S. Ramet u.a. (Hrsg.): Serbia and the Serbs in World War Two

Titel
Serbia and the Serbs in World War Two.


Herausgeber
Ramet, Sabrina P.; Listhaug, Ola
Erschienen
Basingstoke 2011: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
£ 65,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Holm Sundhaussen, Osteuropa-Institut, Freie Universität Berlin

Die Verhaltensweisen der Menschen im Zweiten Weltkrieg sind auch 65 Jahre nach Kriegsende in vielen Gesellschaften ein emotionsgeladenes Thema. Die meisten damaligen Akteure haben nach dem Krieg geschwiegen. Ihre Kinder haben zunächst nicht gefragt; und als sie fragten, erhielten sie keine Antwort. In den ehemals sozialistischen Ländern füllte die jeweilige Partei die Lücke. Sie bestimmte, wie der Weltkrieg erinnert und was vergessen werden sollte. Die Monumentalität der öffentlichen Erinnerung geriet dabei in einen scharfen Kontrast zum privaten (Ver)Schweigen. Im früheren Jugoslawien stand die politische Führung vor einer doppelten Herausforderung: Sie musste nicht nur – gleich den Parteien in anderen sozialistischen Staaten – den Systemwechsel erklären und legitimieren, – sie musste auch die Wiederherstellung eines gemeinsamen jugoslawischen Staats erklären. Politische oder ideologische Bürgerkriege hat es auch in anderen besetzten Ländern Europas gegeben, aber auf dem Territorium Jugoslawiens war der ideologische Bürgerkrieg untrennbar mit einem ethnonationalen Bürgerkrieg verbunden. Letzterer war eine schwere Hypothek für einen gemeinsamen Staat. Die Kommunistische Partei versuchte das Problem dadurch zu lösen, dass sie den ethnonationalen Bürgerkrieg von seinen nationalen Komponenten „reinigte“ und den „Volksbefreiungskrieg“ zum Gründungsmythos des zweiten Jugoslawien erkor. Ihrem rigiden Deutungsmuster entsprechend hatte es im Krieg nur zwei Verhaltensweisen gegeben: Kollaboration mit dem Feind auf der einen und bewaffneten Widerstand auf der anderen Seite. Und dies unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit der jeweiligen Akteure. Auf beiden Seiten der Front waren angeblich Angehörige aller jugoslawischen Nationen und Nationalitäten entsprechend ihrem jeweiligen Anteil an der Gesamtbevölkerung vertreten. Die Deutung des Zweiten Weltkriegs und das Konzept des zweiten Jugoslawien waren untrennbar aufeinander bezogen. Der Krieg als zentrale soziale Erfahrung und die mit ihm verknüpften Schwarz-Weiß-Stereotypen waren sinn- und legitimitätsstiftend. Die KPJ (Kommunistische Partei Jugoslawiens) stand und fiel mit dem neuen Staatsmodell und – wie sich später zeigen sollte – stand und fiel auch der neue Staat mit der KPJ. Nach dem Scheitern des zweiten Jugoslawien und nach den postjugoslawischen Kriegen – von Nationalisten als Fortsetzung und Vollendung des Zweiten Weltkriegs interpretiert – musste auch der Weltkrieg neu „erfunden“ werden.
Der vorliegende, von Sabrina Ramet und Ola Listhaug (beide von Technisch-Naturwissenschaftliche Universität Norwegens in Trondheim) herausgegebene Band beleuchtet diesen Prozess am Beispiel Serbiens und der Serben. Der erste Teil der insgesamt zwölf Beiträge ist ausgewählten Aspekten der Geschichte Serbiens und der Serben im Zweiten Weltkrieg gewidmet, während der zweite Komplex die aktuellen Kontroversen über den Krieg nachzeichnet. In der Einleitung (S. 1–13) weist Ramet darauf hin, dass die Debatten über die Kollaboration im Zweiten Weltkrieg in den ehemals besetzten Ländern bis zur Gegenwart andauern. „These same debates continue in Serbia today, but with an intensity which surpasses what one can find elsewhere in Europe.“ (S.1) Auch Listhaug spricht in seinem Schlusswort (S. 285–290) von Serbien als „a unique case in contemporary Europe“ (S. 285). Ob das Beispiel Serbien tatsächlich einmalig ist, darüber ließe sich streiten. Aber die vielfältigen Initiativen nach dem Sturz von Slobodan Milošević im Oktober 2000, Personen, die bis dahin offiziell als Kollaborateure und Kriegsverbrecher abgestempelt waren, moralisch und rechtlich zu rehabilitieren sowie die Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg unter Beibehaltung des Schwarz-Weiß-Schemas umzupolen, sind in der Tat bemerkenswert. Der Kampf der Deutungseliten um die „richtige“ Interpretation des Weltkriegs fällt in Serbien und anderen postjugoslawischen Staaten insofern besonders vehement aus, weil der Zweite Weltkrieg und die postjugoslawischen Kriege sowie die frühere und jetzige Nachkriegszeit argumentativ aufeinander bezogen und zur wechselseitigen Begründung missbraucht wurden.

