Die Ökonomie im Kalten Krieg – das ist ein weites und bislang von den Geschichtswissenschaften noch nahezu unbeackertes Feld. Es umfasst nicht nur die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften im Kalten Krieg (diese behandelt der folgende Reihenband „Macht und Geist im Kalten Krieg“). Spannend sind vor allem die Spezifika einer „War-like Economy“ (Berenice A. Carroll) in der Nachkriegszeit, ihre Konjunkturen, die nationale bzw. internationale Wirtschaftspolitik und das Verhältnis von Staat und Wirtschaft. Zum Feld zählen aber auch Fragen der Finanzierung von Militär-, Rüstungs- und Raumfahrtausgaben, grenzüberschreitende Güter-, Waren- und Waffenströme, Handlungsspielräume ökonomischer Akteure und sogar die Auswirkungen ökonomischer Tätigkeit auf die Umwelt. Unternehmenshistorisch interessiert die Entwicklung einzelner Branchen, Unternehmen, Technologien oder gar Produkte. Zu nennen wären hier einzelne Investitions-, Konsum- oder Rüstungsgüter, z.B. Tiefkühlgeräte, die Atombombe oder der Rosinenbomber. Entsprechend ambitioniert ist auch das Unterfangen der Herausgeber Bernd Greiner, Christian Th. Müller und Claudia Weber, den „State of the Art“ der internationalen Forschung zu präsentieren.
Erneut ist es den Herausgebern der anregenden und hochwertig ausgestatteten „Studien zum Kalten Krieg“ gelungen, eine Vielzahl renommierter deutscher und internationaler Stimmen zu versammeln – mit leichter Dominanz anglo-amerikanischer Forschung. Die gut lesbaren Beiträge der 20 Autoren und fünf Autorinnen markieren dabei deutlich, welche historiographischen Desiderate zu ökonomischen Fragen der Nachkriegszeit noch bestehen – und dies nicht nur auf deutscher, sondern auch auf internationaler Ebene. Vielfältig wie das Themenfeld sind auch die Herangehensweisen: sie reichen von politologischen, politik- oder diplomatiehistorischen, ökonomischen bis hin zu sozialgeschichtlichen Ansätzen. Weniger stark vertreten ist die wirtschafts- oder unternehmenshistorische Forschung, da wirtschaftliche Fragen vor allem aus der Perspektive des Staates oder in einzelnen Politikfeldern betrachtet werden. Das Vorgehen erfolgt innovativ nach Regionen und Akteuren: der erste Teil nach der konzisen Einleitung von Greiner widmet sich dem „Soll und Haben in der Dritten Welt“, der zweite Teil dem „Soll und Haben in den Zentren“ und der dritte Teil den „Kalten Kriegern und Händlern“.
Schwerpunkte der Betrachtung bilden im ersten Teil die Ursachen, Ziele und Folgen amerikanischer, sowjetischer und europäischer Entwicklungs- und Militärhilfe für die Entwicklungsländer (Beiträge von Robert J. McMahon, Roger E. Kanet, Jason C. Pribilsky, Thomas Scheben, Brigitte H. Schulz und Judith Schapiro). Im zweiten Teil widmen sich David C. Engerman, Benjamin O. Fordham, Monica R. Gisolfi, Seth Shulman, Christopher M. Davis, Stephan Merl, Paul R. Gregory und Paul Josephson den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der ausufernden Rüstungsbudgets in West und Ost sowie den ökologisch verheerenden Konsequenzen des Rüstungswettlaufs. Im dritten Teil geht es in den Aufsätzen von Martin Dangerfield, Dagmara Jajesniak-Quast, Patrick Gutmann, Hanns-Dieter Jacobsen, Frank Cain, Shu Guang Zhang, Christian Gerlach und Christian Th. Müller schwerpunktmäßig um die Handelspolitik und die Organisation der Weltwirtschaft sowie um repräsentativ ausgewählte Handelskonflikte und ihre Konsequenzen. Analysiert werden hier in gediegenen Fallstudien die westlichen Sanktionen gegen China, trilaterale Getreidegeschäfte und der Erdgas-Röhren-Konflikt 1981/82.
Besonders lobenswert ist das Bestreben der Herausgeber, in transnationalen Case Studies den Ergebnissen der jüngeren postkolonialen Forschung einen Raum zu geben. Zwar hat sich die deutsche Zeitgeschichtsforschung intensiv mit Prozessen der Amerikanisierung, Europäisierung und Westernisierung nach 1945 befasst (hier sei nur auf Sywottek, Doering-Manteuffel, Bude/Greiner verwiesen). Aber erst jüngst zeigen sich Ansätze, die die internationale Dekolonisationsforschung rezipieren und mit transnational gelagerten Arbeiten das Wechselspiel von Dekolonisierung und Kaltem Krieg thematisieren.1 Kritisch gesehen werden dabei vor allem die älteren Konzepte der Modernisierung und Entwicklung, die den Post Colonial Studies als zu eng gefasst erscheinen. Denn sie ließen mit ihrem teleologischen Duktus nur wenig Raum für eine Verflechtungsgeschichte der Akteure, gegenläufige Entwicklungen, Handlungsspielräume und hybride Phänomene.
