S. Mazov: A Distant Front in the Cold War

Cover
Titel
A Distant Front in the Cold War. The USSR in West Africa and the Congo, 1956–1964


Autor(en)
Mazov, Sergey
Reihe
Cold War International History Project
Erschienen
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne-Kristin Hartmetz, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Jenseits der Wahrnehmung der Dritten Welt als Schauplatz von Auseinandersetzungen und Stellvertreterkriegen der Supermächte ist die Forschung zu den Ost-Süd-Beziehungen im Kalten Krieg noch immer überschaubar.1 Dies trifft insbesondere auf die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den afrikanischen Staaten zu. Während über die Aktivitäten der Sowjetunion am Horn von Afrika und die Unterstützung der Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika in den 1970er-Jahren immerhin einiges bekannt ist, haben die Wechselbeziehungen zwischen der Sowjetunion und westafrikanischen Staaten in der Forschung bisher kaum Aufmerksamkeit erfahren. Sergej Mazov wirft nun einen genaueren Blick auf diese Kontakte um 1960. Er begreift Westafrika als Nikita Chruschtschows „[…] testing ground for his African policy“ (S. 2). Mazov fragt nach den Motiven für das sowjetische Engagement in der Region und nach den Gründen für den relativen Misserfolg, den die sowjetische Politik hier in Konkurrenz zur Afrikapolitik der USA erfuhr. Auf der Basis sowjetischer und US-amerikanischer Archivmaterialien werden die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den westafrikanischen Ländern Liberia, Ghana, Guinea und Mali und dem Kongo beleuchtet. Ein Exkurs behandelt die Situation westafrikanischer Studenten in der Sowjetunion. „A Distant Front in the Cold War“ entstand im Rahmen des Cold War History Projects und basiert zum Teil auf einer früheren russischen Veröffentlichung Mazovs.2 Es handelt sich im Grunde um sechs verschränkte Fallstudien, von denen drei (Ghana, Guinea und Kongo) ausgearbeitet sind, während die anderen (Liberia, Mali und afrikanische Studenten) eher historische Skizzen darstellen.

Das sowjetische Interesse am subsaharischen Afrika war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gering. Erst Mitte der 1950er-Jahre begann die sowjetische Führung unter Nikita Chruschtschow, sich intensiver mit den Entwicklungen südlich der Sahara zu befassen und das neue ideologische Konzept eines „nichtkapitalistischen Entwicklungswegs“ für die Zusammenarbeit mit „fortschrittlichen“ Kräften in der Dritten Welt anzuwenden.3 Ende 1955 besuchte die erste sowjetische Delegation ein subsaharisches Land um offizielle diplomatische Beziehungen vorzubereiten. Man hatte hierfür Liberia ausgewählt, das als Gründung ehemaliger Sklaven im 19. Jahrhundert nie eine europäische Kolonie gewesen war. Die Delegation führte Gespräche mit der liberianischen Regierung unter William Tubman. Dieser versprach den baldigen Austausch diplomatischer Missionen. Die US-Botschaft in Liberia protestierte heftig dagegen. Tubman spielte nun beide Seiten gegeneinander aus, indem er dem amerikanischen Botschafter gegenüber behauptete, von der sowjetischen Delegation umfangreiche Hilfsangebote bekommen zu haben und umgekehrt den sowjetischen Delegierten Ähnliches über die amerikanische Seite erzählte. Letztlich bediente sich die liberianische Regierung einer vielschichtigen Verzögerungstaktik, um die Amerikaner nicht nachhaltig zu verärgern, auf deren materielle Unterstützung sie angewiesen war. Damit war sie über einen beachtlichen Zeitraum hinweg erfolgreich: Erst 1972 wurde ein sowjetischer Botschafter in Monrovia akkreditiert (S. 42). Im liberianischen Taktieren und der defensiven Reaktion sowjetischer Diplomaten darauf zeigt sich ein Muster, das auch die Kontaktaufnahme zu anderen westafrikanischen Ländern prägte.

Am Beispiel Ghanas wird besonders deutlich, dass die Konkurrenz zwischen den USA und der Sowjetunion eine zentrale Rolle für die diplomatischen Bemühungen beider Seiten in Westafrika spielte. Auch hier dauerte es allen enthusiastischen Absichtserklärungen im Jahr 1957 zum Trotz über zwei Jahre, bis die sowjetische Botschaft eröffnet wurde. Ab 1960 wurde Ghana jedoch für die Sowjetunion für einige Jahre zu einem der wichtigsten Partner in Afrika. Im zähen Ringen um die Finanzierung des ehrgeizigen Volta-River-Staudammprojekts taktierte Ghanas Präsident Kwame Nkrumah ähnlich wie Tubman in Liberia. Der sowjetisch-amerikanische Wettbewerb in Ghana endete mit einem klaren „Sieg“ für die ökonomisch überlegene amerikanische Seite. Der Staudamm wurde mit westlicher Hilfe gebaut, und 1966 brach Ghana nach dem Sturz Nkrumahs die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion vorübergehend ab. Auch in Guinea und Mali waren nach einem vorsichtigen Beginn und einer Phase des Enthusiasmus Enttäuschungen für die sowjetische Diplomatie eher die Regel als die Ausnahme.

