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Title
Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Eliten – Von Spengler bis Sarrazin


Author(s)
Weiß, Volker
Published
Paderborn 2011: Ferdinand Schöningh
Extent
141 S.
Price
€ 16,90
Reviewed for H-Soz-Kult by
Johannes Zuber, Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften, Institut für Politikwissenschaft, Justus-Liebig-Universität Gießen

Kaum ein Ereignis hat in den letzten Jahren zu einer solch umfassenden gesellschaftlichen und politischen Debatte geführt wie die fragwürdigen Thesen Thilo Sarrazins sowie die Ende 2011 aufgedeckten Anschläge der sogenannten Zwickauer Terrorzelle. Vor diesem Hintergrund zeigen sich selbstredend die besondere wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung sowie die Aktualität des hier zu besprechenden Buches von Volker Weiß. Dass rassistische, menschenfeindliche und rechtspopulistische Argumentationen, die Prognose eines nahenden Zusammenbruchs sowie das Elitedenken eines Thilo Sarrazin heute in der Mitte der Gesellschaft nachhaltig etabliert sind, zeigen vielfältige qualitative und quantitative sozialwissenschaftliche Bevölkerungsstudien der letzten Jahre: Ein Drittel der bundesrepublikanischen Bevölkerung stimmt beispielsweise direkt mit der Aussage überein, dass ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger den Sozialstaat ausnutzen, und fordert ein stärkeres Nationalgefühl. Indirekt besteht gar eine Zustimmung von über 50 Prozent.1 Volker Weiß analysiert somit keinesfalls ein soziales Randphänomen, sondern ein sich im 21. Jahrhundert in zunehmendem Maße festigendes gesamtgesellschaftliches Problemfeld. Eindrücklich zeigt Weiß auf, dass diese Entwicklungen wie auch die kruden Thesen eines Thilo Sarrazin nicht neu sind, sondern im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte von unterschiedlichen Pseudo-Wissenschaftlern publiziert wurden.

Mittels einer empirischen Analyse untersucht der Autor verschiedene „Abschaffungs“- beziehungsweise Untergangsszenarien und Untergangsapokalyptiker des 20. und 21. Jahrhunderts. Diese prognostizierten ähnlich wie Sarrazin eine kulturelle und gesellschaftliche „Abschaffung“ Deutschlands und traten zur Verhinderung dessen als „apokalyptisch argumentierend[e] Verfechter von der Notwendigkeit einer ‚Elite‘“ (S. 61) auf. Weiß’ Ziel ist die Analyse der politischen Botschaften und Interessen, die hinter den angeblichen Schreckens- und Zukunftsszenarien stehen. Anhand von Ähnlichkeiten und Unterschieden der überwiegend deutschen „Untergangsliteratur“ verschiedener Zeitabschnitte – dem Zeitraum vor 1945, der Anfangsjahre der Bundesrepublik Deutschland sowie der Gegenwart – unternimmt er „eine zwanglose tour d’horizon durch das Genre der Untergangsliteratur“ (S. 14). Vorausblickend stellt er fest, dass sich das „Motiv des Verfalls“ (S. 11) auch heute noch gut verkauft. Anhand der Causa Sarrazin zeigt Weiß exemplarisch, dass rassistische, diskriminierende, rechte Argumentations- und Erklärungsmuster heute in großen Teilen der Gesellschaft verankert und wieder salonfähig geworden sind, da sie kontinuierlich im gesamten 20. Jahrhundert von verschiedenen (Pseudo-)Theoretikern in der gesellschaftlichen Debatte etabliert wurden.

