Die vorliegende Monographie ist die erste der neu-begründeten Reihe „Studies in Ancient Civil War“. Deren Relevanz wird im Editorial Statement bekräftigt: „Civil war has shaped the course of civilizations“ (S. v). Damit reihen sich die Herausgeber in jene ‚konfliktorientierte‘ Forschungsströmung ein,1 die beispielsweise die Brutalität des römischen Imperialismus ‚positiveren‘ Romanisierungskonzepten (Globalisierung, Connectivity etc.) gegenüberstellt, da diese die ‚dark sides‘ der römischen Macht vernachlässigen würden.2 Lange möchte sich – als Hinführung zu einem weiteren geplanten Buch über den spätrepublikanischen Bürgerkrieg3 – mit den „conceptual developments in Rome that led to Sulla’s invention of the concept of civil war“ (S. ix) befassen.
Das Buch umfasst eine umfangreiche Einleitung (S. 1–22), acht Hauptkapitel und einen Epilog. Die Geschichte der innerrömischen Debatten über die Entwicklung „from foreign to internal and finally to civil war“ (S. 1) beginnt mit dem Zweiten Punischen Krieg, da die Rebellion vieler italischer Bundesgenossen den ersten großen Konflikt innerhalb der römischen „polity“ (S. 5) darstellte, zugleich aber noch kein bellum civile sein konnte, da die Italiker noch keine römischen cives waren (S. 1–8). Zwischen diesen Prämissen finden sich immer wieder interessante Parallelen zum Amerikanischen Bürgerkrieg sowie zu den Capitol Riots vom Januar 2021, allerdings wirkt die Einleitung durch die ständigen Sprünge zwischen (antiken und modernen) Beispielen, Begriffsdefinitionen und Forschungstheorien auf den Leser etwas unstrukturiert (S. 1–22). Man fragt sich zudem, weshalb hier bereits das Konzept des antebellum (Vorkriegszeit) erläutert wird, da diesem das gesamte erste Hauptkapitel gewidmet ist (S. 23–47). Relevant ist letztlich, dass auch eine längere Phase der relativen Stabilität (wie das 2. Jh. v. Chr.) ein „‘antebellum‘ period“ (S. 46) darstellen kann, wenn Anzeichen für einen potentiellen Konflikt sichtbar sind. Kapitel 2 „The (Great) War Before the (Civil) War: Hannibal’s Legacy Revisited“ (S. 48–75) verfolgt die sinnvolle Frage, „whether the language used in the ‘antebellum’ period which followed the Second Punic War was vital for later developments” (S. 50). Der hierfür als ausschlaggebend bezeichnete Fabius Pictor wird jedoch nur knapp behandelt (S. 59–62): Dessen Bezeichnung apostasis für die Rebellion der Latiner gegen Rom im Jahr 460 v. Chr. (FRHist I, F15 = Dion. Hal. 7,71,1-73,5, hier 7,71,2) genügt Lange für die Behauptung, die Sprache der Späten Republik „can be dated back safely to the time and writing of Fabius Pictor“ (S. 69). Aufgrund einer eher sporadischen Auseinandersetzung mit Quellen und Forschungsliteratur kann das Fazit, „Rebellion during the Second Punic War was ultimately a precursor to the invention of the concept of bellum civile by Sulla” (S. 75), nicht wirklich als bewiesen betrachtet werden. Nachvollziehbarer ist hingegen Kapitel 3 „The Bacchanalian Affair of 186 BCE” (S. 76–94), in welchem die gewaltvolle Unterdrückung des Bacchus-Kultes durch Rom überzeugend als „post-war issue“ (S. 80) dargestellt und auf die ständige Angst vor erneuten Rebellionen zurückgeführt wird. Die finale These, diese Ereignisse seien als antebellum der 133 v. Chr. einsetzenden politischen Gewalt zu sehen (S. 91–94), bleibt aufgrund der zeitlichen Distanz von über 50 Jahren jedoch fragwürdig.
