Der Band beginnt furios ohne Fußnoten: In der Einleitung verzichtet Samuel Moyn, hochdekorierter Professor für die Geschichte der Ideen und des Rechts in Yale, auf anfängerhafte Darlegungen von Fragen und Forschungsstand samt Einzelbelegen. Stattdessen präsentiert er mit viel Aplomb seine Kernaussage: Der Liberalismus habe vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs versagt, als Modell für eine bessere Zukunft attraktiv zu bleiben. Er sei minimalistisch, ja ängstlich geworden und habe sich damit begnügt, allemal besser zu sein als der diktatorische Kommunismus. Mit dem Untergang der Sowjetunion sei eine regelrechte liberale Siegesstimmung einhergegangen, die zu einer blinden Apologetik geführt habe. „Studierende wie ich waren geradezu aufgefordert“, schreibt Moyn (geb. 1972), den „Säulenheiligen“ des Cold War Liberalism „zu Füßen zu liegen“ (S. 22). Das wirkt fast wie ein Trauma, an dessen Bewältigung sich der Autor mit diesem Buch begibt. Sein Anathema ist eben jener Liberalismus, der vor allem für eine „strikte Beschränkung der menschlichen Möglichkeiten“ stehe (S. 13), massen- sowie demokratieskeptisch daherkomme und von kreativer Zukunftsgestaltung mittels gesellschaftlicher Handlungsmacht nichts wissen wolle. Dabei war es laut Moyn um das Ideenpotenzial des Liberalismus nicht immer so schlecht bestellt. Im 19. Jahrhundert ließ er mal den Vernunftglauben der Aufklärung, mal die Leidenschaft der Romantik aufblitzen, zielte jedenfalls auf eine emanzipatorische und fortschrittliche Politik. Ein simples Zurück in die Zukunft sei aber auch nicht erstrebenswert, weil dies hieße, damalige Diskriminierungsphänomene entlang von class, race und gender zu ignorieren.
Wie genau eine Erneuerung des Liberalismus gelingen könnte, das buchstabiert Moyn nicht aus, er belässt es beim faszinierend funkelnden Hoffnungsschimmer. Was der Liberalismus nicht sein soll, ist klar: eben jener nach Moyn intellektuell schmalbrüstige Cold War Liberalism. Diesen sucht er anhand einiger Denk- und Lebenswege näher darzulegen, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist: von Judith Shklar, Isaiah Berlin, Karl Popper, Gertrude Himmelfarb, Hannah Arendt und Lionel Trilling. Wie es zu dieser Auswahl kam, teilt Moyn nicht näher mit. Himmelfarb als Hüterin von Lord Actons geistigem Erbe würde eher zu einer Geschichte des Konservatismus passen. Arendt als bekennende Nicht-Liberale, worauf der Autor selbst hinweist, wirkt ebenfalls irgendwie deplatziert. Diese erratisch anmutende Zusammenstellung kann der Vielfalt des Liberalismus kaum gerecht werden. Moyns Betrachtung, die immerhin beansprucht, „einen ersten Schritt hin zu einem Gesamtbild und zu einer allgemeinen Neubewertung“ zu machen (S. 19), wäre womöglich anders ausgefallen, hätten es stattdessen beispielsweise John Maynard Keynes (wenngleich 1946 gestorben), John Kenneth Galbraith oder Wilhelm Röpke als liberale Trendsetter in das Sample geschafft.
All jene, die bei Moyn vorkommen, werden von ihm, so darf man es wohl nennen, abgewatscht – weil sie nicht so dachten, wie er es sich wünschte. Für Shklar gilt das immerhin weniger. Moyn macht sie sogar zur geistigen Verbündeten, weil sie mit ihrem Buch „After Utopia“ 1957 eine ebenso frühe wie grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Cold War Liberalism geliefert habe. Erst später trat sie mit der Formulierung eines „Liberalismus der Furcht“ hervor, der an die Stelle eines zu erstrebenden „summum bonum“ ein zu vermeidendes „summum malum“ setzte. Das wirkt wie die kondensierte Grundformel jenes Cold War Liberalism, den Moyn für so missgeleitet hält, weil er einen sozialen Fatalismus samt pessimistischer Grundstimmung auf seine Fahnen geschrieben habe. Von dort sei der Weg zum Neoliberalismus und Neokonservatismus nicht mehr weit gewesen. Ein wenig mutet diese Geschichte wie eine Teleologie des falschen politischen Abbiegens an, die in hohem Maße auf unzureichend freigelegten normativen Prämissen und Wunschvorstellungen des Autors beruht.
