John C.
Erschienen
Hampshire 2023: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
XXI, 309 S., 22 Abb.
Preis
€ 128,39
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut Maier, Bergische Universität Wuppertal

Die Ingenieure Gottfried Feder und Fritz Todt – glühende Antisemiten und Verehrer Adolf Hitlers der ersten Stunde – gelten als die Leitfiguren nationalsozialistischer Technikideologie. Der „Spirit of the Plassenburg“ und die NS-Technikideologie bildeten bereits die Kernthemen der Dissertation von John C. Guse von 1981, die nun aktualisiert und erweitert erschienen ist. In der Plassenburg, der „Reichsschule der deutschen Technik“ des NS-Bundes Deutscher Technik (NSBDT), wurden ab 1937 nicht nur die NSBDT-Kader der NSDAP-Gauleitungen, sondern vor allem auch die Funktionsträger der technisch-wissenschaftlichen Vereine in Wochenkursen auf die NS-Technikideologie eingeschworen („8 Educating Engineers: The Plassenburg School and Deutsche Technik“). Um dem zeitlichen Wandel der NS-Ideologie auf den Grund zu gehen, ergänzt Guse seine Analysen unter anderem durch Kapitel über NS-Reisepropaganda („9 The Nazi ‚Voyages of Technology“) sowie zum System der Reichsredner der Technik, mit dem Fritz Todt darauf abzielte, die politisch trägen Ingenieure auf die „Deutsche Technik“ einzuschwören („11 Fritz Todt´s ‚Speaker System‘“).

Laut John C. Guse durchlief die NS-Technikideologie drei Phasen, beginnend mit der stadtfeindlich-antikapitalistischen „völkischen Technokratie“ Gottfried Feders (S. 269f.). Feder, Protagonist eines rassischen Staatssozialismus (S. 19), träumte von der Errichtung eines mächtigen Technik-Ministeriums. Damit scheiterte der Führer des Kampfbundes Deutscher Architekten und Ingenieure (KDAI) jedoch ebenso wie bei der „Gleichschaltung“ der technisch-wissenschaftlichen Vereine 1933. Feders radikale Pläne zur Entflechtung von Großindustrien und Großstädten, die er in der Funktion eines Reichssiedlungskommissars schmiedete, konnten sich nicht durchsetzen („5 Gottfried Feder and Settlement: New Cities for the Volk“).

Die zweite Phase der NS-Technikideologie begann mit dem Aufstieg von Fritz Todt, Hitlers Bevollmächtigtem für das Straßenwesen, in den technopolitischen Organen innerhalb und außerhalb des NS-Parteiapparats ab 1933/34. Laut Guse strebte Todt eine geistige Revolution der Ingenieure und ihre Hinwendung zu einer Philosophie der Volksgemeinschaft auf drei Ebenen der Harmonisierung an (S. 270): Erstens zu einer durch die Hinwendung zu Kunst, Musik und Politik bewirkten Überwindung ihrer Spezialistenmentalität und politischen Gleichgültigkeit, vermittelt durch die Lehrgänge auf der Plassenburg und die technopolitische Propagandazeitschrift „Die Deutsche Technik“. Zweitens sollte der nun politisch bewusste Techniker zu einem Führer der Volksgemeinschaft avancieren, während die Öffentlichkeit mit Hilfe der „Reisen der Technik“ vom Wert der modernen Technik überzeugt werden sollte. Dabei handelte es sich um Wanderausstellungen in Reichsbahnzügen, gespickt mit den innovativsten Errungenschaften „deutscher Technik“. Die dritte Ebene Todtscher Harmonisierung betraf die physische Harmonie zwischen Mensch, Maschine, Heimat, Natur und Landschaft, die sich in der durch Autobahnen gestalteten Landschaft manifestierte („6 The Autobahn: Technology, Nature, Heimat, and Art“).

