D. Rupnow u.a. (Hrsg.): Zeitgeschichte ausstellen in Österreich

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Title
Zeitgeschichte ausstellen in Österreich. Museen – Gedenkstätten – Ausstellungen


Editor(s)
Rupnow, Dirk; Uhl, Heidemarie
Published
Extent
472 S.
Price
€ 49,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Cornelius Lehnguth, Berlin

„Zeitgeschichte Ausstellen“ heißt der Sammelband, auf den man lange gewartet hat. Denn erstmals wird hier der Versuch unternommen, die österreichische Erinnerungskultur, wie sie sich in Museen, Gedenkstätten und Ausstellungen darstellt, einer kritischen Bestandsaufnahme zu unterziehen. Der große Vorzug dieser Kompilation besteht in der heterogenen Auswahl der Beiträge, die in ihrer Gesamtheit einen guten Einblick in die vielfältigen Orte und Gelegenheiten der Ausstellung österreichischer Zeitgeschichte geben. Neben zentralen Einrichtungen und Ausstellungen des Bundes enthält der Sammelband auch zahlreiche Arbeiten zu regionalen und Landesprojekten, die in ihrer Bandbreite allesamt aufzeigen, dass die österreichische Erinnerungskultur bis heute von unterschiedlichen, oftmals gegenläufigen Tendenzen geprägt ist.

Ein nationales Zeitgeschichts-Museum, gar ein Nationalmuseum, gibt es in Österreich bis zum heutigen Tag nicht. Dabei hat es an derartigen Versuchen seit 1945 nicht gemangelt. Richard Hufschmied zeichnet die schier „(un)endliche Geschichte“ (S. 45) des „Museums der Ersten und Zweiten Republik“ nach (S. 45–86), das – vom ersten Bundespräsidenten Karl Renner (SPÖ) initiiert – niemals aus der Planungsphase herauskam und schließlich in den 1960er-Jahren sang- und klanglos in der Versenkung verschwand, bevor sich einzelne Objekte in der 1998 eröffneten Dauerausstellung „Republik und Diktatur“ des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien wiederfanden. Anhand des umfangreichen Aktenmaterials zeigt Hufschmied auf, dass das wesentliche Ziel dieser Institution der Aufbau einer österreichischen Identität war, in deren Fokus die von den Alliierten sanktionierte These Österreichs als „erstes Opfer Hitler-Deutschlands“ stand. Konflikte der ehemals verfeindeten Bürgerkriegs-Parteien sollten mithilfe der Opferthese eingeebnet und durch das „Lagerstraßennarrativ“ absorbiert werden. Dagegen genießt das Heeresgeschichtliche Museum, dem sich Hannes Leidinger und Verena Moritz in einem Beitrag widmen (S. 15–44), aufgrund fehlender Konkurrenz bis heute den Ruf eines „heimlichen“ Nationalmuseums. Denn das in Wien älteste – noch im 19. Jahrhundert errichtete – Museum hat unter seinem langjährigen Leiter, Manfried Rauchensteiner, in den 1990er-Jahren erfolgreich versucht, die anachronistisch anmutende Militärgeschichte in die allgemeine (Zeit-)Geschichte zu integrieren, woraus unter anderem die bereits erwähnte Dauerausstellung „Republik und Diktatur“ entstand. Die beiden Autoren sehen trotz Defiziten darin eine „bedeutende Wegmarke“ (S. 44), da erstmals der Versuch unternommen wurde, bis dato ausgeklammerte Aspekte der österreichischen Zeitgeschichte wie Bürgerkrieg (1934), autoritären Ständestaat (1934–38), Nationalsozialismus und Holocaust in einer populären Form museal aufzubereiten. Zum Zeitpunkt der Eröffnung der Ausstellung begann in Österreich bereits ein weiteres Kapitel zum Thema Nationalmuseum: Dirk Rupnow zeichnet die Ende der 1990er-Jahre ausbrechende Debatte um ein Zeitgeschichts-Museum nach (S. 417–463), das zunächst der Publizist und Leiter des Wiener „Jewish Welcome Service“, Leon Zelman, im Palais Epstein an der Ringstraße als ein „Haus der Toleranz“ verwirklicht sehen wollte. Der Fokus sollte hierbei auf Holocaust und Rassismus liegen, weniger auf einer erfolgreich inszenierte Republikgeschichte, wie es zeitgleich dem ÖVP-nahen Historiker Stefan Karner vorschwebte. Der Streit um die passenden Konzepte und Schwerpunkte dauerte jahrelang an, nicht zuletzt weil Karner seine Einrichtung mit dem Anspruch versehen wollte, neben einem identitätsstiftenden Republikmuseum eine Art Clearing-Stelle und ein „Metainstitut“ (S. 447) für die österreichische Zeitgeschichtsforschung zu sein. Dieses Ansinnen musste vor allem während der rechtskonservativen ÖVP/FPÖ-Regierung (2000–2006) als Bedrohung für die kritische Zeitgeschichtsforschung empfunden werden, weshalb sich das Gros der Historiker massiv zu Wehr setzte. Nachdem es 2007 zu einer Wiederauflage einer großen Koalition kam, beauftragte die neue Regierung auf Grundlage der bisherigen Vorarbeit das Museumsberatungsunternehmen Lord Cultural Ressources mit der Erstellung eines detaillierten Konzepts. Dieses liegt zwar seit 2009 vor, wurde allerdings der österreichischen Öffentlichkeit bis heute nicht zugänglich gemacht. Es bleibt abzuwarten, ob das Projekt noch realisiert wird. Sämtliche Aspekte der österreichischen Zeitgeschichte in ein „Haus“ zu pressen, scheint im 21. Jahrhundert kaum noch vermittelt werden zu können.

