Welchen Platz nimmt fecunditas im römischen kulturellen Bewusstsein ein? Wie wird in der römischen Gesellschaft fecunditas zu erhalten und zu fördern versucht? Wie wirkt sich ihr Fehlen auf Ehen, Familien und politische Karrieren aus? Diesen Fragen möchte das hier rezensierte Werk Angela Hugs nachgehen. Es fußt auf der von der Autorin im Dezember 2014 an der York University Toronto, Ontario, vorgelegten Dissertation und soll eine Diskursanalyse der fecunditas in der römischen Gesellschaft im Zeitraum von etwa 100 v. Chr. bis 300 n. Chr. sein. Der Begriff wird entsprechend emisch entlang der römischen (elitären) Gebrauchsdefinition verwendet, die im Gegensatz zu ihrem zeitgenössischen medizinschriftstellerischen Verständnis nicht zwischen der Gebärfähigkeit (fecundity) und dem tatsächlichen Gebären (fertility) unterscheidet. Insoweit Hug weder eine medizingeschichtliche noch demographische Studie vorlegen möchte, werden bioarchäologische Daten nur gelegentlich zur Einschätzung des Möglichen und Wahrscheinlichen herangezogen. Der Blick gilt der „cultural construction of the female virtue fecunditas and its role within Roman society” (S. 5).
Die Arbeit möchte den Stellenwert der fecunditas als der pudicitia beinahe gleichgestellten, ebenso wichtigen römisch-weiblichen Tugend aufzeigen (S. 8). Die fecunditas einer römischen Ehefrau steigerte dabei erheblich das soziale Kapital des Ehemanns, wirkte aber auch reziprok: Viele gesunde, das Erwachsenenalter erreichende Kinder bestätigten die Loyalität einer Ehefrau und schufen die gesellschaftliche Erwartung an den Mann, sich nicht scheiden zu lassen. Wo er es dennoch tat, konnte er mit gesellschaftlicher Kritik rechnen. Juristisch jedoch war die Ehefrau keineswegs abgesichert. Die literarisch postulierte Wertigkeit der fecunditas findet in Inschriften breiter sozialer Schichten Niederschlag: Das Alter in der Schwangerschaft oder im Wochenbett verstorbener Frauen und die Anzahl vorheriger erfolgreicher Geburten drücken den Verlust ihrer zukünftigen fecunditas und damit den Verlust des politischen und sozialen Kapitals etwaiger zukünftiger Kinder für den Witwer aus. Der fecunditas römischer Bürgerinnen hat zwar Augustus eine bedeutende gesellschaftliche Rolle eingeräumt, Hug zeigt aber auf, dass diese seit Beginn der Republik öffentliches Anliegen und schon in den Gründungsmythen der Stadt angelegt war. Insoweit sich an der fecunditas römischer Bürgerinnen das Wohl und Wehe Roms zeigte, ist ihre Förderung seit Augustus Aufgabe der Kaiser. An ihr offenbaren sich gute und schlechte Kaiser. Frauen des Kaiserhauses konnten seit Antoninus Pius zwar mit der als Göttin personifizierten fecunditas gleichgesetzt werden, erfuhren ihre fecunditas jedoch positiv und negativ: Je nach politischer Großwetterlage konnten ihre Kinder ihnen zu Ehre oder Unbill gereichen. Da fecunditas zwar für Frauen der beste Weg war, ihren Status auf privater wie auf öffentlicher Ebene anzuheben, aber Männer durch die kulturelle Anlage des Begriffs am meisten davon profitierten, plädiert Hug dafür, fecunditas nicht als rein weibliche Tugend zu interpretieren, sondern als eine mit der römischen Ehe eng verbundene, die der Ehe Rechtmäßigkeit verlieh und den Status beider Eheleute anhob.