Kapitel 4 „The Internal War at Patavium 174 BCE“ (S. 95–110) stellt in der konzeptuellen Entwicklung die Stufe nach dem bellum externum und der rebellio/apostasis dar: einen Krieg innerhalb des römischen Herrschaftsbereichs und zugleich zwischen Bürgern derselben Stadt. Somit hätte ihn der aus Patavium stammende Livius als bellum civile bezeichnen können, verwendet jedoch stattdessen den Begriff bellum intestinum (Liv. 41,27,3). Ein Vergleich mit Cicero (Cic. Cat. 2,28 u. 3,19) legt nahe, dass die Begriffe bellum intestinum, bellum domesticum und bellum civile im 1. Jh. v. Chr. synonym verwendet wurden (S. 99-101). Dies beweist laut Lange, dass Livius bewusst die Terminologie des 2. Jhs. beziehungsweise seiner Quellen verwende (S. 99–108). Dieser reflektierte Umgang mit dem Problem eventueller Anachronismen in den Quellen wäre auch in Kapitel 2 wünschenswert gewesen.4 In Kapitel 5 „Polybius and his Digression on the Truceless War“ (S. 111–129) wird dies zumindest versucht: Lange diskutiert ausführlich, ob Polybius‘ Beschreibung der Revolte von Falerii gegen Rom (241 v. Chr.), gefolgt von der Zerstörung der Stadt, eher a) Debatten seiner Zeit (des 2. Jh. v. Chr.), b) Debatten des behandelten Zeitraums (des 3. Jh. v. Chr.) oder c) die thukydideische Idee der stasis widerspiegele (S. 112f.). Laut Lange ist emphylios polemos (Pol. 1,71,7) hier eine wörtliche Übersetzung des bereits behandelten Konzepts von bellum intestinum, somit gebe der Autor Debatten seiner Zeit wieder (S. 122f.). Zudem habe er diesen Exkurs möglicherweise in den Jahren nach 125 v. Chr. seinem Werk hinzugefügt, als durch die Rebellion und Zerstörung von Fregellae der Bezug zu Falerii wieder aktuell geworden sei (S. 127f.). Diese Schlüsse erscheinen plausibel, die Argumentation kann aber nur mit großer Mühe aus diesem unklar strukturierten Kapitel herausgearbeitet werden.5
Darauf folgt hingegen das überzeugendste Kapitel: „Lucius Opimius and the Rebellion of Fregellae“ (S. 130–148). Hier lobt Lange die schon in der Einleitung als „eye-opener“ (S. 10f.) gepriesene Monographie von Maschek (s. Anm. 3), da der Archäologe erstmals Opimius‘ Rolle als Transitionsfigur zwischen der Mittleren und der Späten Republik erkannt habe (S. 130–132). Opimius sei ein Vorreiter sowohl des Bundesgenossenkrieges als auch der Bürgerkriege gewesen: Ersteres aufgrund der brutalen Unterdrückung der seditio der fregellanischen Bundesgenossen (S. 136f. u. 148), Letzteres wegen der Ermordung des Gaius Gracchus und der angeblichen Selbstdarstellung als Retter der Republik (S. 145). Auf Basis von Langes gründlicher Quellenarbeit in diesem Kapitel kann der Aussage „This is where it all began!“ (S. 146) zugestimmt werden – das oben erwähnte Problem der zeitlichen Distanz bleibt indes bestehen.
Die letzten zwei Kapitel tragen beide den Titel „From the Gracchi to the Social War and Rome’s First Civil War“, wovon Kapitel 7 „I. The Case of Appian“ (S. 149–176) einen lehrreichen Exkurs über den Quellenwert der Historiographie des 2. Jh. n. Chr. darstellt. Die Kernaussage besteht darin, dass Autoren wie Appian retrospektiv die Existenz eines antebellum vor den Bürgerkriegen zwar erkannt, aber zu spät und zu abrupt (ab 133 v. Chr.) hätten beginnen lassen (S. 161–163). Einige Überlegungen dieses Kapitels wären bereits einleitend für das Verständnis des gesamten Buchs hilfreich gewesen. In Kapitel 8 „II. A New World Dawns“ (S. 177–191) kommt Lange schließlich zur Formulierung der These, der Begriff bellum civile sei von Sulla selbst erfunden worden, um seinen Sieg über die Anhänger des Marius begrifflich und konzeptuell von denjenigen über Mithradates und über die Samniten zu differenzieren (S. 187–189). Auch wenn man dies akzeptiert, erscheint die sehr dezidierte Behauptung, Sulla sei „informed by a long second century of debate about foreign and, especially, internal wars“ (S. 191) gewesen, doch zumindest diskussionswürdig. In einem kurzen Epilog (S. 192–196) wird allerdings die gesamte Argumentation des Buchs sehr klar und kompakt rekapituliert, wobei auch das Problem der zeitlichen Distanz zwischen den verschiedenen Ereignissen erstmals angesprochen und zu lösen versucht wird: Die Schlüsselfigur dieser langen antebellum-Phase ist Polybius, da dieser die zentralen Konzepte von stasis, bellum intestinum und emphylios polemos zusammengeführt habe; dies stelle „a critical stage in the development of the concept of civil war“ (S. 195) dar. Damit wird Mascheks Ansatz weitergeführt, die oftmals abrupte Zäsur zwischen der Mittleren und Späten Republik durch einen Übergang zu ersetzen.6
