Monika Halbinger untersucht die Berichterstattung über das Jüdische in der „Zeit“, im „Spiegel“ und im „Stern“ von der Nachkriegszeit bis zum Ende der ‚alten‘ Bundesrepublik und schließt damit ein Desiderat in der zeitgeschichtlichen Forschung. Die Arbeit ergänzt mehrere Studien, die lediglich Zeitabschnitte und Ausschnitte des Mediendiskurses zum Umgang mit der NS-Vergangenheit oder bundesrepublikanische Vorstellungen über das Juden- bzw. das Israelbild untersuchten.1 Der Begriff des „Jüdischen“ lehnt sich Halbinger an das Verständnis von jüdischer Identität als „disaggregated identity“ an und zeigt nicht zuletzt damit, dass die Dissertation in der Abteilung „Jüdische Geschichte und Kultur“ an der Universität München entstanden ist.
Am Material möchte Halbinger die häufig vertretene Ansicht überprüfen, es habe ein „kollektiver Lernprozess“ (S. 9) bezüglich antisemitischer Ressentiments sowie ein Stereotypenabbau in der politischen Kultur der Bundesrepublik stattgefunden. Sie setzt sich mit dem letztlichen Falsifizieren der These von den positiven Einschätzungen des Soziologen Werner Bergmann ab.2 Die methodische Einordnung zum Beispiel in die Presseforschung ist in der Studie knapp gehalten und der Zugang ist ein kritisch-hermeneutischer. Der Schwerpunkt liegt auf der Analyse und Verarbeitung des umfangreichen Quellenkorpus, der gelungen strukturiert wurde.
Monika Halbinger konzentriert sich zunächst vornehmlich auf die prägenden Herausgeberpersönlichkeiten Marion Dönhoff („Zeit“), Rudolf Augstein („Spiegel“) und Henri Nannen („Stern“). Hier räumt Halbinger, obwohl ihr kein Zugang zu den Nachlässen gewährt wurde, mit etlichen, teils von den Protagonisten selbstgestrickten Mythen über Widerstandskontakte oder ihr aufgeklärtes Selbstbild auf und erkennt bei allen dreien eine Haltung, „die Merkmale des strukturellen Antisemitismus aufwies, nicht selten sogar offene Ressentiments“ (S. 401).
Die anschließenden Kapitel widmen sich thematisch und darin chronologisch der Analyse der Berichterstattung zu jüdischen Themen; mehrmals angereichert um Leserbriefdebatten und kritische Reaktionen jüdischer Stimmen, zum Beispiel aus der „Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung“.
Im Blick auf das Jüdische in der Nachkriegszeit und bis Mitte der 1950er-Jahre popularisierten die Wochenblätter fast ungebrochen nationalsozialistisch geprägte Ressentiments, Vorurteile und Vorbehalte insbesondere gegen DP’s und (R)Emigranten sowie bei der Thematik von Wiedergutmachungsleistungen. Eine Reflexion auf die Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen fand nicht statt; vielmehr sind den untersuchten Periodika starke nationale bis revisionistische und konservative Ausrichtungen nachzuweisen. Gleichzeitig wurde das Fortbestehen antisemitischer Einstellungen negiert oder bagatellisiert, weil für die Alliierten die Ablehnung des Antisemitismus ein „Prüfstein für die neue demokratische Glaubwürdigkeit“ (S. 147) darstellte. Im Verlauf der 1950er-Jahre machten die Wochenzeitungen einen unterschiedlich starken Richtungswechsel hin zu einer gewissen Liberalisierung durch, befördert auch durch einen Generationswechsel unter den Journalisten. Forthin behandelt Halbinger die drei Blätter verkürzend als liberal.