Der erste Themenkomplex ist in drei Unterthemen mit jeweils drei Beiträgen gegliedert: 1. „Occupied Serbia and Vojvodina“, 2. „The Treatment of Jews and the Orthodox Church“ und 3. „Chetniks and Partisans“. Ramet und Sladjana Lazić rekonstruieren in ihrem Aufsatz „The Collaborationist Regime of Milan Nedić“ (S. 17–43) die Rolle der von den Nationalsozialisten eingesetzten Regierung des Generals Milan Nedić, die faktisch ein verlängerter Arm der Besatzungsmacht war. Obwohl keine der von Nedić bei seiner Ernennung gestellten Bedingungen erfüllt wurde, blieb er im Amt. Sein Antikommunismus und völkischer Nationalismus bildeten die Leitlinien seiner Erfüllungsgehilfenschaft. Die ihm zugeschriebene „Rettung serbischen Lebens“ durch Aufnahme der aus dem „Unabhängigen Staat Kroatien“ vertriebenen oder geflüchteten Serben war weniger sein Verdienst als eine von der Besatzungsmacht auferlegte Pflicht. Doch für diejenigen, die seine Leitideen teilen bzw. nach dem Kollaps des Sozialismus neu aufgelegt haben, ist und bleibt Nedić ein Held, auch wenn die Mitte 2008 gestartete Initiative zu seiner Rehabilitierung bislang kein Ergebnis erbracht hat. „In the case of Serbia, bad faith [Jean-Paul Sartre] about World War Two means praising Nedić for having allegedly saved Serbian lives by collaborating with the Germans, while, at the same time, praising Mihailović for having allegedly fought against the Germans – thus adopting a position that Serbs were on the right side, regardless of which side they were on!“, fasst Ramet bereits in der Einleitung (S.3) den Sachverhalt treffend zusammen. Sabine Rutar widmet sich in ihrem Beitrag „Employment of Labour in Wartime Serbia: Social History and the Politics of Amnesia“ (S. 44–69) einem bisher eher stiefmütterlich behandelten Thema: der Zwangsarbeit in der Kupfermine Bor in Ostserbien, bei derAngehörige vieler Ethnien/Nationen eingesetzt wurden. Rutar geht der Frage nach, wie nach dem Krieg mit diesen ehemaligen Arbeitern und wie in den letzten Jahren mit ihren Entschädigungsanträgen umgegangen wurde. Im Zentrum von Krisztián Ungvárys Abhandlung „Vojvodina under Hungarian Rule“ (S. 70–89) steht das Massaker der ungarischen Besatzungsmacht in Novi Sad und Umgebung vom Januar 1942, bei dem 3340 Menschen (mehrheitlich Serben, aber auch 743 Juden u.a.) erschossen wurden. Der Autor stellt einen (nicht unproblematischen) Vergleich zwischen der Massenexekution durch die ungarische Besatzungsmacht und den Gewaltexzessen der Partisanen 1944/45 an: Während die ungarischen Offiziere noch während des Krieges vor Gericht gestellt wurden, wurde im ehem. Jugoslawien für die Gewalt bei Kriegsende bis heute niemand zur Verantwortung gezogen.

