Cover
Titel
Museen und Restitution. Postkoloniale Rückgabeforderungen in Westdeutschland seit 1973


Autor(en)
Strugalla, Anna Valeska
Reihe
Histoire
Anzahl Seiten
324 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Gollasch, Fachbereich Geschichte, Universität Hamburg

Das Buch stellt die überarbeitete Version von Anna Valeska Strugallas Doktorarbeit dar, die 2022 an der Universität Tübingen angenommen wurde. Wie der Titel bereits ankündigt, begibt sich die Historikerin auf eines der aktuell am stärksten umkämpften Felder der Geschichts- und Kulturwissenschaften.1 Strugalla knüpft an Bénédicte Savoys Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“ von 2021 an, worin die Kunsthistorikerin die Restitutionsdebatte der 1970er- und 1980er-Jahre als „postkoloniale Niederlage“ für Afrika deutet und dafür maßgeblich die europäischen Museumsdirektoren verantwortlich macht.2 Hier setzt Strugalla einen ersten Kritikpunkt an, indem sie hervorhebt, dass Savoy nur „das Handeln männlich gelesener Museumsdirektoren“ (S. 29) verfolgt hat. In „Museen und Restitution“ spielen daher auch Frauen in verantwortlichen Positionen zentrale Rollen (beispielsweise die Ethnologin Johanna Agthe oder auch die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Hildegard Hamm-Brücher, die allerdings bei Savoy ebenfalls prominent vorkommt).

Dass Savoy aus Strugallas Sicht keine „systematische Analyse der Aktenzusammenhänge“, keine „Einordnung der Debatte als Gegenstand westdeutscher Auswärtiger Politik“ sowie keine Untersuchung „museumsfachlicher Diskurse“ (S. 29) vorgenommen hat, ist ein weiterer Grund für die Historikerin, hier tiefer einzusteigen. Sie will „das Handeln der Akteur*innen in unterschiedlichen, sich wechselseitig beeinflussenden Aushandlungsräumen“ verfolgen und „Verbindungen zu regionalen, nationalen und internationalen kulturpolitischen Entwicklungen und zu museumsethnologischen Debatten in der Bundesrepublik [herstellen]“ (ebd.). Zwei Leitfragen dienen dabei als Orientierung: „Weshalb führten die postkolonialen Restitutionsforderungen der 1970er und 1980er Jahre in Westdeutschland nach einer über zehnjährigen Aushandlung nicht zu konkreten Ergebnissen?“ und „In welchem Maße und auf welche Weise nahmen Museumsfachleute Einfluss auf die Entwicklung der damaligen Aushandlung?“ (S. 40f.)

Theoretisch und analytisch orientiert sich Strugalla – neben den fast schon obligatorischen Verweisen auf die Postcolonial Studies und die kritische Museumstheorie (S. 32–35) – am sogenannten Arenenmodell, welches von dem Kommunikationswissenschaftler Ansgar Zerfaß etabliert und weiterentwickelt wurde (S. 35). Demnach existieren in einer Gesellschaft unterschiedliche „speziell definierte Foren der Kommunikation“, in denen Akteur:innen bestimmte Themen aushandeln, „um die eigenen Ziele zu erreichen“ (S. 35f.). In Bezug auf die Restitutionsfrage der 1970er-Jahre identifiziert Strugalla vier verschiedene Arenen (die museumsfachliche, die ministerialbürokratische, die kulturdiplomatische sowie die mediale Arena; S. 36f.), die in den Kapiteln als analytischer Rahmen immer wieder auftauchen und nachvollziehbar sind. Gegliedert ist die Arbeit in drei Hauptteile, die wiederum thematisch in sechs Kapitel aufgeteilt sind. Die Kapitel eins, vier und fünf enthalten zudem insgesamt sechs Fallstudien zu einschlägigen Rückgabeforderungen.

Nach der Einleitung steigt Strugalla mit dem ersten Hauptteil „Rückgabeforderungen im Museum“ in die museumsfachliche Arena ein. Zentraler Akteur ist hier der Direktor des Stuttgarter Völkerkundemuseums Friedrich Kußmaul (Amtszeit 1971–1986), der sich mit zwei Rückgabegesuchen aus Nigeria und Tansania (Fallstudien I und II) konfrontiert sah und diese grundsätzlich ablehnte. Die Binnenlogiken der Museen und die Eigeninitiative Kußmauls, der sowohl in Richtung der fordernden Staaten als auch im Hinblick auf das Auswärtige Amt als offensiver, eigenwilliger Akteur auftrat, werden hier anschaulich dargestellt. Dieses Kapitel dient als Auftakt für die weitere Erzählung.