Shklar fällt in dieser Grundkonstellation eine ambivalente Rolle zu. Aufgrund ihres Frühwerks hat Moyn sie ins Herz geschlossen und würdigt sie insgesamt differenziert. In Isaiah Berlins Fall lässt Moyn die großzügige Geste vermissen. Berlins Unterscheidung von „negativer“ und „positiver Freiheit“ hält er für einen intellektuellen Sündenfall, der „nach wie vor so viel Schaden anrichtet“ (S. 85). Ihm wie Jacob Talmon, der 1952 vor den Abgründen einer „totalitären Demokratie“ warnte, und im Grunde auch Shklar wirft Moyn vor, dass sie im Exil zu Verehrern der sie aufnehmenden Länder und zu „Apologet:innen“ (S. 75) eines eng gefassten Freiheitsbegriffs avanciert seien. Wenn Moyn in ihnen vorrangig „dankbare Migrant:innen“ ausmacht (S. 160), hinterlässt das wegen der anklingenden Geringschätzung hart erlittener, wiewohl erkenntnisfördernder erfahrungsgeschichtlicher Impulse einen schalen Beigeschmack. Gerade das 20. Jahrhundert als viel beschworenes „Zeitalter der Extreme“ mag einen liberalen Reduktionismus geboten erscheinen lassen, der sich auf Wesentliches konzentriert – nämlich Individual- und Minderheitsrechte durch rechts- und verfassungsstaatliche Prinzipien, Institutionen und Prozeduren zu schützen.
Solche Überlegungen können Moyn indes nicht vom Verdikt über den Cold War Liberalism abbringen. „Kein[en] Ruhmestitel“ (S. 89) habe Berlin für sein eingedampftes Freiheitsverständnis verdient. Schließlich seien dadurch wertvolle Wege hin zu einem kreativen und sozial gerechten Liberalismus verstellt worden. Auf ebenso wenig Nachsicht wie Berlin darf Popper hoffen. Dessen „nahezu völlige Ahnungslosigkeit in Bezug auf Hegel“ (S. 105) hält der in seinem Fall sichtlich missvergnügte Autor fest. Marx habe Popper immerhin etwas „fairer“ (S. 109) als Hegel abgehandelt. Und doch sei es das Bestreben Poppers und der anderen Cold War Liberals gewesen, eine Art politisch-ideenhistorische „Säuberung“ zu vollziehen (S. 62 – diese Wortwahl lässt den Leser angesichts des totalitären Reinigungswahns im 20. Jahrhundert etwas zusammenzucken) und einen „Anti-Kanon“ (S. 33) zu erstellen, in den sie Rousseau, Hegel und Marx ein für alle Mal zu verbannen gedachten.
Moyn zeigt in seinen Bewertungen klare Kante, wobei die Argumentation ihr zuwiderlaufende Auffassungen ausblendet, statt sie zu diskutieren. Das gilt zumal für Ralf Dahrendorf und seine 2006 publizierte Monographie „Versuchungen der Unfreiheit“, in der er zum Teil dieselben Protagonisten (Arendt, Berlin, Popper) wie Moyn behandelt, in ihnen aber jene Heroen erkennt, die den Liberalismus mit zukunftsweisender Hartnäckigkeit gegenüber autokratischen Herausforderungen bewahrt hätten. Von Dahrendorf, diesem liberalen Vordenker, fehlt bei Moyn indes jede Spur. So sehr diese Ausblendung verwundern muss, teilen die in ihren Urteilen entgegengesetzten Autoren doch eine Schwäche: Statt eine kontextorientierte Ideengeschichte zu schreiben, die Erfahrungswelten ihrer Akteure würdigt und konstellationsabhängige Denkbewegungen in ihrer ganzen Dynamik nachvollzieht, sind beide vor allem um (Anti-)Kanonisierung bemüht und verharren letztlich im Modus jeweils gegenläufiger Erfolgs- und Versagensgeschichten. Bei Moyn führt das etwa zu der These, „dass der Liberalismus nicht das sein muss, was aus ihm wurde“ (S. 234). Dies klingt fast nach einem Plädoyer für eine ideenhistorische Normprüfung.
Moyns Buch wirkt wie eine Melange aus meinungsfreudigem Essay, garstiger Polemik und gelehrter Abhandlung, die punktuell jenen „giftigen Anklageton“ (S. 82) probt, den er seinen Protagonisten bisweilen unterstellt, oder eine schulmeisterliche Attitüde einnimmt. Das trifft auch im Falle Himmelfarbs zu, über die Moyn abfällig notiert, dass für „keinen“ ihrer biographisch-professionellen „Entwicklungsschritte […] besonders viel Originalität erforderlich“ gewesen sei (S. 162).
