Cover
Titel
Aachen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 1: Die natürlichen Grundlagen. Von der Vorgeschichte bis zu den Karolingern


Herausgeber
Kraus, Thomas R.
Reihe
Veröffentlichungen des Stadtarchivs Aachen 13; Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 7
Erschienen
Anzahl Seiten
XIX, 463 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Kupka, Düsseldorf

Auf eine neue und vollständige Darstellung der Aachener Stadtgeschichte mussten interessierte Laien und Fachleute lange warten. Der Aachener Geschichtsverein unter Federführung des Stadtarchivars Thomas R. Kraus hat es nun im Auftrag der Stadt Aachen unternommen, hier Abhilfe zu schaffen. Im ersten der auf sieben Bände angelegten Reihe, der die Zeitspanne von der Vorgeschichte bis ins Frühmittelalter behandelt, präsentieren namhafte Forscher neue und grundlegende interdisziplinäre Beiträge aus Geologie und Geografie, die man in diesem Umfang in einer Stadtgeschichte nicht gewohnt ist – die man gleichwohl in einer Stadt mit einer vorwiegend technisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten Universität erwarten kann –, sowie aus Geschichte und Archäologie. Der Band ist mit 464 Seiten entsprechend opulent ausgefallen. Die Folgebände werden die Stadtgeschichte bis ins 21. Jahrhundert darstellen.

Der erste Teil des Bandes befasst sich mit den geologisch-geografischen Grundlagen der Aachener Region. Eine bessere Abstimmung der Beiträge untereinander hätte hier Überschneidungen und Wiederholungen vermeiden können. Der Geologe Werner Kasig eröffnet den Reigen mit einem informationsreichen, aber sehr weit ausholenden Beitrag über die naturräumlichen Gegebenheiten des Aachener Beckens (S. 1–56). Leider ist das Kartenmaterial sehr kleinformatig und die Qualität der Abbildungen bleibt deutlich hinter der der anderen Beiträge zurück. Im Beitrag über die Tektonik des Aachener Stadtgebietes hat der Geologe Klaus-G. Hintzen eine interessante Tabelle der Erdbebenereignisse von 749 bis 1895 aufgestellt (S. 57–85). Die auf Aachen bezogene Entstehung des Naturraumes und die Klimaentwicklung in der jüngsten Erdgeschichte in unserer Region werden von Frank Lehmkuhl beleuchtet (S. 87–129). Das für die traditionsreiche Bäderstadt Aachen wichtige Thema Gewässer- und Thermalkunde greift der Hydrogeologe Thomas R. Rüde auf (S. 131–165), die Besonderheiten und die Komplexität des Aachener Baugrundes sind Gegenstand des Beitrags des Ingenieurgeologen Rafig Azzam (S. 167–202). Der Dom, das Wahrzeichen der Stadt und UNESCO-Weltkulturerbe, findet dabei besondere Beachtung. Zur Beruhigung: Er steht sicher auf einem Kalksteinrücken!

Die Vorgeschichte bis zu spätkeltischen Zeit thematisieren die Archäologen Daniel Schyle und Markus Pavlović; literarische Quellen existieren für diese Zeit nicht (S. 203–227). Nach einer Zusammenfassung aller bisherigen Forschungserkenntnisse spannen sie den Bogen vom ersten Indiz menschlicher Präsenz im Aachener Raum um circa 40000 v.Chr. bis hin zu den bronzezeitlichen Siedlungen der Urnenfelderkultur (1300–800 v.Chr.). Der Beitrag über Kelten, Römer und Merowinger wird von dem kompetenten Quartett Andreas Schaub, Klaus Scherberich, Karl Leo Noethlichs und Raban von Haehling bearbeitet (S. 229–439). Die Aachener Althistoriker leiten diesen umfangreichsten Teil des Buches mit jeweils einem kurzen historischen Abriss auf Basis der bekannten literarisch-epigrafischen Quellen ein. Der seit 2006 in Aachen tätige Stadtarchäologe A. Schaub fasst mit drei Beiträgen bisher verstreute Informationen erstmals zusammen und interpretiert sie im Lichte der neuesten Grabungsergebnisse, etwa im Elisengarten und im Dom. Der Althistoriker Klaus Scherberich beginnt diesen Abschnitt mit einer kurzen Erläuterung der historischen Umstände, die zur Gründung Aachens führten (S. 230–243). Die von der älteren Forschung für die Zeit der Eroberungszüge Caesars im 1. Jahrhundert v.Chr. postulierte Besiedlung des Aachener Raumes durch die Eburonen ist eher unwahrscheinlich. Vielmehr sind als Bewohner Mitglieder verschiedener germanischer Stämme anzunehmen. Der Kontakt der Einheimischen mit dem römischen ‚Way of Life‘, unter anderem durch die Gründung mehrerer Legionslager und den Ausbau einer Infrastruktur, führte am Ende des 1. Jahrhunderts v.Chr. zur Erhöhung des Handelsaufkommens und einem ersten Aufschwung. Der Anstoß zur Gründung Aachens wird allgemein in den heißen Quellen gesehen, die von den Römern, vorwiegend Militärs, allerorts sehr geschätzt wurden.

