In den letzten Jahren hat die etruskologische Forschung durch verschiedene Grabungen und Neufunde – erinnert sei an dieser Stelle an die spektakulären Funde in San Casciano dei Bagni (Provinz Siena) oder die rezenten Grabungen in Aleria-Lamajone (Korsika) – einen bedeutenden Vorwärtsimpuls erhalten, der selbstverständlich in der Forschungsliteratur Niederschlag finden muss. Im Jahr 2003 erschien von Luciana Aigner-Foresti über die Etrusker und das frühe Rom bereits eine Überblicksdarstellung.1 Nunmehr, über zwei Jahrzehnte später, folgt eine neue Geschichte der Etrusker, die anschließend besprochen werden soll.
Die Einleitung (S. 7−18) umfasst neben einem kurzen Forschungsbericht (S. 9−10), in dem Luciana Aigner-Foresti gleichfalls auf die fortwährende Bedeutung der Etrusker hinweist, einen knappen Einblick in Quellen und Forschungsprobleme (S. 10−15). Diesbezüglich als wesentlich werden die Frage nach der Herkunft sowie die Erstellung einer Chronologie herausgearbeitet. Das erste Kapitel (S. 19−21) ordnet den betreffenden Raum geografisch ein, wobei eine Karte Mittelitaliens (Italia centrale) auf S. 20 zur besseren Orientierung dient. Das zweite Kapitel (S. 22− 30) untersucht Siedlungsspuren ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr., beispielsweise im Tolfa-Gebirge die Siedlung Luni sul Mignone. Insbesondere wird die Terramare-Kultur, die in der Poebene in der mittleren und jüngeren Bronzezeit nachgewiesen wurde, hervorgehoben. Alle diese frühen Gemeinschaften verband mit der späteren etruskischen Kultur die Kenntnisse in Metallabbau sowie Metallverarbeitung, die diesen Kulturen jeweils einen gewissen Reichtum und durch Handelsbeziehungen weitere Kulturkontakte sicherten.
Die Anfänge der etruskischen Identität mit der sogenannten Villanova-Zeit (ab der Mitte des 10. Jh. v. Chr.) werden zu Beginn des dritten Kapitels (S. 31−45) behandelt. Ferner wird die etruskische Identität im mediterranen Kontext beurteilt (S. 45−47). Weitere Unterkapitel (S. 47−53) setzen sich mit dem Namen der Etrusker auseinander, der für die Bestimmung der Identität essenziell ist, wobei die Frage in Hinblick auf eine endogene und anschließend exogene Benennung erörtert wird. Mit einer bedeutenden, identitätsstiftenden Säule, nämlich der Sprache, befasst sich das fünfte Unterkapitel (S. 53−58), wo auch auf die These der tyrsenischen Sprachgruppe und die Stellung des Etruskischen zum Rätischen bzw. Lemnischen eingegangen wird.
Die unterschiedlichsten Bereiche der etruskischen Kultur vom 9. Jh. bis ins 5. Jh. v. Chr. sind Thema des vierten Kapitels (S. 59−129). Eingangs werden die Kulturkontakte im mediterranen Raum, insbesondere mit den Griechen und Phönikern, und ihre Auswirkungen auf die Etrusker angesprochen (S. 59−67). Darauf umfassen diverse Unterkapitel (S. 68−129) sozio-politische Themen und Fragestellungen, wo auch die Religion als bedeutender Identitäts-Marker einbezogen wird, auch wenn diese vornehmlich im Spannungsfeld der Politik betrachtet wird (S. 97−107). Nachdem der Zeitraum für die bisherige Darstellung sehr weit gegriffen ist, findet sich zusätzlich ein Unterkapitel (S. 108−129), das den Veränderungen, die ab Ende des 7. und vor allem im Laufe des 6. Jh. v. Chr. greifbar werden, Rechnung trägt. Das fünfte Kapitel (S. 130−159) beleuchtet zuerst ökonomisch-politische Aspekte wie Handelsinteressen und -verträge (S. 130−148). Hieraus ergeben sich die verschiedenen politisch-militärischen Beziehungen bzw. Auseinandersetzungen (S. 148−159), wobei die Beschreibung vorwiegend von den griechischen Quellen ausgeht. Nur gelegentlich werden andere etruskische Belege wie Inschriften oder archäologische Funde herangezogen.
Das sechste Kapitel (S. 160−181) widmet sich dem absehbaren Niedergang der etruskischen Kultur bedingt durch die Kriege mit Rom. Die Chronologie des sukzessiven etruskischen Untergangs erfolgt hierbei ausschließlich auf Grundlage der römischen Überlieferung (Livius, Triumphalfasten).