Die drei folgenden Beiträge beschäftigen sich mit dem Antisemitismus und der Rolle der Serbischen Orthodoxen Kirche. Olga Manojlović Pintar skizziert in ihrem Artikel „Delusion and Amnesia: Ideology and Culture in Nedić’s Serbia“ (S. 93–108) die ideologischen Grundlagen des Nedić-Regimes sowie die Bestrebungen zu dessen Neuinterpretation und Rehabilitation seit den 1970er/80er Jahren. „[T]he new collective identity-making in occupied Serbia, was based on strong anti-internationalism, with a specific focus on anti-Yugoslavism. The Yugoslav state was considered to have served as a pillar of the internationalist ideologies personified by Jews, freemasons, and capitalists, but at the same time as the cradle of communists and members of the National Front.“ (S. 97) Mit der Ausbreitung nationalistischer Diskurse in Serbien seit den 1980er Jahren änderte sich auch das Bild des in jugoslawischer Untersuchungshaft Anfang Februar 1946 verstorbenen Nedić: „[C]olloboration with the Axis is widely accepted today as having been the necessary lesser evil.“ (S. 104) Im anschließenden Kapitel „The Collaborationist Administration and the Treatment of the Jews in Nazi-Occupied Serbia“ (S. 109–127) untersucht Jovan Byford die Mittäterschaft des Nedić-Regimes am Holocaust und die weit verbreitete Tendenz im heutigen Serbien, die Mittäterschaft zu leugnen oder zu bagatellisieren. „[T]he destruction of Serbia’s Jews is…perceived as largely irrelevant to the story of collaboration.“ (S. 111) Ungeachtet der antisemitischen Aktivitäten des Kollaborationsregimes „the mass killings of Jews were seen as one of those aspects of the war which the collaborators believed they were powerless to influence…“ (S. 123). „For the Serbian collaborators whose moral judgement was paralysed by the fear of annihilation, the abondonment of the Jews was in harmony with their rationalization of the occupation. For every Jew that was killed by the Nazis, one fewer Serb would face execution.“ (ebd.) Damit wurden klare Grenzen gezogen „between those who were to be saved and those who were not“ (S. 124). In einem weiteren Beitrag beschäftigt sich Byford mit „Bishop Nikolaj Velimirović: ‚Lackey of the Germans‘ or a ‚Victim of Fascism‘?“ (S. 128–152). Der Autor zeichnet den Lebensweg und die Rolle des unseligen Bischofs nach, der 2003 heilig gesprochen wurde. Spätestens in den 1930er Jahren bekannte sich Velimirović zunehmend zu einer nationalistisch und rassistisch geprägten Variante der Orthodoxie und pries Hitler gar als „Heiligen, Genie und Helden“. „A dominant theme of Velimirović’s anti-Semitism, especially in the 1920s and 1930s, was the alleged Jewish origin of communism.“ (S. 135) Sein Antisemitismus gipfelte schließlich in den Ende 1944 im Konzentrationslager Dachau verfassten „Reden an das serbische Volk durch das Kerkerfenster“. Zwar ging Velimirović seit Ende der 1930er Jahre zu Hitlers Hegemoniebestrebungen auf Distanz, blieb aber dem Antisemitismus treu und brach auch seine Kontakte zu den serbischen Faschisten (Ljotić-Bewegung) und zu anderen Kollaborateuren im besetzten Serbien nicht ab. Der zweimonatige Aufenthalt als „Ehrenhäftling“ in Dachau änderte daran nichts. „The fact that he was closely affiliated with pro-German elements on the Serbian political scene (above all Dimitrije Ljotić) while at the same time vocally opposing the treaty with the Axis [März 1941], coupled with his ambivalence towards Germany and its mission in Europe, led the occupiers to adopt a cautious stance towards him. He was therefore neither a traitor nor a victim of fascism, but a figure whose popularity among the Serbian people and high standing among the quislings led him to become no more and no less than a bargaining chip in the political game between the collaborators and the Germans.“ (S. 147)

