J. Bronisch: Mäzen der Aufklärung

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Titel
Der Mäzen der Aufklärung. Ernst Christoph von Manteuffel und das Netzwerk des Wolffianismus


Autor(en)
Bronisch, Johannes
Reihe
Frühe Neuzeit 147
Erschienen
Berlin 2010: de Gruyter
Anzahl Seiten
478 S.
Preis
€ 149,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen Hölscher, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Die Beschäftigung mit gelehrten Gesellschaften, ihren Mitgliedern, Strukturen, Zielen und Wirkungen macht spätestens seit Anfang der 1980er-Jahre einen bedeutenden Teil der Aufklärungs- und geistesgeschichtlichen Forschung aus, als Ulrich Im Hof, bisherige Ergebnisse zusammenfassend, den Beginn einer eigentlichen Sozietätsforschung konstatierte.1 Nach zahlreichen vertiefenden Studien zu einzelnen Aspekten aufklärerischer Gesellschaften schien die Begeisterung für diesen Forschungsgegenstand etwas abzuebben, bevor sie unter veränderten Vorzeichen um die Jahrtausendwende herum einen neuen Aufschwung erlebte. Seitdem stehen unter anderem die durch gelehrte Gesellschaften der Aufklärungszeit geschaffenen Netzwerke, kommunikationstheoretische sowie individuell-biographische Fragestellungen bis hin zum Freidenkertum im Fokus (philosophie-)historischer Betrachtungen.2

Auch Johannes Bronischs Arbeit steht in der Tradition dieses Forschungsansatzes. Ausgehend von den letzten zwei Jahrzehnten der Lebensgeschichte des kursächsischen (Geheim-)Diplomaten und Kabinettsministers Ernst Christoph von Manteuffel (1676-1749) nutzt Bronisch Teilaspekte von dessen Biographie als Basis für eine umfassendere Betrachtung über kommunikative Netzwerke und wolffianische Aufklärung. So möchte er letztlich zu einer differenzierten geistesgeschichtlichen Bewertung des mittleren 18. Jahrhunderts gelangen, mithin eine „Zentralperspektive auf Christian Wolff und den Wolffianismus als wesentlichen Teil der Geschichte der deutschen Aufklärung“ gewinnen (S. 25).

Manteuffel, der 1730 wegen hofinterner Streitigkeiten um die zukünftige außenpolitische Orientierung Sachsen-Polens demissionieren musste und sich vordergründig ins Privatleben und zunächst auf sein pommersches Familiengut zurückzog, darf als einer der zentralen Propagandisten des Wolffianismus in der Mitte des 18. Jahrhunderts gelten. Von adligen Bildungsidealen geleitet, widmete sich der ehemalige Minister nach seiner politischen Karriere unter anderem dem Ausbau seines Gutes „Kummerfrey“, das sich im Laufe der Jahre zum „architektonischen und landschaftsgestalterischen Ausdruck einer horazisch inspirierten Lebensethik seines Erbauers“ (S. 56f.) entwickelte. Doch es blieb nicht bei materieller Selbststilisierung: Schon der biographische Manteuffel-Artikel in Zedlers „Universallexicon“ von 1739 setzte den sächsisch-polnischen Reichsgrafen mit der antiken Gestalt des Maecenas gleich und unterstrich so Manteuffels ausgeprägtes Engagement als Förderer und Beschützer von Wissenschaft und Kultur. Diese Zuschreibung kam nicht von ungefähr. Bereits mit Gründung des „Ordre de Sanssouci“ zu Beginn der 1730er-Jahre hatte Manteuffel nicht nur eine Art gelehrten Ritterorden ins Leben gerufen, sondern ebenso 1736 die Gründung der „Societas Aletophilorum“ („Gesellschaft der Wahrheitsliebenden“) initiiert. Ziel war es, der Philosophie des einst von den Halleschen Pietisten diffamierten und von Friedrich Wilhelm I. vertriebenen Christian Wolff – und somit nach Verständnis der Gesellschaftsmitglieder der Wahrheit – zu einer gewichtigeren Präsenz in den theologisch-philosophischen Diskussionen seiner Zeit zu verhelfen. Diese Zuschreibung deckte sich, wie Bronisch detailliert zeigen kann, nicht nur mit den vorherrschenden Erwartungshaltungen an ständespezifische Praktiken gebildeter Adliger in der Mitte des 18. Jahrhunderts, sondern traf auch Manteuffels Selbstverständnis als Freund, Gönner und Förderer von Kunst und Wissenschaft. Als Kopf der gelehrten Vereinigung hatte er mit Bedacht den Decknamen „Maecenas“ für sich gewählt.

