P. Sänger: Veteranen unter den Severern

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Titel
Veteranen unter den Severern und frühen Soldatenkaisern. Die Dokumentensammlungen der Veteranen Aelius Sarapammon und Aelius Syrion


Autor(en)
Sänger, Patrick
Reihe
Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien 48
Erschienen
Stuttgart 2011: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
413, XIV S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Reinard, Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Patrick Sänger befasst sich in seiner Dissertation mit sieben bereits publizierten und zwölf in Erstedition vorgelegten Papyri, die aus Ankyronon, einem Dorf im Herakleopolites, stammen.1 Die Urkunden gehören den Archiven des Aelius Sarapammon (acht Texte) und des Aelius Syrion (elf Texte) an und wurden in severischer Zeit sowie in den ersten Jahrzehnten der Soldatenkaiserzeit abgefasst. Der jüngste Text (Nr. 17) datiert wahrscheinlich in das Jahr 262/3 n.Chr. Es handelt sich um eine Quittung über den Erhalt von Gütern aus dem Erbnachlass des Aelius Syrion. Das späteste Zeugnis, das zu Lebzeiten des Syrion entstand, ist die Petition Nr. 9, die um 250–255 aufgesetzt wurde. Aus dem Herakleopolites lagen bislang keine Belege für die Präsenz von Militärangehörigen vor. Außerdem eröffnen die beiden Archive Einblicke in die ökonomischen und gesellschaftlichen Lebensumstände von Veteranen in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts. In beiderlei Hinsicht sind die Archivtexte unschätzbare, da einzigartige Quellen und korrigieren, wie Sänger einleitend zu Recht ausführt, ältere Forschungsansichten, nach welchen die Personengruppe der Veteranen in Ägypten nach der Constitutio Antoniniana einen Niedergang erfahren habe.

Sängers Arbeit ist in zwei große Teile gegliedert: Zunächst erfolgt eine umsichtige und detailfreudige, zugleich in klarer Sprache formulierte Analyse der Archivtexte (S. 15–115), welche zu verschiedenen Fragestellungen ausgewertet werden: Die sozio-ökonomische Situation der Veteranen vergleicht Sänger mit den Befunden aus dem 2. und der Evidenz des 4. Jahrhunderts, um so Entwicklungen und Tendenzen skizzieren zu können. Ferner stellt er Überlegungen zur Rekrutierungspraxis der römischen Armee in Ägypten an und vergleicht den papyrologischen Befund mit der Quellenevidenz anderer Provinzen. In der Frage der sozialen und wirtschaftlichen Herkunft der Soldaten und Veteranen verweist Sänger auf die Gemeinsamkeiten innerhalb des Römischen Reiches: Die meisten Rekruten stammten aus landsässigen grundbesitzenden Familien, einer „‚Mittelschicht‘ mit bäuerlichem Hintergrund“ (S. 38). Auf kurze, auch den archäologischen Befund berücksichtigende Ausführungen zu Ankyronon, dem Herkunftsort der Papyri, folgen zwei Kapitel, die den Archivnamensgebern gewidmet sind. Beide dienten in der legio II Traiana Fortis. Sarapammon erreichte den Rang eines signifer, Syrion fungierte zuletzt als optio.

Von besonderem Interesse ist sicherlich die finanzielle Potenz des Aelius Syrion, der neben landwirtschaftlichen Unternehmungen auch Pacht- und Darlehensgeschäfte tätigte, selbst aber auch als Darlehensnehmer auftrat. Der Vermögensstand des Aelius Syrion, der den anderer Veteranen deutlich übertrumpft, könnte nach Sänger durch die verbesserte finanzielle Vergütung der Soldaten in severischer Zeit zu erklären sein. Die Singularität des Falles erlaubt diese plausible, aber letztlich nicht zu beweisende Interpretation. Die monetäre Situation der Veteranen könnte sich also im 3. Jahrhundert deutlich verbessert haben, während sich das Niveau des 4. Jahrhundert wieder der vorseverischen Zeit anglich. Um eine solche Entwicklung sicher nachzeichnen zu können, bedarf es jedoch weiterer Quellen.

