C. Welzbacher (Hrsg.): Der Reichskunstwart

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Titel
Der Reichskunstwart. Kulturpolitik und Staatsinszenierung in der Weimarer Republik 1918-1933


Herausgeber
Welzbacher, Christian
Erschienen
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anke Blümm, Fachbereich Architektur und Denkmalpflege, Brandenburgische Technische Universität Cottbus

Dieser Mann war nicht zu beneiden: Mit begrenztem Etat und mangelnder Personalausstattung kämpfte er an den unterschiedlichsten Fronten. Seine nicht geringe Aufgabe war es, der Weimarer Republik auf allen ästhetisch-visuellen Ebenen ein neues und würdiges Gesicht zu verleihen. Dies erstreckte sich von der kleinsten Münze über Dienstschilder bis hin zu Staatsfeiern. Die Rede ist vom sogenannten Reichskunstwart Edwin Redslob (1884-1973). Christian Welzbacher hatte vor zwei Jahren eine Biographie veröffentlicht.1 Nun fasst ein von ihm herausgegebener Band Beiträge einer Tagung zusammen, die 2009 an der Freien Universität Berlin stattfand. Ziel der Konferenz war es, den Blick auf Redslob um unterschiedliche Perspektiven zu erweitern und seine Arbeit in einen größeren kulturpolitischen Kontext zu stellen.

Dies äußert sich in einer Dreiteilung des Bandes: Nach einer Einführung folgen 18 Quellentexte aus der Zeit von 1920-1933, wobei acht von Redslob selbst stammen. Der zweite Teil ist überschrieben mit „Initiativen“ und versammelt sechs Aufsätze zu den vielfältigen Aufgabenbereichen des Reichkunstwarts. Im dritten Teil „Perspektiven“ befassen sich sechs weitere Beiträge mit übergreifenden Aktivitäten in der Zwischenkriegszeit und schlagen gleichzeitig den Bogen über das „Dritte Reich“ bis in die heutige Zeit zum Amt des Kulturstaatsministers.

In seinen einleitenden Ausführungen legt Welzbacher die Eckdaten fest. In einer erstaunlichen Kontinuität existierte das 1920 eingerichtete Amt unter 16 verschiedenen Reichsinnenministern, bis es 1933 durch die nationalsozialistische Regierung umgehend aufgelöst wurde. Die langen Jahre seines Bestehens korrespondierten dennoch nicht mit durchschlagenden Erfolgen. Nichts weniger als die Quadratur des Kreises war es, sich als Staat vom Kaiserreich absetzen zu wollen und zu müssen, und dennoch auf eine staatliche „corporate identity“ der Symbole und Inszenierungen nicht verzichten zu können, um den im Kaiserreich sozialisierten Bürgern die Identifikation mit der Demokratie schmackhaft zu machen. Dieser letztlich unlösbare Konflikt zieht sich durch die Themen des ganzen Bandes.

Die zunächst ungewöhnlich erscheinende Beigabe von Quellenmaterial erweist sich bei der Lektüre als geschickter Schachzug. Zwar werden Texte, wie zum Beispiel Walter Gropius’ Bittbrief für das Bauhaus, kaum oder nur versteckt kontextualisiert. Doch die Kommentare zur Tätigkeit des Reichskunstwarts und Redslobs eigene Bekundungen vermitteln einen authentischen Eindruck des damaligen Diskurses und werfen Fragen auf, was es beispielsweise mit den Kontroversen um die Entwürfe des neuen Reichsadlers tatsächlich auf sich hatte.

Genau diesen Aspekt beleuchtet Walter J. Schütz. Zwar wurden bereits 1919-1920 Vorschläge eines neuen Reichsemblems geschaffen, doch Widerstände gegen die beispielsweise als „Pleitegeier“ (S. 117) titulierten Entwürfe ergaben für den Reichskunstwart nach seinem Amtsantritt ein umfassendes Betätigungsfeld. Nach intensiver Vermittlungsarbeit Redslobs legte die Reichsregierung 1922 einvernehmlich beschlossene Gestaltungen fest. Schütz zeigt die Kontinuität dieser Adler-Entwürfe über 1945 bis heute auf – Auswirkungen von Redslobs Tätigkeit sind also noch in der Gegenwart zu finden.