Dass Arendt ebenfalls kein gutes Zeugnis ausgestellt bekommt, darauf deutet bereits die Kapitelüberschrift „Weiße Freiheit“ hin. Rund um ihre Person thematisiert Moyn, wie häufig Liberale letztlich „globale Imperialist:innen“ (S. 167) gewesen seien und Freiheit als westliches, „weißes“ Konzept enggeführt wurde, das für die dekolonisierte Welt keine Geltung beanspruchen konnte. Arendt schneidet besonders schlecht ab, weil sie nicht nur die „Dämonenlehre“ der Cold War Liberals geteilt habe, sondern auf ihrer „Suche nach kanonischen Engeln“ sogar einen Schritt weiter gegangen sei. Zu Moyns Leidwesen fand sie diese nicht in der „Tradition des perfektionistischen und progressistischen Liberalismus“, sondern „in der vormodernen Vergangenheit“ (S. 179) bei Aristoteles und anderen Meisterdenkern der Antike.
Den Abschluss (vor einem Epilog) bildet die Beschäftigung mit Trilling, dessen Bestseller „The Liberal Imagination“ von 1950 Moyn zufolge auch keine geeignete Grundlage für eine geistige Wiederbelebung des Liberalismus bereithielt. Trilling habe nicht viel mehr als eine „Ideologie der Selbstkontrolle“ (S. 202) angeboten – in der Absicht, sein Lesepublikum sogar gegen „Hoffnung“ zu immunisieren, um es vor einer „Pervertierung guter Ideale in schlechte Ergebnisse“ zu bewahren (S. 217).
Es seien mithin selbst verschuldete gedankliche Leitplanken gewesen, die der Liberalismus während des Kalten Kriegs montiert habe, um der eigenen Wiederbelebung als „Emanzipationsprojekt“ (S. 239) klare Grenzen zu setzen. Moyns Buch versteht sich dabei nicht als Darstellung einer abgeschlossenen Geschichte, sondern als eine Zeitdiagnose, die direkt unsere Gegenwart berührt. Er selbst sieht sich nach wie vor als Stimme einer mahnenden Minderheit, der ab den 1990er-Jahren ein ganzer Chor prägender Intellektueller von Tony Judt über Timothy Garton Ash bis zu Anne Applebaum und Timothy Snyder gegenüberstand (und zum Teil weiterhin gegenübersteht). Sie alle seien als „ergebene Schüler:innen der sterbenden oder toten Vertreter:innen des Kalte-Krieg-Liberalismus“ (S. 240) am besten charakterisiert. Moyn will dessen „endlose Wiederbelebung“ durchbrechen und stattdessen eine „originelle Form von Liberalismus ersinnen“ (S. 245f.). Wie diese aber konkret aussehen könnte, liegt bestenfalls im Halbschatten. Das gehaltvolle Provokationspotenzial der Studie steht gleichwohl außer Frage1, ebenso Samuel Moyns glaubhaft wirkende Sorge um unsere liberalen Gesellschaften. Dass der Traum der theoretischen Vernunft allerdings nur Engel gebiert und der Liberalismus einzig durch ein Elixier aus fortschrittssattem Gestaltungsoptimismus wiederbelebt werden kann, mag nicht alle Skeptiker überzeugen – zumal jene nicht, die in den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mehr als Denkblockaden für die Gegenwart erkennen.
Anmerkung:
1 Siehe auch Moyns Gastbeiträge in der „New York Times“; vgl. jüngst Samuel Moyn, Liberals Bet They Could Beat Trump With the Law. They Lost, in: New York Times, 22.11.2024. Zur Diskussion des Buches vgl. Stephen Holmes, Radical Mismatch, in: London Review of Books, 04.04.2024, https://www.lrb.co.uk/the-paper/v46/n07/stephen-holmes/radical-mismatch (04.01.2025); Jonathan Chait, Samuel Moyn Can’t Stop Blaming Trumpism on Liberals, in: National Interest, 07.09.2023; Julian Nicolai Hofmann, The Haunted House of Liberalism, in: Soziopolis, 21.11.2023, https://www.soziopolis.de/the-haunted-house-of-liberalism.html (04.01.2025); Jannis Lennartz, Träumen vom Kollektiv, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.07.2024.