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Titel
Sonic Persuasion. Reading Sound in the Recorded Age


Autor(en)
Goodale, Greg
Reihe
Studies in Sensory History
Erschienen
Anzahl Seiten
189 S.
Preis
$27.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiner Stahl, Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Erfurt

Greg Goodale gelingt es in „Sonic Persuasion“, der Klangspur politischer Kommunikation nachzugehen. Auf verschiedenen Feldern zeigt er auf, dass das auditive Erlebnis von Rundfunk- und Redestimmen eine kommunikative Bindekraft besitzt. Goodale gewinnt in der Betrachtung von medialen Sprechstilen und Sprachregelungen einen Forschungsgegenstand. Nach den mit „Reading Sound“ (S. 1-15) betitelten einleitenden Ausführungen setzt sich der Autor im Kapitel „Fitting Sounds“ (S. 16-46) damit auseinander, wie US-amerikanische Präsidenten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gelernt haben, in einer bestimmten Tonlage und in einer besonderen Klangfarbe auf Massenveranstaltungen und im Rundfunk zu sprechen. Dadurch sollte bei den Zuhörern an den Rundfunkgeräten neben einem Grundgefühl von Vertrautheit auch der Eindruck von Kompetenz und Handlungsfähigkeit erzeugt werden. Woodrow Wilson sprach deshalb schon grundlegend anders vor Publikum, als es Theodore Roosevelt ein Jahrzehnt zuvor auf öffentlichen Veranstaltungen tat. Nicht nur die Intonation veränderte sich, auch die „sonic expectations“ (S. 45) der Hörer, die Erwartungen an den Klang der Stimme 1, hatten sich entscheidend verschoben. Er verweist zudem auf das Hintergrundrauschen in repräsentativen Demokratien und die Geräuschkulisse autoritärer und totalitärer Diktaturen. Mit diesem veränderten Fokus auf den Gegenstand trägt Goodale ebenso zur Erweiterung mediengeschichtlicher Fragen bei wie er die Forschungen zu politischem Charisma bereichert.

Der dritte Abschnitt „Machine Mouth“ (S. 47-75) behandelt die Bearbeitung von Klang, Sound und Lärm im Expressionismus, im italienischen Futurismus und im frühen europäischen Science-Fiction-Kino. Das „Maul der Maschine“ steht für den „Moloch“ in Fritz Langs „Metropolis“. Natürlich streift Goodale in diesem Zusammenhang sowohl die Propagandamaschinerie des Nationalsozialismus, die die Klanglichkeit der Parteitagsrede und Rundfunkansprache mit Nachdruck inszenierte (S. 61-63), als auch die filmischen Gegenentwürfe Charlie Chaplins in „Der Große Diktator“ sowie „Moderne Zeiten“. Der Erzählfluss und die Argumentation springen in diesem Kapitel zwischen Bildbeschreibungen, Hitler-Reden, Film- und Textanalysen hin und her. Das ist mühsam zu lesen.

Klarer entwickelt Goodale seine Positionen, wenn er in „The Race of Sound“ (S. 76-105) der schrittweisen Überwindung der Rassentrennung im Livemusik-Geschäft nachgeht. Er begreift diese Entwicklung zu Recht als populärkulturellen Übergang, der um die Mitte der 1930er-Jahre zögerlich einsetzt. Die Praxis der Segregation hatte eine auditive Spur: Swing und Country waren weiß, Blues und Hot Jazz waren schwarz. Der Musiker Jackie Robinson war nach Ansicht von Goodale der Erste, der 1947 für den weißen Bandleader Brookly Dodgers Liveauftritte zu spielen begann und dadurch die „color barrier“, die Grenzlinie der Hautfarbe, überwand (S. 76). Der Weg bis zur weitgehenden Einebnung der Rasseschranken in den Hitparaden der US-amerikanischen Privatradios war allerdings noch lang: Es bedurfte von diesem Zeitpunkt an noch weiterer zwanzig Jahre – und zweier weiterer Kriegseinsätze.