Bereits vor der ausführlichen Beschäftigung mit den beiden Veteranen zieht Sänger im Unterkapitel „Zusammenfassung und forschungsgeschichtlicher Exkurs“ ein Zwischenfazit zur Frage nach der sozial-ökonomischen Herkunft römischer Veteranen. Hier argumentiert Sänger gegen Rostovtzeffs These über den die Krise des 3. Jahrhunderts auslösenden „Klassenkampf“ zwischen der im Heer aufgehenden Landbevölkerung, die die Armee verroht habe, und der Stadtbevölkerung, aus welcher die elitären Kreise des Imperium Romanum stammten: Bei oberflächlicher Betrachtung könnten die Befunde zur sozio-ökonomischen Situation der Veteranen in Ägypten, so Sänger, Rostovtzeffs Erklärungsmodel stützen. Jedoch zeige ein genauer Blick in die papyrologische Überlieferung, dass nicht von einer geschlossenen ländlichen Einheit bestehend aus Soldaten bzw. Veteranen und zivilen Landbewohnern ausgegangen werden kann. Zudem sei eine sozial motivierte Auflehnung, die sich auf einen ländlichen Militärstand stützt, in den Papyri nicht greifbar.

Der erste Teil der Arbeit wird durch das Kapitel „Spezielle Problemstellungen“ abgeschlossen. In ihm bietet Sänger eine detaillierte Beschäftigung mit einzelnen Aspekten verschiedener Archivtexte, beispielsweise mit der Bewirtschaftung und Verwaltung der Messaliniane usia. Erstmals wird durch das Pachthypomnema Nr. 15 eine genaue topographische Verortung der Messaliniane usia innerhalb des Herakleopolites ermöglicht: Das hier angesprochene kaiserliche Domanialland befand sich in der Toparchie des Oberen Koites. Zudem ist Nr. 15 der bisher erste Beleg für eine Großpacht von usiake ge und bezeugt die Existenz dieser Wirtschaftsform im 3. Jahrhundert. In diesem Kapitel rückt die übergeordnete Frage nach der sozio-ökonomischen Situation der beiden Veteranen in den Hintergrund. Dennoch ist die umsichtige Aufarbeitung einzelner Probleme und Detailfragen, die durch die Texte aufgeworfen werden, für das Verständnis und die Interpretation der Archive sehr zweckdienlich.

Den größten Raum nimmt dann die ausführliche Neu- bzw. Erstedition der Papyri ein, welche den zweiten Teil der Arbeit ausmacht (S. 116–339). Nach einführenden Bemerkungen, in denen etwa die Herkunfts- und Fundgeschichte sowie die Zusammensetzung der Archive erläutert werden, erfolgt eine ausführliche Edition sämtlicher Texte der beiden Dokumentensammlungen. Die Texte Nr. 18 und Nr. 19 wurden auf einem Papyrusblatt niedergeschrieben. Es handelt sich um insgesamt drei Briefe, der erste (Nr. 18) steht auf dem Rekto, die beiden anderen (Nr. 19) finden sich auf dem Verso. Die Inhalte der Schreiben präsentieren gewöhnliche Briefthemen. In anderer Hinsicht stellt der Papyrus jedoch ein Unikat dar: Es handelt sich um den einzigen Beleg dafür, dass auf Rekto und Verso eines Papyrusblattes mehrere Briefe gleichzeitig angebracht und somit auch transferiert worden sind. Plausibel rekonstruiert Sänger die Versandrichtung des Papyrus: Da der erste Brief Informationen über landwirtschaftliche Themen in Ankyronon bietet, kann dies nicht der Aufenthaltsort des Aelius Syrion sein. Sänger vermutet, gestützt auf die durch andere Archivtexte (Nr. 10 u. 13) angezeigte wirtschaftliche Verbindungen des Syrion nach Herakleopolis, dass die Nachricht den Veteranen in der Gaumetropole erreicht haben könnte. Ob der Papyrus Nr. 18/19 wirklich nach Herakleopolis geschickt worden ist – denkbar wäre beispielsweise auch das Dorf Muchis, wo Syrion ebenfalls Landbesitz hatte (vgl. Nr. 17) –, kann, wie Sänger richtig anmerkt, aber nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden.

