Manuela Rienks beginnt ihre Arbeit mit einer Szene, die wohl viele kennen: dem Einkauf im Kaufmannsladen im heimischen Kinderzimmer. So ungewöhnlich dieser Einstieg ist, so erhellend erweist er sich zugleich, wird hier doch eine Szene nachgestellt, die es so in der heutigen Lebenswelt nicht mehr gibt: Die Ware ist ordentlich in Regalen einsortiert, die kleinen „Verkäufer“ oder „Verkäuferinnen“ befinden sich hinter einem Tresen und stellen die gewünschten Artikel zusammen. Der Bezahlvorgang an der Kasse erfolgt nicht selten noch mit barem Spielgeld. In ihrer überzeugenden Studie zeichnet Manuela Rienks den Wandel dieser Arbeitswelt der Verkäuferinnen von den 1950er- bis in die 1990er-Jahre nach. Neben den von ihr dargestellten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und dem gesellschaftlichen Kontext rückt sie vor allem das konkrete alltägliche Tun, die Arbeitspraktiken der Verkäuferinnen in den Mittelpunkt. Diese Praktiken fanden hauptsächlich im Verkaufsraum oder an der Kasse während der Arbeitszeit statt. Rienks nimmt daher diese Räume genauer in den Blick und untersucht darüber hinaus die Arbeitszeitgestaltung.
Das Gros des Verkaufspersonals war weiblich, und insofern ist das Ziel der Autorin naheliegend, eine „geschlechtergeschichtlich inspirierte Zeitgeschichte der Arbeit“ (S. 12) vorzulegen, die auf die Ungleichheiten fokussiert. Im Mittelpunkt stehen der Lebensmittel- und der Textileinzelhandel, da hier über die Hälfte aller Verkäuferinnen beschäftigt waren. Geografisch konzentriert sich Rienks auf die Bundesrepublik und legt ausgehend von den Quellen einen Schwerpunkt auf sechs Betriebe als Fallbeispiele, unter anderem die Textilkaufhäuser von C & A oder die frühere Lebensmittelkette Latscha. Deren Archivbestände enthalten neben dem Schriftgut zwischen der Zentrale und den einzelnen Läden, den Personalstatistiken, Mitarbeiterzeitschriften auch Fotografien, die Verkaufssituationen zeigen, und Grundrisse der Geschäfte. Gerade aus letzteren beiden Quellengattungen zieht die Autorin Hinweise auf Arbeitspraktiken in den Verkaufsräumen.
Die Arbeit gliedert sich in vier große Abschnitte. Im ersten thematischen Kapitel beschäftigt sich die Autorin mit der Sozialfigur der Verkäuferin und behandelt darunter die heterogenen Aspekte der sozialwissenschaftlichen Forschung seit den 1980er-Jahren, die gewerkschaftliche Organisation, Vorstellungen von der „perfekten Verkäuferin“ aus Sicht der Arbeitgeber und deren Gehalt. Verbindendes Moment des Kapitels ist die schlüssig herausgearbeitete geschlechtsbedingte Benachteiligung von Verkäuferinnen. Gewerkschaften hatten hier einen blinden Fleck und waren selbst von frauendiskriminierenden Strukturen geprägt. Die schwache gewerkschaftliche Organisation war auch einer der Gründe, warum weibliche Verkäuferinnen zumindest zu Beginn des Untersuchungszeitraums durchweg schlechter bezahlt wurden als ihre männlichen Kollegen, die vergleichbare Tätigkeiten ausführten. Die Arbeitgeber forderten von ihren Angestellten, dass diese Eigenschaften für die Arbeit mitbringen sollten, die sich als weiblich konnotiert verstehen lassen. Hierzu zählten unter anderem stetige Dienstbereitschaft, Freundlichkeit, ein adrettes Erscheinungsbild und gepflegtes Äußeres. Die diesen Anforderungen zugrundeliegenden Machtstrukturen bedingten auch, dass Verkäuferinnen sich wiederholt sexuellen Übergriffen durch Vorgesetzte oder Kunden erwehren mussten.
Im zweiten thematischen Kapitel stehen die sozialen Strukturen der Arbeit im Vordergrund. Neben der betrieblichen Sozialstruktur fasst die Autorin hierunter auch die kollegialen Beziehungen und die Beziehungen zur Kundschaft. Bereits in der Ausbildung und in späteren Weiterbildungsmaßnahmen manifestierte sich eine geschlechterspezifische Differenzierung der Arbeitsbereiche, die Frauen auf die Rolle der Verkäuferin und Kassiererin festlegte. Zu dieser vertikalen Segregation kam eine horizontale hinzu: Für Frauen war fast immer die höchste Stufe der Karriereleiter im Einzelhandel die der Filialleitung. Höhere Positionen blieben in den meisten Fällen von vornherein nur den Männern vorbehalten. Karriere konnten Frauen im Einzelhandel auch deswegen nicht machen, weil sie über ihre Arbeit hinaus für die familiäre Care-Arbeit zuständig waren und oftmals in Teilzeit arbeiteten. Trotz zahlreicher Hürden und prekärer Arbeitsbedingungen, so Rienks‘ überzeugende These, verblieben viele Frauen wegen positiver kollegialer Beziehungen und der Nähe zur Kundschaft in ihren Arbeitsstellen.
