Titel
Das Duell. Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne


Herausgeber
Ludwig, Ulrike; Krug-Richter, Barbara; Schwerhoff, Gerd
Reihe
Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven 23
Erschienen
Konstanz 2011: UVK Verlag
Anzahl Seiten
450 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Winfried Speitkamp, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel

Die Ehre ist wieder im Kommen – jedenfalls was die Forschung angeht. Nicht mehr nur Frühneuzeitforscher beschäftigen sich damit. Dieser Band belegt das, auch wenn der Schwerpunkt nach wie vor zwischen dem Spätmittelalter und dem ausgehenden 19. Jahrhundert liegt. Die Ausflüge ins 20. Jahrhundert richten sich auf Sektoren und Teilkulturen, denen man publizistisch ein quasi atavistisches Interesse an Ehrfragen unterstellt, wie muslimischen Jugendlichen. Die Chance, auch nach Ehrkämpfen und Duellersatzhandlungen in aktuellen Mehrheitsgesellschaften zu fahnden, wurde nicht gesucht. Schon die ersten Sätze und Beispiele der Einleitung deuten auf ein zentrales Problem hin: Was Ehre ist, weiß man oft erst, wenn sie einem abgesprochen wird. Und es zählte zu den beliebtesten Spielen transkulturellen oder schichtenübergreifenden Vergleichs im Alltag der Ehrenkämpfe, der jeweils anderen Gruppe, Schicht oder Kultur nicht nur die Ehre, sondern auch jedes Verständnis dafür gleich ganz abzusprechen. Anders ausgedrückt: Die Geschichte der Ehre ist die Geschichte des Kampfes darum, und daher ist das Duell keine Marginalie oder bloße äußere Erscheinungsform von Ehrvorstellungen. Vielmehr spiegelt es in seiner spezifisch konfrontativen Form und seiner kulturellen Rahmung den Kern von Ehre, die sich im Handeln offenbart und im Spannungsfeld von Gewalt, Geschlecht und Gemeinschaft angesiedelt ist.

Der aus einer Tagung hervorgegangene Band versteht das Duell als kulturelle Praktik, will neben den Praktiken aber auch die Repräsentationen, Verarbeitungen und Deutungen des Duells einbeziehen, vor allem die „Rückwirkungen der Diskurse auf die Praktiken“ und die Wechselwirkungen zwischen Recht, Duell und Diskurs (S. 22, 192). Der Band widmet sich dem Thema in mehreren Zugriffen: Zunächst geht es um „Disziplinäre Zugänge“ (Geschichtswissenschaft, Europäische Ethnologie, Soziologie), dann um „Vor- und Frühgeschichten“ im Mittelalter, ferner um Diskursfelder (Literatur, Leichenpredigten, Recht, Medien), darauf um „Praktiken im ständischen Kontext“ (Fürsten, Adel, Militär, Handwerker, Studenten) und in zwei abschließenden Beiträgen um „Darstellungskonventionen“ (Jugendkultur sowie Duelldarstellungen in bildender Kunst und Film). Die Herausgeber/innen skizzieren einleitend den Forschungsstand und die begriffliche Diskrepanz, wird unter Duell doch auf der einen Seite im engen Sinn ein historisch identifizierbares Phänomen verstanden, das an der Wende zur Neuzeit seinen Anfang nahm und im frühen 20. Jahrhundert verschwand, auf der anderen Seite im weiteren Sinn das epochenübergreifende Phänomen ritualisierter Zweikämpfe. Ob nach Pieter Spierenburg zwischen „ordentlichen“ und „populären“ Formen des Duells unterschieden werden sollte (S. 16), kann offen bleiben – derartige anachronistische Begrifflichkeiten erscheinen etwas schematisch, wenn man Wiederkehr bzw. Konstanz und Wandel bestimmter Phänomene erfassen will. Wenig sinnvoll erscheint es jedenfalls, den Wertungen der Zeitgenossen zu folgen, was jeweils akzeptiert und was dagegen irregulär ist, und davon die Auswahl des Forschungsgegenstandes abhängig zu machen.

Die Beiträge zeigen die Persistenz von Zweikämpfen um Ehre ebenso wie die Varianten der praktizierten Formen und die Vielfalt und Wandelbarkeit der damit verbundenen Vorstellungen von Ehre. Die im Band konstatierte Spannung zwischen einem geschichtswissenschaftlichen und einem ethnologischen Begriff des Duells muss daher gar nicht herausgehoben werden. Immer wieder ging und geht es um kollektive Werte, bezogen auf benennbare und abgrenzbare Gruppen. Ehre spiegelt Gruppenwerte, und Duelle sind in der Regel auf partikulare Identitäten bezogen. Männlichkeit und Gewalt spielen dabei eine zentrale Rolle, von „Jung-männern“ (S. 25) und „Jungmännerkultur“ (S. 37) ist wiederholt die Rede. Die Frage nach Generationalität als Basis von kollektivem Gewaltverhalten und Ehrvorstellungen wird jedoch nicht systematisch verfolgt, und auch die Frage nach Duellkulturen oder vergleichbaren Phänomenen in Gruppen oder Verbänden von (jungen) Frauen wird nicht gestellt.

