Überblicksdarstellungen zur Geschichte jener Truppen, welcher sich die europäischen Staaten bedienten, um umfangreiche Kolonialreiche zu erobern und langfristig zu sichern, sind rar gesät. Dies überrascht nicht angesichts der Herausforderungen an ein solches Buch. Es muss große, zum Teil sich über mehrere Kontinente erstreckende Räume für einen Zeitraum von etwa 200 Jahren abdecken und die verschiedenen in den jeweiligen Formationen dienenden Ethnien sowie die unterschiedlichen taktischen Ausrichtungen und Unterstellungsverhältnisse der Einheiten berücksichtigen. Alle europäischen Mächte griffen bei ihrer überseeischen militärischen Expansion auf verschiedene Arten von Truppen zurück. Es gab „weiße“, entweder in den Mutterländern rekrutierte und zum Teil dort auf Abruf in Garnison liegende Formationen und solche, die unter den europäischen Siedlern der Besitzungen aufgestellt wurden. Ferner existierten „farbige“, unter den indigenen Einwohnern der Kolonien geworbene Formationen, die in der Regel von europäischen Offizieren geführt wurden. Zumindest bei jenen Besitzungen, bei denen es sich nicht um Siedlungskolonien handelte, überwog im 19. und 20. Jahrhundert die Zahl der „farbigen“ Soldaten und Formationen bei weitem jene der „weißen“, wofür mehrere Faktoren ausschlaggebend waren. Afrikanische oder asiatische Soldaten kamen dem europäischen Steuerzahler wesentlich günstiger, weil sie einen geringeren Sold erhielten und nicht von der Metropole in die Kolonien und zurücktransportiert oder mit den in Europa üblichen Lebensmitteln versorgt werden mussten. Indigene Soldaten waren besser an die klimatischen, topographischen und sanitären Verhältnisse der jeweiligen Kolonien angepasst. Sie wiesen daher in der Regel eine höhere Einsatzbereitschaft und Mobilität als europäische Einheiten auf. Die Aufstellung von indigenen Einheiten schonte zudem die personellen Reserven der Metropole für den Fall eines Großkonfliktes in Europa.
Wer sich nun von Julie d’Andurains Buch im Gegensatz zu den zahlreichen, zu einzelnen kolonialen Militärformationen, Territorien und Konflikten existierenden Studien eine Gesamtgeschichte der französischen Kolonialtruppen erhofft, wird enttäuscht. Die Autorin konzentriert sich auf die „troupes coloniales“ und verfolgt diese von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Abschluss der Dekolonisation Anfang der 1960er-Jahre. Diese stellten innerhalb der französischen Streitkräfte gemäß einer in der frühen Dritten Republik aufgekommenen Bezeichnung und administrativen Zuordnung nur einen Teil der für Einsatz oder Stationierung in Übersee gedachten Heeresformationen. Das Buch lässt entsprechend der damaligen militärischen Gliederung einen wichtigen Teil der französischen Kolonialtruppen außer Acht, nämlich die im Zuge der Eroberung Algeriens Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene und später auf Tunesien sowie Marokko ausgedehnte „Armée d’Afrique“, zu der unter anderem die Fremdenlegion gehörte. Sie unterstand wegen der relativen geografischen Nähe, ihrem zahlenmäßigen Umfang und der Tatsache, dass Algerien seit 1848 als integrativer Teil Frankreichs galt, dem Pariser Kriegsministerium. Die „troupes coloniales“ hingegen ressortierten zunächst beim Marineministerium und seit 1900 beim kurz zuvor gegründeten Kolonialministerium.