Mit dem zweiten Hauptteil „Die internationale Restitutionspolitik als Problem (1973–1978)“ widmet sich Strugalla ausführlich den Ereignissen um die UN-Generalkonferenz von 1973, an deren Ende eine Resolution stand, die die globale Restitutionsdebatte erst richtig ins Rollen brachte. Hier eröffnet die Autorin die ministerialbürokratische Arena, da sich nun auch das Auswärtige Amt in die Diskussion einschaltete und zur Restitutionsfrage Stellung beziehen musste. Eindrücklich belegt Strugalla, wie sich die Museumsakteure zwischen der museumsfachlichen und der ministerialbürokratischen Arena hin und her bewegten und ihren Einfluss auf den Beamtenapparat auszuweiten versuchten. Überaus spannend liest sich das Kapitel zu Herbert Ganslmayr (S. 109–131), der als Direktor des Übersee-Museums in Bremen (1975–1991) eine dezidiert rückgabefreundliche Haltung einnahm und als „Einzelkämpfer“ (S. 109) galt. Zwischen 1976 und 1978 wurde die Restitutionsdebatte zudem ausgiebig in der medialen Arena verhandelt (S. 146). Dass die Ölkrise 1979 (wirtschaftliche Schwächung des Globalen Südens), die Gründung eines Zwischenstaatlichen Komitees der UNESCO zur Lösung von Rückgabeforderungen (komplizierte und teure Verfahren) sowie eine bewusste Zurückhaltung der Museumsleute die Restitutionsdebatte in der Bundesrepublik ab 1980 fast zum Erliegen brachten, ist hier die zentrale Erkenntnis. Eine gescheiterte Rückgabeforderung aus Sri Lanka (Fallstudie III) rundet das zweite Hauptkapitel ab.

Der dritte Hauptteil „Rückführungen als diplomatisches Mittel (1978–1982)“ zeichnet einen erneuten Wechsel der Arenen nach. Unter den Schlagworten New Museology (S. 177–184) und „Museumshilfe“ (u.a. S. 186) veränderten sich die Vorzeichen im Umgang der Museen mit Rückgabeforderungen aus dem Globalen Süden (hierzu Fallstudien IV, V und VI). Strugalla spricht jetzt von der kulturdiplomatischen Arena. Mit Eike Haberland, dem Direktor des Frankfurter Frobenius-Instituts (1968–1992), bekam die deutsche UNESCO-Kommission einen gemäßigten Delegierten, der zwischen den beiden Extrempositionen Kußmauls und Ganslmayrs stand (S. 199–201). Auch die sozialliberale Bundesregierung veränderte unter der Bezeichnung „Auswärtige Kulturpolitik“ (S. 208) ihren Fokus hin zu mehr Kooperation, Dialog und Entwicklungshilfe statt dezidierten Rückgaben. Zentrale Figur war die eingangs schon genannte Staatsministerin Hildegard Hamm-Brücher (u.a. S. 222f.). Zum Abschluss des Kapitels analysiert Strugalla die Gründe für das vorläufige Ende der Restitutionsdebatte in der Bundesrepublik nach 1982. Dazu gehörten unter anderem der Bruch der sozialliberalen Regierung, das Ausscheiden der involvierten Museumsleute aus ihren Ämtern sowie der sich verschärfende Ost-West-Konflikt mit dem daraus resultierenden Bedeutungsverlust der UNESCO (S. 254–263).

Es kann als durchaus mutig bezeichnet werden, dass Strugalla in ihrem gesamten Zwischenfazit (S. 264–267) erneut und sehr explizit Savoys These einer „postkolonialen Niederlage“ widerspricht, nach der es ausschließlich die „Museumsfachleute und Ministerialbürokrat*innen“ gewesen seien, die die Restitutionsdebatte mit „gezielten Lügen“ abgewehrt hätten (S. 264f.). Strugalla zufolge ebbte die Debatte vor allem durch die oben genannten Gründe ab, wobei die „Entwicklung der deutschen Restitutionsfrage seit 1982 […] kein Bruch [war], sondern vielmehr eine Rezession in einem Aushandlungsprozess, der weiter fortgeschrieben wurde“ (S. 267, dortige Hervorhebung). Auf den ersten Blick scheint diese wiederholte Abgrenzung von Savoy etwas gewagt, denn die jeweiligen Studien sind vom Zuschnitt her nicht unbedingt zu vergleichen. Zwar entstanden beide im selben Zeitraum, behandeln nahezu die gleiche Thematik und weisen sogar bei den Akteur:innen (Kußmaul, Ganslmayr, Haberland, Hamm-Brücher, Zwernemann) eine überaus große Kongruenz auf, doch adressiert eine klar umrissene und tiefgehende Dissertation ein anderes Zielpublikum als das Sachbuch einer renommierten Kunsthistorikerin, die auch vor provokanten, öffentlichkeitswirksamen Thesen nicht zurückschreckt.