Die vielfältigen Befunde ermöglichen eindrucksvolle Einblicke in Duellpraktiken. Bemerkenswert sind die Ergebnisse vor allem aus dem militärischen und studentischen Milieu, die das Bild einer eng an bestimmte, hermetisch abgeschlossene Stände orientierten Praxis in Frage stellen. Das Duell war wohl nicht gerade dort stark verbreitet, wo zum Beispiel das Offizierskorps sozial homogen war. Denn auch dort, wo der Anteil Bürgerlicher am Militär vergleichsweise hoch war wie in Bayern, war das Duell wichtig und bot es sogar die Chance zur Integration in eine bestehende Struktur. Während der Frühneuzeit war das Duell in europäischer Perspektive wohl sozial relativ offen; auch außerhalb von Adel und Offizieren wurde es genutzt, um in ritualisierter Form Ehrkonflikte auszutragen. Das überrascht allerdings nur denjenigen, der der Selbststilisierung der Duellliteratur des 19. Jahrhunderts aufgesessen ist. Das eigentlich Erstaunliche ist die Faszination für Gewalt und Duelle im 19. Jahrhundert. Diese Faszination war bürgerlich, sie äußerte sich in Lust- und Trauerspielen ebenso wie in Romanen und öffentlichen Debatten über Sinn und Zukunft des Duells.

Tatsächlich lag ja auch, das wird in mehreren Beiträgen betont, die Hoch-Zeit des Duells zwischen dem 18. und dem späten 19. Jahrhundert, und da stellte es eben kein feudales Relikt in bürgerlicher Zeit dar, sondern erscheint umgekehrt als Ausdruck der inneren Vielfalt und Ambivalenz des Jahrhunderts. Ehre und Duell bezeichneten vielleicht eher eine Art Erinnerungsort, sie boten neben der formal-kalten Welt des Rechts, in der man die Ehre auf dem Weg der Klage vor Gericht schützen konnte, die Möglichkeit anderer Gruppenbindungen und sozialer Heimat. Noch mehr Aufmerksamkeit verdient daher die innere Ordnung derartiger Gruppen. Die sich neuständisch inszenierenden Gemeinschaften des 19. Jahrhunderts waren jedenfalls nicht starr und abgeschlossen, sondern boten gerade Aufstiegs- und Integrationsmöglichkeiten über die konsequente Beachtung von Verfahren und Ritual. Folgenreich war das, weil hier auch in einer Zeit zunehmender Ächtung und Einhegung von Gewalt bestimmte gewalthafte Praktiken zugelassen blieben.

Von daher bietet es sich an, nach Kontinuitäten und Parallelen der Gewaltfaszination in „Jungmännerkulturen“ über die Duell-Epochen hinaus zu fragen. Allerdings bleiben die Beiträge dieses Bandes hier thematisch eher eingegrenzt und die den Sektionen jeweils zugeordneten, vergleichend und weiterführend resümierenden Kommentare sind zwar außerordentlich anregend, verzichten aber aus Angst vor der Konstruktion anthropologischer Konstanten darauf, gemeinsamen Strukturen nachzugehen. Dabei könnte man Elemente sozialer Kontinuitäten durchaus diskutieren: So wäre es von Interesse zu erfahren, inwiefern sich Bewertungen von Gewalt änderten, die Hülse „Ehre“ neu gefüllt wurde, Geschlechterrollen neu definiert waren und Gruppenbeziehungen zwischen Stand und Beruf anders ausgelegt wurden. Das Duell wäre dann eben doch lediglich eine spezifische historische Erscheinungsform eines zeitlich weiter ausgreifenden Phänomens. Praktiken eines negativen Gabentausches wie Blutrache und Fehde, die hier nur punktuell angesprochen werden, hätten noch mehr Aufmerksamkeit verdient. Dabei hätte es sich sicher angeboten, den Blick doch noch mehr über die alteuropäischen Grenzen hinweg auf verflochtene Ehr- und Gewaltpraktiken in anderen Kulturen zu richten. Ungeachtet dessen bietet der vorliegende Band aber grundlegende Fallstudien, die das weite Feld von Ehre und Duell neu ausleuchten.

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