: What It Means to Be Human. Historical Reflections from 1791 to the Present. Berkeley 2011 : COUNTERPOINT, ISBN 978-1-58243-608-1 X, 469 S. $ 32.00

Chimaira - Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hrsg.): Human-Animal Studies. Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen. Bielefeld 2011 : Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis, ISBN 978-3-8376-1824-2 421 S. € 24,80

Verein für kritische Geschichtsschreibung e.V. (Hrsg.): tiere. . Essen 2011 : Klartext Verlag, ISBN 978-3-8375-0628-0 125 S. € 14,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pascal Eitler, Forschungsbereich "Geschichte der Gefühle", Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Mensch-Tier-Verhältnissen boomt, in den Sozialwissenschaften insgesamt wie auch innerhalb der Geschichtswissenschaft im Besonderen – und schon ist erwartungsgemäß von einem „Animal Turn“ die Rede. Zahlreiche Tagungen, Sammelbände und Themenhefte bekunden auch hierzulande ein schnell wachsendes Interesse an den so genannten Human-Animal Studies und speziell an der Tiergeschichte.1 Doch so begrüßenswert die allmähliche Erschließung eines verhältnismäßig unbestellten Forschungsfeldes an sich auch ist: Dieser „Animal Turn“ hat im deutschsprachigen Raum bislang erst sehr wenige nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch überzeugende Studien hervorgebracht. Vor allem in den USA und in Großbritannien ist die interdisziplinäre Debatte um die Human-Animal Studies sehr viel weiter vorangeschritten – bereits seit rund 20 Jahren und nicht nur auf theoretischer, sondern eben auch auf empirischer Ebene.2

Vor diesem Hintergrund wirkt der jüngste, vom Arbeitskreis „Chimaira“ kollektiv3 herausgegebene Sammelband zu den Human-Animal Studies im deutschsprachigen Raum insgesamt ein wenig ermüdend: Jede Autorin, jeder Autor durchstreift die immer gleichen, bereits in der Einleitung breit entfalteten Grundsatzfragen und bekundet vehement den revolutionären Charakter vor allem der so genannten Critical Animal Studies. Doch ist es inzwischen eben nicht mehr allzu revolutionär, Mensch-Tier-Verhältnisse zu historisieren und Mensch-Tier-Unterscheidungen kritisch zu befragen. Auch im deutschsprachigen Raum hat sich in den letzten sechs, sieben Jahren eine intensive Debatte um eine neuartige Perspektivierung von Tieren und vor allem von Mensch-Tier-Verhältnissen entwickelt, gerade auch seitens der Geschichtswissenschaft bzw. im Rahmen der Tiergeschichte.4

Die große Herausforderung besteht inzwischen nicht mehr in programmatischen Ankündigungen und theoretischen Selbstvergewisserungen, sondern in der empirischen Arbeit – in der nunmehr anstehenden Umsetzung von Vorsätzen. Es ist eine Sache, auch Tiere bzw. auch andere Tiere als Menschen als Akteure oder Subjekte zu proklamieren. Eine andere Sache ist es jedoch, sie als solche auch überzeugend zu rekonstruieren und umfassend zu kontextualisieren. Letzteres vermag dieser Sammelband nur bedingt zu leisten.

Einen sehr informativen, breiten Überblick speziell zur historischen Untersuchung von Mensch-Tier-Verhältnissen sowie zur Tiergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts bietet an dieser Stelle ein Beitrag von Mieke Roscher. Als vielversprechenden Gesprächspartner der Tiergeschichte rückt Roscher dabei die Umweltgeschichte ins Zentrum des Interesses (S. 140f.). Doch hat sich diese den tiergeschichtlichen Fragestellungen, die gegenwärtig vor allem verhandelt werden, Fragestellungen nach dem denkbaren Akteurs- oder Subjektstatus von Tieren, bislang größtenteils schlicht verweigert. Die Tiergeschichte sollte ihre Gesprächspartner daher vielleicht besser woanders suchen – auf dem Feld der Körpergeschichte zum Beispiel, im Rahmen der Stadt- oder auch der Wissenschaftsgeschichte. Und sie sollte unmittelbarer die Anknüpfung an Fragen suchen, die auch die Gesellschaftsgeschichte in einem sehr viel breiteren Sinne betreffen. Vor allem aber, darin möchte der Rezensent die Autorin nachdrücklich unterstützen, geht es darum, diese „Geschichte der Tiere einfach zu schreiben“ (S. 144).