Nach einer knappen Einleitung (S. 1–10) ist der Hauptteil ihres Buches in sechs Kapitel gegliedert: Zunächst untersucht Hug den Stellenwert von Ehe und Kindern in der römischen Gesellschaft (S. 11–51). Die folgenden Kapitel widmen sich der spezifisch weiblich vergeschlechtlichten Aufladung des Begriffs fecunditas (S. 52–82) und der Frage, wer fecunditas wann wie nutzen konnte (S. 83–111). Auf den Umgang mit ungewollter Kinderlosigkeit blickt das vierte Kapitel (S. 112–138). Dem folgen ausführliche Untersuchungen der Bedeutung der fecunditas für den Staat (S. 139–188) sowie für das Kaiserhaus (S. 189–241). Jedes Kapitel des Hauptteils endet mit einem kurzen Resümee. Eine Zusammenfassung aller Ergebnisse (S. 242–248) schließt den Textteil des Werks ab. Anhängig findet sich eine nützliche Sammlung lateinischer Inschriften zum Gedenken an schwanger oder bei Geburt gestorbener Frauen (S. 249–254). An die Bibliographie (S. 255–296) reihen sich Quellen- (S. 297–300) und allgemeiner Index (S. 301–315).
Im ersten Kapitel zeigt Hug überzeugend auf, dass römische Ehen besonders auf die Förderung schnellen und häufigen Gebärens ausgelegt waren. Für männliche Angehörige der römischen Elite sei es sehr unwahrscheinlich gewesen, zeitlebens ehe- und kinderlos zu bleiben, für ihre weiblichen Pendants sei dies quasi ausgeschlossen gewesen. Von einem sehr jungen Alter bis zur Menopause wurde durchgehend Kindergebären erwartet. Breite Diskussion über Verhütung, Abtreibung und Säuglingsmord überdecke den Fakt, dass die meisten Familien sich um zu wenig Kinder, nicht zu viele sorgten. Wie Hug herausarbeitet, war die geringe Selbsterhaltungsrate der römischen Eliten im 1. Jhd. v. Chr. nicht individuellen Lebensentscheidungen, sondern hoher Sterblichkeit und den Folgen der Bürgerkriege und Proskriptionen geschuldet. Entsprechend liege der in den Quellen aufscheinenden Kritik an Abtreibung Angst vor weiblicher Kontrolle über die Fortpflanzung, nicht ein substantielles gesellschaftliches Phänomen zugrunde. Zu Mitteln wie Abtreibung oder Säuglingsmord habe man nicht zur Regulierung der Familiengröße gegriffen, sondern wegen vermuteter Kuckuckskinder.
Zwar kannten antike Medizinschriftsteller Unfruchtbarkeitsgründe über die weibliche Physiologie hinaus – gelegentlich wurden diese auch breiter rezipiert (bspw. Plinius d. Ältere) –, im Allgemeinen aber sah die römische Gesellschaft stets die weibliche Eheperson in der Fortpflanzungsverantwortung. Im zweiten Kapitel widmet sich Hug der Ambiguität der fecunditas. Diese zeige sich bspw. an Mehrfachgeburten, die je nachdem, ob Mutter und Kinder überlebten, gute oder böse Omen sein konnten. Auch arbeitet die Autorin heraus, dass das römische Verständnis von fecunditas weit über andere Verständnisse von Fruchtbarkeit/Gebärfähigkeit hinausging: Im Grunde habe die fecunditas einer Römerin erst dann nicht mehr kritisiert werden können, wenn all ihre Kinder nach einem langen und den gesellschaftlichen Normen entsprechenden Leben gestorben waren.
Die Bedeutung der fecunditas einer römischen Frau für das soziale (und gegebenenfalls politische) Kapital ihres Mannes stellt Hug im dritten Kapitel an inschriftlichen Beispielen dar. Häufig wird nicht nur die Verstorbene, sondern vor allem der Verlust ihrer zukünftigen fecunditas betrauert. Reziproke Mechanismen der mores konnten Frauen, die ihre fecunditas nachgewiesen hatten, einigermaßen eheliche Sicherheit erwarten lassen. Bei belegter fecunditas wurde eine vom Mann forcierte Scheidung als unpassend empfunden. Da diese soziale Erwartung aber nicht gesetzliches Recht war, hing diese Sicherheit davon ab, fecunditas stets zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und im richtigen Ausmaß zu demonstrieren.