Wie d’Andurain zeigt, unterteilten sich die „troupes coloniales“ in zwei verschiedene Kategorien, die „troupes blanches“ und die „troupes de couleur“. Erstere setzten sich aus der aus Franzosen bestehenden „infanterie coloniale“ und „artillerie coloniale“ (bis zur Abordnung ins Kolonialministerium als „infanterie de marine“ und „artillerie de marine“ firmierend) zusammen. 1914 zählten die „troupes blanches“, die sich nur aus französischen Freiwilligen zusammensetzten, etwa 30.000 Soldaten. Der größere Teil lag in Kriegshäfen wie Brest und Toulon zum Schutz dieser und als Eingreifreserve für überseeische Einsätze in Garnison. Der Rest war in den Kolonien selbst stationiert, darunter Madagaskar und Indochina. Bei den „troupes de couleur“ handelte es sich um die indigenen Tirailleur-Regimenter. Während die „troupes blanches“ als ursprüngliche Marinetruppe auf das 18. Jahrhundert zurückgingen, entstanden die ersten Einheiten der „troupes de couleur“ erst im Zuge der Ausdehnung des französischen Kolonialreiches ab den 1850er-Jahren. Zuerst wurden indigene Truppen in Westafrika ausgehoben („Tirailleurs sénégalais“), sodann in Indochina („Tirailleurs annamites“ und „Tirailleurs tonkinois“) und schließlich auf Madagaskar („Tirailleurs malgaches“). In diesen Infanterieeinheiten stellten die Franzosen die Offiziere und einen Teil der Unteroffiziere, alle anderen Soldaten stammten aus den Ethnien der jeweiligen Kolonien. Die Tirailleur-Regimenter umfassten am Vorabend des Ersten Weltkriegs etwa 70.000 Soldaten. Sie wurden auf freiwilliger Basis angeworben und für die Verhältnisse ihrer Herkunftsländer gut bezahlt, erhielten aber immer noch weniger Sold als ein französischer Wehrpflichtiger in Diensten der „troupes blanches“.
Nach 1918 wurde für die Tirailleurs Westafrikas, Indochinas und Madagaskars angesichts der demografischen Schwäche Frankreichs, der militärischen Bewährung dieser Truppen im Ersten Weltkrieg sowie eines nachlassenden Freiwilligenaufkommens eine selektive Wehrpflicht eingeführt. Zudem versuchte man nun, ein vereinfachtes Französisch als Kommandosprache durchzusetzen und den Soldaten das Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Erstmals nahmen einige Tirailleur-Regimenter dauerhaft in Frankreich für den Fall eines neuen Konflikts mit Deutschland Garnison. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Ende der imperialen Expansion fürchteten die „troupes coloniales“, dem Kriegsministerium unterstellt zu werden und damit ihre Sonderrolle zu verlieren. In den „troupes coloniales“ wurde laut d’Andurain stärker als im Heimatheer die „mystique du commandement“ kultiviert. Es kam angeblich wegen der schwierigen Operationsbedingungen in Übersee und der Tatsache, dass es sich bei den indigenen Soldaten der Tirailleur-Regimenter letztlich um Söldner handelte, stärker auf die Qualitäten der Offiziere an. Sie sollten nach Möglichkeit weniger häufig zwischen den Formationen versetzt werden, als es in den Wehrpflichtigeneinheiten der „Métropolitaine“ der Fall war, um das Band zwischen Offizieren und Untergebenen in den Tirailleur-Regimentern zu stärken und ein gleichsam beiderseitiges persönliches Loyalitätsverhältnis zu schaffen.
Die zahlenmäßig umfangreichsten, bekanntesten (Stichwort „Schwarze-Schmach“-Kampagnen) und von der französischen Führung am kampfkräftigsten und loyalsten eingeschätzten Einheiten waren die „Tirailleurs sénégalais“. Die Bezeichnung „sénégalais“ diente als Oberbegriff für alle in Französisch-Westafrika rekrutierten Ethnien. Im Ersten Weltkrieg fanden sie nicht nur stärker als die Tirailleurs aus Madagaskar oder Indochina an vorderster Front Verwendung, während letztere eher zu rückwärtigen Transport-, Bau- und Pflegediensten herangezogen wurden. Auch bei der Eroberung oder Sicherung anderer Kolonien griff Frankreich ab den 1890er-Jahren auf westafrikanische Soldaten zurück, so etwa auf Madagaskar, in Marokko und Syrien. Einheiten der „Senegalesen“ nahmen 1940 an der Schlacht um Frankreich teil und landeten im August 1944 an der Côte d’Azur, um zur Befreiung Frankreichs beizutragen. Ab 1948 kämpften sie im Indochinakrieg.