Weiß beginnt seine Darstellung im Jahr 1918 mit Oswald Spengler, der im Rahmen seiner pseudo-wissenschaftlichen, rassegeleiteten Untersuchung der Geschichte der abendländischen Kultur einen Rhythmus von Aufstieg und Zerfall von Gesellschaften ausmachen zu können glaubte. Anhand des Spengler-Beispiels gelingt es Weiß zu verdeutlichen, dass beispielsweise Sarrazin hier anknüpfend diese Rhythmus-Systematik auf die heutige Gesellschaft zu übertragen versucht. Als Lösung der Zerfallsbestrebungen dient bei beiden die Etablierung eines neuen „Cäsarismus“ (S. 16) beziehungsweise einer neuen deutschen Führungselite. Weiß diagnostiziert auch im Hinblick auf die Theorien von Edgar Julius Jung und Ortega y Gasset zahlreiche Parallelen zur gegenwärtigen „Abschaffungs-Debatte“: Jung versuchte 1927 einen Nachweis des Bedrohungscharakters der demokratischen Staatsform für die deutsche Gesellschaft zu konstruieren, während Ortega y Gasset die demokratische Erneuerung der westlichen Gesellschaften schon in Zeiten der Weimarer Republik beklagte und die neue „demokratische Masse“ als Gefährdung der westlichen Kultur und Elite sah. Somit lassen sich unter anderem folgende Aspekte als Ähnlichkeiten identifizieren: die Untergangsprognosen, die Vision einer sich über die Generationen degenerierenden deutschen Kultur und Gesellschaft – deutlich geprägt durch die sogenannte „Rassenforschung“ –, der angebliche durch sozialstaatliche Maßnahmen forcierte Aufstieg der „Minderwertigen“, der fragwürdige Umgang mit beziehungsweise die unwissenschaftliche Auswertung von empirischen Daten, die Verknüpfung des „Wertes“ und der „Erbmasse“ einer Bevölkerungsgruppe sowie – in den meisten Fällen – das Abstreiten des Einflusses von Umweltfaktoren auf die Vererbung von körperlichen und intellektuellen Fähigkeiten.

Darüber hinaus identifiziert Weiß, ein Urteil des Historikers und Publizisten Joachim Fest aufgreifend, auch in der Person Friedrich Sieburgs, der das Literaturressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in den 1950er-Jahren leitete, „kein[en] Nazi, aber doch ein[en] hochfeine[n] Collaborateur“ (S. 24). Denn auch Sieburg kreierte die Vision eines „abgeschafften Deutschlands“, welchem die ehemalige „Elite“ fehle, da sich die einstige „Herrenrasse“ zu „Spießern“ entwickelt habe (S. 24). Hier setzen heute unter anderem die „jüngere rechte Generation“, das konservative Studienzentrum Weikersheim wie auch Hans-Jürgen Syberberg an. Diese propagieren die Wiedergewinnung eines deutschen Nationalgefühls sowie einer deutschen Identität. Dabei konzentrieren sie sich – ebenso wie die vorherigen Untergangs-„Theoretiker“ – auf die Vision der nationalen „Kulturpflege“, der Abschaffung der Massendemokratie sowie die permanente Zuweisung der „Sündenbock“-Rolle an die „ausländische“ Bevölkerung.

Die Steigerung der ökonomischen und sozialen Zukunftsängste der Gesellschaft mittels klassischer rechter Ressentiments und unter tatkräftiger Unterstützung der medialen Gewalt scheint auch heute noch Erfolg versprechend zu sein. In diesem Zusammenhang untersucht Weiß insbesondere die Rolle der beteiligten Medien an der Veröffentlichung, Stilisierung und Popularisierung des Werkes Sarrazins kritisch. Er stellt fest, dass die Thesen Sarrazins „unter normalen Umständen […] niemals die breite Öffentlichkeit erreicht“ (S. 8) hätten. Nur mithilfe der medialen Inszenierung konnte Sarrazin öffentlichkeitswirksam als Opfer, Märtyrer, Tabubrecher und als gesellschaftlich angeblich Geächteter inszeniert werden. Ähnliches lässt sich auch bei früheren Untergangs-„Theoretikern“ beobachten. Eindrücklich beschreibt Weiß, wie die publizierende „Deutsche Verlagsanstalt“ auf das anfängliche Manuskript einwirkend, Sarrazins Thesen mit beeinflusst hat.