Hier setzen auch die spannenden Aufsätze von Earl Conteh-Morgan und Ragna Boden an. Conteh-Morgan geht davon aus, dass die US-Entwicklungshilfe im Kalten Krieg vier grundlegende nationale Interessen verfolgte: „die Ausweitung von Macht und Einfluss der Sowjetunion in Regionen der Dritten Welt zu verhindern; der Verpflichtung auf die Unabhängigkeit und Sicherheit befreundeter Staaten nachzukommen; im Sinne der nationalen Sicherheit die internationale wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zu entwickeln und zu stärken; und den freien Zugang zu wichtigen Rohstoffen und Seewegen aufrechtzuerhalten.“ (S. 66) Conteh-Morgan geht von jeweils singulären Kombinationen politischer, strategischer, ökonomischer und entwicklungspolitischer Faktoren aus, die die Politik gegenüber den Nehmerstaaten bestimmte und strukturierte. Empfängerländer wurden nach zwei Strategien ausgewählt: Selektion oder Durchdringung. Ein selektives Muster der Verteilung von Entwicklungshilfe traf beispielsweise auf Ägypten, Israel, Südkorea und die Philippinen zu, wo die USA nicht nur eine proamerikanische und antisowjetische Haltung vorfanden, sondern auch einen Umschwung hin zum Kommunismus befürchteten. Die Strategie der Durchdringung sah dagegen vor, dass Entwicklungshilfe als Wegbereiterin diplomatischer Beziehungen genutzt und damit strategisch oder geopolitisch eingesetzt wurde. Ziele waren neues außenpolitisches Terrain oder Rohstoffvorräte. Dies galt beispielsweise für neutrale Staaten oder gar für China. Allerdings unterlag diese Politik durchaus gegenläufigen, hybriden Strategien eines Empfängerlandes: „Nahm es hingegen eine geostrategisch wichtige Lage ein, verfügte es über schwer zu ersetzende Rohstoffe oder neigte es dazu, das Geberland ungeachtet seiner politischen Ideologie zu wechseln, dann konnte das Empfängerland mehr Druck ausüben.“ (S. 67)
Diese transnationalen Phänomene der Entwicklungs- und Militärhilfe beleuchtet auch Ragna Boden am Beispiel indonesischer Dekolonisationspolitik. Indonesien gehörte als größter Inselstaat und einer der einwohnerreichsten Staaten der Erde nach der Unabhängigkeitserklärung 1945 zu einem wichtigen Ziel auswärtiger Entwicklungshilfe. Indonesiens Präsident Sukarno lavierte zwischen den Modernisierungsangeboten der beiden „Supermächte“ und ihren Verbündeten besonders geschickt, und zwar „unabhängig von der politischen Ausrichtung des Gebers“ (S. 110). So wandte er sich nach einer Absage Eisenhowers an die Sowjetunion, die ihm Wirtschaftshilfe in Höhe von über 700 Millionen Dollar Krediten zusagte. Dieser Deal entsprach nach Boden durchaus der kommunistischen Modernisierungsideologie, die auf eine rasche Entwicklung der industriellen Produktionsmittel aus den jeweiligen Ländern heraus und auf deren volle Souveränität setzte. Doch die hybride Aneignung durch Indonesien als Nehmerland führte zu „multiplen Modernitäten“ (S. 120ff.).
Die indonesische Führung verwendete die für den Aufbau ziviler industrieller Anlagen und Infrastruktur gedachten Mittel nämlich zu fast 89 Prozent zum Aufbau militärischer Potenz und für Prestigeprojekte. Von den geplanten industriellen Projekten wurden insgesamt nur etwa 10 Prozent verwirklicht. Dies war verglichen mit anderen asiatischen Staaten, die durchschnittlich über 30 Prozent der geplanten Projekte zum Erfolg führten, ein magerer Wert. Boden zeigt abschließend sehr deutlich, dass sowjetische Einflussversuche nicht nur an den politischen Interessen, sondern auch an kulturellen und religiösen Grenzen Halt machten und trägt damit insbesondere zu transnationalen Fragen der Dekolonisationsforschung entscheidende Kenntnisse bei.
Methodisch bieten alle Beiträge einen soliden deskriptiven Zugang zur politischen Ökonomie, wobei transnationale Phänomene nicht immer explizit angesprochen werden. Der Band gibt insgesamt viele Anstöße für eine Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte des Kalten Krieges, vor allem für die Frage nach ihrer Spezifik. Bilden beispielsweise die wirtschaftspolitischen Eingriffe nur eine Fortführung von Integration, Verregelung und Verrechtlichung im internationalen System seit dem 19. Jahrhundert oder formierten sich eigene Kennzeichen? Und wie gingen die Wirtschaftssubjekte damit um? Die Ebene der ökonomischen Akteure, ihrer Handlungsspielräume, inter- und transnationalen Verflechtungen, Produkte und Artefakte bleibt zwar zukünftigen Forschungen vorbehalten. Auch die europäische Ebene, der Verbündeten und ihrer Eigeninteressen, Einflussmöglichkeiten und Sonderwege könnte dazu stärker in den Blick genommen werden. Diese offenen Fragen schmälern allerdings den Gewinn des anregenden, profunden und detailliert ausgearbeiteten Bandes nicht, sondern machen deutlich, wie groß das bislang von den Geschichtswissenschaften noch weithin unvermessene Forschungsfeld ist. Hier sind nach der weiteren Öffnung staatlicher Quellen sowie privater Wirtschafts- und Unternehmensarchive noch viele neue Erkenntnisse zu erwarten. Ein grundlegendes Fundament für die weitere Forschung, aber auch für die universitäre Lehre liegt mit diesem wichtigen Standardwerk nun vor.
Anmerkung:
1 Anja Kruke (Hrsg.), Dekolonisation. Prozesse und Verflechtungen 1945-1990, Bonn 2009.