Einem eigentlich sehr interessanten Themengebiet widmet sich in diesem Zusammenhang Sven Wirth, der in erster Linie der Frage nach dem Subjektstatus von Tieren nachgeht. Zwar betont der Autor im Anschluss an Michel Foucault zu Recht den Prozesscharakter von Selbstverhältnissen unter Menschen, doch anstatt daraufhin die mögliche Produktion von Subjekten auch im Fall von Tieren oder besser von bestimmten „Haustieren“ zu einem Gegenstand der historischen oder soziologischen Forschung zu machen, verliert er sich in philosophischen Überlegungen zum unhintergehbaren Anthropozentrismus und zur „epistemischen Gewalt“ (S. 60) der Subjekt-Objekt-Differenzierung – nun also auch am Beispiel von Michel Foucault. Sehr viel mehr hätte es sich gelohnt, die Tiergeschichte an dieser Stelle mit der ebenfalls boomenden Erforschung von Selbstverhältnissen unter Menschen gezielt ins Gespräch zu bringen: Mitunter werden bzw. wurden bestimmte „Haustiere“ schließlich in vergleichbarem Maße als Subjekte adressiert wie ihre „Herrchen“ oder „Frauchen“. Diese Adressierung mag man ablehnen oder nicht; sie und ihre Effekte historisch oder soziologisch ansprechend zu untersuchen bleibt indes eine ernstzunehmende Herausforderung.

Ein gut informierter Beitrag von Sabine Hastedt nimmt die Verknüpfung von Mensch-Tier-Verhältnissen und Geschlechternormen bzw. Vergeschlechtlichungspraktiken in den Blick. Die Autorin verfolgt dabei einen intersektionistischen Ansatz und ist weit davon entfernt, die Gender-Ebene zum Beispiel gegen die Race- oder Class-Ebene auszuspielen. Insgesamt aber hat dieser Beitrag den Rezensenten nur teilweise überzeugt, da er die Gender-Ebene innerhalb von Mensch-Tier-Verhältnissen weniger zu einem offenen Forschungsgegenstand als zu einem angeblich verbindlichen Ausgangspunkt der Human-Animal Studies macht: In diesem Sinne ist von „strukturellen Analogien“ zwischen Mensch-Tier- und Geschlechterdifferenzierungen die Rede (S. 191). Auch wenn solche Analogien nicht einfach geleugnet werden sollten, lässt sich die Gender-Ebene empirisch keineswegs immer oder in gleichem Maße nachweisen.

Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass es zwar das Kernziel des Sammelbands ist, Tiere als Akteure bzw. „aktive Entitäten“ (S. 19) in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, dass Tiere tatsächlich aber vor allem im Rahmen derartiger „struktureller Analogien“ in den Blick geraten – auf der Ebene der Repräsentation von Tieren. Es geht in den insgesamt zehn Beiträgen des Buchs weit mehr um Mensch-Tier-Unterscheidungen und deren Kritik als um „reale“ Tiere. Auch die sehr informative Untersuchung von Aiyana Rosen zur Entstehung der Tierrechtsbewegung in Westdeutschland in den 1980er- und 1990er-Jahren sowie der zweite Aufsatz von Mieke Roscher zum Einsatz von Bildern innerhalb der deutschen und britischen Tierschutz- und später Tierrechtsbewegung verraten sehr wenig über „reale“ Tiere, über unterschiedliche Tiere und deren zu ermittelnde Handlungsmöglichkeiten oder konkreten Effekte in einer von Menschen und ihnen gemeinsam geteilten Gesellschaft.

Das jüngste Buch von Joanna Bourke, ein anderer hier vorzustellender Band, widmet sich ebenfalls vorrangig der Repräsentation von Tieren und beschäftigt sich davon ausgehend mit der Frage „what it means to be human“. In diesem Rahmen legt die Autorin ihr Hauptaugenmerk auf den Wandel und den Einsatz von Mensch-Tier-Unterscheidungen in gesellschaftlichen – politischen und moralischen, juristischen und ökonomischen – Konflikten zwischen dem späten 18. und dem frühen 21. Jahrhundert. Unter Berücksichtigung vornehmlich britischer und teilweise amerikanischer Quellen beleuchtet und befragt Bourke dabei in unterschiedlichen Zusammenhängen insbesondere die zeitweise sehr große Bedeutung von Mensch-Tier-Unterscheidungen für die Geschlechtergeschichte und die frühe Frauenbewegung sowie für Ethnisierungsdiskurse und die Anti-Sklaverei-Bewegung. In einem jeweils eigenen Kapitel beschäftigt sie sich darüber hinaus mit dem Fleischverzehr (S. 265-327) sowie mit Organtransplantationen zwischen Tieren und Menschen (S. 331-376).