Die Darstellung der sozio-politischen Entwicklungen in Etrurien ab Mitte des 4. Jh. v. Chr. beinhaltet das siebte Kapitel (S. 182−223). Innenpolitische Kriterien (Siedlungswesen, ökonomische Entwicklungen; S. 182−197), aber auch außenpolitische Fragen wie die Stellung der etruskischen Städte als etwaiger Bündnis- und Vertragspartner von Rom, beispielsweise während der Punischen Kriege, werden behandelt (S. 197−206). Darauf folgen die sozialen Verhältnisse (S. 206−221): Die etruskische Gesellschaft, insbesondere die Eliten, werden im Spannungsfeld mit dem römischen Staat betrachtet, wobei sich zeigt, dass der Integrationsprozess sich nicht nur von außen vollzog, sondern gleichermaßen auch von den Etruskern angenommen wurde. Von großer Bedeutung war in diesem Prozess die etruskische Religion, die, so Luciana Aigner-Foresti, beidseitig als manipulatives Element (aus)genutzt wurde.2 Abschließend wird die etwaige Rolle der Etrusker im Bacchanalienskandal von 186 v. Chr. hinterfragt (S. 221−223).
Das achte und letzte Kapitel (S. 224−245) beschreibt die politische und militärische Einbindung der etruskischen Bevölkerung in das römische Gemeinwesen (Verleihung des römischen Bürgerrechts, Neuorganisation der Städte, Stellung im Bundesgenossenkrieg, Beteiligung an der römischen Politik; S. 224–234). Anschließend wird der mit der Integration einhergehende Prozess der Romanisierung der etruskischen Bevölkerung primär an der Latinisierung Etruriens nachgezeichnet. Dieser Wandlungsprozess ist insbesondere an den Grabinschriften nachvollziehbar. Mit dem sprachlichen Wechsel geht eine wichtige Komponente der etruskischen Identität verloren, mit den Haruspizin als Teil der disciplina Etrusca wird indes ein identitätsstiftendes Kennzeichen in die römische Religion und Kultur übernommen und verbleibt somit als etruskisches Erbe (S. 234−239). Weitere Spuren eines etruskischen Erbes in der römischen Kaiserzeit werden nachfolgend untersucht (S. 239−245). Im Anschluss an die einzelnen Kapitel finden sich als Anhang die Anmerkungen (S. 246−275), eine umfangreiche und aktuelle Bibliografie (S. 276−304) sowie ein Abbildungsverzeichnis (S. 305).
Unter den Forschungsproblemen vermerkt Luciana Aignr-Foresti die bislang ungeklärte Herkunftsfrage der Etrusker. Positiv hierbei ist, dass zu den bisher diskutierten Thesen – Einwanderungsthese gemäß Herodot oder Autochthonie-These nach Dionysisos von Halikarnassos – die von einigen heutigen Wissenschaftlern eingebrachte These einer Nordeinwanderung, d.h. aus den transalpinen Gebieten, hinzugefügt wird. Tatsächlich muss diese im Zusammenhang mit den Rätern, die in der Jüngeren Eisenzeit im Gebiet Alttirols siedelten und in rund 300 Inschriften sprachlich belegt sind, gesehen werden. Bereits Livius (Liv. 5,33,11) verweist auf eine Verwandtschaft und in den 1990er Jahren konnten Helmut Rix und Stefan Schumacher anhand zahlreicher Beweise die sprachliche Verwandtschaft zwischen dem Etruskischen und Rätischen aufzeigen.3 Insgesamt wird dem transalpinen Raum und der diesbezüglichen ur- und frühgeschichtlichen Forschung und den hier angewandten Technologien, wie etwa Dendrochronologie und DNA-Analysen, Rechnung getragen, da diese gleichermaßen für die etruskologischen Forschungen umfassender wünschenswert wären.
Die insgesamt 20 Abbildungen sind als vorteilhaft anzusehen, auch wenn diese aus anderen Beiträgen stammen; allein die Integration einer Karte des zu besprechenden geografischen Raumes auf S. 20 war zwingend notwendig. Überaus bedacht erweist sich hier die Angabe der Ortsnamen in bis zu dreifacher Ausführung (etruskischer, römischer, moderner Name).