Die letzte Phase nationalsozialistischer Technikideologie begann, so Guse, mit dem Krieg im Jahre 1939 (S. 271). Infolge des enormen Machtzuwachses Todts vor und nach 1939 – unter anderem als Reichsminister für Bewaffnung und Munition sowie als Generalinspektor für Wasser und Energie – seien die vormaligen technokratischen Bestrebungen der NS-Ingenieure – auch mit Blick auf die Zeit nach einem deutschen Sieg – wieder aufgelebt. Parallel hätten SS-Ingenieure aufbauend auf Todts Ideologie die Neue Ordnung in den eroberten Gebieten Osteuropas und ihre Transformation in eine „arische Landschaft“ geplant, wobei der Einsatz moderner Maschinen den integralen Bestandteil arischer Mentalität bilden sollte. Ein zentrales Instrument der Ideologisierung der letzten Phase schuf Todt durch das Vortragswesen des NSBDT ab Sommer 1941 („11 Fritz Todt´s ‚Speaker System‘“). Laut Guse war das Programm, das die luftgefährdeten Tagungen und Reisen ersetzen sollte, auf die Effizienzsteigerung der Kriegsproduktion und die Indoktrinierung der Ingenieure ausgerichtet (S. 211). Die Analyse der Vortragstitel der gut 200 Reichsredner – zur Hälfte Parteimitglieder (S. 226) – zeige jedoch, dass es sich überwiegend um unpolitische Themen gehandelt habe (S. 229). Todts Nachfolger Speer übertrug die Aufgaben im Hauptamt für Technik und im NSBDT sehr schnell an den fanatischen Nazi-Ingenieur Karl-Otto Saur, und das Vortragswesen verzichtete auf technopolitische Themen („12 Albert Speer and the End of ‚German Technology‘“; S. 240, 243, 270).

John C. Guse hat sich der Herausforderung gestellt, seine Dissertation von 1981 nach 40 Jahren boomender NS-Forschung zu aktualisieren. Er weist zu Recht darauf hin, dass die Technik in den Untersuchungen zur NS-Ideologie bis heute eher randständig berücksichtigt wurde. Seine sorgsam abgewogene Argumentation ordnet nun die „Deutsche Technik“ in den Forschungsdiskurs ein und erweist sich als weitgehend anschlussfähig an die bekannten Konzepte zur NS-Ideologie. Er überwindet – angelehnt unter anderem an Michael Thad Allen1 – das vormalige Dogma des polykratischen Chaos sich bekämpfender NS-Machtzentren (S. 271f.) und verweist auf die in der NS-Forschung zuletzt betonte „functional cooperation“ zwischen den Entscheidungsträgern. Gleichwohl helfe das Polykratie-Konzept, Aufstieg und Niedergang Feders ebenso zu verstehen wie den Aufstieg Todts (S. 7). Das in der deutschen NS-Forschung heute prominente Konzept der „Neuen Staatlichkeit“, das von Rüdiger Hachtmann ausbuchstabiert wurde, hat Guse nicht mehr berücksichtigt.2 Die „Neue Staatlichkeit“ liefert in der Form der „kooperativen Konkurrenz“ den Schlüssel zur Erklärung der tödlichen Effizienz des NS-Herrschafts- und Vernichtungsapparats.

Noch einmal rekonstruiert Guse minutiös die „Gleichschaltung“ des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), an der Feder so grandios scheiterte („4 Feder to Todt: Limited Gleichschaltung of Engineers, 1933/34“). Es stellt sich die Frage, inwiefern die Charakterisierung als „begrenzte Gleichschaltung“ nicht zu einer Unterbewertung der Tatsache führt, dass sich die technisch-wissenschaftlichen Vereine eigenständig „gleichschalteten“ (S. 56). Denn gerade Hitler und Heß bremsten Feder aus und überließen den technisch-wissenschaftlichen Vereine ihrer „Selbstgleichschaltung“. In dem Bewusstsein, ohne die Ingenieure keine erfolgreiche Autarkisierung und Aufrüstung in Gang setzen zu können, avancierten ihre berufsständischen Organisationen in eine privilegierte Stellung, wie auch am Beispiel der Chemiker im NSBDT gezeigt wurde.

Guse verweist auf den offenen Antisemitismus der angeblich „unpolitischen“ Ingenieure. Er widerspricht dem 1980 von Thomas P. Hughes kolportierten Bild über Fritz Todt, der sich nicht explizit antisemitisch verhalten und angeblich versucht habe, die Ingenieure vor der „gewalttätigen Sprache und den Handlungen eines ausgeprägten Antisemitismus“ zu schützen (S. 165). Eine ähnliche Apologetik findet sich auch in der Biografie von Franz Seidler 1986, der Todt als Außerseiter beschrieb, „who did not identify with Nazi racial laws“ (S. 179). Guse zeichnet das gegenteilige Bild: „As head of the Organisation Todt, he did not hesitate to use Jewish concentration camp inmates – as well as prisoners of war and foreign laborers – as slave laborers who lived and died under appalling conditions. Indeed, Todt was a vocal advocate for the use of slave labor.“ (S. 135)