Die Themenkreise und ihre Problematik verdeutlichen die gut gewählten Titel der drei folgenden Kapitel: So waren die Beschäftigung mit dem Antisemitismus und der NS-Vergangenheit von den 1950er- bis zu den 1970er-Jahren „zwiespältige Versuche der Aufklärung“ und die Darstellung der jüdischen Identität „ambivalente Annäherungen an das Jüdische“. In „Tendenzen der Abwehr – Jüdisches im Zwielicht“ werden unter anderem die Sicht auf die israelische Gesellschaft und der tendenzielle Antizionismus der Periodika untersucht. Die 1980er-Jahre erhalten einen gesonderten Abschnitt, der die Auseinandersetzungen mit selbstbewusster auftretenden deutschen Juden der zweiten Generation (besonders Lea Fleischmann und Henryk M. Broder) ausführlicher zitiert.
Monika Halbinger kann nachweisen, dass die stattgefundene Liberalisierung der bundesdeutschen Gesellschaft zu einer ganz spezifischen sekundärantisemitischen „Verantwortungs- und Erinnerungsabwehr“ (S. 406) und zu einer Konservierung antisemitischer Stereotype in den (links-)liberalen Medien geführt hat. Auch in der Ablehnung antisemitischer Vorfälle trat Widersprüchliches zutage und die Aufklärungs- und Vermittlungsversuche über das Jüdische waren häufig mehrdeutig. Besonders die immer wieder festgestellte Vereinnahmung einer bestimmten Sicht auf die deutsch-jüdische Geschichte ist hier zu nennen. Gleichzeitig durchzog die analysierte Presse eine Abwehr, die Juden stigmatisierend als Fremde wahrnahm. An etlichen Beispielen tritt das Muster der die deutsche Tätervergangenheit entlastende Täter-Opfer-Inversion auf: Sei es in der Opferstilisierung der Deutschen und den Normalisierungs- und Schlussstrichforderungen, sei es in der Kriminalisierung von Juden; sei es im Vorwurf, Juden würden aus ihrem Opferstatus Kapital schlagen oder in der übertriebenen Furcht, einen Philosemitismus zu bedienen (der der „Springerpresse“ pauschal unterstellt wurde) und sei es schließlich am deutlichsten über die Jahre hinweg beim Thema Israel. Bis Ende der 1970er-Jahre gab es darüber hinaus in allen drei Blättern Verschwörungsvorstellungen und höchst ambivalente Begrifflichkeiten, wie „jüdische Supermacht“ (S. 305), „Weltjudentum“ (S. 333) oder physiognomische Stigmatisierungen wie „große Hakennase“ und „ausgesprochen jüdische Gesichtszüge“ sowie Beschreibungen von jüdischer Geschäftstüchtigkeit (vgl. S. 294ff.).
Bis Mitte der 1950er-Jahre war die Haltung der untersuchten Medien bezüglich des Staats Israel negativ-distanziert, aber auch die danach zu findende Bewunderung für Land und Leute war christlich-eurozentrisch und klischeebefangen. Nach dem Sechstagekrieg 1967 schlug die Stimmung unmittelbar um. Nun geriet aus einem liberal-progressiven deutschen Selbstverständnis heraus die nationale Idee des Zionismus stark in die Kritik. Es entwickelte sich ein paternalistischer „pseudoliberale[r] Diskurs“ (S. 405), der vermeintliche Missstände in Israel angriff sowie eine unverhältnismäßige Kritik am orthodoxen Judentum formulierte und (übrigens bis heute) angesichts der pluralistischen Debattenkultur des jüdischen Staates regelmäßig eine Zerreißprobe der Gesellschaft herbeiredet(e). Nach Halbinger sind darin strukturelle Affinitäten zu traditionellen antisemitischen Einstellungen oft unübersehbar.
