Cover
Titel
The Darkened Light of Faith. Race, Democracy, and Freedom in African American Political Thought


Autor(en)
Rogers, Melvin L.
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 380 S., 2 SW-Abb.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Knauer, Stuttgart

In seinem neuen Buch geht Melvin L. Rogers, Professor für Politikwissenschaft und stellvertretender Direktor des Center for Philosophy, Politics, and Economics an der Brown University in Providence, Rhode Island, intensiv der Frage nach, was den Glauben besonders von Afroamerikaner:innen an die Demokratie rechtfertigte, obwohl sie sich über deren engen Verknüpfung mit weißer Vorherrschaft und Unterdrückung Schwarzer im Klaren waren. Wie soll man das politisch-philosophische Denken von Afroamerikaner:innen verstehen, die eine Gesellschaft versuchten zu verändern, die sie versklavte und auch nach Ende der Sklaverei weiterhin gewaltvoll ausnützte? Welche Erwartungen hatten sie vor allem an weiße Bürger:innen, um die Demokratie gerecht und offen zu machen (S. 7)? Um diese Fragen zu beantworten, beschäftigt sich Rogers in sieben Kapiteln unterteilt in zwei Hauptteile unter anderem mit David Walker, Martin Delany und Frederick Douglass (für das 19. Jahrhundert) sowie mit Ida B. Wells, Billie Holiday, W. E. B. Du Bois und James Baldwin (für das 20. Jahrhundert).

Die Studie besticht besonders durch ihre tiefgehende Analyse der nuancenreichen Sprache und Rhetorik der verschiedenen Texte. Dabei geht es weniger um politische Institutionen, sondern vielmehr um die Kultur des Gemeinwesens, die es aus Sicht der Protagonist:innen des Buches neu auszugestalten galt, um die US-amerikanische Demokratie und ihre Menschen (positiv) zu verändern. Die politischen Theoretiker:innen und Aktivist:innen teilten über Generationen hinweg einen Glauben an die Veränderungsfähigkeit von Menschen sowie damit auch von Institutionen und versuchten den Neuaufbau durch Überzeugungsarbeit und Appelle zu erreichen. Mit ihren Schriften und ihrem Aktivismus riefen sie die weiße Mehrheitsgesellschaft dazu auf, Freiheit sowie die gleiche Achtung („equal regard“) für alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Status erreichbar zu machen und fortan zu garantieren. Dabei waren sie alle der Ansicht, dass diese Veränderungen eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart des US-amerikanischen Rassismus und rassistischer Gewalt erfordern.

Der erste Teil des Buches mit dem Titel „Situating Oneself in the Political World“ untersucht, wie die ausgewählten Denker:innen des 19. Jahrhunderts die Rolle und Identität von Afroamerikaner:innen in einer von Sklaverei und weißer Unterdrückung dominierten und gegen sie gerichteten Gesellschaft imaginierten sowie definierten. Rogers arbeitet heraus, wie Abolitionist:innen wie David Walker und Frederick Douglass ihrer Leserschaft die Unzulänglichkeiten der US-amerikanischen Demokratie darlegten, indem sie die Unvereinbarkeit von Sklaverei und Ausbeutung mit demokratischen Prinzipien aufzeigten. Dabei appellierten sie an weiße Bürger:innen, das Urteilsvermögen („judgment“) von Afroamerikaner:innen anzuerkennen und sie als gleichwertig sowie frei zu betrachten und zu behandeln. Schwarze Menschen dagegen forderten sie auf, ihren eigenen Wert und ihre politischen Handlungsfähigkeiten zu erkennen. Der laut Rogers vorherrschende, wenn auch „verdunkelte“ Glaube der untersuchten Abolitionist:innen an die Veränderungsmöglichkeiten von Institutionen, Menschen und ihrer Denk- und Handlungsweisen wird besonders in seiner Gegenüberstellung von Martin Delany und Frederick Douglass deutlich. Während Delany nicht darauf vertraute, dass weiße Menschen verändert werden könnten, und sich für die Rückwanderung nach Afrika aussprach, propagierte Douglass einen Glauben an die Möglichkeit von Fortschritt, von Annäherung und Aussöhnung auf Basis der republikanischen Ideale der Freiheit und Gleichberechtigung. Das Unrecht der Vergangenheit sollte jedoch dabei nicht vergessen oder verdrängt werden, sondern zum Wohle der Zukunft verwendet werden.

