Maier, Robert (Hrsg.): Akustisches Gedächtnis und Zweiter Weltkrieg. Mit einem Vorwort von Aleida Assmann. Göttingen 2011 : V&R unipress, ISBN 978-3-89971-585-9 233 S., 25 Abb. € 31,90

: Sonic Warfare. Sound, Affect, and the Ecology of Fear. Cambridge 2010 : The MIT Press, ISBN 978-0-262-01347-5 XX, 270 S. $ 35.00 / £ 25.95 / € 24,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Morat, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

„schtzngrmm / schtzngrmm / t-t-t-t / t-t-t-t / grrrmmmmm / t-t-t-t / s--------c--------h / tzngrmm / tzngrmm [...]“.1 Was Ernst Jandl in seinem Gedicht „schtzngrmm“ (1957) lautpoetisch festgehalten hat, ist in der Geschichtswissenschaft lange Zeit vernachlässigt worden: dass sich der Krieg auch als akustisches Geschehen in die Wahrnehmung und die Erinnerung seiner Teilnehmer einprägt. Im Zuge einer allgemeinen Hinwendung zur Geschichte der Sinne und besonders des Hörens2 sind in den letzten Jahren erste Arbeiten zur Sinnesgeschichte des Ersten Weltkriegs entstanden.3 Mit der auditiven Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg beschäftigt sich nun ein von Robert Maier herausgegebener Sammelband in der Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung.

Entstanden ist der Band im Rahmen eines an diesem Institut durchgeführten Forschungsprojekts zum akustischen Gedächtnis. Konkret geht er auf eine 2008 gemeinsam mit der Akademie des Staatsdienstes Wolgograd veranstaltete Konferenz in Wolgograd zurück, die sich vor allem mit der Erinnerung an die Schlacht von Stalingrad beschäftigte.4 Dem Entstehungskontext am Georg-Eckert-Institut entsprechend, zielt der Band nicht allein auf die Zusammenführung von auditiver Geschichte und historischer Gedächtnisforschung, sondern auch auf deren Fruchtbarmachung für den Geschichtsunterricht. „Es gilt, den Geschichtsunterricht stärker für die akustische Dimension der Geschichte zu sensibilisieren“, schreibt Robert Maier in der Einleitung (S. 19). Mit dieser Ausrichtung sind der Band und das zugrundeliegende Projekt in mehrfacher Hinsicht innovativ, da die historische Gedächtnisforschung von der Einführung der akustischen Dimension ebenso profitieren kann wie die auditive Geschichte von der Fokussierung auf das akustische Gedächtnis und der Geschichtsunterricht vom Einsatz von Audio-Quellen.5

Eine ganze Reihe von Beiträgen geht auf Zeitzeugeninterviews mit Überlebenden des Krieges zurück, in denen gezielt nach Klangerinnerungen gefragt wurde (Ramona Saavedra Santis, Zaur Gasimov, Tat’jana Voronina und Il’ja Utechin). Daneben finden sich auch der Bericht eines Nachgeborenen über die akustische Tradierung der Kriegserinnerung im Familiengedächtnis (Harry Walter) und die Analyse akustischer Reminiszenzen an den Zweiten Weltkrieg in der russisch-sowjetischen Dichtung (Bahodir Sidikov). Weitere Beiträge befassen sich mit dem Einsatz von Tondokumenten im Geschichtsunterricht (Frank Möller, Jürgen H. Bellinskies) und der künstlerischen Annäherung an das akustische Gedächtnis (Jonas Grawert). Zwei theoretisch orientierte Essays zur „Bedeutung des akustischen Mediums für die sozialwissenschaftliche Forschung und Lehre“ (Stephan Marks) sowie zur „Funktionsstruktur des akustischen Gedächtnisses“ (Rüdiger Ritter) sind den anderen Beiträgen vorangestellt. Etwas aus diesem Rahmen heraus fallen die Beiträge von Takumi Sato über die Memoralisierung des Kriegsendes in Japan, von Yaron Jean über die akustische Erinnerung an den Luftkrieg und von Thomas Jander über die „sprechenden Feldpostbriefe“.

