Cover
Titel
Radio. Eine Einführung


Autor(en)
Kleinsteuber, Hans J.
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Edgar Lersch, Tübingen

Zu den Forschungsgebieten des kürzlich verstorbenen Hamburger Politikwissenschaftlers Hans J. Kleinsteuber gehörte das Zusammenspiel von Medien und Politik. Hier beschäftigten ihn unter anderem Probleme ungehinderter Berichterstattung und die Wahrung von ‚Öffentlichkeit’ und Transparenz durch die Medien. Durch wirtschaftliche Interessen von Medienkonzernen sowie medienpolitische Weichenstellungen und Ordnungskonzepte sah er diese immer wieder gefährdet.

Seit über 20 Jahren schufen Forschungsaufträge die Grundlage für seine Publikationen zum Radio, wobei sein besonderes Interesse – und hier grenzüberschreitend – der ‚freien’ Radioszene galt.1 Hier sah Kleinsteuber Möglichkeiten, im Bereich der audiovisuellen Medien den ökonomischen Zwängen kostspieliger Medienproduktion und -distribution ein Stück weit zu entkommen. Technische Entwicklungen hatten in den 1980er-Jahren Platz für weitere Programmkanäle geschaffen. Über sie konnten Radioinitiativen zu verhältnismäßig geringen Kosten Hörfunkprogramme ausstrahlen, die sich flexibel an unterschiedlichste Publika richteten. In Deutschland wurden in den 1980er-Jahren dafür in einigen Bundesländern auch die medienrechtlichen Bedingungen geschaffen. Gleichwohl sah und sieht Kleinsteuber die ‚freien Radios’, das Community-Modell, hierzulande zumindest vernachlässigt, wenn nicht gar gezielt behindert (etwa S. 276ff.).

Mit dem vorliegenden Buch beabsichtigt Kleinsteuber, mit einer breiteren Perspektive auf das auditive Medium insgesamt zu zeigen, wie „das Radio eine einzigartige Verbindung mit der Zivilgesellschaft eingegangen“ ist, weil „im Unterschied zu allen anderen der klassischen Medien […] die Zugangsbarriere gering, das Selbermachen kein Problem, die Bedienung auch kleiner Zielgruppen möglich“ ist (S. 11). Insofern geraten die von ihm verfassten Kapitel – das sind „Begriffsbestimmung“ (Kapitel eins), „Technik“ (Kapitel fünf), „Politik“ (Kapitel sechs), „Ökonomie“ (Kapitel sieben) und „Organisation“ (Kapitel acht) – zu einem Plädoyer für die Vorzüge der freien Radioszene. Das wird in diesen Passagen des Buches nicht zuletzt immer wieder in kritischen Anmerkungen zum „Hörfunk“ deutlich, den Kleinsteuber mit dem Angebot der öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Großinstitutionen identifiziert. Deshalb vermeidet er diesen Begriff, wo immer es geht, und spricht vom „Radio“ (S. 15ff.). Die von ihm darüber hinaus verantworteten Kapitel 12 bis 15 behandeln verschiedene Fragestellungen zum Radio im regionalen und lokalen Raum, zur internationalen Vernetzung sowie die Forschung zum Thema.

Kleinsteubers Mitautoren teilen seine spezifische Sichtweise nicht. Sie beziehen sich in ihren Ausführungen zum (Hörfunk-)„Programm“ (Kapitel neun von Corinna Lüthje), zur (Hörfunk-)„Nutzung“ (Uwe Hasebrink/Norman Müller) und zum (Hörfunk-)„Journalismus“ (Kapitel zwölf von Ralph Eichmann mit praxisnahen Beispielen aus der Arbeit eines Hörfunkredakteurs) fast ausschließlich auf den Mainstream des öffentlich-rechtlichen wie kommerziellen Hörfunks in Deutschland jenseits der von Kleinsteuber präferierten Community-Radio-Szene.

Insofern wundert es nicht, dass die beiden eng zusammengehörenden, von Frank Schätzlein verantworteten Kapitel über (Radio-)„Theorien“ (Kapitel drei) und (Hörfunk-)„Geschichte“ (Kapitel vier) in Bezug auf Stoffauswahl und Argumentationsrichtung konturlos bleiben. Schätzlein stellt knapp die zahlreichen ‚Radiotheorien’ (oder solche, die sich dafür ausgeben) von Bertolt Brecht in den 1920er-Jahren bis zu den Ansätzen vor, die ex- oder implizit jüngeren Veröffentlichungen zum Radio (zum Beispiel von Jürgen Häusermann und anderen) zugrunde liegen. Er bevorzugt nicht einseitig diejenigen, die „Spielräume für eine selbstbestimmte, selbstorganisierte, dezentralisierte und interaktive Medienpraxis“ (so Seite 47 zu Hans Magnus Enzensberger) eröffnen, und endet diesbezüglich mit dem World Wide Web. Klarer als Kleinsteuber formulieren einzelne Mitautoren im Übrigen, dass das auch für das Community-Radio noch gültige klassische Broadcasting-Modell durch das Internet vermutlich enorm verändert wird oder gar sein Ende finden könnte.

In Schätzleins Abriss der Hörfunkgeschichte werden die von der Forschung in den letzten Jahrzehnten erarbeiteten Ergebnisse der deutschen Hörfunkgeschichte – manchmal angesichts der Stofffülle nur stichwortartig – aufgelistet. Der zur Verfügung stehende Raum reicht nicht aus, um die Vielfalt anschaulicher, die spezifischen Wege des auditiven Mediums eingehender darzustellen. Der Kohärenz des Buches wäre eher gedient gewesen, wenn Schätzlein sich stärker auf die Traditionen der weniger zentralistischen Hörfunkkonzepte im deutschen wie internationalen Kontext konzentriert hätte (ohne deren Bedeutung zu überschätzen). So gab es in den 1920er-Jahren etwa in Großbritannien vor Gründung der BBC (1926), in der Schweiz und partiell auch in Frankreich alternative Vorstellungen und Praktiken. Zu erörtern wäre dabei, aus welchen Gründen sie zugunsten anderer Lösungen zurückgedrängt wurden. Auch hätte dieses Kapitel die vom Hauptautor im zwölften Kapitel allzu pointillistisch vorgestellte Community-Radio-Szene in Deutschland ausführlicher behandeln wie auch die bereits historisch gewordenen ordnungspolitischen Debatten darum analysieren können.

Nicht alle Vor- und Nachteile des Buches können hier gewürdigt werden. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der Radio- bzw. Hörfunkinteressierte hier viele Detailinformationen wie auch Überlegungen zur Zukunft des Radios bei der Verbreitung von audiovisuellem Content durch das Internet findet. Als Einführungsreader oder als Handbuch taugt es allerdings angesichts der herausgearbeiteten, letztlich unausgesprochenen Diversität der konzeptionellen Ansätze und damit seiner Uneinheitlichkeit nur bedingt.

Anmerkung:
1 Hans J. Kleinsteuber (Hrsg.), Radio – das unterschätzte Medium. Erfahrungen mit nichtkommerziellen Lokalstationen in 15 Staaten, Berlin 1991.

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