M. Zimmermann (Hrsg.): Extreme Formen von Gewalt

Cover
Title
Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums.


Editor(s)
Zimmermann, Martin
Series
Münchner Studien zur Alten Welt 5
Published
München 2009: Herbert Utz Verlag
Extent
350 S.
Price
€ 39,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Holger Müller, Historisches Institut, Universität Stuttgart

In modernen Gesellschaften ist Gewalt in den Medien omnipräsent. Und so verwundert es nicht, dass auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema einen immer breiteren Raum einnimmt, wovon auch die Geschichtswissenschaften nicht ausgenommen sind.1 Das vorliegende Buch geht auf ein 2003 in München veranstaltetes Kolloquium zurück und versammelt elf Aufsätze von zehn Autoren, die zeitlich vom Alten Ägypten bis zur Spätantike reichen und grob chronologisch geordnet sind.

Den Auftakt macht Martin Zimmermann mit einer allgemeinen Einführung in die Deutungsproblematik von Gewaltdarstellungen. Weiterhin wird der Stand der Forschung reflektiert und weitere Perspektiven für die Forschung dargelegt. Ausgangspunkt von Zimmermanns Überlegungen ist dabei eine vergleichende Betrachtung antiker und moderner Gewaltdarstellungen und soziologische Forschungen, wobei Zimmermann zu Recht festhält, dass sich bestimmte Untersuchungsmethoden für antike Kulturen nicht anwenden lassen (S. 28f.). Renate Müller-Wollermann widmet sich der symbolischen Gewalt im Alten Ägypten und konstatiert zuerst ein mangelndes Interesse der Ägyptologen am Thema Gewalt (S. 47). Ausgehend vom Topos des „Erschlagen der Feinde“, dessen Darstellung die Autorin überzeugend als symbolische und nicht reale Handlung beschreibt, werden zuerst die bildlichen Darstellungen behandelt, um ihnen anschließend literarische Beschreibungen entgegenzusetzen. Abschließend formuliert Müller-Wollermann die These, dass „symbolische Gewalt reale Gewalt“ ergänzt und „reale Gewalt symbolische Gewalt zu generieren“ scheint (S. 64).

Die Grausamkeit der Assyrer wird von Andreas Fuchs thematisiert; er betont dabei, dass dies zuallererst eine Sicht moderner Betrachter ist (S. 65). Der Grund für diese Wertung, so führt Fuchs aus, ist vor allem die sehr gute Quellenlage, die zahlreiche Gewaltdarstellungen überliefert, welche auf das Legitimationsbedürfnis assyrischer Herrscher zurückzuführen sind. Der Autor schließt bei seinen Überlegungen die eigentlichen Kriegshandlungen und deren Folgen aus und fokussiert den Umgang der Assyrer mit den Besiegten. Fuchs betont, dass Grausamkeit gegen Gefangene bei den Assyrern üblich und nicht besonders erwähnenswert gewesen war, und schließt die Frage an, aus welchem Grund sie in einigen Fällen doch in den Quellen beschrieben wird. Nach der Erörterung verschiedener Gründe für die assyrische Gewalt kommt Fuchs zu dem bereits angedeuteten Schluss, dass sie als Herrschaftslegitimation galt und zur Herrschaftssicherung eingesetzt wurde. Fuchs betont zwar, dass die Assyrer aus heutiger Sicht als grausam zu charakterisieren sind, weist aber zugleich darauf hin, dass die Sicht der Zeitgenossen wahrscheinlich eine andere war. Mit der Darstellung von Hinrichtungen in der achämenidischen Kunst setzt sich Bruno Jacobs auseinander. Deutlich unterscheidet er zwischen ritualisierten Tötungen, Tötungsarten aus Willkür und den eigentlichen, rechtlich definierten Hinrichtungen. Zu Recht betont der Autor, dass es in bildlichen Darstellungen aus der Zeit der Achämeniden an grausamen Szenen mangelt, obwohl solche Darstellungen ansonsten bei den Persern nicht unüblich waren. Dies ist umso erstaunlicher, als die begleitenden Inschriften Grausamkeiten ausdrücklich erwähnen.

Zimmermanns zweiter Beitrag thematisiert extreme Gewaltdarstellungen in der antiken Überlieferung und sucht nach Gründen und Regeln für dieses „Stilmittel“. Die Wurzel dieser Beschreibungen sieht Zimmermann in der antiken, mit Gräueltaten geradezu gespickten Mythologie (S. 161). Zu Recht weist Zimmermann darauf hin, dass die Beschreibung grausamer Todesszenen zugleich eine Überhöhung des Mutes antiker Heroen darstellt. Diese begaben sich in die Gefahr, auf dieselbe grausame Art wie ihre Opfer den Tod zu finden (S. 163). Überzeugend werden weitere Motive der Verwendung grausamer Bilder in antiker Überlieferung bei verschiedenen Autoren und in unterschiedlichen Epochen sowie deren Funktion diskutiert.