Eine durchgängig festgestellte „Strategie der Wochenzeitungen“ (S. 407) bestand darin, Kritik an jüdischen Inhalten sowohl bei innen- wie außenpolitischen Themen von Juden formulieren zu lassen. Eine zentrale Rolle als jüdischer Kronzeuge für ein antizionistisches Israelbild erhielt seit 1969 insbesondere im „Spiegel“ und im „Stern“ der in Israel eine Außenseiterposition vertretende Uri Avnery (ein ehemaliger Schulfreund Rudolf Augsteins, der 1933 nach Palästina emigriert war). Die Wochenblätter neigten außerdem dazu, das jüdische Schicksal in der Shoah mit dem aktuellen Konflikt in Nahost zu vergleichen.3 Diese Erinnerungsabwehr wirkte nicht nur wegen der Täter-Opfer-Inversion entlastend, sondern auch weil sie den Holocaust zu einem ort- und zeitlosen Ereignis machte. Auf diese Weise konnte mitunter ein ‚guter Wille‘ aufklärerischer Intention mittels Gegenwartsbezügen zu einer Entkontextualisierung des Holocaust beitragen und damit einer Relativierung Vorschub leisten (vgl. S. 406).
Was dem Band bei aller analytischen Schärfe fehlt, ist eine gebündelte Einschätzung und Einordnung der Unterschiede zwischen den Wochenzeitungen. Wer sich zum Beispiel für die Parameter eines Wandels bei der „Zeit“ mit wissenschaftlich-akademischem Anspruch gegenüber dem doch lange als Boulevardblatt geltenden „Stern“, der dem Konzept seiner ersten Gründung von 1938 folgte, interessiert, muss sich diese eigens zusammensuchen. Manche Diskursbeispiele werden lediglich angerissen und bleiben ohne Hintergrundwissen unklar, während markante Ereignisse zur NS-Vergangenheit und dem Umgang mit jüdischen Opfern/Zeugen, wie der erste Frankfurter Auschwitzprozess 1963-1965, unerwähnt bleiben. Darüber hinaus muss man an einigen Stellen aufgrund fehlender längerer Zitate schlicht der interpretierenden Darstellung Halbingers folgen. Vielleicht wäre hier weniger mehr gewesen: anstatt auf Vollständigkeit zu bauen, hätte eine ausschnitthafte Behandlung eine stichhaltigere (Sprach-)Analyse befördern können. Für ein Fachpublikum wäre außerdem eine ausführlichere Methodendiskussion interessant gewesen und in manchen Fußnoten wünscht man sich weiterführende Literatur und Belege (vgl. zum Beispiel S. 88, 482, 302f.).
Abgesehen von diesen kritischen Anmerkungen hat Monika Halbinger eine sehr interessante und gut lesbare Studie vorgelegt, die auch Dank des Personenregisters als Nachschlagewerk über die Haltungen zum Jüdischen in diesen einflussreichen bundesrepublikanischen Wochenmagazinen dienen kann.
Anmerkungen:
1 Siehe z.B.: Rolf Behrens, „Raketen gegen Steinewerfer“. Das Bild Israels im „Spiegel“. Eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung der Intifada 1987-1992 und „Al-Aqsa-Intifada“ 2000-2002, Münster 2003; Robert Beyer / Eva Leuschner, Aktion und/oder Reaktion – funktionale Konvergenz von medialen Diskursen und antisemitischen Äußerungsformen, in: Monika Schwarz-Friesel u.a. (Hrsg.), Aktueller Antisemitismus – Ein Phänomen der Mitte, Berlin 2010, S. 133–162; Alexander v.d. Borch-Nitzling, Das Dritte Reich im „Stern“. Vergangenheitsverarbeitung 1949–1995, Göttingen 2000; David Heredia, Zum Judenbild nach Auschwitz. Die frühe Berichterstattung in der Zeitschrift „Der Spiegel“, Freiburg 2008.
2 Werner Bergmann, Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949–1989, Frankfurt am Main 1997.
3 Solche Argumentationslinien formten das heute mehrheitsfähig Bild mit: 2004 stimmten mehr als 50 Prozent der deutschen Befragten der Aussage zu, „dass sich das Verhalten Israels gegenüber den Palästinensern grundsätzlich nicht von dem der Nazis im Dritten Reich gegenüber den Juden unterscheidet“ (zit. nach Halbinger S. 409).