H. Hömig: Karl-Theodor von Dalberg

Titel
Karl Theodor von Dalberg. Reichskanzler und Kirchenfürst im Schatten Napoleons


Autor(en)
Hömig, Herbert
Erschienen
Paderborn 2011: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
689 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Stickler, Institut für Geschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Carl Theodor von Dalberg (1744–1817) – die Schreibweise des ersten Vornamens mit „K“ ist ebenfalls gebräuchlich – gehört zu den zu Unrecht weitgehend vergessenen Persönlichkeiten der deutschen und europäischen Geschichte im Zeitalter Napoleons. Für diesen Befund kann man mehrere Gründe anführen: Erstens gehört Dalberg als geistlicher Fürst in der Spätphase des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation offenkundig zu den Verlierern der Geschichte, bei denen es sich scheinbar nicht lohnt, sich mit ihnen zu befassen. Zweitens kommt erschwerend hinzu, dass das Institut der alten Reichskirche wie auch deren Wertewelt heutigen Zeitgenossen überwiegend fremd beziehungsweise suspekt sind; die Vorurteilsstrukturen radikalaufklärerischer, antikatholischer und antiklerikaler Propaganda des 18. Jahrhunderts, die vielfach bis in die Gegenwart weiterwirken, tun ein Übriges, um einen unvoreingenommenen Zugang zu diesem Thema zu erschweren. Drittens scheinen unterschwellig auch immer noch die im radikalen Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurzelnden Verdammungen Dalbergs als „Vaterlandsverräter“ und „Franzosenknecht“ weiterzuwirken. In vielen großen Überblicks- und Gesamtdarstellungen erscheint Dalberg nur als Randfigur beziehungsweise als lebender Anachronismus, der 1813/14 konsequenterweise von der politischen Bildfläche verschwand. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie Dalbergs bisher ein Forschungsdesiderat darstellte.

Zurückgreifen musste man auf das materialreiche, gleichwohl aber veraltete Lebensbild des Diplomaten, Schriftstellers und Kulturhistorikers Karl Olivier Freiherr von Beaulieu-Marconnay (1811–1889)1 sowie auf Darstellungen von Teilaspekten, Sammelbände und Überblickswerke mit nicht selten lokaler Schwerpunktsetzung2; letzteres rührt daher, dass Dalberg sich in Aschaffenburg, Regensburg und Erfurt immer noch bzw. wieder eines durchaus regen lokalhistorischen und auch lokalpatriotisch motivierten Interesses erfreut. Genannt werden muss ferner der bereits 1995 erschienene, leider viel zu wenig beachtete dritte Band der „Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten“, der Dalberg sogar gewidmet wurde.3 Insofern war es hohe Zeit, die verstreuten Arbeiten über Dalberg zu einer Gesamtbiographie zusammenzuführen. Dieses Verdienst kommt Herbert Hömig zu, der bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2009 als Professor für Neuere Geschichte an den Universitäten Dortmund und Köln lehrte. Hömig ist in der Vergangenheit vor allem durch Arbeiten zum Politischen Katholizismus hervorgetreten, zuletzt erschien aus seiner Feder eine zweibändige Biographie des Reichskanzlers Heinrich Brüning.4