Der zweite Teil des Buches „A Society That Never Was But May Yet Be“ widmet sich im Besonderen der Bedeutung von Gefühlen und Ästhetik in den Texten afroamerikanischer Denker:innen des späten 19. und 20. Jahrhunderts, die versuchten, weiße Menschen von der Humanität und Gleichheit von Afroamerikaner:innen zu überzeugen. Im Zentrum von Rogers' Analyse stehen vor allem der Protest und das Bemühen der Journalistin und Aktivistin Ida B. Wells und der Künstlerin Billie Holiday gegen die Lynchgewalt, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Hochphase erreichte. In ihren Schriften und Kampagnen entlarvte Wells in den 1890er-Jahren die Rechtfertigungen Weißer für Lynchgewalt und betonte die Menschlichkeit sowie das Leid der Schwarzen Opfer. Wells und ihre Mitstreiter:innen dokumentierten die Grausamkeit der Taten, um Veränderungen in weißen Menschen auszulösen und Lynchmorden ein Ende zu setzen. Diese wurden dabei nicht als Verirrung des Systems, sondern als integraler Teil des weißen Denkens und Handelns beschrieben, geschützt vor allem durch „ungeschriebene Gesetze“.

Die Strategie, durch die Darstellung der Brutalität von Lynchings Scham und weitreichende Selbstreflexion unter Weißen auszulösen, zeigt sich auch, laut Rogers, in der stimmlich-körperlichen Interpretation der Anti-Lynching-Ballade „Strange Fruit“ der afroamerikanischen Künstlerin Billie Holiday, aufgeführt zwischen 1939 und 1959. Ihre Mimik, Körperbewegungen und ihre Stimme, so Rogers, spiegelten dem Publikum die Unmenschlichkeit der eigenen Nation und zeigte ihm die probate emotionale Reaktion auf. Zugleich eröffnete sie ihm positive Identifikationsmöglichkeiten mit Schwarzen Menschen und gab dem Schwarzen Körper seine Würde und Wertigkeit zurück: „In confronting the audience with and moving them toward the horrific through her somatic engagement, she attempts to simultaneously orient them differently and positively to the black subject.“ (S. 205)

In seiner Analyse der Arbeiten von W. E. B. Du Bois, einem der führenden afroamerikanischen Aktivisten und Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, die sich vor allem auf dessen bahnbrechende Schrift „The Souls of Black Folk“1 konzentriert, verdeutlicht Rogers, welche zentrale Rolle Du Bois der Rhetorik und Ästhetik beziehungsweise Kunst als Überzeugungsstrategien („propaganda“) beimaß, um Meinungsänderungen unter weißen Bürger:innen herbeizuführen: „Souls is an attempt to persuade his white counterparts to embrace an alternative view of America in which African Americans can experience love and joy unhampered by domination“, so Rogers (S. 217).

Das Buch schließt mit einer Betrachtung von James Baldwin, dem einflussreichen afroamerikanischen Autor und Kritiker der US-amerikanischen Demokratie sowie ihrer inhärenten Ungerechtigkeiten. Baldwin forderte eine moralische und soziale Erneuerung der US-amerikanischen Gesellschaft, die sich endlich ihrer Verankerung in weißer Vorherrschaft und der andauernden rassistischen Ungleichheit stellen sollte, um eine gerechtere Zukunft zu ermöglichen. Dies setzt Rogers in Kontrast zu dem bis heute dominanten „racial liberalism“, den in Rogers' Augen vor allem auch Gunnar Myrdal mit seiner 1944 veröffentlichten Studie „An American Dilemma“2 propagierte. Dieser minimierte laut Rogers die zentrale Rolle der weißen Vorherrschaft für das amerikanische Gemeinwesen in Geschichte sowie Gegenwart und verstand Fortschritt in „Race“-Fragen in gewisser Weise als Absolution für getanes Unrecht. Dem setzte Baldwin die Überzeugung entgegen, dass es notwendig sei, sich immer mit den Taten der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um eine bessere Zukunft und Veränderungen herbeizuführen.