Eine besondere Dynamik sollten laut Bronisch äußere Zuschreibung und Eigenwahrnehmung bereits im Gründungsjahr der Aletophilen entfalten, als Manteuffel und seine Sozietätsgenossen versuchten, direkten Einfluss auf die Rehabilitierung Christian Wolffs und dessen Rückberufung nach Preußen sowie den beinahe wöchentlich erwarteten Wechsel auf dem preußischen Thron zu nehmen. So begriffen sich die Aletophilen nicht nur als Anwälte des Wolffianismus. Manteuffel selbst sah sich gegenüber dem zukünftigen König inzwischen auch in der Rolle eines Prinzenerziehers, dessen Bemühungen um den Thronfolger Bronisch als einen „Akt politischer Klugheitslehre“ (S. 69) wertet, mit dem sich der ehemalige Minister als geistig unabhängiger Fürstenratgeber zu empfehlen versuchte. Einerseits waren die Bestrebungen zur theologisch-philosophischen Rehabilitierung Wolffs erfolgreich; doch sollten sich die Hoffnungen auf ein Primat des Herrscherideals, wie es Wolff in seiner „Deutschen Politik“ und der kleineren Schrift „De rege philosophante et de Philosopho regnante“ entworfen hatte, in den Jahren bis 1740 gründlich zerschlagen. Manteuffel und die Aletophilen verloren den Kampf um Friedrichs philosophische Gunst bekanntlich gegen Voltaire und seine geistigen Mitstreiter. Als der Kronprinz schließlich seinem Vater auf den Thron folgte, hatte er sich nicht nur inhaltlich vom Wolffianismus abgewendet, sondern auch bald der aletophilen Erwartung einer natur- und vernunftrechtlich basierten „Herrschaft der Aufklärung“ durch seine Regierungspraxis eine deutliche Absage erteilt. Zudem musste Manteuffel als noch immer sächsischer Informant und Geheimdiplomat im Vorfeld des Ersten Schlesischen Krieges Preußen verlassen, was zu einer zusätzlichen Schwächung des Einflusses seiner Sozietät in Berlin führte. Christian Wolff selbst wurde zwar nach zähen, von dem Aletophilen Johann Gustav Reinbeck und Manteuffel teilweise massiv beeinflussten Verhandlungen nach Halle zurückberufen, der Wolffianismus jedoch sollte fortan als philosophisches Leitbild kaum noch eine gesteigerte Rolle im preußischen Geistesleben spielen.

Die nach dem Bruch von 1740 weiterhin bestehende Präsenz des Wolffianismus allerdings erlaubt Bronisch einen vertiefenden und analytischen Blick auf die Strukturen des aletophilen Netzwerks, das wie bisher daran interessiert war, Wolffs philosophischen Positionen Gehör und Nachhall zu verschaffen. In der Berliner Phase hatte sich die Sozietät noch als relativ kleine Anwesenheitsgesellschaft mit regelmäßigen Mitgliedertreffen im Haus des Berliner Verlegers und ehemaligen Betreuers der Geheimbibliothek des preußischen Kronprinzen Ambrosius Haude formiert; Bronisch stellt bis 1740 zwölf aktive Mitglieder der Aletophilen fest. Mit dem Umzug Manteuffels nach Leipzig transformierte sie sich jedoch in eine größtenteils brieflich kommunizierende, dezentralisierte Sozietät. Noch immer fanden regelmäßige Treffen in Manteuffels Leipziger Wohnsitz statt, und die Aletophilen rekrutierten sich vor allem aus der dortigen Professorenschaft, allen voran Johann Christoph Gottsched. Gleichzeitig wurden aber Filialgesellschaften gegründet, die mit der Muttergesellschaft in Leipzig fast nur noch die inhaltlichen Grundlagen und die Anerkennung Manteuffels als Oberhaupt der Sozietät gemeinsam hatten. Immerhin vergrößerte sich so die Gruppe der Wahrheitsliebenden auf fast 50 Mitglieder, unter denen nichtadlige Akademiker gegenüber wenigen, durch ihre Stellung als Ehrenmitglieder oder -direktoren herausgehobenen Aristokraten in der Mehrzahl waren.