Die drei Beiträge zum Unterthema „Chetniks and Partisans“ von Mario Jareb („Allies or Foes? Mihailović’s Chetniks during the Second World War“, S.155–174) von Nikica Barić („Relations between the Chetniks and the Authorities of the Independent State of Croatia, 1942-1945“, S. 175–200) und von Marko Attila Hoare („The Partisans and the Serbs“, S. 201–221) setzen sich mit dem vermeintlichen Antifaschismus der Mihailović-Bewegung, der Zusammenarbeit zwischen Četnik-Einheiten und den Besatzungsmächten, ihren lokalen Allianzen mit dem Ustaša-Regime im „Unabhängigen Staat Kroatien“ und der „paradoxen“ Beziehung zwischen Serben und der Tito-Bewegung kritisch auseinander. Die Autoren rekapitulieren die zahlreichen Belege für die Zusammenarbeit zwischen Četnici und Besatzungsmächten sowie deren Kollaborateuren, den kroatischen Ustaša-Erbfeind nicht ausgenommen. Zu Recht bemerkt Barić: „Obviously, there could never be sincere cooperation between the Chetniks and the Ustaša state because they pursued completely opposed national and political goals. Their cooperation was the result only of the circumstances.“ (S. 195) Das trifft im Wesentlichen auch auf die Zusammenarbeit zwischen Četnici und deutscher Besatzungsmacht zu, worauf ich später noch einmal zurückkomme. Und es trifft – mit Modifikationen – auch auf das Verhältnis zwischen der „Volksbefreiungsbewegung“ und den Serben zu. Hoare fasst dies in den Worten zusammen: „The People’s Liberation Struggle ended with the paradox of a victorious Partisan movement that was disproportionately Serb in its military manpower but disproportionately weak in its political base in Serbia. Its leaders were faced from the start with the problem of reconciling the non-Serbs‘ desire for national self-rule vis-à-vis Belgrade, with the Serbs‘ desire for national unity across the borders of the republics.“ (S. 219)

Der zweite große Themenkomplex des vorliegenden Bandes ist den aktuellen Kontroversen gewidmet. Pål Kolstø („The Serbian-Croatian Controversy over Jasenovac“, S. 225–246) nimmt den Ende der 1980er Jahre eskalierten kroatisch-serbischen Historikerstreit über das berüchtigte kroatische Konzentrationslager Jasenovac unter die Lupe. Bestrebungen kroatischer Nationalisten (unter ihnen der erste Präsident des unabhängigen Kroatien, Franjo Tudjman), Jasenovac als bloßes Arbeitslager zu bagatelliseiren sind ebenso absurd wie die von serbischen Nationalisten vorgelegten Opferzahlen (von über einer Million Serben). Darüber besteht in der unparteiischen Forschung seit langem Konsens. Sowohl auf kroatischer wie serbischer Seite zeichnet sich zwar mittlerweile eine Versachlichung der Debatte ab, die aber nicht von allen Landsleuten geteilt wird. „We may thus be witnessing an interesting new development in the Jasenovac debate. The front lines to an increasing degree may be running within the two national communities – the Croats and the Serbs – just as much as between them. That could perhaps lead the way to a situation where moderates on both sides eventually could hold common commemorations of the Jasenovac tragedy.“ (S. 241) Dubravka Stojanović („Revisions of Second World War History in Contemporary Serbia“, S. 247–264) analysiert die Kehrtwenden in der Darstellung des Zweiten Weltkriegs in serbischen Schulbüchern und der Öffentlichkeit. Seit Anfang der 1990er Jahre wurde das Bild des Zweiten Weltkriegs dreimal verändert: zunächst in der Milošević-Ära, dann nach seinem Sturz und schließlich nach 2007. Während die Deutung des Weltkriegs unter Milošević nur partiell revidiert wurde („to please the nationalist part of the Serbian public“, S. 251), kam es nach Miloševićs Sturz zu einer Totalrevision. Ab 2007 erfolgte dann eine Revision der Revision: „This strange turnaround was the consequence of a simple political calculation: at the time, Serbian diplomacy was trying to block the declaration of Kosovo’s independence, and Russia was the key ally, on whose veto in the UN Security Council Serbia counted. (...) The need for Russian support softened the government’s attitude towards 20 October [1944: Tag der Befreiung Belgrads durch die Partisanen mit Unterstützung der Roten Armee].“ (S. 261) Aber „for internal use, there remains a deep revision aimed at rehabilitating defeated forces in the Second World War.“ (S. 262) Sladjana Lazić beleuchtet diese Bestrebungen in ihrem Beitrag („The Re-evaluation of Milan Nedić and Draža Mihailović in Serbia“, S. 265–282) im Detail und stellt noch einmal zusammen, was in anderen Kapiteln des Buches fallweise bereits angesprochen wurde. Die Zusammenfassung der Beiträge von Ola Listhaug, eine kurze Auswahlbibliographie (S. 291–293) sowie die Register schließen den Band ab. In den Anmerkungsteilen zu den Texten fällt auf, dass fast ausschließlich Literatur in englischer und serbischer oder serbokroatischer Sprache rezipiert wurde. Quellen und Forschungen in anderen Sprachen werden nahezu komplett ignoriert. Dennoch ist der Band für diejenigen, die sich einen Überblick über das Thema verschaffen wollen, sehr zu empfehlen.