Die zuletzt genannten Beiträge gehören aber gleichzeitig zu den interessantesten des Bandes. Während Takumi Sato in einer Feinanalyse der Erinnerungspolitik in Japan die Bedeutung der Rundfunkrede des Kaisers herausarbeitet, mit der dieser die Kapitulation Japans bekanntgab, geht Yaron Jean der Frage nach, welche Rolle die akustische Erinnerung an den Ersten Weltkrieg für die Wahrnehmung der Luftangriffe während des Zweiten Weltkriegs spielte.6 Thomas Jander behandelt schließlich das bisher kaum untersuchte Medium des „sprechenden Feldpostbriefs“, mit dem Angehörige der Wehrmacht die Möglichkeit erhielten, Tonaufnahmen auf Schallplatte an die Daheimgebliebenen zu senden. In einer mustergültigen Analyse stellt Jander mehrere dieser (zum größten Teil im Berliner Museum für Kommunikation archivierten) Tondokumente mit transkribierten Textpassagen vor und arbeitet die Spezifika dieser Kommunikationsform heraus, auch im Unterschied zu herkömmlichen Feldpostbriefen. Gerade bei diesem Aufsatz hätte man sich allerdings eine begleitende CD (oder eine Website mit Audio-Clips) gewünscht, um die Tondokumente auch anhören zu können. Denn indem Jander bei seiner Darstellung vornehmlich die Transkriptionen verwendet, konzentriert er sich doch hauptsächlich auf den Inhalt der gesprochenen Briefe. Ihre spezifische Medialität und Klanglichkeit, auch in der Verbindung von Sprach- und Musikanteilen, kommt dabei streckenweise zu kurz.

Insgesamt fällt die wechselnde Qualität der Beiträge des Bandes auf. Ihm ist anzumerken, dass sein Gegenstand noch wenig bearbeitet ist; verbindliche Leitbegriffe, Kategorien und Methoden fehlen bisher. Das zeigt sich nicht nur an den unterschiedlichen Herangehensweisen der Autorinnen und Autoren, sondern auch am zum Teil naiven Umgang mit den Zeitzeugnissen. So wird etwa die Annahme, dass das Ohr das Sinnesorgan sei, „das am unmittelbarsten mit den Gefühlen verbunden ist“ (Stephan Marks, S. 23), und dass folglich das akustische Gedächtnis eine höhere „emotionale Unmittelbarkeit“ haben müsse als das visuelle (Rüdiger Ritter, S. 34), als Ausgangshypothese gesetzt, aber nicht wirklich an den Zeitzeugeninterviews herausgearbeitet. Das hindert Jürgen H. Bellinskies allerdings nicht daran, diese Annahme auch auf den Geschichtsunterricht zu übertragen und davon auszugehen, dass das akustische Reenactment eines Bombenangriffs in einem Luftschutzkeller den Schülerinnen und Schülern vergangene „Gefühle und Ängste spürbar machen“ könne und ihnen ein „ganzheitliches Nachempfinden“ ermögliche (S. 219). Über den problematischen Charakter dieser Annahmen hätte sich Bellinskies unter anderem in dem Beitrag von Yaron Jean informieren können, der deutlich macht, wie sich auch die akustischen Erinnerungen gegenseitig überlagern, weshalb wir die gleichen Geräusche heute unweigerlich mit anderen Ohren hören als die historischen Akteure (von der Abwesenheit der realen Todesdrohung in der nachgespielten Bunkersituation ganz zu schweigen). Trotz der theoretisch-methodischen Unterkomplexität einzelner Beiträge bedeutet der Band insgesamt jedoch eine hochwillkommene Ergänzung sowohl der historischen Gedächtnisforschung wie der Beschäftigung mit auditiver Geschichte. Auf die weiteren Ergebnisse des von Robert Maier geleiteten Projekts zum akustischen Gedächtnis darf man gespannt sein.