Wie verwirrend und wenig trennscharf die damalige Unterscheidung zwischen den „farbigen“ „troupes coloniales“ und jenen der „Armee d’Afrique“ war, die in d’Andurains Buch eine dem auf einen historischen Überblick sinnenden Leser wenig dienliche Wiederauferstehung feiert, zeigt sich an dem Umstand, dass es auch in Algerien seit den 1850er-Jahren, in Tunesien seit den 1880er-Jahren und in Marokko seit dem Vorabend des Ersten Weltkriegs indigene Tirailleureinheiten unter Führung französischer Offiziere gab. Abgesehen von einer vergleichbaren personellen Struktur und taktischen Ausrichtung als leichter Kolonialinfanterie kamen die „Tirailleurs algériens“ und „Tirailleurs marocains“ ebenso wie die „Senegalesen“ im Ersten und Zweiten Weltkrieg in Frankreich zum Einsatz, dienten kurzzeitig als Besatzungstruppen in den Rheinlanden und nahmen in der Zwischenkriegszeit mit einigen Regimentern Garnison in Südfrankreich. Spätestens der Umstand, dass sie wie die Triailleurs aus Westafrika Frankreich ab den 1880er-Jahren halfen, sich Indochina, Madagaskar, Marokko, Syrien und den Libanon in sein Kolonialreich einzuverleiben, sodann als Besatzungstruppen abzusichern und schließlich im Indochinakrieg gegen die Unabhängigkeitsbewegung Viet Minh kämpften, verwischt jegliche spitzfindige Unterscheidung zwischen den „troupes de couleur“ und den indigenen Einheiten der „Armée d’Afrique“.
Die „troupes blanches“, die sich im Laufe ihrer Existenz in immer mehr Waffengattungen untergliederten und seit 1958 wieder unter der Bezeichnung „troupes de marine“ firmierten, existieren noch heute. Die Marinetruppen bilden zusammen mit der Fremdenlegion das Rückgrat der überseeischen Interventionskräfte Frankreichs. Die Tirailleur-Regimenter hingegen, die stets reine Infanterieeinheiten mit einem geringen Grad waffentechnischer Ausdifferenzierung und taktischer Spezialisierung geblieben waren, wurden im Zuge der Dekolonisation ab 1960 aufgelöst. Ihr indigenes Personal bildete den Grundstock für die entstehenden nationalen Streitkräfte der in die Unabhängigkeit entlassenen Länder des subsaharischen Afrikas.
D’Andurains Buch basiert auf intensiven Recherchen in den einschlägigen französischen Archiven, der Auswertung der umfangreichen französischen Forschungsliteratur – die angelsächsische dagegen wird weitgehend ignoriert – sowie zeitgenössischen Publikationen in den Fachjournalen der Koloniallobby und der Kolonialtruppen. Das grob chronologisch angelegte Buch ist allerdings schlecht strukturiert und lektoriert. Die Kapitelunterteilungen wirken relativ willkürlich und erlauben dem Leser keine schnelle Orientierung. Zahlenangaben über die Stärke der Kolonialtruppen widersprechen sich zum Teil, ebenso die Gründungsdaten einzelner Formationen. Der Umstand, dass die Autorin immer wieder die Truppen der „alten“ Kolonien (Antillen, Guyana, La Réunion, Comptoirs d’Inde und Neukaledonien) in den Text scheinbar zusammenhanglos einflicht, die weder zu den „troupes coloniales“ noch zur „Armee d’Afrique“ gehörten, schafft ebenfalls Verwirrung. Das Buch verliert sich zudem in vielen für das Thema nicht relevanten Details und Exkursen, in dem es sich zum Beispiel mit den Karrierestationen einzelner bekannter Kolonialoffiziere oder Kolonialpolitiker befasst, einzelne Gefechte und Expeditionen herausstellt oder die Entwicklung der Telegrafie in Übersee streift, ohne dass diese Informationshappen weitergehenden Schlussfolgerungen dienen. Zudem gibt es zahlreiche Wiederholungen. So liest man auf Seite 122 bereits zum vierten Mal, dass ein in Indochina angeworbener Tirailleur den französischen Staat nur ein Viertel dessen kostete, was für einen Soldat der „coloniale blanche“ aufgewendet werden musste.
Wer sich zuverlässig mit der Geschichte und Struktur der französischen Kolonialtruppen, gleich ob es sich um die in d’Andurains Buch behandelten „troupes colonlaies“ oder jene der „Armée d’Afrique“ handelt, befassen möchte, der greife besser weiterhin auf die bereits 1988 erschienene umfangreiche, kundige und Vergleiche zur britischen Kolonialarmee ziehende Studie von Anthony Clayton zurück.1
Anmerkung:
1 Anthony Clayton, France, Soldiers and Africa, London 1988.