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Title
Writing Together. Kollaboratives Schreiben mit Personen aus dem Feld


Editor(s)
Blank, Martina; Nimführ, Sarah
Series
Postcolonial Studies
Extent
252 S.
Price
€ 39,00
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Nadine Wagener-Böck, Seminar für Europäische Ethnologie / Volkskunde, Universität Kiel

Unter dem Titel „Writing Together“ widmet sich der hier zu besprechende Sammelband aus der Reihe Postcolonial Studies des transcript Verlags einer wissenschaftlichen Praxis „an den ‚Rändern‘ der Forschungsprozesse“ (S. 12), der bislang wenig Aufmerksamkeit zuteil kam: dem gemeinsamen Verfassen von Texten mit jenen Personen, über und mit denen in ethnographischen und anderen qualitativen Vorhaben geforscht wird. „Warum und wie gemeinsam mit Personen aus dem Feld schreiben und publizieren?“ (S. 12) lautet entsprechend die von den Herausgeberinnen Martina Blank und Sarah Nimführ eingangs formulierte Forschungsfrage. Die Publikation fokussiert damit auf eine Tätigkeit, der eine Vielzahl durchaus kanonisch zu bezeichnender theoretischer Literatur zur kritischen Auseinandersetzung mit Repräsentationsfragen in den Sozial- und Kulturwissenschaften vorangeht und beiseitesteht.

„Verschiedene Interventionen aus marxistischen, feministischen, antirassistischen, postkolonialen und anderen kritischen Perspektiven“, so die Herausgeberinnen in der instruktiven Einleitung, „haben in den vergangenen Jahrzehnten transformative Wissenspraxen und die Dekolonialisierung bestehender Wissenssysteme auf die Agenda aller sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen gesetzt.“ (S. 9) Sie zeichnen die Hintergründe und Entwicklungslinien partizipativer, dialogischer und emanzipatorischer Ansätze sowie die damit einhergehenden An- und Herausforderungen von Formaten dekolonialer Forschungsprojekte nach, um Anforderungen an Kollaboration in der Produktion von Texten zu diskutieren. Damit bereiten sie den Leser:innen nicht nur den Weg für die folgenden neun Beiträge. Da die Einleitung auch die Entstehungsweise des vorliegenden Sammelbands transparent macht, wird die Leserschaft zugleich in den reflexiven Modus und Anspruch eingestimmt, den der Sammelband hinsichtlich des Verfassens von Texten formuliert.

Die Beiträge des Sammelbandes gruppieren sich in drei Sektionen, die je einem Aspekt des gemeinsamen Schreibens gewidmet sind. Sie entstammen einer ganzen Breite an Feldern, so den Politikwissenschaften, den Designwissenschaften und der Designpraxis, der Europäischen Ethnologie, der Kunst, dem Food Activism und der Ernährungswissenschaft, den Geschichtswissenschaften und der Schreibdidaktik. Dieses führt zu einer gewissen Disparität der herangezogenen Beispiele, beschriebenen Kontexte und Reflexionsmodi. Wenngleich aufgrund des vorangegangenen Peer-Review-Prozesses unter den Autor:innen die Aufsätze aufeinander verweisen, so muss sich der:die Leser:in je neu orientieren.

Unter „I. Umgestaltung universitärer Wissenspraktiken und Wissenskulturen“ machen Johanna M. Wetzel, Marcia C. Schenck und Kate Reed den Auftakt mit Reflexionen zu Schreib- und Publikationserfahrungen im Rahmen des Global History Dialogues Project (GHDP), einem Vorhaben, in welchem geflüchtete und migrantische Lernende sowie solche aus diversen Partnerinstitutionen des Globalen Nordens und Südens in einem Kurs globalgeschichtliche Projekte entwerfen und durchführen.1 Ausgehend von Überlegungen zum Feldbegriff und dem Konzept der conversation rooms (Táíwò) analysieren sie die Komplexität des kollaborativen Schreibprozesses in Co-Autor:innenprojekten innerhalb des Projekts. Dabei wird deutlich, welche Arbeit und welche Ressourcen etwa in die Vermittlung zwischen akademischen Formaten und Vorstellungen wie Zielen der GHDP Forscher:innen flossen. Überzeugend zeigen die Ausführungen dabei auf, wie kollaborative Schreibprojekte zu Anlässen werden können, die universitäre Wissenspraxis kritisch und mit dem langfristigen Ziel zu betrachten, neue Räume der Wissensproduktion zu gestalten.