Leider erschöpft sich die sich hieran anschließende und das Buch im Hintergrund organisierende Untersuchung zur Genese und Problematik von Menschenrechten zuweilen in philosophischen Überlegungen und politischen Interventionen, so zum Beispiel im Hinblick auf die Legitimität oder Illegitimität der Folter (S. 152-158): Der Zusammenhang zur Tiergeschichte wird vor diesem Hintergrund teilweise eher suggeriert als detailliert erschlossen. Zudem hätte noch deutlicher herausgearbeitet werden können, dass Mensch-Tier-Unterscheidungen im 19. und 20. Jahrhundert nicht nur dauerhaft umstritten waren, sondern darüber hinaus auch inhärent instabil. In einem regelrechten Netzwerk mannigfacher Anschlussunterscheidungen drohte deren Eindeutigkeit unintendiert nämlich immer wieder unterminiert zu werden, so zum Beispiel im Fall der Gegenüberstellung menschlicher „Gefühle“ und tierischer „Empfindungen“ (S. 78ff.). Zwar setzt die Autorin diese Gegenüberstellung zu Recht an den Beginn ihres Buchs, bricht deren Dechiffrierung dann aber zu früh ab. Aus diesem Grund gerät teilweise nicht ausreichend in den Blick, wie viel argumentative, rhetorische – und dann auch praktische, institutionelle – Arbeit Menschen immer wieder in die dehnbare, unsichere Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren investiert haben.

Insgesamt allerdings sucht Bourke nicht nur sehr gezielt nach einer weiterführenden Verschränkung gänzlich unterschiedlicher Aspekte sich wandelnder Mensch-Tier-Unterscheidungen. Sie zeigt dabei auch zahlreiche Anschlussmöglichkeiten an sehr viel geläufigere Fragestellungen zur Gesellschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts – nicht nur im Fall der Folter, sondern zum Beispiel auch im Hinblick auf die Durchsetzung des Frauenwahlrechts, den Wandel von Ernährungsgewohnheiten und Erziehungsmaßstäben oder in Bezug auf den Kolonialismus bzw. Imperialismus. Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeiten auf dem Feld der Tiergeschichte ist dieses Buch daher nicht allein für die Human-Animal Studies von großem Interesse. Über „reale“ Tiere indes, über deren unterschiedliche und sich wandelnde Verhaltensweisen und Existenzbedingungen, mögliche Spielräume oder Entwicklungschancen erfährt man auch in diesem Buch eher wenig.

Einen Mittelweg schlägt im Vergleich hierzu das unlängst von Mieke Roscher und André Krebber konzipierte Themenheft der „WerkstattGeschichte“ zur Tiergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ein (wobei der Thementeil des Hefts in diesem Fall aus drei Aufsätzen besteht; die übrigen Beiträge sind anderen Themen gewidmet). Es eröffnet sowohl einen Einblick in die Wahrnehmung oder Darstellung als auch in die Herstellung von Tieren und Mensch-Tier-Verhältnissen.

Ein sehr lesenswerter, klar argumentierender und umfassend kontextualisierender Beitrag von Bernhard Gißibl konzentriert sich dabei ebenfalls eher auf die Ebene der Repräsentation, diesmal vorrangig im Rahmen der deutschen Kolonialpolitik in Ostafrika. Überzeugend verdeutlicht der Autor in diesem Zusammenhang, dass der Umgang der Deutschen mit „Wildtieren“ – die Großwildjagd oder die Züchtungsversuche zwischen „afrikanischen“ und „europäischen“ Tieren – nicht nur ein Symbol dieser Kolonialpolitik war, sondern „nichts weniger als eine Form und Praxis kolonialer Herrschaft selbst“ (S. 19). Gißibl optiert dabei für eine „ökologische Erweiterung der kolonialen Herrschaftsbeziehung“, letztlich auch hinsichtlich von Pflanzen und Böden (S. 8f.).

