H. von Thiessen u.a. (Hrsg.): Akteure der Außenbeziehungen

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Titel
Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel


Herausgeber
von Thiessen, Hillard; Windler; Christian
Reihe
Externa 1
Erschienen
Köln 2010: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
546 S.
Preis
€ 74,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Peter Burschel, Historisches Institut, Universität Rostock

Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die im März 2008 an der Universität Bern stattfand. Er umfasst eine Einleitung und 25 Beiträge sowie eine Auswahlbibliographie und ein Personenregister. Der Band eröffnet die Reihe „Externa“, die sich in ihrem Untertitel programmatisch als „Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven“ präsentiert.1

Ausgangspunkt des Bandes sind vier Thesen, die, so die Herausgeber nachdrücklich, vor allem jüngeren Forschungen zur politischen Kulturgeschichte verpflichtet sind: Die Herausgeber gehen erstens davon aus, dass es keine überzeitlichen Gesetze außenpolitischen Agierens gibt – und erteilen damit auch Versuchen einer anthropologisch begründeten diplomatischen Verhaltenslehre eine Absage. Sie sind zweitens davon überzeugt, dass es wenig sinnvoll ist, kollektive Akteure wie individuelle in Szene zu setzen und dabei vorzugsweise autonom handeln zu lassen. Sie betonen drittens, dass viel dafür spricht, die immer noch deutungsmächtige Auffassung zu verabschieden, Außenpolitik sei im Laufe der frühen Neuzeit zu einem sorgfältig abgeschirmten Arkanum im sozialen Niemandsland geworden. Und sie warnen schließlich viertens davor, Außenpolitik als exklusiv staatliche Veranstaltung zu verstehen, was sie selbst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht gewesen sei.

Vor diesem Hintergrund plädieren die Herausgeber für eine historische Untersuchung von Außenbeziehungen aus einer Perspektive, die sie „akteurszentriert“ nennen und damit „das Handeln von Personen und sozialen Gruppen in grenzüberschreitenden Beziehungen“ meinen: „und zwar sowohl von Akteuren, die als Amtsträger ihrem Staatswesen oder Fürsten dienen, als auch von Angehörigen nichtstaatlicher Netzwerke wie Händlern, Ordensmitgliedern, Missionaren oder Mitgliedern grenzüberschreitend verflochtener Familienverbände.“ (S. 5f.) Gleichzeitig ordnen sie die Beiträge des Bandes fünf Untersuchungsfeldern zu, deren gemeinsamer methodischer Fluchtpunkt die Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster personaler Akteurinnen und Akteure sind: „Verflechtung und personale Netzwerke“ (mit sechs Beiträgen), „Theorie und Praxis der Diplomatie“ (mit fünf Beiträgen), „Gender“ (mit vier Beiträgen), „Interkulturalität“ (mit fünf Beiträgen) sowie „Sattelzeiten der Diplomatie“ (mit abschließend nochmals fünf Beiträgen).

Um es bereits an dieser Stelle zu sagen: Es ist den Herausgebern gelungen, Beiträge zu versammeln, die den Band nicht nur zu einer kritischen Bestandsaufnahme machen, sondern darüber hinaus zu einem perspektivreichen Kompendium außenpolitischen Agierens vom späten Mittelalter bis zum Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ in mikrohistorischer Absicht. Hinzuweisen ist dabei vor allem auf die produktive Weiterentwicklung des Verflechtungskonzepts Freiburger Provenienz, die sich nebenbei bemerkt keineswegs auf das Kapitel „Verflechtung und personale Netzwerke“ beschränkt2; aber auch auf die Versuche, das Verhältnis von „Theorie und Praxis der Diplomatie“ über jüngere Ansätze der historischen Emotions-, Wissens- und Governanceforschung neu zu justieren. Hinzuweisen ist dabei nicht zuletzt auch auf jene Beiträge, die nach der Bedeutung geschlechtergeschichtlicher Ansätze für die Untersuchung von Außenbeziehungen fragen; oder auf jene, die Diplomatie als Kulturkontakt verstehen und deshalb auch den „intercultural cameleons“ Aufmerksamkeit schenken, jenen interkulturellen Brokern, ohne die eine transkulturelle Dekodierung von politischen bzw. diplomatischen Signalen nicht nur in der frühen Neuzeit kaum möglich gewesen wäre: von den nordamerikanischen „coureurs des bois“ bis zu den osmanischen Dragomanen.3
Gewiss, wer auf Akteure setzt und das auch noch mikrohistorisch, läuft immer Gefahr, in die „historistische Falle“ zu tappen. Und in der Tat sind nicht alle Beiträge frei davon und wollen es vielleicht auch gar nicht sein. Irritierender ist da schon das weitgehende Fehlen jüngerer Ansätze der deutschen und internationalen Selbstzeugnisforschung. Auch die allzu europäisch geratene Ausrichtung des Bandes erstaunt. Selbst dort, wo über Europa hinausgeblickt wird, bleibt es doch zumeist „Geber“: politisch, diplomatisch, zeremoniell. Das mag in vielen Fällen seine Berechtigung haben, in allen sicher nicht.4

Doch wie auch immer, solche Kritik verweist im Grunde nur auf die Weite des Feldes, das der vorliegende Band vermisst – und das er dabei als kulturanthropologisches Terrain par excellence ausweist.

Anmerkungen
1 Inzwischen ist bereits der zweite Band der Reihe erschienen: Eva Kathrin Dade, Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie, Köln 2010.
2 Vgl. dazu auch: Hillard Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit, Berlin 2005; sowie: Dorothea Nolde / Claudia Opitz (Hrsg.), Grenzüberschreitende Familienbeziehungen. Akteure und Medien des Kulturtransfers in der Frühen Neuzeit, Köln 2008.
3 In diesem Sinne bereits Simon Schaffer u.a. (Hrsg.), The Brokered World. Go-Betweens and Global Intelligence, 1770-1820, Sagamore Beach, MA 2009.
4 Beispiele dafür finden sich z.B. in Ralph Kauz / Giorgio Rota / Jan Paul Niederkorn (Hrsg.), Diplomatisches Zeremoniell in Europa und im Mittleren Osten in der Frühen Neuzeit, Wien 2009.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/