Anschließend setzt sich Leona Sandmann am Beispiel ihres geplanten Promotionsvorhabens autoethnographisch mit Fragen kollaborativer Forschung und Textproduktion sowie deren Anspruch auseinander, „hegemoniale Strukturen kenntlich zu machen und aufzubrechen“ (S. 59). Luisa Hochrein, Isabella Kölz, Lena Schweizer und Łukasz Singiridis stellen die Darstellungs- als Erkenntnisweisen in ihrem Beitrag zum „Textgestalten als multimodal experimentelle Kollaborationen zwischen Design und Anthropologien“ ins Zentrum ihrer Ausführungen. Sie präsentieren am Beispiel ihres Projektes der StadtTagebücherWürzburg das gemeinsame Erarbeiten als gleich zweifache Hervorbringung eines Miteinander, nämlich der Autor:innengruppe im engeren, aber zudem der adressierten Stadtgesellschaft im weiteren Sinne. Dieser wird es über die Schreibanlässe des Tagebuchprojekts ermöglicht, im Sinne „des Utopischen, des Imaginierens“ (S. 85) über die Gestaltung ihrer Stadt nachzudenken. Dass ein solches Schreiben und Gestalten in Layout, Satz und anderen Gepflogenheiten des gängigen Formats von Sammelband oder Monografie an Grenzen stoßen kann, ist ebenfalls Thema des Beitrags, der dem Autor:innenteam zufolge gern weiter als mit den gezeigten Zeichnungen und den gestalteten Farbseiten „beyond text“ (S. 91) gegangen wäre. Ihren Beitrag versteht das Team daher als „contribution of the possible“ und als Intervention „im Jetzt […], um so ein Morgen gestalten zu können, das wir uns heute erhoffen“ (S. 98).

Der zweite Abschnitt des Sammelbandes titelt „Forschungsbeziehungen und Machtasymmetrien“. Er stellt die Frage nach den Möglichkeiten einer „epistemic justice“ (S. 107), der sich im ersten Beitrag Silvia Mc Clanahan hinsichtlich der Textproduktion mit Kindern widmet. Vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Kolonialismus und Wissensproduktion sowie der damit verbundenen Verständnisse davon, wer eine als wissend anzuerkennende Person sei, reflektiert sie Erfahrungen aus einem gemeinsamen Schreibprojekt mit ihrer achtjährigen Tochter. Sie arbeitet heraus, dass wenngleich Ungleichverteilung von Macht nicht überwunden werden, so der gemeinsame Prozess des Schreibens doch Räume eröffnen kann, die produktiv für eine Dekolonialisierung von Wissensproduktion seien, insofern sie Pluralität und Diversität anerkennen würden (vgl. S. 110). Es folgt ein Beitrag von Sanelisiwe Nyaba und Nicole Paganini. Die Autorinnen stellen ihre Forschungsbeziehung im Rahmen eines Projekts zu Nahrungsungerechtigkeit in Cape Town (Südafrika) ins Zentrum. Sie zeichnen sowohl die vielfältigen Ungleichheiten der akademischen Welt als auch jene nach, die sich ganz konkret in ihrer Beziehung manifestierten, und führen mit ihrem Text praktisch vor, wie etwa Storytelling oder dialogisches Schreiben dekoloniales Forschen und Schreiben befördern kann. Ebenfalls Einblicke in Kollaboration gibt anschließend Greca N. Meloni mit ihren Ausführungen zur Entstehung eines Blogs mit Bienenzüchtern in Sardinien, dessen Entstehungsprozess asymmetrische Beziehungen vor dem Hintergrund ethnographischer Feldforschung überkommen sollte.