Im Soundtrack des Korea-Engagements hatten sich Swing, Jazz und Blues angenähert. Die popkulturelle Spur des Kriegseinsatzes in Vietnam verband Soul, Rock und Urban Folk zu einem Soundtrack und beschleunigte die ästhetische Abschwächung weiterhin existierender rassistischer Grenzziehungen. Zu diesen „Sounds of War“ (S. 106-131) gehörten neben den Musiktiteln der US-amerikanischen Soldatensender ebenso das Surren von Hubschraubern und deren Rotorblätter, Sirenen und Bomben, das Knistern von verbrennenden Bäumen nach einem Napalm-Angriff. Natürlich ist die Referenz an die filmische Umsetzung des Wagnerschen „Walkürenritts“ in Francis Ford Coppolas „Apokalypse Now“ an dieser Stelle angebracht. Und natürlich gehören die Stimmen von Nachrichtensprechern wie Walter Cronkite zur medialen Schleife der Vietnam-Berichterstattung, genauso wie Edward Murrows Stimme die Reportagen aus dem Zweiten Weltkrieg geprägt hat. In diesen Ausführungen bleibt Goodale stark auf die Überlegungen von Michel Chion bezogen.2 Das ist deshalb reizvoll, weil Chion die Verknüpfungen von lautmalerischen Akzenten in der Klanggestaltung von Filmen mit den Verlauf von Figurenentwicklung und dem Fortgang von Handlungen zieht. Er leiht sich den Begriff „akusmatisch“ vom französischen Neue Musik-Komponisten Pierre Schaeffer, um den ankündigenden und vorwegnehmenden Charakter von Sound zu erfassen – also etwas hören zu können, bevor die Person, das Ereignis, die Handlung in einer Szene zu sehen ist. Andererseits kann eine „akusmatische“ Situation dann entstehen, wenn eine Aufnahme, ein Bild mit und durch ein Klangmotiv identifiziert wird. Das ließe sich an den stimmlichen Präsenzen von investigativen Journalisten wie Murrow oder Cronkite aufzeigen oder an den Sprechweisen von US-Präsidenten, britischen Premierministern, französischen Staatspräsidenten und deutschen Bundeskanzlern darstellen. Das gelingt Goodale nur in Ansätzen, weil er schlussendlich viel zu fasziniert davon ist, was eine auf Sound abzielende Interpretation politischer Kommunikation ermöglicht.

Goodales Ausführungen sind durchweg inspirierend, auch wenn er von Kapitel zu Kapitel seine Argumentation aus unterschiedlichen Richtungen her auffächert. Die Kernpunkte, auf die der Autor zusteuert, treten erst recht spät im Verlauf der Erläuterungen zutage. Sicherlich hätte es sich angeboten – und das Material, welches Goodale zusammengetragen hat, gibt das auf jeden Fall her –, die Linien seiner Argumentation auf „klangliche Überzeugungsarbeit“ im politischen Geschäft einerseits und die klangliche Grundierung historischer Entwicklungen im Sinne einer Sound History andererseits prägnanter zuzuspitzen. Es bleibt gleichwohl Goodales Leistung, die Klangspuren der Mediengeschichte mit den Klangsphären politischer Kommunikation verbunden und in „Sonic Persuasion“ nach Kräften freigelegt zu haben. Daher ist es zu verschmerzen, dass das Buch ohne ordentliches Literaturverzeichnis auskommt. Und man kann es Goodale durchaus mit Wohlwollen nachsehen, wenn er in seinem abschließenden Kapitel „On Sound Criticism“ (S. 132-154) einen viel zu weiten Bogen – von Rudolf Arnheim (Hörspiel als Kunstform) über Theodor W. Adorno (Jazzkritik und der Niedergang des Hörens) sowie Gilles Deleuze und Felix Guattari (Das Rhizom und die musikalische Präzision) – schlägt. In diesem Abschnitt verliert sich Goodale in der Vielfältigkeit theoretisch-konzeptioneller Anleihen. Dabei hätte er das im Schlusskapitel gar nicht mehr nötig gehabt.

Anmerkungen:
1 Mladen Dolar, His Master's Voice. Eine Theorie der Stimme, Frankfurt am Main 2007.
2 Michel Chion, Le Son, Paris 1998.

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