G. McCulloch: The Struggle for the History of Education

Titel
The Struggle for the History of Education.


Autor(en)
McCulloch, Gary
Reihe
Foundations and Futures of Education
Erschienen
New York 2011: Routledge
Anzahl Seiten
152 S.
Preis
€ 31,65
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Philipp Eigenmann, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Selbstthematisierungen der eigenen Disziplin sind oftmals Anzeichen einer Krisenwahrnehmung. Sie speisen sich aus der Befürchtung, die eigene Forschung werde vernachlässigt oder verliere an Relevanz. Eine gängige Antwort darauf ist es, das eigene Tun zum Objekt seiner Forschung zu machen – nicht nur um sich der eigenen Tätigkeit zu vergewissern, sondern auch um sich in strategischer Hinsicht von benachbarten Disziplinen deutlicher abzugrenzen.1 Gary McCulloch leistet dies für die englischsprachige historische Bildungsforschung in seinem Buch „The Struggle for the History of Education“.2

Seinen Anspruch formuliert der Autor offensiv: „This book […] seeks to identify what is special and significant about the history of education in the twenty-first century world“ (S. 2). McCulloch leitet die Relevanz bildungshistorischer Themen und Fragestellungen im Rückgriff auf Emile Durkheim in erster Linie aus ihrer Geschichte ab. Folgerichtig legt er dem Leser eine Historiographie der Bildungsgeschichte vor, die er anhand des Leitmotivs der Auseinandersetzung („struggle“) erzählt. Durkheim folgend sieht McCulloch die Persistenz dieses Motivs darin, dass sich die historische Bildungsforschung stets in einem Spannungsfeld zwischen Geschichts-, Erziehungs- und Sozialwissenschaft befinde. Der Ausdruck „struggle“ ist klug gewählt, weil damit Auseinandersetzungen auf drei unterschiedlichen Ebenen artikuliert werden können. Er lässt sich erstens auf bildungshistorische Studien über Bemühungen zur Verbesserung der Schule, zweitens auf das Ringen innerhalb der historischen Bildungsforschung um eine thematische oder methodische (Neu-)Ausrichtung und drittens auf den Kampf um ihre Bedeutung in Abgrenzung zu anderen Subdisziplinen anwenden.

Auf der ersten Ebene findet McCulloch im normativen Anspruch, Fortschritt mittels besserer Bildung zu erlangen, ein wiederkehrendes Motiv im Gegenstand historischer Bildungsforschung. Die Auseinandersetzung um Erziehung und Schule beinhalte stets ein Ringen um eine bessere Zukunft, erläutert der Autor in den Kapiteln zwei bis vier anhand unterschiedlicher bildungshistorischer Studien. Die Deutungen dieser ersten Analyseebene hängen eng mit der zweiten Ebene, der Auseinandersetzung um die passende Methode, zusammen. Denn im jeweiligen methodischen und theoretischen Ansatz ist bereits angelegt, ob die Veränderungen im Bildungswesen als progressiv, regressiv oder unwirksam beurteilt werden, was McCulloch an historischen Beurteilungen des Bildungswesens im Hinblick auf sozialen Fortschritt, sozialen Wandel oder Gleichberechtigung durchspielt.

Hinsichtlich des Zusammenhangs von Bildung und sozialem Fortschritt (Kapitel 2) zeichnet McCulloch den Wandel der pädagogischen Historiographie in den USA nach. Im Laufe des 20. Jahrhunderts, so der Autor, sei eine konsequente Berücksichtigung der sozialen, ökonomischen und politischen Kontexte des Untersuchungsgegenstandes gefordert und die „liberal-progressiven“ Annahmen früherer Bildungshistoriker, die teleologisch, ideengeschichtlich und personenzentriert argumentierten, überwunden worden. Die Abwendung von der traditionellen, auf Top-Down-Prozesse beschränkten Forschung hin zu einer kontextsensibleren Sichtweise begann in den 1930er-Jahren, als der Amerikaner Ellwood Patterson Cubberly argumentierte, Schule sei nicht unabhängig von sozialen oder politischen Begebenheiten zu betrachten. Im gleichen Zeitraum plädierte der Engländer Fred Clarke für eine engere Verzahnung von Erziehung, Geschichte und Sozialwissenschaften. Konsequenter wurde der Einbezug der sozialen, politischen und ökonomischen Kontexte und so auch die Beachtung der Interdependenz zwischen Gesellschaft und Erziehung aber erst in den 1960er-Jahren gefordert. Der Bruch mit der Tradition der pädagogischen Geschichtsschreibung erfolgte jedoch nicht überall zur selben Zeit. In der neuseeländischen Bildungsgeschichte etwa konnte sich erst in den 1990er-Jahren eine kontextsensiblere und sozialkritischere Form der Historiographie etablieren.

Veränderungen im Bildungswesen konnten nun nicht mehr eindeutig als Moment des Fortschritts beschrieben werden, weil zudem sozialhistorische Studien aufkamen, die serielle Daten berücksichtigen und beispielsweise die Einführung einer obligatorischen Schulpflicht anhand von Zahlen des tatsächlichen Schulbesuchs neu beurteilten (Kapitel 3). In der Folge verlor die einseitige Annahme, sozialer Wandel sei Resultat von Bildung, an Bedeutung und das Verhältnis von Bildung und sozialem Wandel wurde vermehrt als interdependent beschrieben.