Die Auseinandersetzung mit asymmetrischen Positionen im Feldforschungsprozess am „Beispiel von Flucht_Migration“ prägen auch den dritten und letzten Abschnitt des Sammelbandes, der sich „Repräsentationen und ethische[n] Implikationen“ (S. 163) widmet. Martina Blank gibt Einblicke in die gemeinsame Produktion eines Artikels mit einer Bewohnerin einer Sammelunterkunft als „Versuch, eine kollaborative Wissensproduktion für mehr epistemische Gerechtigkeit“ (S. 183) zu erreichen. Blank reflektiert die Herausforderungen, Gelingens- und Misslingensbedingungen einer „Umverteilung wissenschaftlicher epistemischer Macht“ (S. 167) im Feld der Forschungen zu Fluchtmigration vor dem Hintergrund der besonderen Herausforderungen, die es für partizipativ-kollaborative Forschungen bereithält. Besonders eindrücklich wird dabei, wie unterschiedlich die Erwartungen an ein gemeinsames Projekt sind. Sarah Nimführ reflektiert im Anschluss Anonymisierungs- und Pseudonymisierungsverfahren, die sich für ihre Forschungen zu Flucht_Migration als besonders komplex darstellten und sich je zwischen Vulnerabilität und Emanzipation entspannten. Sie plädiert für eine Neuausrichtung der als ethnisch notwendig erachteten Verfahren, welche die Schreibpartner:innen aus dem Feld mit ihren Anliegen und Zielen einbezieht. In „Gemeinsam forschen und (nicht) schreiben. Herausforderungen beim kollaborativen Arbeiten im Kontext von Flucht_Migration“ (S. 215–235) geben Laura McAdam-Otto und Margrit E. Kaufmann weitere Einblicke in solche Forschungen, in denen Publikationsprojekte mit Personen aus dem Feld angestrebt wurden. Sie zeigen mehr noch als die vorangegangenen Beiträge des Abschnitts deutlich auf, welche Begrenzungen und Formatierungen diese Bestrebungen etwa durch Setzung struktureller Rahmungen, aber auch von Prioritäten seitens der Partner:innen erfahren.

Der Sammelband endet mit einem weiteren Kapitel der Herausgeberinnen. Auf diese Weise wird editorisch ein Rahmen gezogen und zugleich mit sieben klar und gut verständlich formulierten Empfehlungen wie „1. Auf pluriversale Wissensordnungen hinwirken“ oder „5. Ressourcen teilen“ sowohl der Praxisfokus als auch die Zukunftsgewandtheit des gesamten Sammelbandes nochmals unterstrichen. Dies ist gut und richtig so.

„Writing Together“ versammelt Beiträge, deren Stärke in der Arbeit für eine epistemisch gerechte, dekoloniale akademische Praxis liegt. Der insgesamt optimistische Grundton angesichts der dargelegten Herausforderungen ist wichtig. Gleichwohl sei angemerkt, dass einige der skizzierten Herausforderungen in der Rückschau mithin erwartbar erscheinen. Es mag hier und da verwundern, warum Zeit- und Ressourcenverteilung der Partner:innen nicht anders antizipiert wurden.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass „Writing Together. Kollaboratives Schreiben mit Personen aus dem Feld“ bedeutsame Einblicke in Fragen des gemeinsamen Forschens und des Repräsentierens samt der Fallstricke sowie Irritationen bietet. Dem Sammelband gelingt es, ein realistisches Bild des Erprobens dekolonialer und mehr epistemische Gerechtigkeit versprechender Formen sowie von Formaten des Schreibens zu geben. Dadurch ermutigt er, Utopien nicht nur zu imaginieren, sondern diesen mit dem Forschen und Schreiben ein Stück näher zu kommen.

Anmerkung:
1 Vgl. hierzu die Website: Global History Dialogues, https://globalhistorydialogues.org (02.09.2024).

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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