Mit medialer Gewalt im Athen des 6. und 5. Jahrhunderts setzt sich Susanne Muth auseinander; sie stellt die Frage, inwieweit es Abhängigkeiten zwischen dargestellter und tatsächlicher Gewalt gegeben hat und wie die Gewaltdarstellungen historisch zu interpretieren sind. Ebenso wird die Erweiterung des thematischen Spektrums dargestellter Gewalt thematisiert. Dabei stellt Muth fest, dass eine direkte Verbindung mit äußerer Gewalt (das heißt den Perserkriegen) nicht gezogen werden kann. Felix Pirsons Beitrag handelt von den Gewaltdarstellungen der hellenistischen Sepulkralkultur Etruriens. Sein erster Blick gilt hierbei, nach einer kurzen, aber aussagekräftigen Einführung in die Fragestellung, der Entwicklung des Keltenbildes. Anhand gut gewählter Beispiele wird gezeigt, wie sich das Bild vom mächtigen, wenn auch nicht beängstigenden Gegner zum (sexuell) erniedrigten Besiegten wandelt.

Sadismus in der hellenistischen Dichtung untersucht Martin Hose und sieht sich dabei zu Recht dazu genötigt, seine Fragestellung zu problematisieren und zu definieren (S. 257). Die bislang in der Forschung zu dieser Frage diskutierten Texte, in denen Sadismus im Bereich der Sexualität gesucht wird, sieht er als nicht aussagekräftig an (S. 260); die anschließende Diskussion von Artemidors Traumbuch ergibt ebenfalls keine signifikanten Treffer. Sadismus müsse also, so Hose, außerhalb des Bereichs der Sexualität gesucht werden, wofür Beispiele aus klassischer Zeit genannt werden. Aus dem Bereich der hellenistischen Dichtung führt Hose zwei Mimiamben des Herodas als Beispiel an. Diese werden in Kürze diskutiert, noch kürzer fällt das Fazit aus.

Märtyrer und Tyrannen dürfen in einem Sammelband mit dem Thema „Gewalt“ nicht fehlen und werden von Dirk Rohmann am Beispiel Senecas behandelt. Die Forschungsliteratur wird ausführlich vorgestellt und anschließend Senecas Bücher De ira und De clementia besprochen. Rohmann thematisiert die sozialen Aspekte der Gewalt ebenso wie Senecas Verständnis von „gerechter Gewaltanwendung“. Anschließend erfolgt ein Vergleich mit anderen kaiserzeitlichen Autoren, und es wird festgestellt, dass es sich bei vielen Gewaltdarstellungen um übliche kaiserzeitliche Topoi handelt. Abschließend betrachtet er die „Märtyrertode“ römischer Senatoren, womit ein Übergang zum folgenden Beitrag von Ulrich Huttner geliefert wird, der sich mit der Inszenierung des Todes beschäftigt: Dass Senecas Selbstmord hier den Auftakt bildet, braucht nicht zu verwundern, wurde dieser doch, wie Huttner anführt, viel rezipiert. Der Autor gibt die wichtigsten Quellen wieder, problematisiert deren Inhalt und die Parallelen zum Tod des Sokrates und zeigt, dass dessen Tod als Vorlage für verschiedene weitere „Selbstmorde“ diente. Zudem führt er Beispiele an, in denen sich antike Autoren deutlich gegen eine allzu auffällige Todesinszenierung aussprechen.

Hinrichtungen in der Spätantike behandelt Jens-Uwe Krause. Sein Ziel ist es, die Thesen, dass in der Spätantike die Anzahl der Todesstrafen zunahm und die Hinrichtungsarten grausamer wurden, zu widerlegen (S. 322). Den Zeitrahmen setzt der Autor hierbei vom 4. bis zum 6. Jahrhundert. Überzeugend wird ein Zusammenhang zwischen dem Rückgang von Hinrichtungen und den Gladiatorenspielen konstatiert (S. 327). Auch die Rolle der zunehmend christianisierten Gesellschaft wird erwähnt.

Alle Beiträge zeichnen sich dadurch aus, dass sie trotz deutlicher Gewaltbeschreibungen nicht plakativ wirken und – bei einem Thema wie diesem unerlässlich – die Autoren ihre Formulierungen zumeist mit Bedacht gewählt haben. Erfreulich ist auch das gleichmäßig hohe Niveau aller Beiträge. Insgesamt kann die Zusammenstellung, die eine interessante und repräsentative Auswahl darstellt, als gelungen angesehen werden. Einzig das Fehlen eines Index schmälert den ansonsten positiven Eindruck etwas.

Anmerkung:
1 Insbesondere für die Altertumswissenschaften sind – in Auswahl – zu nennen: Günter Fischer / Susanne Moraw (Hrsg.), Die andere Seite der Klassik. Gewalt im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart 2005; Matthias Recke, Gewalt und Leid. Das Bild des Krieges bei den Athenern im 6. und 5. Jh. v. Chr., Istanbul 2002; Dirk Rohmann, Gewalt und politischer Wandel im 1. Jahrhundert n. Chr., München 2006; Ute Schall, Rom: eine Chronik der Gewalt, Albeck 2001 (ein eher populärwissenschaftliches Werk); Bernd Seidensticker / Martin Vöhler (Hrsg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechischen Klassik, Berlin 2006.

Editors Information
Published on
Contributor
Edited by
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Country
Language of review