Auch das vorliegende, fast 700-seitige Werk folgt der für Hömig typischen ausführlichen, geradezu dokumentarischen Arbeitsweise. Eine Biographie Dalbergs zu schreiben, ist allein schon deshalb ein Wagnis, weil dessen Leben so enorm facettenreich ist; Hömig gibt hierbei weder der Versuchung nach, gleichsam in der Attitüde des Richters ex post über Dalbergs Denken und Handeln zu urteilen, noch verfällt er in schlichte Apologie. Neben den positiven Charakterzügen Dalbergs – seiner Güte und Hilfsbereitschaft, seinem Streben nach „Glückseligkeit“ der ihm anvertrauten Untertanen und seinem frommen, freisinnigen Denken – wird auch das Fragwürdige und Zeitgebundene an der Persönlichkeit des letzten Reichserzkanzlers in dem Band überaus deutlich. Dalberg verkörperte am Ende des Alten Reiches noch einmal die besten Traditionen des alten Reichsepiskopats: Aus einem rheinischen reichsritterschaftlichen Geschlecht stammend, hatte er, darin der Familientradition folgend, aber keineswegs gegen seinen Willen, den geistlichen cursus honorum eingeschlagen. In Mainz und Worms hatten bereits im 15. und 16. Jahrhundert Dalbergs den Bischofsstab innegehabt; Carl Theodor selbst erwarb Domkapitularspfründe in Mainz und Würzburg und wurde 1787 bzw. 1788 zum Koadjutor der Hochstifte Mainz und Worms sowie Konstanz gewählt. Die damit vorgezeichnete Kumulation von Bischofsämtern folgte, obgleich den Beschlüssen des Konzils von Trient eigentlich widersprechend, genauso dem Zug der Zeit wie die Tatsache, dass er erst nach seiner Wahl zum Koadjutor die Priesterweihe empfing (1788); nur wenige Monate später wurde Dalberg in Aschaffenburg zum Titular-Erzbischof von Tarsus (der Heimatstadt des Apostels Paulus) geweiht. Erst in der Phase des Reichszerfalls im Gefolge der Koalitionskriege gegen das napoleonische Frankreich wurde er 1800 Fürstbischof von Konstanz, 1802 schließlich Fürstbischof von Worms und Kurfürst-Erzbischof von Mainz und damit Erzkanzler des untergehenden Reiches.

Weltanschaulich war Dalberg ein Vertreter der katholischen Aufklärung und des gemäßigten Episkopalismus. Die solcherart empfangenen Prägungen bestimmten seine Reichs- und Kirchenpolitik bis zu seinem Tode: Als Vertreter der Rechte der deutschen Reichskirche, wie er sie verstand, war Dalberg ein vehementer Gegner sowohl der kurialen als auch der einzelstaatlichen Machtansprüche. Von hohem persönlichem Verantwortungsbewusstsein durchdrungen, orientierte er sich stets an den traditionalen Ordnungsprinzipien der Friedens- und Rechtsgemeinschaft des Alten Reiches, die er verband mit den Leitlinien des aufgeklärten Staatsdenkens und den Grundsätzen einer allgemeinen Moral. Ein struktureller Wandel in Kirche und Reich war für ihn nur denkbar in geordneten, legalen Bahnen und unter größtmöglicher Aufrechterhaltung der traditionalen Bindungen. Insofern hat er auch nach dem Untergang der Reichskirche und des Reiches stets daran festgehalten, dass beide in veränderter Form erhalten beziehungsweise wiederhergestellt werden müssten. Sein Kampf für eine autonome – keineswegs von Rom unabhängige – Nationalkirche unter einem deutschen Primas liegt in der Logik dieses Denkens, wie auch sein Eintreten für den Rheinbund keineswegs einen Verrat am Reich darstellt, sondern vielmehr als Versuch gesehen werden muss, den Reichsgedanken unter dem Protektorat Napoleons zu erneuern. Hömig arbeitet deutlich heraus, dass die persönliche Tragik Dalbergs darin lag, dass er nicht einsehen wollte bzw. konnte, dass sein Politikverständnis von kaum jemandem, schon gar nicht von Napoleon, geteilt wurde. Dalberg habe sich als hervorragender Repräsentant des aufgeklärten Absolutismus darum bemüht, eine Brücke zu einer modernen Staatlichkeit zu schlagen, wobei sein Herrschaftsverständnis aber stets vorrevolutionären Leitvorstellungen verhaftet blieb (vgl. S. 584f.). Insofern war Dalberg bei aller Anpassungsbereitschaft letztlich ein retardierendes Moment in der damaligen Gegenwart (vgl. S. 11), wobei Hömig allerdings zu Recht darauf verweist, dass auch eine stärkere politische Natur, als Dalberg es war, den Untergang des Alten Reiches nicht hätte verhindern können.