Das vierte Kapitel widmet sich ausgebliebener fecunditas und ihren Folgen. Mit Ausnahme von erwiesener Impotenz lag die Verantwortung für ungewollte Kinderlosigkeit bei der Frau und konnte Scheidungsgrund sein. Eine solche Scheidung brachte Frauen in äußerst prekäre Situationen – so weist Hug bspw. auf Quint. decl. 330 hin, wo Hungertod als mögliche Folge impliziert wird –, war aber sozial nur in bestimmten Fällen (und bspw. nach fünfjähriger Erfolglosigkeit) tragbar. Hauptprobleme nicht bestätigter fecunditas waren das ausbleibende soziale Kapital leiblicher Kinder, die fehlenden reziproken Erwartungen der Eheleute bei nachgewiesener fecunditas und das Enttäuschen gesellschaftlicher Erwartungen, das gerade in der Kaiserzeit auch politische und gesetzliche Folgen zeitigte. Hug legt ausführlich dar, weshalb Adoptivkinder, alumni und vernae keine umfassende Alternative zu leiblich-ehelichen Kindern gewesen seien. Ihrer Argumentation ist weitgehend zu folgen. Nichtleiblich-eheliche Kinder haben selbst nomen, pecunia und sacra zu betreuen. Leider erwähnt sie nicht, dass zumindest munizipale Eliten über dergleichen hinweggesehen zu haben scheinen, wenn die Hoffnung auf transgenerationale Wiedererlangung des eigenen sozialen und symbolischen Kapitals bestand.1 Der Rezensent hätte sich mit Blick auf diese Evidenz ausführlichere Überlegungen zu diesen Alternativen ungewollter Kinderlosigkeit gewünscht. Der schlüssigen Argumentation Hugs tut dies freilich keinen Abbruch.
Der papyrologisch nachweisbare Niederschlag des ius liberorum als wirklichem Statusmarker, insbesondere nach 212 n. Chr., ist das herausragendste Desiderat des fünften Kapitels. Die gesellschaftliche Verknüpfung individueller fecunditas mit der Gesundheit der römischen Bürgerschaft sorgte für enormes politisches Kapital, das aus der Förderung der fecunditas zu gewinnen war. Augustus war auf diesem Feld nicht der erste – Hug verweist auf die Zensur des Camillus –, aber er beschritt durch die Sanktionierung der Kinderlosigkeit neue Wege. Insoweit zielten weder die augusteischen Gesetze noch die alimenta späterer Kaiser auf die tatsächliche demographische Wirkung, vielmehr schöpfte man politischen Kredit daraus.
Der besonderen Rolle der fecunditas für Frauen der domus Augusta widmet sich das sechste Kapitel. Das Setzen dynastischer Erbfolgeregelungen durch Augustus machte fecunditas zu einer Schlüsseltugend kaiserhäuslicher Frauen. Zahl und Geschlecht der Nachkommenschaft war für Stabilität und Machtposition ihrer ganzen Dynastie entscheidend, selbst am Hof der Adoptivkaiser blieb die fecunditas wichtig. Im Unterschied zu Frauen der breiteren Elite konnte ihre fecunditas Frauen der domus Augusta jedoch nicht nur nicht vor Scheidung schützen, sondern je nach politischer Großwetterlage lebensgefährlich werden.
Die Argumentation Hugs ist insgesamt sehr schlüssig. Das Werk bietet einen lesenswerten neuen Einblick in die Mechanismen der römischen Gesellschaft auf einem grundlegenden Feld. Es ist durch die Indices und die kapitelbeschließenden Zwischenzusammenfassungen sehr nutzungsfreundlich. Etwas unverständlich ist dem Rezensenten das Fehlen originalsprachlicher Texte und diakritischer Zeichen bei den Inschriften des sonst sehr lobenswerten Anhangs. Nicht nur für geschlechtergeschichtlich, sondern auch für an den Grundstrukturen römischer Gesellschaft Interessierte ist Hugs Werk lehrreich.
Anmerkung:
1 Vgl. die Interpretation des Grabsteins AE 2008, 535 aus Mutina bei: Lindsey Vandevoorde, The Family and the Imperial City. A Note on the Tomb of Vetilia Egloge, in: Mnemosyne. A Journal of Classical Studies 70 (2017), S. 820–833.