V. Lagendijk u.a. (Hrsg.): Dam Internationalism

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Title
Dam Internationalism. Rethinking Power, Expertise and Technology in the Twentieth Century


Editor(s)
Lagendijk, Vincent; Schulze, Frederik
Series
Histories of Internationalism
Published
London 2024: Bloomsbury
Extent
272 S., 10 SW-Abb.
Price
£ 85.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Philipp Müller, Forschungsgruppe „Demokratie und Staatlichkeit“, Hamburger Institut für Sozialforschung

Die Planungen zum Bau des Akosombo-Staudamms in Ghana zu Beginn der 1960er-Jahre zeigten in den Augen von Präsident Kwame Nkrumah die Asymmetrie internationaler Machtverhältnisse: Eingekeilt zwischen der Weltbank, der US-Regierung und dem amerikanischen Konsortium Volta Aluminium Company (VALCO) sei das Vorhaben zum Stau des westafrikanischen Volta, dem man für die wirtschaftliche Modernisierung Ghanas zentrale Bedeutung zuschrieb, zu einem Spielball westlicher Interessen geworden. Tatsächlich erwies sich Nkrumah in den Verhandlungen um die Finanzierung und den Bau des Staudamms jedoch keineswegs als ohnmächtiger Zuschauer. Zum einen verfügte er über ein breites pan-afrikanisches Netzwerk, das für eine finanzielle Unterstützung durch die US-Regierung warb. Zum anderen schürte Nkrumah durch parallele Gespräche mit der sowjetischen Führung über den Staudammbau westliche Sorgen vor einem Wechsel Ghanas in das sozialistische Lager. Nachdem sich die Regierung Kennedy vor diesem Hintergrund zu einer Unterstützung des Projekts entschlossen hatte, trug das intensive Lobbying durch VALCO dazu bei, dass auch die Weltbank ihre Bedenken aufgab und notwendige Kredite bewilligte.

Stephan Miescher, der diese Entwicklungen in seinem Kapitel zu „Dam Internationalism“ analysiert, führt damit ein zentrales Argument der Herausgeber und übrigen Beiträge vor Augen: In den Staudamm-Projekten des 20. Jahrhunderts kristallisierten sich mehrere aufeinander bezogene und verbundene, aber auch rivalisierende Formen des zeitgenössischen Internationalismus. Hatte sich der Bau von Staudämmen in den 1920er- und 1930er-Jahren vor allem noch auf Europa, Nordamerika und Australien konzentriert, nahm nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1980er-Jahre die Zahl neuer Staudämme besonders im Globalen Süden und in der europäischen Peripherie deutlich zu. In der Planung und dem Bau von Staudämmen in China, Brasilien, Äthiopien oder Spanien überschnitten sich dabei politische Strategien von Staaten, die Expertise von Ingenieuren verschiedener Nationalitäten, das Geschäftsinteresse von Firmen und die Finanzverbindungen von internationalen Geldgebern in wechselnden sowie keinesfalls konfliktfreien Konstellationen. Indem der Band das Zusammenspiel und die Gegensätze dieser Dimensionen in den Vordergrund rückt, gelingt es ihm deutlich zu machen, dass Staudammbau im 20. Jahrhundert nicht auf einen Transfer von Technologien in den Globalen Süden oder Versuche politischer Einflussnahme im Ost-West-Gegensatz zu reduzieren ist. Vielmehr wurde er von interagierenden Formen des Internationalismus geprägt.

Damit reiht sich „Dam Internationalism“ in jüngere Diskussionen ein, die zum einen gegen einen Fokus auf die Dominanz der Blockkonfrontation für die internationale Geschichte in der Zeit des Kalten Kriegs argumentiert haben. Sandrine Kott hat wiederholt für die Abkehr von der Vorstellung plädiert, die internationale Geschichte der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg sei mithilfe der Vorstellung eines bipolaren Gegensatzes nachzuvollziehen. Sie hat in diesem Zusammenhang unter anderem auf die Rolle internationaler Organisationen aufmerksam gemacht, im Rahmen derer Staaten des Globalen Südens einen neuen Internationalismus artikulieren konnten und damit Reaktionen provozierten, die nicht aus der Ost-West-Konfrontation zu erklären sind.1 Zum anderen mehrt sich die Kritik an der impliziten Messlatte eines liberalen Internationalismus in der historischen Analyse transnationaler Beziehungen. So hat Jessica Reinisch darauf verwiesen, dass die Erforschung transnationaler Beziehungen vielfach von der unausgesprochenen Prämisse zunehmender Kooperation oder „Konnektivität“ von Akteuren über staatliche Grenzen hinweg durchzogen wurde.2 Peter Haas‘ bekanntes Konzept der „epistemic communities“ von Experten und die damit verbundene Idee der Entwicklung gemeinsamer Problemstellungen sowie Lösungsansätze schien in dieser Perspektive im Kleinen abzubilden, was durch globale Verflechtungen im Großen nachgezeichnet werden konnte.3 Internationale oder transnationale Beziehungen lassen sich jedoch nicht unter die Vorstellung einer Teleologie progressiver Verständigung subsumieren. Vielmehr folgten ihre Entwicklungen vielfach bestehenden Formen der Abgrenzung zwischen konkurrierenden (wie etwa liberal, faschistisch oder sozialistisch orientierten) Zielen und generierten neue Formen der Demarkation.