Hömigs Biographie fasst das gesicherte Wissen über Carl Theodor von Dalberg sachkundig und zuverlässig zusammen. Die Ergebnisse basieren überwiegend auf gedruckten Quellen und der vorhandenen einschlägigen Literatur. Benutzt hat Hömig auch ungedruckte Quellen aus verschiedenen Staats- und Stadtarchiven (darunter Wien, München, Dresden und Paris), doch waren bemerkenswerte neue Quellenfunde offenbar nicht zu verzeichnen. Nun ist bekannt, dass die Archivlage zu Dalberg misslich ist – so ist insbesondere kein persönlicher Nachlass erhalten, das einschlägige Archivgut ist verstreut. Doch fragt sich der Rezensent schon, ob etwa das Archiv des Quai d’Orsay in Paris nicht doch noch wichtiges, bisher nicht gehobenes Material zu Dalbergs Politik bzw. zur Geschichte des Rheinbunds enthält. Leider bleiben auch in Hömigs Dalberg-Biographie wichtige Forschungsfragen, die Zeit nach 1806 betreffend, weiter ungeklärt, so etwa das Ringen um das Fundamentalstatut für den Rheinbund oder – damit eng verbunden – der Erfurter Fürstenkongress, der, so viel macht schon die bisherige Forschung deutlich, wesentlich mehr war als ein glanzvolles gesellschaftliches Ereignis. Vermerkt werden muss, dass der Text bisweilen eine bessere Lektorierung und Straffung verdient gehabt hätte. Verzichtet hat der Verlag zudem leider auf ein Sachregister. Bedauerlich ist, dass viele in den Fußnoten genannte Literatur- und Quellentitel nicht in das Quellen- und Literaturverzeichnis aufgenommen wurden. Dennoch: Herbert Hömig ist zu danken, dass er die erste wissenschaftlich überzeugende Gesamtbiographie Carl Theodor von Dalbergs vorgelegt hat. Es wäre zu wünschen, dass dieses Werk dazu beiträgt, die Persönlichkeit des letzten Mainzer Kurfürsten und Erzkanzlers wieder mehr ins Bewusstsein zu rufen. Dies könnte auch dazu beitragen, dass die in der gegenwärtigen historischen Forschung leider allzu wenig beachtete Rheinbundzeit wieder mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfährt.

Anmerkungen:
1 Karl von Beaulieu-Marconnay, Karl von Dalberg und seine Zeit. Zur Biographie und Charakteristik des Fürsten Primas, 2 Bde., Weimar 1879.
2 Vgl. vor allem: Klaus Rob, Karl Theodor von Dalberg (1744–1817). Eine politische Biographie für die Jahre 1744–1806, Frankfurt am Main 1984; Konrad M. Färber u.a. (Hrsg.), Carl von Dalberg. Erzbischof und Staatsmann (1744–1817), Regensburg 1994; Konrad M. Färber, Kaiser und Erzkanzler. Carl von Dalberg und Napoleon am Ende des Alten Reiches, Regensburg 1994; Reinhard Grütz, Erfurt im Schatten der Französischen Revolution. Regierungspraxis und Staatstheorie Carl Theodor von Dalbergs, Leipzig 2000; Karl Hausberger (Hrsg.), Carl von Dalberg. Der letzte geistliche Reichsfürst, Regensburg 1995; Michael Ludscheidt, Aufklärung in der Dalbergzeit. Literatur, Medien und Diskurse in Erfurt im späten 18. Jahrhundert, Erfurt 2006; Hans-Bernd Spies (Hrsg.), Carl von Dalberg 1744–1817. Beiträge zu seiner Biographie, Aschaffenburg 1994; Carl von Dalberg, Ausgewählte Schriften, hrsg. von Hans-Bernd Spies, Aschaffenburg 1997.
3 Klaus Rob (Bearbeiter), Regierungsakten des Primatialstaates und des Großherzogtums Frankfurt 1806–1813, München 1995.
4 Herbert Hömig, Brüning. Kanzler in der Krise der Republik. Eine Weimarer Biographie, Paderborn 2000, ders., Brüning. Politiker ohne Auftrag. Zwischen Weimarer und Bonner Republik, Paderbron 2005.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch