Esther-Beate Körber wendet sich mit ihrer Arbeit zu „Zeitungsextrakten“ einer noch weitgehend unbeachteten Erscheinungsform frühneuzeitlicher Publizistik zu.1 Der Terminus, der im 18. Jahrhundert im Titel einiger periodischer Drucke Verwendung fand, wurde in der Presseforschung allerdings bereits seit den 1990er-Jahren vereinzelt zur Kennzeichnung bestimmter Verbreitungsmedien2 des 17. und 18. Jahrhunderts genutzt. Dem darin anklingenden Postulat, einer eigenständigen Pressegattung die noch fehlende Systematik nachzuliefern, widmete sich ein DFG-Projekt des Instituts „Deutsche Presseforschung“ der Universität Bremen, dessen Abschluss die Studie markiert.3
Nach der Autopsie von rund 700 zunächst bibliographisch ermittelten Titeln erwiesen sich die formalen Gemeinsamkeiten jedoch als letztlich zu gering, um tatsächlich eine eigenständige Gattung fundieren oder „konstruieren“ (S. 12) zu können. Bei etwa 100 Schriften erkannte Körber allerdings Ähnlichkeiten in der konzeptionellen Ausrichtung sowie in den intendierten Aufgaben und Leistungen, die sie dazu bewogen, diese abgeschwächt zu einer „funktionellen Gruppe“ der Zeitungsextrakte (S. 15) zusammenzufassen. Vier Aspekte hebt sie dabei hervor: Die „Auswahl aus den kursierenden Nachrichten, […] ihre sinnvolle Ordnung, […] ihre Erläuterung oder Erklärung (durch Zusatzinformationen oder Definitionen/ Worterklärungen)“ und die „Werbung für den Nachrichtenkonsum überhaupt“ (S. 16).
Die Hochphase der Zeitungsextrakte, die periodisch oder seriell erschienen und thematisch vielfältige Nachrichten anderer Publikationen weitgehend kommentar- und wertungslos nachdruckten (S. 9f.), lag zwischen dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts und den 1770er-Jahren (S. 115, 119). Beachtung finden in der Arbeit aber auch die Vorläufer und verwandten Publikationen, so dass ihr zeitlicher Rahmen deutlich weiter ist. Im Anhang sind 126 „Zeitungsextrakte, Vorläufer und verwandte Publikationen“ (S. 125-168) der Jahre 1566 bis 1807 mit mehr oder minder umfangreichen Zusatzinformationen verzeichnet. Ergänzend treten 38 Abbildungen sowie ein Sach-, Orts- und biographisches Register hinzu, was das Buch zu einem brauchbaren Nachschlagewerk macht. Eine kommentierte Bibliographie wird allerdings noch separat erscheinen. Bei den verzeichneten Titeln handelt es sich ausnahmslos um deutschsprachige Schriften, wenn auch nicht alle im Gebiet des Alten Reiches erschienen. Ob es sich bei den Extrakten um „eine publizistische Besonderheit des deutschsprachigen Raums“ (S. 12) handelt, wie von der Autorin vorsichtig konstatiert, bleibt aufgrund fehlender Vergleichsstudien aber eine noch offene Frage.
Im Hauptteil folgt die Arbeit den erklärten Funktionen der Zeitungsextrakte (Auswahl, Ordnung, Erklärung, Werbung). Die vier Hauptkapitel sind wiederum in vier konzeptionsgleiche Abschnitte unterteilt, in denen zunächst die Gründe und Begründungen der Funktionen, dann ihre praktische Realisierung und ferner die Grenzen der Umsetzung behandelt werden. In den jeweils abschließenden Kapitelabschnitten wird darüber hinaus die Rezipientenseite in die Überlegungen einbezogen.
Im ersten und umfangreichsten Abschnitt der Studie rückt Körber die Zeitungsextrakte zunächst in ihrer zentralen Eigenschaft als „‚Auszugs’-Medien“ in den Blick. Ihr redaktionelles Prinzip war die Kompilation, wobei Zeitungen – und hierin wird eine Schwäche der Begrifflichkeit deutlich – keineswegs die einzigen Quellen waren. Ihre Informationen konnten die Extrakte nämlich ebenso „aus Flugschriften, Briefen, Zeremonial- und Festbeschreibungen, in einzelnen Fällen vielleicht auch aus mündlichen Berichten“ (S. 29) beziehen. Teilweise griffen die Redakteure zudem auf Stoff zurück, „der sonst eher in Zeitschriften oder Intelligenzblättern zu finden war“ (S. 36). Die Praxis des Nachdrucks erforderte von den Herausgebern, die Extrakte als eigenständige Produkte zu begründen und auf dem Markt gegen Konkurrenz zu behaupten. Dies geschah vornehmlich durch die Betonung qualitativer Selektionskriterien wie „Wahrheit“ und „Relevanz“ (S. 24). Wie in der gesamten Arbeit ist Körbers Darstellung eng am untersuchten Quellenbestand orientiert und mit zahlreichen Beispielen illustriert. Ihre Argumentation folgt den redaktionellen Äußerungen der Extrakt-Produzenten, der Analyse der Inhalte und ihres Wandels. Interessant erscheint hierbei der Versuch, nicht nur die inkludierten, sondern auch die offenkundig ausgeschlossenen Nachrichtenstoffe in die Überlegungen einzubeziehen. Körber führt beispielsweise vor Augen, dass die Lebenswirklichkeit der nicht höher gebildeten Stände kaum in den Drucken repräsentiert war (S. 38-42). Allerdings zeigt die Studie bei allen Äußerungen zur Quantität von Inhalten und deren Wandel die methodische Schwäche, dass die zugrundeliegende Datenbasis fehlt. Eine Überprüfung der Aussagen ist so unmöglich.
