K. Knüttel u.a. (Hrsg.): Intersektionalität und Kulturindustrie

Titel
Intersektionalität und Kulturindustrie. Zum Verhältnis sozialer Kategorien und kultureller Repräsentationen


Herausgeber
Knüttel, Katharina; Seeliger, Martin
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heike Mauer, Laboratoire Gender Studies, Universität Luxemburg

Schon im April 2008 bezeichnete Kathy Davis Intersektionalität als ein „Buzzword“.1 Mehrfach wurde das Konzept bereits auf sein Potential als neues Paradigma der Genderforschung befragt und bislang ist kein Ende des wissenschaftlichen Interesses an diesem Denken der „Komplexitätsmaximierung“2 in Sicht: Allein in den letzten Jahren sind im deutschsprachigen Raum eine Vielzahl einschlägiger Titel erschienen.3

Der vorliegende Sammelband antwortet aus kulturwissenschaftlicher Perspektive auf die Kritik einiger Autorinnen wie etwa Gudrun Axeli Knapp, Nina Degele und Gabriele Winker, dass intersektionale Analysen oftmals auf der Mikroebene personaler (Inter-)Aktionen und Identitäten verblieben. Dabei bleibe offen, wie diese Mikroebene mit gesellschaftlichen Makrostrukturen, normativen Diskursen, kulturellen Repräsentationen und Symboliken verflochten ist.

Unter den „schillernden Begriffen“ Intersektionalität und Kulturindustrie wollen die Herausgeber/innen Martin Seeliger und Katharina Knüttel „den Versuch einer Synthese zweier Diskussionsstränge“ (S. 7) wagen und das Verhältnis zwischen Ungleichheit generierenden sozialen Kategorien und kulturellen Repräsentationen ausloten. In ihrer Einleitung streichen Knüttel und Seeliger ihre Nähe zum Ansatz von Intersektionalität als Mehrebenenanalyse von Nina Degele und Gabriele Winker heraus. Eine wichtige Innovation dieses Ansatzes liege „in der Berücksichtigung einer Ebene kultureller Repräsentationen.“ (S. 14) Den Anspruch, kulturelle Repräsentationen als Ausgangspunkte der Analysen zu nehmen, „ohne dass die gesellschaftliche Einbettung der Symbolproduktion, kontextspezifische Adaptionsmöglichkeiten, Machtpraktiken und Machtverhältnisse außer Acht gelassen werden“ (S. 19) erfüllen allerdings nicht alle Aufsätze gleichermaßen.

Vor den Analysen spezifischer kultureller Repräsentationsformen stehen Nina Degele und Gabriele Winker's leicht aktualisierte Kurzfassung ihres Ansatzes von Intersektionalität als Mehrebenenanalyse sowie Roger Behrens theoretische Verortung des Begriffs Kulturindustrie. Allerdings zeigt sich bereits in der Einleitung, dass sich die Herausgeber/innen (wie auch die überwiegende Mehrzahl der Autor/innen) primär innerhalb der Cultural Studies verorten und die frühe kritische Theorie, also den Entstehungskontext des titelgebenden Begriffes „Kulturindustrie“, in ihren Beiträgen nicht rezipieren. Lediglich Jos Schaefer-Rolffs analysiert die Verschränkungen von Rassismen und Sexismen im Hollywoodklassiker „King Kong und die weiße Frau“ mit Bezug auf die kritische Theorie.

Diese Lücke ist zu beklagen, hätten sich hier doch fruchtbare Diskussionen um die von den Herausgeber/innen benannte zentrale Frage nach dem Zusammenhang von Repräsentation, Individuum und Struktur ergeben können. Roger Behrens plädiert als einziger vehement für eine historisch-theoretische Verortung des Begriffes der Kulturindustrie – gerade auch um dessen Anschlussfähigkeit an die Intersektionalitätsforschung überprüfen zu können. Trotz existierender Anknüpfungspunkte, wie die Ablehnung der Basis-Überbau-Schematik durch die kritische Theorie und die Kritik ökonomistischer Ableitungen von Rassismus und Sexismus durch die Intersektionalitätsforschung und dem verwandten Black Feminism, verweist Behrens auch auf Spannungen zwischen den Konzepten. Wenn sich Herrschaft zunehmend ins Symbolische transformiere, stelle sich die Frage, ob der Begriff der Kulturindustrie die gegenwärtige Gesellschaft überhaupt noch angemessen beschreibe. Damit drohe zugleich, dass auch der Widerstand gegen verwobene Ungleichheitsverhältnisse allein auf der symbolischen Ebene verharre.

Die Beiträge von Katharina Knüttel und Britta Hoffarth adaptieren Degele und Winker's Konzept von Intersektionalität erfolgreich für ihre kulturwissenschaftlichen Fragestellungen. Beide Autorinnen lösen dabei die praxeologisch-erfahrungszentrierte Methodologie aus ihrem sozialwissenschaftlichen Kontext: Nicht qualitative Interviews mit Medienrezipient/innen, sondern die Medienformate selbst und ihr Verhältnis zu Gesellschaftsstrukturen und Identitäten sind Ausgangspunkt ihrer Analysen. Britta Hoffarth zeigt am Beispiel zweier „Star Trek“-Figuren, dass fiktionale Medien intersektionale Differenzen stabilisieren oder dekonstruieren können, je nachdem, wie diese im Spannungsfeld zwischen nicht-möglichen, nicht-wirklichen und nicht-fiktionalen Narrationselementen repräsentiert werden. Katharina Knüttel untersucht, wie in „Germany's Next Topmodel“ die Kategorien Geschlecht, race/Ethnizität, Klasse, Raum und Körper in ihren Ambivalenzen verhandelt werden. Die begrenzte Variabilität von Weiblichkeiten stelle „eine – wenn auch nur marginale – Gegenbewegung zu naturalisierenden und essentialisierenden Ideologien“ dar (S. 153). Dennoch habe das Format durch die „Verschleierung struktureller Ungleichheiten“ und der von den Teilnehmenden verlangten „Inkorporierung der Machtverhältnisse“ (S. 155) ein erhebliches antiemanzipatorisches Potential. Der Beitrag von Gabriele Dietze deutet parallele Befunde und Ambivalenzen in der Analyse von „Deutschland sucht den Superstar“ deutlich positiver. Zwar verbänden Casting-Shows gouvernementale Regierungstechniken der Selbstführung mit der Disziplinarmacht in Form der Jury. Allerdings verliehen Casting-Shows Migrant/innen eine Art kulturelle Staatsbürgerschaft und vermittelten deren Zugehörigkeit und aktive Beheimatung durch die Kür der Superstars per Zuschauervoting. So identifiziert Dietze gerade in emotionalen Formaten des Privatfernsehens Orte der Repräsentation „gelebten multikulturellen Lebens“ (S. 172), die zum Verschwinden des befremdlichen Charakters von „Andersheit“ beitrügen.

Martin Seeliger analysiert die Verflechtungen von sozialen Verhältnissen mit hegemonialen Männlichkeitsinszenierungen im Magazin „Business-Punk“. Das Magazin propagiere eine Form von Hypermaskulinität, die sich als Grenzen überschreitend, beruflich erfolgreich und außergewöhnlich leistungsfähig präsentiert. Damit korrespondiere diese Form der Männlichkeit mit den Erfordernissen der neoliberal-transformierten, postfordistischen Arbeitsgesellschaft. Männlichkeitsinszenierungen stehen auch im Zentrum des Beitrages von Hanne Loreck über La Sape (Sich-stilvoll-Kleiden). In dieser Praxis kongolesischer Männer (und weniger Frauen) manifestieren sich die Ambivalenzen der Aneignung von Mode in postkolonialen, globalisierten Kontexten. Mode erscheine nicht mehr als vermeintlich „oberflächlich“ und unpolitisch, auch wenn die Praxis der Sapeurs von Loreck nicht allein als Widerstand gegen (post-)koloniale Zustände gelesen wird, sondern auch als Aneignung einer postmodernen Form der Subjektivität, die Vorstellungen von Geschlecht, Ethnizität und Heterosexualität veruneindeutige.

Karin Esders unternimmt in ihrem Beitrag eine Re-Lektüre verschiedener Hollywood-Adaptionen und Rezeptionen der aus den USA der 1930er-Jahre stammenden Novelle „Imitation of Life“. Esders identifiziert drei mögliche Lesarten, die von einer Stabilisierung hegemonialer Verknüpfungen von interdepententen Ungleichheitsstrukturen wie Gender, Race und Class über eine Durchkreuzung feststehender Positionierungen von Privileg und Unterwerfung bis hin zu einer politisch-ironischen Lektüre reichen, welcher das Potential der Untergrabung zentral gesetzter Formen von Narrationslogiken und Rezeptionsweisen zukomme. Jedoch bleibt ohne empirische Untersuchungen offen, ob sich RezipientInnen tatsächlich die dargestellten Lesarten aneignen.

Der Artikel über gegenwärtige Frauenzeitschriften in Deutschland von Thomas Hecken und Isabelle Middeke verbleibt leider auf weiten Strecken sehr deskriptiv und konzentriert sich auf die Textanalyse der verschiedenen Rubriken eines Stylingmagazins. Dabei bleibt allerdings in weiten Strecken sowohl der gewählte kulturtheoretische Zugang als auch der Bezug zur Intersektionalitätsforschung unklar.

Insgesamt stellt der Sammelband ein breites Spektrum des Kulturellen vor, in dem die Verflechtungen zwischen Ungleichheit generierenden Kategorisierungen thematisiert werden. Zugleich unterstreicht das Buch die Bedeutung der Frage nach den Verflechtungen zwischen den Ebenen Subjekt, Gesellschaft und Repräsentation. Die Antworten hierauf fallen allerdings unterschiedlich aus: Während vor allem die Beiträge von Dietze und Esders der kulturellen Repräsentation das Potential zusprechen, positiv in die Gesellschaft auszustrahlen, betonen andere AutorInnen wie Seelinger, Knüttel und Schaefer-Rolffs stärker die Kompatibilität kulturindustrieller Medienprodukte mit den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Eine Einschätzung, der sich vermutlich auch VertreterInnen der kritischen Theorie anschließen würden.

Obwohl auf Grund der unterschiedlichen disziplinären und theoretischen Hintergründe nicht immer ein streitbarer Dialog zwischen den einzelnen Beiträgen über diese Grundsatzfrage entsteht, sei diese Publikation allen empfohlen, die einen Einstieg in das kulturwissenschaftliche Feld intersektionaler Fragestellungen suchen.

Anmerkungen:
1 Kathy Davis, Intersectionality as Buzzword, in: Feminist Theory, 9 (2008), S. 67 -85.
2 Aline Oloff, Integrale Interdependenz – Komplexitätsmaximierung in den Gender Studies,<www.querelles-net.de/index.php/qn/article/viewArticle/659/667> (19.10.2011).
3 Sandra Smykalla / Dagmar Vinz (Hrsg.), Intersektionalität zwischen Gender und Diversity: Theorien, Methoden und Politiken der Chancengleichheit, Münster 2011; Helma Lutz u.a. (Hrsg.), Fokus Intersektionalität: Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes, Wiesbaden 2010; Gabriele Winker / Nina Degele, Intersektionalität: Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld 2009.

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