Ein Artikel von Brett Mizelle unternimmt den Versuch, die Konstruktion und Inszenierung von Grizzly-Bären in den USA während des 19. Jahrhunderts mit der Geschichte des Bärenjägers und Schaustellers James Capen Adams zu verbinden. Der Anspruch, „Grizzly Adams“ dabei als ein Fallbeispiel zu betrachten, „[which] illuminates many significant developments in antebellum American culture“ (S. 41), hat den Rezensenten allerdings nur teilweise überzeugt. Die Wahrnehmung und Darstellung von Grizzly-Bären wirkt insgesamt nicht vielfältig genug erschlossen, und die Stellvertreterbedeutung von „Grizzly Adams“ wird mehr behauptet als nachvollziehbar hergeleitet.

Im Vergleich hierzu widmet sich ein Beitrag von Anna-Katharina Wöbse und Mieke Roscher zum Londoner und Berliner Zoo während des Zweiten Weltkriegs weniger der Ebene der Repräsentation als der – man könnte sagen – Produktion von Tieren, wobei es in diesem Fall um die Herstellung und den Alltag von Zootieren geht, um deren sehr reale, ganz konkrete Existenzbedingungen. Die Stärke dieses Beitrags besteht gerade darin, sich nicht in weitläufigen Gedanken zur Rolle des Zoos in der Moderne, Vormoderne oder Postmoderne letztlich zu verlieren oder die Unterscheidung von „Wildtieren“ und „Nutztieren“ philosophisch zu reflektieren. Stattdessen informieren die Autorinnen detailliert und meistens erfreulich nüchtern über die Folgewirkungen von Bombenangriffen, über Todeszahlen und Wiederaufbauversuche, über Rettungsversuche gegenüber Menschenaffen oder Sicherheitsmaßnahmen gegenüber Giftschlangen.

Dieser gewissermaßen sozialhistorische, teilweise quantitative Zugang zur Tiergeschichte eröffnet einen durchaus instruktiven Einblick in die Produktion von Tieren: in das Werden von Tieren zu ganz bestimmten Tieren.5 Er verdeutlicht, dass die Tiergeschichte sehr wohl etwas über „reale“ Tiere zu sagen vermag – und nicht nur über deren Wahrnehmung und Darstellung. Die eigentliche Herausforderung besteht freilich darin, die Repräsentation und die Produktion von Tieren, so man dieser Unterscheidung etwas abgewinnen möchte, gleichermaßen und in Wechselwirkung miteinander zu rekonstruieren, kritisch zu befragen und Tiergeschichte als Gesellschaftsgeschichte zu betreiben.

Anmerkungen:
1 Mit zahlreichen Literaturhinweisen: Mieke Roscher, Human-Animal Studies, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.1.2012, URL: <https://docupedia.de/zg/Human-Animal_Studies?oldid=81479> (22.8.2012); Pascal Eitler, In tierischer Gesellschaft. Ein Literaturbericht zum Mensch-Tier-Verhältnis im 19. und 20. Jahrhundert, in: Neue Politische Literatur 54 (2009), S. 207-224.
2 Siehe zum Beispiel: Harriet Ritvo, The Animal Estate. The English and Other Creatures in the Victorian Age, Cambridge 1987; Steve Baker, Picturing the Beast. Animals, Identity, and Representation, Manchester 1993; Chris Philo / Chris Wilbert (Hrsg.), Animal Spaces, Beastly Places. New Geographies of Human-Animal Relations, London 2000; Linda Kalof u.a. (Hrsg.), A Cultural History of Animals, 6 Bde., Oxford 2007.
3<http://human-animal-studies.de/chimaira/>
4 Vgl. lediglich: Hartmut Böhme u.a. (Hrsg.), Tiere. Eine andere Anthropologie, Köln 2004; Clemens Wischermann (Hrsg.), Von Katzen und Menschen. Sozialgeschichte auf leisen Sohlen, Konstanz 2007; Traverse 3/2008: Tiere – eine andere Geschichte, hg. von Silke Bellanger, Katja Hürlimann und Aline Steinbrecher; Historische Anthropologie 19 (2011) H. 2: Tierische (Ge)Fährten, hg. von Gesine Krüger und Aline Steinbrecher. Sehr früh bereits: Paul Münch / Rainer Walz (Hrsg.), Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, Paderborn 1998.
5 Vgl. ebenfalls: Clay McShane / Joel Tarr, The Horse in the City. Living Machines in the Nineteenth Century, Baltimore 2007.