Dass es in der Weimarer Republik jedoch nicht nur Kontroversen um den Reichsadler, sondern auch einen handfesten „Fahnenkrieg“ (S. 140) und Diskussionen um eine neue Hymne gab, macht Nadine Rossol deutlich. Letzteres fand eine positive Lösung in der Beschränkung auf die dritte Strophe des Deutschlandliedes. Redslob wird bei diesen Auseinandersetzungen als unermüdlicher Vermittler gezeigt, immer auf der Suche nach einem Kompromiss, der allen politischen Interessengruppen gerecht wurde. In einem kurzen Abriss stellt Roland Jaeger die wichtigsten Publikationen Redslobs vor. Während regelmäßige Mitteilungen der Reichskunstwartstelle ein in Anfängen steckengebliebenes Unterfangen waren, wusste Redslob immer wieder diverse Publikationsorgane und Verleger einzuspannen und mit seinen Aufsätzen zu versorgen. Der enorme Fleiß und die vielen Interessensfelder Redslobs werden dadurch anschaulich vermittelt, die Gefahr lag gleichwohl in einer „Verzettelung“ (S. 174).

Warum die Förderung des Handwerks ein wichtiges Anliegen Redslobs war und wie daran die inneren Widersprüche seiner Person zu Tage treten, erläutert Harold Hammer-Schenk. Obwohl Redslob ein glühender Verfechter des Expressionismus und eher „modern“ eingestellt war, förderte er die Avantgarde-Kunst, wie wir sie heute verstehen, nicht auf jeder Linie. Vielmehr trat ein Bruch mit dem Werkbund ein, weil Redslob auf der Seite der konservativen Handwerksbewahrer stand, wie es auch sein „tümelnder“ Sprachgebrauch in der von ihm herausgegebenen Reihe „Deutsche Volkskunst“ zeigt.

Joachim Seng geht auf das Goethejahr 1932 und die Konkurrenz zwischen Frankfurt am Main und Weimar ein. Beide Städte richteten Festakte aus, die rückblickend eine letzte große Repräsentation der vor dem Zusammenbruch stehenden Weimarer Republik darstellen sollten. Der Bezug zu Redslob liegt hier unter anderem in der Tatsache, dass er das Drehbuch für den Film „Goethe lebt…“ schrieb. Warum allerdings so viele Szenenbilder den Aufsatz illustrieren, obwohl übergreifendere Dinge behandelt werden, bleibt unklar. Christian Fuhrmeister untersucht Redslobs Bemühungen um ein Reichsehrenmal. Das Totengedenken des Ersten Weltkriegs war ein hochemotionales Thema, und ein zentraler Erinnerungsort, wie er etwa für Bad Berka geplant war, kam trotz Redslobs stetiger Bemühungen, die Fuhrmeister als „engagiert integrativ“ (S. 217) beschreibt, nicht zustande.

Den dritten Teil des Buches beginnt Kristina Kratz-Kressmeier mit einem Blick auf einen behördlichen Konkurrenten des Reichskunstwarts. Denn Preußen als das größte Land im Deutschen Reich verfügte über ein eigenes Kultusministerium. Wie die Autorin klar ausführt, hatte dieses ab Mitte der 1920er-Jahre schon aufgrund des größeren Etats sehr viel mehr Einfluss auf die Kunstpolitik. An manchen Stellen hätte man sich konkretere Informationen gewünscht, zum Beispiel welche Rolle Mies van der Rohe genau für das preußische Kultusministerium spielte. Ein wichtiges Thema in der Weimarer Republik war auch die Einrichtung von Nationalfeiertagen. Allerdings blieb es bei der Diskussion, denn eine Entscheidung für konkrete Daten wurde aufgrund der Rücksichtnahme auf politische Befindlichkeiten nicht getroffen. Das ist der Unterschied zu anderen europäischen Ländern, insbesondere Diktaturen, wie Christoph Kühberger in seinem Vergleich der Festkultur in der Sowjetunion, Italien, Deutschland und Österreich aufzeigt. Die Bolschewiki standen 1918 beispielsweise unter einem ähnlichen Legitimationsdruck wie die Weimarer Republik, konnten jedoch aufgrund diktatorischer Strukturen die Vorstellungen von beeindruckenden Staatsinszenierungen besser umsetzen.