Schließlich bescheinigt McCulloch marxistisch ausgerichteten Studien, bei der historischen Betrachtung von Erziehung die Berücksichtigung von Machtverhältnissen forciert zu haben (Kapitel 4). Die liberal-progressiven Annahmen der Traditionalisten seien insbesondere von radikalen Revisionisten wie den Marxisten Brian Simon in England und Michael B. Katz in den Vereinigten Staaten kritisiert worden: In deren Sicht würde die traditionelle Geschichtsschreibung die durch die Schule reproduzierten Herrschaftsverhältnisse verschleiern. Nicht nur das Erziehungswesen, sondern auch dessen Geschichtsschreibung bezeichneten Simon und Katz als Projekt der herrschenden Klasse und forderten eine nach Gesellschaftsschichten differenzierte Geschichtsschreibung, worauf sie ihrerseits wiederum kritisiert wurden.

McCullochs detaillierte Geschichte der Bildungsgeschichtsschreibung vermittelt glaubwürdig, wie konfliktreich die methodische und theoretische Diversifizierung der historischen Bildungsforschung im 20. Jahrhundert verlief, und wie stark diese Veränderungen vom Wandel der Geschichts-, Human- und Sozialwissenschaften beeinflusst wurden. Irritierend bleibt jedoch die gewählte Methode der Darstellung, die den einzelnen Forschern und deren Studien außerordentlich viel Platz einräumt. So darf die Frage gestellt werden, inwieweit es sinnvoll ist, die Geschichte der Überwindung der personenzentrierten Geschichtsschreibung personenzentriert zu schreiben.

Umso überzeugender zeigt der Autor jedoch auf, dass sich die pädagogische Historiographie einer politischen und theoretischen Positionierung nicht vollends entziehen kann. Die theoretischen und methodologischen Auseinandersetzungen innerhalb der Disziplin sind nicht unabhängig vom gesteigerten Interesse der Politik an historischen Erkenntnissen zu sehen (Kapitel 5). Seit den 1960er-Jahren seien Bildungsreformen vermehrt als technologisierbare Problemlösungen konzipiert worden, deren Parameter die Wissenschaft, so auch die Bildungsgeschichte, zur Verfügung stellte. Die Geschichtswissenschaft erhielt eine politische Note. Ihrer theoretischen Ausrichtung entsprechend unterstützten oder kritisierten Historiker die zeitgenössische Politik – immer mit dem Risiko, von der Politik instrumentalisiert zu werden. Folgerichtig schließt McCulloch eine Darstellung unterschiedlicher Varianten ein, wie das Verhältnis von Geschichte und Theorie zwischen Empirismus und Postmoderne gedacht wurde (Kapitel 6).

Darin eingebettet ist auch das ab der Jahrtausendwende aufkommende Interesse an einer Bildungsgeschichte „von unten“, welche Minoritäten und Marginalisierte in den Blick nimmt. Bildungshistoriker erschlossen neue Quellen und betrieben neben der Auswertung von Dokumenten auch „oral history, visual history, sensory history, and materiality in history“ (S. 79). Die neuen Quellengattungen führten gleichzeitig zu einer inhaltlichen Diversifizierung, die der Autor anhand neuer Themenfelder sowie neuer Gesellschaften und Zeitschriften der historischen Bildungsforschung sehr deskriptiv und einem Forschungsüberblick ähnlich darstellt (Kapitel 7).

Diese Diversifizierung bildet zugleich eine Kontrastfolie zum Kampf um die strategische Ausrichtung der historischen Bildungsforschung innerhalb der Erziehungswissenschaft (Kapitel 8), was der dritten Analyseebene des Begriffs „struggle“ entspricht. Der Aufschwung neuer Perspektiven und Methoden berge die Gefahr, esoterisch zu werden und den Anschluss innerhalb der Disziplin zu verlieren. Die Gründe für die Marginalisierung der historischen Bildungsforschung, die sich beispielsweise im Ausschluss der historischen Perspektive aus der englischen Lehrerbildung in den 1980er-Jahren zeige, lägen vor allem in der aufkommenden Forderung von Öffentlichkeit und Politik, Rechenschaft über die Nützlichkeit und Relevanz von Studien abzulegen, was sich insbesondere für historische Studien als große Herausforderung erweise.

Der Autor lässt englischsprachige Bildungshistoriker der letzten hundert Jahre in zahlreichen Zitaten selbst sprechen und zeigt so Auseinandersetzungen im Gegenstand, innerhalb und im Umfeld der historischen Bildungsforschung auf, stets um die Schärfung des eigenen Profils bemüht. McCullochs Plädoyer für die Relevanz historischer Bildungsforschung ist überzeugend vorgetragen und in strategischer Hinsicht höchst willkommen. Seine Vorgehensweise mutet indes etwas tautologisch an: Doch wie lässt sich die Relevanz der historischen Bildungsforschung besser verifizieren als mittels einer Historisierung ihrer selbst?

Anmerkungen:
1 Vgl. Daniel Tröhler, Historiographische Herausforderungen der Bildungsgeschichte, in: Bildungsgeschichte IJHE 1 (2011) H. 1, S. 9-22; Sebastian Brändli, Skylla und Charybis in der Bildungsgeschichte. Methodische und perspektivische Bemerkungen zur disziplinären Entwicklung in der Schweiz, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 61 (2011) Nr. 3, S. 290-314.
2 Zur deutschsprachigen Geschichte der historischen Bildungsforschung siehe bspw. Heinz-Elmar Tenorth, Historische Bildungsforschung, in: Rudolf Tippelt u.a. (Hrsg.), Handbuch Bildungsforschung, Wiesbaden 2009, S. 135-153.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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