Die Intensität, mit der sich Rogers mit der Sprache und Rhetorik der untersuchten Denker:innen auseinandersetzt, ist beeindruckend. Jedoch weist das Buch auch einige Wiederholungen und Redundanzen auf. Auch könnte man bezüglich der Auswahl der Protagonist:innen und Texte hinterfragen, wieso die Reconstruction – die Phase nach dem Bürgerkrieg, in der Afroamerikaner:innen im Süden der Verwirklichung von Gleichbehandlung, Freiheit und Gleichheit kurzzeitig so nahekamen wie nie zuvor – nicht miteinbezogen wurde. Auch endet Rogers' Studie mit Baldwin. Damit bleibt unbeantwortet, wie sich Schwarze Denker:innen und Künstler:innen nach ihm, vor allem im Zuge der Black-Power-Bewegung, bezüglich des Glaubens an Demokratie und deren Veränderbarkeit positionierten. Des Weiteren bleiben die Rolle von Geschlecht und weiblicher Agency eher unterbeleuchtet. Insgesamt sind weibliche Stimmen eher selten und kommen vor allem in Rogers' Kapitel zur Lynchgewalt vor. Man könnte die vermeintlichen Leerstellen des Buches aber auch als Chance für andere Forschende ansehen, sich auf Rogers' Spuren mit diesen zu beschäftigen.

Melvin L. Rogers' Studie ist eine Absage an den Afropessimismus, der die permanente Unterdrückung und Ausbeutung von Schwarzen sowie die Unerreichbarkeit Schwarzer Emanzipation in der US-amerikanischen Demokratie – einem politischen System, das von Grund auf gegen sie angelegt war – postuliert.3 Der Fortschritt im Westen, allen voran in den USA, so die Theorie, vollzieht sich seit jeher auf dem Rücken und zum Nachteil von Schwarzen. Rogers äußert großes Verständnis für diese Annahmen und Thesen, vor allem im Hinblick auf die anhaltende tödliche Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen in den USA. Auch glaubt er nicht, dass es zwingend zum Ende der weißen Dominanz kommen wird. Dennoch lehnt er den Determinismus des Afropessimismus ab, da dieser die Handlungsmacht („agency“) von Subjekten und die Veränderbarkeit von Menschen sowie Systemen (unter anderem politisch, sozial, kulturell) negiere: „[o]ur institutions are what they are and our culture is what it is because we have made them so.“ (S. 4) Es ist der Glaube an die Unbestimmtheit und Beeinflussbarkeit der Zukunft, der im Hier und Jetzt Hoffnung gibt. In der Tradition seiner Protagonist:innen hält Rogers damit doch an einem „perfectionist understanding of self and society“ (S. 264) fest.

Anmerkungen:
1 Vgl. William Edward Burghardt Du Bois, The Souls of Black Folk, Chicago 1903.
2 Vgl. Gunnar Myrdal, An American Dilemma. The Negro Problem and American Democracy, New York 1944.
3 Zu Afropessimismus siehe zum Beispiel Jared Sexton, The Social Life of Social Death. On Afro-pessimism, in: Social Text 28 (2011) 2, S. 31–56; Frank Wilderson, Gramsci’s Black Marx. Whither the Slave in Civil Society, in: Social Identities 9 (2003) 2, S. 225–240. Eine Kollektion zentraler Texte zum Afropessimismus findet sich in dem online verfügbaren Sammelband o. A. (Hrsg.), Afro-pessimism. An Introduction, Minneapolis 2017, https://monoskop.org/images/f/f2/Wilderson_III_Frank_B_et_al_Afropessimism_2017.pdf (24.10.2024).

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