Strugallas Fazit ist insgesamt nachvollziehbar. Der Begriff der Niederlage ist stark deutungs- und standpunktabhängig. Daher ist es gerechtfertigt, wenn die Autorin mittels einer quellenbasierten und differenzierten Recherche zu einer anderen Bewertung kommt als Savoy. Vor allem der Annahme, dass eine Niederlage einen „dezidierten Schlusspunkt der Debatte oder einen nachhaltigen Erfolg der Restitutionsgegner*innen“ (S. 265) bedeute, stimmt Strugalla nicht zu. Verweise auf innenpolitische Entwicklungen in den Herkunftsstaaten und die Kontinuität von Rückgabeforderungen aus dem Globalen Süden in den 1980er- und 1990er-Jahren belegen aus ihrer Sicht, dass die „Restitutionsfrage nicht als abgeschlossenes Phänomen der 1970er und 1980er Jahre verstanden werden kann“ (S. 267, dortige Hervorhebung).

Alles in allem lässt sich sagen, dass Strugalla mit „Museen und Restitution“ ein gelungenes, gut recherchiertes Buch vorgelegt hat. Die Stärke der Arbeit liegt in der methodischen Konzeption mit dem Arenenmodell und dem Fokus auf bestimmte Akteur:innen aus Museen und Politik. Die sinnvolle Beschränkung auf einige westdeutsche Völkerkundemuseen in Kombination mit einem Untersuchungszeitraum, der zwei Jahrzehnte nicht überschreitet, ermöglicht es der Autorin einerseits, gründlich in die Quellen aus den Archivbeständen der einschlägigen Museen und Institutionen, des Bundesarchivs, des Auswärtigen Amts, der UNESCO sowie einiger Oral-History-Ansätze (u.a. S. 261–263) einzusteigen und eine konzise Analyse abzuliefern. Andererseits erleichtert es dieser Zuschnitt den Leser:innen, dem Argumentationsgang auf den 283 Textseiten aufmerksam zu folgen.

Das Buch ordnet sich in eine Reihe jüngst erschienener bzw. noch erscheinender Arbeiten zur aktuellen Restitutionsdebatte und zum kolonialen Erbe ein. Es liefert einen wichtigen Baustein im Verstehen der jüngeren Geschichte der deutschen Völkerkundemuseen sowie auch der Rolle der Ministerialbürokratie.3 Angesichts der aktuellen Ereignisse in Deutschland mit einer drohenden „Rolle rückwärts“ in der Kultur- und Erinnerungspolitik wird die Studie „Museen und Restitution“ zu einer Art geschichtswissenschaftlicher Mahnung an alle, die bisher davon ausgegangen waren, dass sich die gegenwärtige Restitutionsdebatte mit weiteren Rückgaben fortsetzen würde.4 All jenen sei Anna Valeska Strugallas Buch besonders empfohlen.

Anmerkungen:
1 Stellvertretend für die Debatte vgl. Thomas Sandkühler / Angelika Epple / Jürgen Zimmerer (Hrsg.), Geschichtskultur durch Restitution? Ein Kunst-Historikerstreit, Wien 2021; rezensiert von Felix Hinz, in: H-Soz-Kult, 26.08.2021, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29451 (18.12.2024).
2 Bénédicte Savoy, Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage, München 2021.
3 Vgl. z.B. Carlos Alberto Haas u.a. (Hrsg.), Das Auswärtige Amt und die Kolonien. Geschichte, Erinnerung, Erbe, München 2024, darin besonders der Beitrag von Lars Lehmann, „... größte Zurückhaltung geboten“ – Das Auswärtige Amt in den Restitutionsdebatten der 1970er und 1980er Jahre, S. 365–384. Siehe zu diesem Band die Rezension von Pauline Puppel, in: H-Soz-Kult, 28.11.2024, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-144753 (18.12.2024).
4 Eingeordnet in einen größeren, aktuellen Kontext bei Jürgen Zimmerer, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Erinnerungskämpfe. Neues deutsches Geschichtsbewusstsein, Ditzingen 2023, S. 8–31.