Die Entwicklung im Kongo verlief dramatischer. In die komplexen internationalen Verwicklungen um die Unabhängigkeit des Kongo von Belgien und den kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba in der Kongokrise von 1960 bis 1964 waren die USA und die Sowjetunion erstmals auch militärisch involviert. Das Taktieren Lumumbas, der erst die USA und dann die Sowjetunion wegen der drohenden Sezession der Provinz Katanga um Hilfe bat, trug 1961 zumindest mittelbar zu seiner Ermordung bei, an der westliche Geheimdienste nachweislich beteiligt waren. Obwohl eine direkte militärische Konfrontation zwischen den Supermächten im Kongo vermieden wurde, scheiterte die sowjetische Politik am Ende auch hier an der westlichen Dominanz. Der Kongokrise wird in „A Distant Front in the Cold War“ viel Raum gegeben. Mazov rezipiert allerdings eher den Forschungsstand und kann dem historischen Bild wegen des beschränkten Materialzugangs in russischen Archiven nur wenige Einzelaspekte hinzufügen.

Der beschränkte Zugang zu Archivdokumenten ist ein Grundproblem der Studie. Mazov arbeitet mit einer begrenzten Anzahl mittlerweile reklassifizierter Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der russischen Föderation und dem Russischen Staatsarchiv für Neuere Geschichte, die in den 1990er-Jahren zugänglich waren. Neu erschlossene Materialien gibt es auf russischer Seite nicht. Das kann man Mazov nicht vorwerfen, aber der Erkenntnisgewinn ist entsprechend eingeschränkt. Dass die Perspektive afrikanischer Akteure im Gegensatz zur Ankündigung in der Einleitung wenig Beachtung findet, ist daher umso bedauerlicher. Afrikanische Akteure werden fast ausschließlich aus der Perspektive westlicher oder sowjetische Beobachter charakterisiert. Man wünscht, Mazov hätte den Versuch unternommen, in westafrikanischen Ländern zu recherchieren. Ein eher lapidares: „I did not have the opportunity to work in African archives“ (S. 6) mag praktische Gründe haben, aber es entsteht doch leicht der Eindruck einer nicht mehr westlichen, sondern nunmehr nördlichen Perspektive auf eine südliche Peripherie.

Die Diplomatiegeschichte nimmt in der Darstellung der Ereignisse den weitaus größten Raum ein. Andere Aspekte wie Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, technische Zusammenarbeit, Ausbildung, Kulturaustausch oder Propaganda werden nur angerissen. Hier können und müssen systematische Fallstudien anknüpfen. Es bleibt Mazovs Verdienst, die sowjetischen Strategien und Praktiken in Westafrika in der politisch bewegten Zeit um 1960 erstmals anhand mehrerer konkreter Beispiele untersucht zu haben. Die verwendeten sowjetischen Dokumente sind zwar limitiert, aber im Gegensatz zu den gut zugänglichen und erforschten amerikanischen Materialien noch weitgehend unbekannt. Wer sich mit Ost-Süd-Beziehungen in den 1950er und 1960er-Jahren im Allgemeinen und mit der Afrikapolitik Chruschtschows im Besonderen beschäftigt, findet deshalb in „A Distant Front in the Cold War“ einen brauchbaren Ausgangspunkt für eine Reise in die Welt des Kalten Krieges im westlichen Afrika.

Anmerkungen:
1 Einen Überblick bieten: Tobias Rupprecht, Die sowjetische Gesellschaft in der Welt des Kalten Krieges. Neue Forschungsperspektiven auf eine vermeintlich hermetisch abgeschottete Gesellschaft, in: Jahrbücher für die Geschichte Osteuropas 3 (2010), S. 381-399; David C. Engermann, The Second World’s Third World, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 1 (2011), S. 183–211.
2 Sergej Mazov, Politika SSSR v Zapadnoj Afrike, 1956–1964. Neizvestnye Stranicy Istorii Cholodnoj Vojny, Moskau 2008.
3 Zu den Hintergründen dieses Paradigmenwechsels ausführlich: Odd Arne Westad, The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2005, S. 39–72.

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