Wo auch immer sich Aelius Syrion aufhielt, es kann als sicher gelten, dass er dort längere Zeit verweilte, also wohl einen festen Wohnsitz besessen hat. Diese Annahme gründet sich auf die Tatsache, dass sich neben seiner vermeintlichen Gattin Cyrillus auch seine Schwester sowie drei weitere Personen, die Sänger mit guten Gründen als servi oder liberti identifizieren möchte, bei ihm befunden haben. Es kann ergänzt werden, dass indirekt auch die an Aelius Syrion und seinen Anhang verschickten Waren, die im Brieftext thematisiert werden, die Vermutung stützen könnten, dass sich der Veteran in Herakleopolis aufhielt. Zahlreiche Warensendungen werden zwecks Verkauf von landsässigen Gutsbetrieben in größere Siedlungen verschickt, was durch ökonomische Bedingungen der Dependenz von infrastrukturell günstig gelegenen Absatzmärkten und Produktionsorten landwirtschaftlicher Waren im Umland motiviert sein kann. Wie Sänger betont, wurde der Brief Nr. 18 sicherlich auf dem Land verfasst. Die Anzahl der an Syrion transferierten Waren erlaubt die Vermutung, dass diese nicht für den Eigenbedarf, sondern für den Verkauf bestimmt gewesen sein könnten. Über die Identität des Absenders von Nr. 18 kann indes keine sichere Aussage getätigt werden. Neben der Vermutung Sängers, es könne sich um den Vater oder einen Bruder des Aelius Syrion handeln, darf auch in Erwägung gezogen werden, dass ein Verwalter den Brief geschrieben haben könnte.

Nach dem Editionsteil folgt ein tabellarisches Kapitel (S. 340–363), welches das weitere Arbeiten sowohl zum Themenkreis der Veteranen, als auch zu den verschiedenen in der Untersuchung unternommen Detailfragen vereinfacht. Ein Registerteil, ein Wortindex sowie ein hochwertiger Tafelteil runden das Buch ab.

Sängers Arbeit stellt in mehrfacher Hinsicht einen großen Forschungsgewinn dar: Die bisher in der Forschung vertretene These, nach der Constitutio Antoniniana sei ein Rückgang der Personengruppe der Veteranen anzunehmen, wird durch die Archive korrigiert. Ferner wird erstmals ersichtlich, dass auch im Herakleopolites ehemalige Soldaten siedelten. Darüber hinaus bietet die Bearbeitung der einzelnen Texte zahlreiche neue Detailerkenntnisse.2 Zudem erhellt die umsichtige Analyse der Texte das Verständnis verschiedener rechtlicher und administrativer Aspekte, zu nennen sind hier etwa Sängers Überlegungen zur Verwaltung kaiserlichen Domaniallandes. Vortrefflich verdeutlicht die Untersuchung so das Potenzial der leider allzu selten angewandten Kombination von papyrologischer Quellenevidenz mit althistorischer Fragestellung und Methodik.

Anmerkungen:
1 In zwei Aufsätzen hat der Autor bereits einige Texte der Archive ausgewertet: Patrick Sänger, Römische Veteranen in Ägypten (1.–3. Jh. n. Chr.): Ihre Siedlungsräume und sozio-ökonomischen Situation, in: Peter Herz / Peter Schmid / Oliver Stoll (Hrsg.), Zwischen Region und Reich. Das Gebiet der oberen Donau im Imperium Romanum, Berlin 2010, S. 121–133; Aus dem Leben zweier römischer Veteranen, in: Bernhard Palme (Hrsg.), Die Legionäre des Kaisers. Soldatenleben im römischen Ägypten, Wien 2011, S. 57–67, Kat.-Nr. 38–44.
2 So etwa auf S. 152 in der Einleitung zu dem Gestellungsversprechen Nr. 3, welches erstmals erlaubt, die Amtszeit des Aurelius Hierax Harpokration als Stratege des Herakleopolites genauer zu datieren.

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