Eine gänzlich andere Herangehensweise an das Verhältnis von Krieg und Akustik findet sich in der neuen Monografie des englischen Musiktheoretikers und Kulturwissenschaftlers Steve Goodman über „Sonic Warfare“. Überschneidungen zum Sammelband von Robert Maier ergeben sich dort, wo in beiden Büchern der Einsatz akustischer Waffen im Zweiten Weltkrieg thematisiert wird, wie etwa bei den deutschen Stukas oder den akustischen Kriegsattrappen der so genannten Ghost Army.7 Goodman ist allerdings nicht allein an Kriegsgeräuschen interessiert. Unter „sonic warfare“ (was man als „akustische Kriegsführung“ übersetzen könnte) versteht er vielmehr jeden Einsatz von Schall mit der Absicht der gewaltsamen Einwirkung auf andere. Darunter fallen akustische Instrumente der polizeilichen „crowd control“ ebenso wie die Verwendung hochfrequenter Töne zur Vertreibung jugendlicher Gangs vor Supermärkten.8 Vor allem zählen dazu aber auch verschiedene Formen der elektronischen Musik des so genannten Afrofuturismus, die diesem als „sonic weapon in a postcolonial war with Eurocentric culture“ dienen (S. 2).

Es ist dieser „cultural war“ (S. 1) zwischen dem eurozentrischen Mainstream der Popkultur und der Subkultur des Black Atlantic, von dem ausgehend Goodman sein Interesse am „sonic warfare“ entwickelt. Sein Buch ist daher auch keine historische Abhandlung, sondern eine kulturtheoretische Suche nach geeigneten Begriffen und Konzepten für die Analyse der akustischen Kriegsführung im Rahmen dieser Kulturkämpfe, die sich auf einzelne historische Beispiele stützt. Für Historiker ist dabei weniger die Beschreibung dieser Beispiele interessant als vielmehr das Begriffsinstrumentarium, das Goodman entwickelt und das sich auch auf geschichtswissenschaftliche Untersuchungen übertragen ließe.

Während Robert Maiers Sammelband stellenweise untertheoretisiert erscheint, so wirkt Goodmans Abhandlung übertheoretisiert. In längeren Passagen, die hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden können, bezieht sich Goodman auf so unterschiedliche Denker und Theoretiker wie Spinoza, Alfred North Whitehead, Jacques Attali, Friedrich Kittler, Paul Virilio, Gaston Bachelard, Michel Serres, Gilles Deleuze und Félix Guattari, Mike Davis, Brian Massumi und andere. Gemeinsam ist diesen Denkern (in Goodmans Lesart), dass sie nicht nach Essenzialitäten fragen, sondern nach Effekten. Für Spinoza und seine Nachfolger, so Goodman, „the focus shifts from what a body is [...] to its powers – what it can do“ (S. 36). Es gehe daher immer um „the potential of entities to affect und be affected“ (S. 83). Der Schall ist für Goodman gleichsam das universale Medium des Affekts, da er als Schallwelle unweigerlich jeden Körper, auf den er trifft, in Schwingung versetzt und damit affiziert (wenn auch manchmal unmerklich).

Es ist dieser Wechsel der theoretischen Position vom Gefühl (das etwa auch in Robert Maiers Sammelband eine zentrale Stellung einnimmt) zum Affekt, der für die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Verhältnis von Krieg und Akustik, aber auch allgemein mit akustischer Kommunikation fruchtbar sein kann. Fragt man mit dem Gefühl immer nach individuellen Wahrnehmungen und Befindlichkeiten, so verschiebt die Frage nach den „sonic effects“ (S. 45) den Fokus auf die Austauschbeziehungen und Schwingungsverhältnisse zwischen den Körpern und Subjekten, in denen zugleich die Grenzen dieser Subjekte durchlässig werden (weshalb Goodman seinen Ansatz auch als „nonanthropocentric“ beschreibt, S. 95). Es ist daher folgerichtig, dass sich Goodman besonders für den Gebrauch tiefer Frequenzen interessiert – bis hin zum „infrasound“ (S. 18), der vom Menschen nicht mehr wahrgenommen wird, aber sich dennoch auf die körperliche Befindlichkeit auswirkt und besonders dazu geeignet ist, Unwohlsein und Angstgefühle zu erwecken. Denn diese Effekte beruhen nicht auf subjektiver Wahrnehmung, sondern auf körperlicher Schwingung. Goodman spricht in diesem Zusammenhang von „bass materialism“: „bass is not just heard but is felt“ (S. 79). An anderer Stelle spricht er auch von der „visceral perception“ des Schalls (S. 70), also seiner Wahrnehmung mit dem Bauch. Die Analyse der Vibrationseffekte nennt Goodman wiederum „rhythmanalysis“ (S. 85), da Vibration als „microrhythm“ erscheint (S. 113). Diese Rhythmusanalyse ist für Goodman gerade der „rhythmachine“ (S. 116) des Afrofuturismus des frühen 21. Jahrhunderts angemessen, der die Lärmpolitik des italienischen Futurismus des frühen 20. Jahrhunderts durch eine Rhythmuspolitik ersetzt habe.