Während sich bereits die kompilatorische Funktion der Extrakte als eine Reaktion auf die zunehmend unübersichtlicher werdende Nachrichtenlandschaft der Frühen Neuzeit lesen lässt, widmet sich Körber im zweiten und dritten Kapitel nochmals intensiver den spezifischen redaktionellen Strategien, die Defizite des zeitgenössischen Medienmarktes zu kompensieren. Die Autorin führt zunächst die Funktion der Extrakte als „Klassifikationsmedien“ an. Die Einführung von Ordnungssystemen deutet sie als Rückwirkung der Diskontinuität der Berichterstattung des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Möglichkeiten reichten von der Chronologie über die geographische Kategorisierung und Versuche sachlicher Rubrizierung bis hin zu nachgeschobenen alphabetischen Registern (S. 55-71). Bis auf die Chronologie etablierte sich jedoch keines der Systeme zu einem typischen Merkmal der Extrakte. Mit ihrer Charakterisierung als „didaktische Medien“ trägt Körber im anschließenden dritten Kapitel der Beobachtung Rechnung, dass die publizierten Berichte zum Teil um „Zusatz- oder Hintergrundinformationen“, „Worterklärungen“ (S. 81) sowie grafische Illustrationen (S. 87) ergänzt waren. Die kompilatorische Integration von Lexikon- und Handbuchwissen (S. 91) lässt sich ihrerseits als Reaktion auf die zeitgenössischen Verständnisprobleme der Berichterstattung lesen. Aber auch diese Elemente verfestigten sich der Autorin zufolge letztlich nicht zu kontinuierlichen Merkmalen (S. 96).
Im vierten Kapitel betrachtet Körber die Drucke ausdrücklich aus wirtschaftlicher Perspektive als „Werbemedien“ für die periodische Presse schlechthin (S. 103). Anhand der Selbstaussagen der Herausgeber zeigt sie, dass es ihnen nicht nur um die Etablierung eines Nischenprodukts auf dem Medienmarkt ging, sondern die Extrakte auch als Marketinginstrumente für andere Verlagsprodukte intendiert sein konnten. An welche Leser- oder Käuferschaft sich die Zeitungsextrakte richteten, ermittelt Körber anhand der Publikumsansprachen in den Vorworten. Im Wesentlichen konzentrierten sich die Herausgeber demnach auf „das traditionelle schrift- und lesekundige Publikum“ (S. 100), ergänzt durch „Studenten und in gewissem Maße auch die Lateinschüler“ als kommende Generation des gelehrten Bürgertums. Der „‚ungelehrte Mittel-Mann’“ blieb als potentieller Leser hingegen die absolute Ausnahme (S. 101, 104), was sich letztlich mit dem erwähnten Befund der inhaltlichen Analyse deckt. Leider fehlen belastbare Angaben zu Auflagen, Verbreitungsräumen oder tatsächlichen Abonnenten, die das Bild schärfen könnten. Durch den Verzicht auf ergänzende (gedruckte oder ungedruckte) Quellen über die Extrakte hinaus, bleiben sämtliche Aussagen zu ökonomischen Aspekten wie auch zur Rezipientenseite, deren Einbeziehung grundsätzlich begrüßenswert ist, Mutmaßungen.
Insgesamt zeichnet Körber in ihrer Arbeit aber ein in vielerlei Hinsicht aufschlussreiches Bild sowohl der frühneuzeitlichen Nachrichtenlandschaft als auch der Entwicklung des Marktes gedruckter Verbreitungsmedien. Mit den zahlreichen aufgeworfenen Fragen liefert die Studie wichtige Impulse, die vielen noch offenen Fragen zur redaktionellen Praxis, zu den frühneuzeitlichen Ordnungssystemen sowie zu den Rezipienten erneut in den Blick zu nehmen. Am Beispiel der kompilierten Zeitungsextrakte weist Körber letztlich beispielhaft auf ein wesentliches Phänomen des frühneuzeitlichen Medienmarktes hin, das in der an Gattungen orientierten Mediengeschichtsschreibung lange unterbelichtet blieb: die intermedialen Korrelationen. Insofern weist der argumentative Perspektivwechsel von der Form auf die Funktion in eine richtige Richtung. Auf dieser Grundlage ließe sich auch neu über vermeintlich etablierte „Gattungen“ debattieren. Überhaupt erscheint es fraglich – und hier kann man Körbers Arbeit selbst einbeziehen –, welchen heuristischen Nutzen es hat, Ordnung ins grundsätzlich Ungeordnete der frühneuzeitlichen Medienlandschaft zu bringen, das einen so fruchtbaren Nährboden für unterschiedlichste publizistische Phänomene bot, die sich erst im 19. Jahrhundert konsolidierten.
Anmerkungen:
1 In den neueren Mediengeschichten finden „Zeitungsextrakte“ keine Berücksichtigung. Vgl. z.B. Jürgen Wilke, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, 2. überarb. Aufl., Köln 2008; Andreas Würgler, Medien in der Frühen Neuzeit, München 2009.
2 Der funktionale Medienbegriff ist angelehnt an Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 6. Aufl., Frankfurt am Main 1996, S. 221.
3 Vgl. die offizielle Projektbeschreibung des Instituts „Deutsche Presseforschung“ unter: <http://www.presseforschung.uni-bremen.de/p_extrakte.html> (30.01.2011).