Während in den ersten Kapiteln stärker die Rahmenbedingungen abgesteckt wurden, rücken in den beiden folgenden Kapiteln die konkreten Praktiken in den Mittelpunkt. Für den Verkaufsraum war die Einführung der Selbstbedienung von zentraler Bedeutung. Ladentheken wichen frei zugänglichen Regalen und Verkaufsständern. Damit verschwand die räumliche Trennung zwischen Verkäuferinnen und Kunden, und die Rollen der Verkäuferinnen veränderten sich grundlegend. Sie verloren ihre Expertenfunktion und Beraterrolle und waren mehr und nahezu allein für das Einräumen und Nachfüllen der Waren sowie das Kassieren zuständig. Der Lebensmitteleinzelhandel ging bei dieser Entwicklung voran, spätestens in den 1970er-Jahren zog auch der Textilhandel nach. Mit der Einführung EDV-gestützter Kassen- und Warenwirtschaftssysteme veränderte sich die Arbeit nochmals. Während zuvor das Verkaufspersonal oftmals auch für die Verwaltung der Waren zuständig war, übernahmen dies nun computerisierte Systeme, die zumeist von Männern bedient wurden. Für die Verkäuferinnen ging mit dieser Veränderung ein (weiteres) Sinken ihres Status einher.
Im abschließenden vierten thematischen Abschnitt geht es zentral um die Arbeitszeit, die geprägt war von der allgemeinen Arbeitszeitverkürzung, der Zunahme von Teilzeitarbeit und von den Ladenschlusszeiten. Bei allen Entwicklungen und Debatten, so die zentrale These von Manuela Rienks in diesem Kapitel, spielten die Interessen der Verkäuferinnen nur eine untergeordnete Rolle. Die verkürzte Arbeitszeit führte zu einer Verdichtung der Arbeit. Die in Teilzeit arbeitenden Frauen konnten zwar Familie und Beruf vereinbaren, waren aber bei der sozialen Absicherung, bei Qualifizierungsmaßnahmen und damit bei den Aufstiegsmöglichkeiten benachteiligt. Zudem standen bei den Debatten um eine Ausweitung der Ladenschlusszeiten vor allem konsumorientierte Argumente im Mittelpunkt, nicht die Arbeitszeit der Verkäuferinnen.
Resümierend betrachtet Manuela Rienks die Veränderungen der Arbeitswelten der Verkäuferinnen in dem von ihr untersuchten Zeitraum als die Geschichte „einer Marginalisierung“ (S. 478). Diesen Prozess der Marginalisierung unterteilt sie abschließend in vier Phasen, wobei diese Einteilung nicht unproblematisch ist, da sich die Phasen zum Teil nur schwer voneinander scheiden lassen und zudem für den Lebensmittelbereich und den Textilhandel auch nicht immer gleich verliefen. Die Schwierigkeit der Einteilung in Phasen zeugt davon, dass die Entwicklung eher eine stetige war, die vor allem durch drei Dinge beeinflusst wurde: die Einführung der Selbstbedienung, die veränderten Arbeitszeiten (insbesondere Teilzeitarbeit) und die zunehmende Computerisierung. Sehr überzeugend gelingt das abschließende Herausarbeiten, wie geschlechtsbedingte Ungleichheit über statusniedrige, schlecht bezahlte weibliche Arbeit und statushöhere, besser bezahlte männliche Tätigkeiten (bis heute) hergestellt wird (Stichwort Gender Pay Gap) und sich auch auf der Ebene der Mikrostrukturen in den Betrieben beobachten lässt.
Der Großteil zeitgeschichtlicher Studien zur Arbeitswelt richtete den Fokus vor allem auf männliche Industriearbeiter in Normalarbeitsverhältnissen, auch wenn in den letzten Jahren Bewegung in die Forschungslandschaft gekommen ist. Zu dieser Bewegung trägt Manuela Rienks mit ihrer Studie erheblich bei. Trotz der rundweg überzeugenden Arbeit lassen sich kleinere Monita anbringen. So wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Informationen zu den untersuchten Unternehmen vorab gebündelt dargelegt worden wären und nicht erst verstreut in den späteren Kapiteln. An der einen oder anderen Stelle geht auch die Stringenz der Argumentation verloren. Dies ändert aber nichts daran, dass es der Autorin gelungen ist, eine schlüssige und aufschlussreiche Grundlagenstudie zum Thema vorzulegen, die zumindest für das Thema „Verkäuferinnen“ eine lange bestehende Forschungslücke zu schließen vermag.