Es folgen ein etwas lückenhaftes Literaturverzeichnis (S. 197–209) sowie ein Quellenregister; es fehlen hingegen ein Personen-, Orts- oder Sachregister. Abgesehen von einigen formalen Fehlern7 stellt die oftmals schwer nachvollziehbare Argumentationsstrukturierung den größten Schwachpunkt dieser Studie dar: Mehrere Kapitel (Einleitung, 1, 2 und 5) wirken redundant und nicht geradlinig. Oftmals werden offene Fragen ohne Beweisführung oder Verweise auf Quellen und Literatur dezidiert beantwortet – vermutlich, da sie für den Autoren aufgrund seiner Expertise selbsterklärend sind. Somit eignet sich dieses Buch nicht für Personen mit geringem Vorwissen über die behandelte Epoche: Der Verfasser dieser Rezension empfiehlt, als Hinführung zuerst Carsten Hjort Lange, Stasis and Bellum Civile: A Difference in Scale?, in: Critical Analysis of Law 4/2 (2017), S. 129–140, und Maschek, Bürgerkriege zu lesen. Insgesamt leistet dieses Buch jedoch einen sinnvollen Beitrag zur aktuellen Forschungsdebatte und bietet seinen Leser:innen viele interessante Anreize.
Anmerkungen:
1 Beispielsweise durch die ‚Conflict Archaeology’, vgl. dazu etwa Alfredo González-Ruibal, War between neighbours. The archaeology of internal conflict and civil war, in: World Archaeology 51/5 (2019), S. 641–653.
2 Für eine aktuelle Diskussion s. John Miguel Versluys, Romanization as a Theory of Friction, in: Oscar Belvedere / Johannes Bergemann (Hrsg.), Imperium Romanum: Romanization between Colonization and Globalization, Palermo 2021, S. 33–48, bes. S. 36–38. Leider findet sich kein einziger Aufsatz dieses wichtigen Sammelbandes in Langes Literaturverzeichnis.
3 Lange sieht die Bürgerkriege „from roughly 88 to 29 BCE as one continuous war” (S. 178). Darin unterscheidet er sich von den meisten anderen Forscher:innen, auch von der für ihn wichtigsten Vorlage: Dominik Maschek, Die römischen Bürgerkriege. Archäologie und Geschichte einer Krisenzeit, Darmstadt 2018.
4 Basierend auf Polybius wird dort behauptet, Rom habe bereits im 3. Jh. v. Chr. Italien als territorial definiertes Imperium konzipiert (S. 53–56). Der mögliche Anachronismus-Einwand wird mit der wenig überzeugenden Antwort verworfen, demnach könne man ohne den „holy grail of contemporary evidence“ (S. 53) die Mittlere Republik überhaupt nicht erforschen. Nach diesem Abbruch wird die Frage weder weiter diskutiert, noch wird auf Literatur hierzu verwiesen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Abwesenheit folgenden Titels in Langes Literaturverzeichnis: Filippo Carlà-Uhink, The „Birth“ of Italy. The Institutionalization of Italy as a Region, 3rd–1st Century BCE, Berlin 2017.
5 Man könnte den Eindruck gewinnen, dieses Kapitel sei ursprünglich als separater Aufsatz geplant worden, da Lange in Anm. 10 (S. 114) den Begriff emphylios polemos derart grundlegend erläutert, als habe er dies zuvor noch nicht getan, sowie da er in Anm. 17 (S. 116) von „this paper“ statt, wie sonst, „this book“ spricht.
6 Maschek, Bürgerkriege.
7 Einige Beispiele: Quellenzitate werden manchmal im Original und in Übersetzung wiedergegeben, andernorts nur auf Englisch, vgl. S. 121f. und 162. Griechische Begriffe im englischen Text werden Mal im griechischen, Mal im lateinischen Alphabet wiedergegeben. Die Trennung zwischen kurzen Literaturverweisen in Klammern im Haupttext und längeren Verweisen in den Fußnoten ist nicht ganz einheitlich, vgl. S. 46 Anm. 2 mit S. 56f. sowie S. 82. Ebenfalls uneinheitlich ist die Großschreibung der Hauptwörter in den Unterkapitelüberschriften. Hinzu kommen einige Tippfehler oder fehlende Verweise (S. 62, 101, 120, 143, 146, 176, 183 u. 185).