Mathilde Arnoux lenkt ihren Blick auf deutsche Kunst, die im Paris der Zwischenkriegszeit ausgestellt bzw. aufgrund der Deutschfeindlichkeit gerade nicht ausgestellt wurde, wie das Scheitern einer Max-Liebermann-Ausstellung im Musée du Jeu de Paume beweist. Dass der Deutsche Werkbund 1930 in Paris seine Produkte trotzdem zeigen konnte, war wohl dem weniger prominenten Ausstellungsort geschuldet. Zu Recht weist die Autorin darauf hin, dass die französische Rezeption dieser Schau noch der Aufarbeitung harrt; dieses Schicksal teilt sie allerdings mit der deutschen, zum Teil ebenso kritischen Rezeption.2

Faszination und Ablehnung Amerikas in Literatur, Film, Malerei und Architektur in der Weimarer Republik analysiert Olaf Peters. An einzelnen Beispielen wie etwa der Diskussion um Wolkenkratzer wird das deutsche Amerikabild als Ausdruck persönlicher Hoffnungen und Ängste über Zivilisation und Technik gedeutet. Dieses vielschichtige Zeitphänomen führt an dieser Stelle jedoch weit von Redslob und der Weimarer Kulturpolitik fort.

Redslob mag in seinen Bemühungen insgesamt keinen großen Erfolg gehabt haben, dennoch lassen sich Kontinuitäten seiner Arbeit auch nach 1933 nachweisen. Christian Welzbacher zeigt in einem weiteren Aufsatz, wie die Reichskunstwartstelle zwar schon im Februar 1933 abgewickelt wurde, Redslobs langjähriger Mitarbeiter Kurt Biebrach jedoch eine steile Karriere in Goebbels’ neuem Reichspropagandaministerium machte. Des Weiteren griff die nationalsozialistische Regierung durchaus auf inszenatorische Elemente Redslobs Staatsfeiern zurück, „perfektionierte“ (S. 321) sie jedoch.

Heinrich Wefing wirft abschließend einen Blick auf das 1998 eingerichtete Amt des Kulturstaatsministers. Es sei „mächtiger und gleichzeitig machtloser“ (S. 337) als das des Reichskunstwarts, so sein Fazit. Zwar verfüge dieses Ministerium über viel mehr finanzielle und personelle Ressourcen, doch weder müsse es sich mit der Nationalflagge, noch mit der Inszenierung staatlicher Feste befassen. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf einer sich nicht einmischenden Kunst- und Kulturförderung. Es schaffe in vielerlei Hinsicht ein Podium zum Gespräch der Republik mit sich selbst. Mit diesem aufgeklärten Konzept schließt es wohl auf eine untergründige Weise an Redslob an.

Der Sammelband ist didaktisch klug aufgebaut und sorgfältig gestaltet. Die Beiträge sprechen eine Vielzahl an Aspekten an und lassen die schwierige Aufgabe des Reichskunstwarts und damit die Widersprüche seiner Zeit plastisch werden. Auch gegenwärtige Konflikte, etwa um die Gestaltung von Adler-Logos, reihen sich nunmehr nahtlos in eine lange Tradition ein.3 Gleichzeitig wird nach weiteren schwierigen Umbrüchen und deren visuelle Inszenierung wie dem Übergang zur Bundesrepublik oder zur DDR gefragt. So hat der Sammelband, der für kulturpolitische Aktivitäten und ihren mehr oder weniger sichtbaren Zusammenhängen mit der Staatsrepräsentation sensibilisiert, im besten Sinn seinen Zweck erfüllt.

Anmerkungen:
1 Christian Welzbacher, Edwin Redslob. Biografie eines unverbesserlichen Idealisten, Berlin 2009.
2 Vgl. z.B. Julius Posener, Die Deutsche Abteilung in der Ausstellung der Société des artistes décoratifs français, in: Baugilde 1930, H. 11, S. 968-984.
3 Vgl. das neue Adler-Logo der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin. Vgl. Nikolaus Bernau, Gebt den Adler wieder frei!, in: Berliner Zeitung vom 2. Juli 2011; Stephan Speicher, Mit dem Fliegen ist’s vorbei, in: Süddeutsche Zeitung vom 8. Juli 2011.

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