„[M]an muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!“, schrieb Marx in seiner Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie.9 In Steve Goodmans Begriffen wäre das ebenfalls als „sonic warfare“ zu bezeichnen. Vor allen Dingen kann sein Ansatz aber geeignet sein, das Verhältnis von Krieg und Akustik noch einmal neu zu konzeptualisieren und das von Ernst Jandl lautlich vergegenwärtigte Schlachtfeld als Schallfeld zu fassen, in dem nicht nur die Psyche, sondern auch die Körper der Soldaten in Schwingung versetzt wurden.

Anmerkungen:
1 Ernst Jandl, Laut und Luise, Stuttgart 1976, S. 38. Vgl. Jandls eigene Wiedergabe unter <http://www.youtube.com/watch?v=ixgbtOcEgXg> (15.6.2011).
2 Vgl. dazu Daniel Morat, Sound Studies – Sound Histories. Zur Frage nach dem Klang in der Geschichtswissenschaft und der Geschichte in der Klangwissenschaft, in: kunsttexte.de/Auditive Perspektiven 4 (2010), URL: <http://edoc.hu-berlin.de/kunsttexte/2010-4/morat-daniel-3/PDF/morat.pdf> (15.6.2011); Jürgen Müller, „The Sound of Silence“. Von der Unhörbarkeit der Vergangenheit zur Geschichte des Hörens, in: Historische Zeitschrift 292 (2011), S. 1-29; Jan-Friedrich Mißfelder, Period Ear. Perspektiven einer Klanggeschichte der Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 37 (2011) (im Erscheinen).
3 Vgl. Julia Encke, Augenblicke der Gefahr. Der Krieg und die Sinne. 1914–1934, München 2006; zum laufenden Promotionsprojekt von Axel Volmar vgl. das Abstract seines Vortrags „In Storms of Steel. Staging the Soundscape of World War I in the Weimar Republic“ auf der Tagung „Hearing Modern History. Auditory Cultures in the 19th and 20th Century“ im Juni 2010, URL: <http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi/arbeitsbereiche/ab_nolte/dokumente/Morat/blankensee_abstracts.html> (15.6.2011).
4 Vgl. <http://www.gei.de/wissenschaft/arbeitsbereich-europa/bruchlinien-in-und-um-europa/das-akustische-gedaechtnis.html> (15.6.2011).
5 Vgl. zu letzterem auch Hartmann Wunderer, Tondokumente, in: Hans-Jürgen Pandel / Gerhard Schneider (Hrsg.), Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, 5. Aufl. Schwalbach im Taunus 2010, S. 500-514.
6 Vgl. zur Bedeutung des Ersten Weltkriegs für die akustische Kriegsgeschichte des 20. Jahrhunderts auch Yaron Jean, ‚Silenced Power’. Warfare Technology and the Changing Role of Sounds in Twentieth-Century Europe, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 8 (2011), S. 178-197, auch online unter <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Jean-2-2011> (15.6.2011).
7 Vgl. dazu <http://www.ghostarmy.org> (15.6.2011).
8 Vgl. dazu <http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/wales/4768213.stm> (15.6.2011).
9 Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung [1844], in: ders. / Friedrich Engels, Werke (MEW), Bd. 1, Berlin (Ost) 1976, S. 378-391, hier S. 381.