Wie die Herausgeber des Bandes, Vincent Lagendijk und Frederik Schulz, einleitend betonen, sind die Planung und der Bau von Staudämmen im Verlauf des 20. Jahrhunderts für die damit aufgeworfenen Fragen besonders erkenntnisträchtig: Staudämme stellten Knotenpunkte dar, die nicht zuletzt aus technischen und finanziellen Gründen das Aufeinandertreffen von Gruppen, Organisationen und Konzepten unterschiedlicher Herkunft produzierten, dabei wirtschaftliche und politische Strategien unmittelbar miteinander verbanden und auch scheinbar marginalisierten Akteuren die Möglichkeit boten, eigenen Anliegen Raum zu verschaffen. In diesem Sinn macht der Band Staudämme als ein Phänomen sichtbar, an dem neue globalgeschichtliche Perspektiven auf die pluralen Asymmetrien politischer und ökonomischer Beziehungen im 20. Jahrhundert zu entwerfen sind.

Verschiedene Beiträge zeigen dabei, mit welcher Macht die Errichtung von Staudämmen zeitgenössische Vorstellungen von wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Modernisierung beherrschen konnte. In den Bahnen solcher Vorstellungen spielten ideologische Differenzen vielfach eine untergeordnete Rolle, sodass staatliche Administrationen, internationale Organisationen und Experten in die Lage versetzt wurden, geostrategisches Kalkül nicht als ausschließlichen Handlungsimpetus zu verstehen. Ingenieure fungierten in diesen Zusammenhängen häufig als zentrale Mittlerfiguren. In diesem Sinn macht Benjamin Brendel in seinem Beitrag deutlich, dass spanische Ingenieure mit Unterstützung des autoritären Franco-Regimes an internationale Verbindungen aus der republikanischen Periode zu den USA, aber auch zu Ingenieuren aus China und der Sowjetunion von vor 1939 anknüpfen konnten. Die Integration spanischer Experten in transnationale Netzwerke schien dem Franco-Regime dabei sowohl Legitimation in den nationalen Modernisierungsanstrengungen als auch internationale Anerkennung zu versprechen. Eine mithilfe transnationaler Verbindungen gewonnene Expertise im Staudammbau konnte im Export verwandte Zwecke erfüllen. Ramya Swayamprakash erklärt, wie indische Ingenieure, die noch zu Kolonialzeiten ausgebildet worden waren, imperiales Know-how und damit einhergehende internationale Verbindungen nach der Unabhängigkeit dazu nutzten, den Staudammbau in Staaten des Globalen Südens zu fördern und sich damit zugleich eine von West- und Ostblock gleichermaßen unabhängige Position aufzubauen. Xiangli Ding macht deutlich, dass chinesische Ingenieure ihr Wissen, das sie durch die Kooperation zunächst mit amerikanischen, dann mit sowjetischen Projekten in China erworben hatten, seit den 1960er-Jahren in der Unterstützung des Staudammbaus in Albanien nutzten und damit einen alternativen sozialistischen Internationalismus zu entwickeln versuchten. Jiří Janáč und Jakub Mazanec zeichnen nach, dass tschechoslowakische Unternehmen ihre im Rahmen eines sowjetisch geprägten sozialistischen Internationalismus gewonnene Expertise seit Mitte der 1960er-Jahre auf einem globalen Markt anboten und sich damit zunehmend frei von Blockgegensätzen an internationalen Profitmöglichkeiten im Globalen Süden sowie darüber hinaus orientierten.

Die Beiträge zu „Dam Internationalism“ bieten weiteres reichhaltiges Material und orientieren sich dabei fast durchgängig an dem von den Herausgebern einleitend vorgestellten Argument. Sie ergänzen die hier betrachteten Schwerpunkte unter anderem um zeitgenössische internationale Diskussionen zu sozialen und ökologischen Verwerfungen, die der Bau von Staudämmen verursachte. Corinna Unger wirft in einem abschließenden Epilog die interessante Frage auf, ob die von dem Band vorgestellten Interaktionen auf nationaler oder auf regionaler und lokaler Ebene zu behandeln seien. Während in einer Mehrzahl der Kapitel das Wechselspiel zwischen nationalen und internationalen Dimensionen im Vordergrund steht, scheint ein Vorzug des Fokus auf Internationalismen jenseits von Ost-West-Gegensatz und zunehmender transnationaler Konvergenz zu sein, dass er die Pluralität an Ebenen offenlegt, die beteiligte Akteure in ihren Handlungsstrategien zu berücksichtigen hatten.

Anmerkungen:
1 Sandrine Kott, Organiser le monde. Une autre histoire de la guerre froide, Paris 2021.
2 Jessica Reinisch, Introduction. Agents of Internationalism, in: Contemporary European History 25 (2016) 2, S. 195–205; Matthias Middell, Narratives About Globalization. International Studies and Global Studies, in: ders. (Hrsg.), The Routledge Handbook of Transregional Studies, London 2019, S. 659–666; Stefanie Gänger / Jürgen Osterhammel, Denkpause für Globalgeschichte, in: Merkur 74 (2020) 8, S. 79–86.
3 Peter M. Haas, Introduction. Epistemic Communities and International Policy Coordination, in: International Organization 46 (1992) 1, S. 1–35.

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