Aus naheliegenden Gründen (Wunsch nach Präsentation, Machtdemonstration) erscheint in Hinblick auf antike Kulturen die Oberschicht transparenter, die unteren Schichten hingegen sind kaum fassbar. In den letzten Jahren hat sich die etruskologische Forschung auch diesen Fragestellungen angenommen, wobei nicht nur Sklaven und Unfreie sichtbarer gemacht werden sollen, sondern vor allem die kaum aufscheinende Mittelschicht im Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion steht. Diese positive Entwicklung in der Forschung zur etruskischen Sozialgeschichte berücksichtigt Luciana Aigner-Foresti vollkommen.
Kleine Anmerkungen seien erlaubt: Im Zusammenhang mit den antiken Rätern und dem (trans)alpinen Raum werden leider die Veneter und im Kontext der Sprache/Schrift das Venetische gänzlich außen vorgelassen. Auch werden auf S. 106 Schreibschulen erwähnt, doch fehlt an dieser Stelle ein Verweis auf die nachgewiesenen Schreibschulen beim venetischen Reitia-Heiligtum in Este. Den Venetern muss aber eine potentielle Vermittlerrolle für diesen Raum zugestanden werden wie etwa durch die Vermittlung des etruskischen Alphabets in den Norden der Apenninhalbinsel.4 Ferner ist das Fehlen eines Registers ungünstig, da einige Überschriften von Unterkapiteln oder auch solche innerhalb der Unterkapitel nicht gänzlich dem besprochenen Inhalt entsprechend gewählt wurden und daher für eine gute Orientierung etwas unglücklich sind (z.B. Kapitel 3.1 Villanova-Zeit und die Zwischenüberschrift Etrurien, die Emilia-Romagna und Kampanien in der Villanova-Zeit).
Das zu besprechende Buch enthält zahlreiche unterschiedliche, aktuelle Aspekte sowie alte, neu hinterfragte Sachverhalte. Insbesondere die Integration des Soziallebens der Etrusker entspricht den derzeitigen Tendenzen in der etruskologischen Forschung. Selbstredend mag die Arbeit nicht dasselbe zu leisten wie das zweibändige, beinah 1.800seitige Sammelwerk „Etruscology“ herausgegeben von Alessandro Naso.5 Jedoch liegt mit diesem Band ein Überblick über die Geschichte der Etrusker in kompakter Form vor, der gemäß der aktuellen Forschung erstellt wurde, daher für Etruskologen zur Standardliteratur gehören sollte. Ferner bietet es einen profunden und umfassenden Einblick für alle anderen Archäologen und Althistoriker und nicht zuletzt stellt es einen idealen und gut zu lesenden Leitfaden für Studenten und andere Interessierte dar.
Anmerkungen:
1 Luciana Aigner-Foresti, Die Etrusker und das Frühe Rom (Geschichte kompakt – Antike), Darmstadt 2003.
2 In Hinblick auf die (Aus)Nutzung des alten religiösen Erbes von Seiten der etruskischen Oberschicht ist diese sozialgeschichtlich erwähnenswerte Annahme bereits enthalten in: Dirk Steuernagel, Menschenopfer und Mord am Altar. Griechische Mythen in etruskischen Gräbern, Wiesbaden 1998.
3 Helmut Rix, Rätisch und Etruskisch (Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft, Vorträge und kleinere Schriften 68), Innsbruck 1998; Stefan Schuhmacher, Sprachliche Gemeinsamkeiten zwischen Rätisch und Etruskisch, in: Der Schlern 72/2 (1998), S. 90−114. Und in Folge: Thesarus Inscriptionum Raeticarum (TIR), Online-Datenbank, https://tir.univie.ac.at/wiki/Main_Page (12.08.2024); kurz zusammenfassend: Sindy Kluge, Rätische UnSchriften. Überlegungen zu zwei Fallbeispielen, in: Raimund Karl / Jutta Leskovar (Hrsg.), Interpretierte Eisenzeiten. Fallstudien, Methoden, Theorie. Tagungsbeiträge der 7. Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie, Linz 2017, S. 312−313.
4 Vergleiche hierzu Mariolina Gamba u.a. (Hrsg.), Venetkens. Viaggio nella terra dei Veneti antichi, Venezia 2013 und die darin enthaltenen Einzelstudien von Franco Marzatico (Veneti e Reti, S. 144−155), Giuseppe Sassatelli (I Veneti e l’Etruria padana, S. 118−131) sowie Adriano Maggiani (I Veneti e l’Etruria tirrenica, S. 132−137).
5 Alessandro Naso (Hrsg.), Etruscology, Berlin 2017.