Darüber hinaus sorgen die von Weiß analysierten Debatten nicht nur für eine zusätzliche Beunruhigung und Verunsicherung der Gesellschaft, sondern generieren gleichzeitig für die Neue Rechte eine neue Chance dafür, auf einen weit erfolgreicheren Stimmenfang zu gehen als bisher, indem deren Protagonisten an die Sarrazinschen Thesen anknüpfen und diese instrumentalisieren. Sarrazin steht folgerichtig in der langen Tradition multipler Untergangsapokalyptiker, die mithilfe ihrer kruden Theorien im 21. Jahrhundert auch der Neuen Rechten eine Zukunftsperspektive aufgezeigt und geholfen haben, diese wieder salonfähig zu machen. „Der von Autoren wie Sarrazin und Sloterdijk angestoßene Diskurs um Elite, Leistung und Vererbung hat damit Kreise erreicht, die etwa die NPD niemals hätte ansprechen können“ (S. 131), fasst Weiß zusammen.

Mit seiner Untersuchung knüpft der Autor an den wissenschaftlichen Kontext der politischen Theorieforschung sowie der Rassismus- und Rechtsextremismusforschung an. Überzeugend arbeitet er heraus, dass selbst längst überwunden geglaubte Ressentiments wie biologisch konnotierte sozialdarwinistische und eugenische Ansichten von intellektuell „minderwertigen“ und „überlegenen“ Menschengruppen sowie kulturell konnotierte Schreckensszenarien in Form einer Gefährdung der „deutschen Kultur“ auch heute noch deutlichen Rückhalt in weiten Teilen der Bevölkerung genießen. Die Elitediskussion sowie die Rolle der Medien betrachtend, knüpft Weiß beispielsweise an die Untersuchungen Teun A. van Dijks an, der sich insbesondere in den 1990er-Jahren mit dem Zusammenhang von Rassismus, Elite und der Rolle der Medien beschäftigt hat. Weiß zeigt mit seiner Analyse der verschiedenen Untergangsapokalyptiker eine neue wissenschaftliche Perspektive und Herangehensweise bezüglich der oben genannten Forschungsgebiete auf.

Da Volker Weiß Sarrazin als „geübten Demagogen“ (S. 114) charakterisiert und ebenfalls ausführlich seine pseudo-biologischen und fadenscheinigen genetischen Argumentationen herausarbeitet, spräche vieles dafür, noch einen Schritt weiter zu gehen und den angeblichen „Klartext-Politiker“ (S. 128) folgerichtig als „lupenrein[en] Rassist[en]“2 zu bezeichnen. Denn die in seinem Buch beschriebenen vielgestaltigen sozialdemokratischen Ideale dienen größtenteils nur einem Zweck: der pseudo-wissenschaftlichen Begründung seiner unhaltbaren Theoreme.

Insgesamt zeigt sich Volker Weiß’ vor allem auf historischer Theorieanalyse basierende Untersuchung logisch, strukturiert, verständlich und methodisch zielführend aufgebaut. Künftige ähnlich gelagerte Studien werden an die von Weiß gewonnenen Erkenntnisse gewinnbringend mit neuen, bisher noch offenen wissenschaftlichen Fragestellungen anknüpfen können. Insbesondere stellt sich die Frage nach der Rolle der modernen, digitalen (Massen-)Medien an der Reproduktion von rassistischen, diskriminierenden, rechten Argumentationen innerhalb der Gesellschaft.

Anmerkungen:
1 Nora Langenbacher (Hrsg.), Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010, Bonn 2010, S. 72ff.
2 Feridun Zaimoglu, Sarrazins Buch: Radikalismus in der Mitte, in: Der Tagesspiegel, 03.09.2010 <http://www.tagesspiegel.de/kultur/sarrazins-buch-radikalismus-der-mitte/1915830.html> (13.04.2012).

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