Musealisierung von Zeitgeschichte findet auch in den Bundesländern statt. Monika Sommer analysiert vergleichend die österreichischen Landesmuseen (S. 313–335), von denen sich viele momentan im Umbruch befinden und dabei anderen Anforderungen ausgesetzt sind als die Bundesmuseen. Interessanterweise verwendet keines von ihnen den Terminus „Zeitgeschichte“. Sommer vermutet dahinter wohl nicht zu Unrecht eine partielle Abgrenzung dieser Institutionen von der akademischen Forschung, die mit ihrem kritischen Habitus nicht immer zur regionalen Identitätsstiftung taugt, was bis vor einigen Jahren erklärtes Ziel jener Häuser war.

Die österreichische Zeitgeschichte wird auch außerhalb Österreichs verhandelt. Brigitte Bailer, Bertrand Perz und Heidemarie Uhl beleuchten in ihrem Beitrag die österreichische „Länderausstellung“ in der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz in Polen (S. 151–174), welche 1978 unter staatlicher Obhut eröffnet wurde und noch völlig dem bis in die 1980er-Jahre hegemonialen Opfernarrativ verhaftet war. Bereits der Auftakt zur Ausstellung bildet ein großformatiges Bild, das den „Anschluss“ mithilfe von marschierenden Soldatenbeinen ausschließlich als militärische Okkupation visualisiert. Als Leitmotiv steht in großen Lettern daneben: „11. März 1938: Österreich – Erstes Opfer des Nationalsozialismus“. Mit der Anfang der 1990er-Jahre eingeleiteten geschichtspolitischen Neupositionierung von der Opfer- zur Mitverantwortungsthese steht seit einigen Jahren auch die Ausstellung in Ausschwitz in Kritik. Seit 2005 wird mit einem Banner auf die Opferthese als nur sehr einseitige Sichtweise aufmerksam gemacht, mithilfe derer jahrzehntelang viele Aspekte wie die Involvierung von Österreichern in die NS-Verbrechen ausgeblendet wurden. Im Jahr 2009 erfolgte schließlich ein Ministerratsbeschluss zur Neugestaltung der Gedenkstätte, mit der unter anderem die drei Autoren des Beitrags beauftragt wurden.

Inwieweit die Opferthese trotz aller Erosionserscheinungen auch weiterhin museal Verwendung findet, kann man im niederösterreichischen Texingtal im Dr. Engelbert Dollfuß-Museum bestaunen. Lucile Dreidemy skizziert die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Geburtshauses des ständestaatlichen Bundeskanzlers (S. 369–392), das seit 1998 als kommunal finanziertes Museum fungiert. In vier kleine Räume aufgeteilt, in denen man anhand von 100 Exponaten und über 200 Fotos die Hauptstationen von Dollfuß’ Leben durchschreitet, vermittelt das Museum weniger eine kritische Auseinandersetzung mit dem problematischen Wirken des klerikalkonservativen Diktators, sondern vielmehr den Eindruck einer mit bestimmten geschichtspolitischen Interessen ausgestatteten „parteipolitische[n] Werbestätte“ (S. 388) der ÖVP. Die Konservativen deuten die ständestaatliche Diktatur seit jeher als „Abwehrkampf“ gegen den Nationalsozialismus; dabei steht der 1934 von Nazis im Zuge eines erfolglosen Putschversuchs ermordete Dollfuß nicht selten stellvertretend für Österreich als erstes Opfer des NS-Regimes.

Neben den bereits erwähnten Beiträgen enthält der Sammelband noch eine Reihe anderer instruktiver Studien. Zu vielen Einrichtungen und Ausstellungen lagen bis zu dessen Erscheinen noch überhaupt keine Arbeiten vor, so dass mit „Zeitgeschichte Ausstellen“ ein wirklich originärer Beitrag zur österreichischen Zeitgeschichtsforschung geleistet werden konnte. Eine vergleichende Schlussbetrachtung, die die Ergebnisse der einzelnen Beiträge zusammenfasst, hätte dem Sammelband aufgrund der sich immer stärker ausdifferenzierenden österreichischen Erinnerungskultur gut getan. Auch wäre ein sorgsameres Lektorat wünschenswert gewesen; an manchen Stellen wurden die Namen der zitierten Wissenschaftler in den Fußnoten falsch geschrieben (vgl. S. 277 und 278).

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