Ihre weitere Wirkungskraft jedoch sollte die Gesellschaft der Wahrheitsliebenden aus ihrer lokalen Nähe zur Leipziger Universität entfalten können. Laut Bronisch trafen dort die „stabile und abgesicherte Dominanz“ (S. 176) von Wolffianern vor allem unter den Professoren der Artistenfakultät und die Verbindung zwischen der Leipziger „meritokratisch strukturierten Gelehrtenrepublik mit dem sozialen Prestige und der geburtsständischen Dignität des Adels, hier in der Person Ernst Christoph von Manteuffels“ (S. 181) gewinnbringend aufeinander. Man profitierte nicht nur gegenseitig vom „Austausch von sozialem Prestige“ (S. 183), dem ehemaligen Minister war es dadurch auch möglich, durch entsprechende Zuwendungen systematisch die dortige Universitätsbibliothek mit wolffianischer Literatur auszustatten. Die Basis Leipzig ermöglichte es Bronisch zufolge den Aletophilen, später erfolgreich in den so genannten Monadenstreit einzugreifen und weitere philosophische Konflikte im Sinne Christian Wolffs effektvoll anzugehen.

Dass sich die Sozietät kurz nach dem Tod des „Maecenas“ und damit dem Verlust ihrer zentralen Lenkungsgestalt konsequenterweise auflöste, gibt Bronisch Recht in der Verknüpfung von Sozietäts-, Geistes- und Personengeschichte. Manteuffels Biographie und die Konjunkturen des durch die kleine Gruppe der Aletophilen propagierten Wolffianismus waren unauflösbar miteinander verflochten. Dieser Blick eröffnet vertiefende Einsichten in die Zusammenhänge zwischen einem sich wandelnden adligen Lebens- und Bildungsideal, der Struktur gelehrter Gesellschaften und der Gestaltung zeitgenössischer philosophischer Diskussionen. Hinsichtlich der Kontextualisierung dieser Erkenntnisse über einen regionalen Bezug hinaus bleiben jedoch Fragen offen. Kann es zum Beispiel im Interesse der Wolffianer gewesen sein, die Rückkehr des inzwischen rehabilitierten Philosophen nach Preußen angesichts des erwarteten Thronwechsels letztlich um vier Jahre zu verzögern? Andere Gründe werden vielleicht sowohl für Wolff als auch für die preußische Seite ausschlaggebender gewesen sein. Der Autor mag auch eine „Zentralperspektive auf Christian Wolff und den Wolffianismus“ entwickeln, diese Perspektive allerdings ist der klassisch philosophiehistorischen näher als einer kontextualisierenden kulturwissenschaftlichen Betrachtung. Dieser kleinen Einschränkung zum Trotz hat Johannes Bronisch jedoch eine vor allem durch umfangreiche, akribische Quellenarbeit und ihren flüssigen Stil überzeugende Studie über einen maßgeblichen adligen Akteur in der geistigen Welt des mittleren 18. Jahrhunderts vorgelegt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ulrich Im Hof, Das gesellige Jahrhundert. Gesellschaft und Gesellschaften im Jahrhundert der Aufklärung, München 1982, S. 179ff.
2 Vgl. zum Beispiel die Beiträge in Holger Zaunstöck / Markus Meumann (Hrsg.), Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung, Tübingen 2003; Martin Mulsow, Freigeister im Gottsched-Kreis. Wolffianismus, studentische Aktivitäten und Religionskritik in Leipzig 1740-1745, Göttingen 2007.

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