Ob man Guses Auffassung zustimmen sollte, dass noch immer die englischsprachige Historiographie über Feder, Todt, die „Deutsche Technik“ und letztlich auch über die berufsständischen Vereine (zuletzt Gilson, Elektrotechniker, 2023) und die Kriegswirtschaft gegenüber der deutschsprachigen überwiegt (S. 4), ist nicht entscheidend für den Wert seiner Monographie. Leider klammert er die NS-Energiepolitik in seiner Betrachtung explizit aus („10 Fritz Todt, War Minister, 1939–1943“; S. 197), ebenso die Mobilisierung der Technikwissenschaften durch die Erfahrungsgemeinschaften des Rüstungsministers und bezieht sich – wie häufig – auf Karl-Heinz Ludwig (1974).3 Ludwigs seinerzeit bahnbrechendes Opus entstand jedoch unter von heute sehr verschiedenen historiographischen Prämissen (Niedergangsparadigma). Dies betrifft auch die grundsätzliche Frage nach „dem Ideologischen“, wenn Guse in ideologische und nicht-ideologische Vorträge differenziert (S. 229). Denn die scheinbar „rein technischen Vorträge“ (S. 242) und Fachthemen, die gleichwohl die materielle Basis von Autarkie und Rüstung überhaupt erst generierten, avancierten doch zu zentralen Ideologemen der NS-Technikideologie (Wasserkraft, Ersatzstoffe, Synthesechemie). Und gerade die ideologische Amalgamierung von Bellizismus und Rassismus mit „Deutscher Technik“ – also innovativsten Technologien – entfaltete die durchschlagende Überzeugungskraft der NS-Technikideologie unter den politisch trägen Ingenieuren.

Ein Beispiel für die anhaltende Fehleinschätzung der tödlichen Effizienz des NS-Herrschafts- und Vernichtungsapparats bildet die Feststellung, die Kooperation zwischen Militär und Technik sei „minimal“ gewesen (S. 243). Guse bezieht sich hier auf Rolf-Dieter Müller und Karl-Heinz Ludwig, wonach Ingenieure und Konstrukteure von den militärischen Kommandostrukturen isoliert geblieben seien. Wie die Arbeiten von Lutz Budraß zur Flugzeugindustrie und andere Studien, die Guse nicht wahrgenommen hat, jedoch zeigen, wurde die Kooperation zwischen Militär, Forschung und Industrie durch eine Vielzahl interinstitutioneller Gremien gewährleistet. So standen zum Beispiel die F&E-Stellen der Flugzeugindustrie und das Reichsluftfahrtministerium durch ein System von „Entwicklungsgruppen“ in engstem Austausch (1944: 18 Entwicklungsgruppen mit 48 Untergruppen).4

Guses Kritik, dass die deutschen Piloten bis Kriegsende auf Maschinen flogen, die vor dem Krieg entwickelt worden waren (S. 243), unterschlägt die technologischen Quantensprünge des NS-Innovationssystems, vor denen sich die Alliierten fürchteten (Strahlflugzeuge). Und selbst bei den Standardtypen der Luftwaffe wurden Leistung und Bewaffnung der Baureihen bis 1944 immer weiter gesteigert. Nach dem Krieg zählten die Produkte der Flugzeugindustrie, aber auch des U-Bootbaus zur begehrten alliierten Beute. Nach wie vor ist die Frage offen, ob Hitlers „obsession with victory through miracle weapons [...] totally unrealistic“ war (S. 244) – bedenkt man, dass ballistische Raketen und Marschflugkörper zu den bestimmenden Waffensystemen des Kalten Krieges avancierten.

Insgesamt bietet Guse die bis heute beste und umfassendste Analyse der NS-Technikideologie. Er hat – bis auf wenige Ausnahmen – nicht nur den aktuellen Forschungsstand, sondern auch weitere umfängliche Quellenbestände ausgewertet. Guse demaskiert Fritz Todt als Mittäter Hitlers und liefert damit einen überaus wertvollen Beitrag zur politischen Bildung der Ingenieure heute – vor allem auch im Kontext der aktuellen politischen Entwicklungen.

Anmerkungen:
1 Michael Thad Allen, The Business of Genocide. The SS, Slave Labor, and the Concentration Camps, Chapel Hill 2002.
2 Rüdiger Hachtmann, „Neue Staatlichkeit“. Überlegungen zu einer systematischen Theorie des NS-Herrschaftssystems und ihrer Anwendung auf die mittlere Ebene der Gaue, in: Jürgen John / Horst Möller / Thomas Schaarschmidt (Hrsg.), Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“, München 2007, S. 56–79; ders., Elastisch, dynamisch und von katastrophaler Effizienz – zur Struktur der Neuen Staatlichkeit im Nationalsozialismus, in: Sven Reichardt / Wolfgang Seibel (Hrsg.), Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011, S. 29–73.
3 Karl-Heinz Ludwig, Technik und Ingenieure im Dritten Reich, Düsseldorf 1974.
4 Lutz Budraß, Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918–1945, Boppard am Rhein 1998, S. 751f.

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