Zum Schluss noch eine grundsätzliche Bemerkung: Inwieweit das dualistische Schema von Kollaboration und Widerstand, Faschisten und Antifaschisten (sei es in der kommunistischen oder in der revidierten antikommunistischen Variante) überhaupt noch brauchbar ist, wird im vorliegenden Band in der Regel nicht diskutiert. Die oben zitierte Bemerkung von Barić ist eine Ausnahme. Aber jenseits von bedingungsloser Kollaboration und bedingungslosem Widerstand gab es eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die nicht in das starre Schema passen: bedingte und taktische Kollaboration (oder Kooperation), passiver Widerstand, bedingter Widerstand, alltägliche Überlebensstrategien, Mitläufertum, Gruppenzwang und politische/ideologische Naivität, um nur einige zu nennen. Es reicht letztlich nicht, das alte Schwarz-Weiß-Schema umzudrehen oder an ihm festzuhalten. Vielmehr sollte es darum gehen, die breite Palette von Verhaltensweisen jenseits von Heroisierung und Dämonisierung herauszuarbeiten und zwischen Überzeugungstätern, Sympathisanten, Mitläufern und Opportunisten zu differenzieren. Die Zahl der Überzeugungstäter hält sich stets und überall auf der Welt in recht überschaubaren Grenzen.

Beim Thema Kollaboration und Widerstand stellt sich zuallererst die Frage: Wer ist der Feind? Oder wer bestimmt, wer der Feind ist? Und wieviele Feinde sowie mögliche Allianzen zu ihrer Abwehr gibt es? Sowohl Četnici wie Partisanen mussten zwischen innerem und äußerem Feind (bzw. mehreren inneren und mehreren äußeren Feinden) abwägen und haben dies auch während der gesamten Kriegszeit getan. Die Gewichtung der Feinde bzw. ihre Hierarchie hing von mehreren Faktoren ab: vor allem vom militärischen Kräfteverhältnis in Jugoslawien, von der Haltung der Alliierten und von den Erwartungen hinsichtlich des Kriegsausgangs. Von dem Zeitpunkt an, da die Niederlage Hitler-Deutschlands absehbar war, erhielt die Bekämpfung des inneren Feindes Priorität, denn davon hing ab, wer die Macht erringen und wer die Nachkriegszeit gestalten würde. Hätten die Alliierten ihre zweite Front im Balkanraum (etwa an der Adriaküste) errichtet, hätte sich für die „Volksbefreiungsbewegung“ die Frage gestellt, ob sie mit der deutschen Besatzungsmacht gegen die Četnici hätte kooperieren sollen (“müssen“). Überlegungen in diese Richtung gab es. Doch die Geschichte hat Tito das Dilemma erspart. Selbstverständlich wäre dies keine entente cordiale, sondern ein taktisches Bündnis gewesen, wie auch die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Četnik-Gruppierungen und den Besatzungsmächten keine Wunschbeziehung war (und auch nicht sein konnte). In dieser Hinsicht gab es zwischen allen Akteuren in Jugoslawien keine grundlegenden Unterschiede. Grundlegende Unterschiede gab es hinsichtlich Ideologie und Zielsetzung. Zwischen der Ideologie der Tito-, der Mihailović- und der Ustaša-Bewegung lagen Welten. Aber dass der Zweck die Mittel heilige, davon waren alle überzeugt. Und damit waren und sind sie nicht allein.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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