Von archäologischer Seite beleuchtet Andreas Schaub zunächst die schlecht fassbare spätkeltische Zeit (S. 244–300), wobei Altfunde und vereinzelte neue Befunde, etwa aus der Domgrabung von 2007 keine schlüssigen Aussagen zu einer ständigen Besiedlung des Stadtgebietes vor der römischen Kaiserzeit zulassen. Diese ist archäologisch weit besser fassbar, wobei Schaub wiederum Altbefunde und neue Befunde korreliert, dargestellt in einer Karte, die eine präzisere Lokalisierung des römischen Stadtkerns zeigt. Älteste römische Siedlungsreste wie auch die Reste der ältesten Thermaleinrichtungen (Quirinusquelle), heute ‚Am Hof‘, datieren aus der Zeit um Christi Geburt.

Karl Leo Noethlichs erläutert in seinem Beitrag die Geschichte Aachens im 2. und 3. Jahrhundert aus Sicht des Althistorikers (S. 301–323). Er gibt einen Überblick über die Quellen und zieht hier vor allem auch das epigrafische Material heran. Einige der zurzeit bekannten 34 Steininschriften aus Aachen zu Verwaltung, Wirtschaft und Religion sind als einmalig in der römischen Welt hervorzuheben. Die wenigen Quellen zeichnen insgesamt ein Bild geringer militärischer Präsenz in Aachen, eher das eines wohlhabenden zivilen Vicus.

Im folgenden Beitrag präsentiert Andreas Schaub die zeitgleichen Quelleninformationen der Archäologie (S. 324–387). Die ersten privaten Steinbauten sind wohl für die flavische Zeit, also um das Ende des 1. Jahrhunderts, anzunehmen, worauf bruchstückhafte Befunde im Bereich des Rathauses, des Elisengartens, des Marktes und des Katschhofes deuten.

Die vorläufige Auswertung des Fundmaterials sowie übersichtliche Statistiken machen Art und Zuordnung der Funde zu Handel, Handwerk und Dienstleistungen anschaulich deutlich. Demzufolge präsentiert sich Aquae Granni im 1. Jahrhundert als durchaus wohlhabender Ort eher gallischer Prägung, dessen verwaltungstechnische Zugehörigkeit und Rechtsstatus allerdings vorerst ungeklärt bleibt. Blütezeiten erfährt der Ort im Spiegel der archäologischen Quellen am Ende des ersten und um die Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert.

Der dritte Teil befasst sich mit der Zeit vom 4. bis zum 8. Jahrhundert, also von der spätrömischen bis in die frühmittelalterlich-merowingische Zeit. Der Historiker Raban van Haehling referiert in seinem Überblicksbeitrag, bei gleichfalls schlechter literarischer Quellenlage, die historischen Entwicklungen der Spätantike im größeren Kontext und versucht daraus Bezüge zur regionalen Aachener Geschichte zu extrahieren (S. 388–404). So kann man nur davon ausgehen, dass die Bäderstadt, die vom Luxus lebte, unter den Wirrnissen der Kriege und der politischen Instabilität stark gelitten hat. Nach dem Zusammenbruch der imperialen Zentralgewalt und der Absetzung des letzten Kaisers endete die römische Herrschaft im Rheinland. Aachen stand ab 440 unter fränkischer Herrschaft. Bemerkenswert ist, dass Hinweise zur frühen Christianisierung gänzlich fehlen.

Stadtarchäologe Schaub ergänzt wiederum die historischen Informationen durch die – wenn auch spärlichen – Erkenntnisse der Bodendenkmalpflege zu den spätantiken Krisenjahren (S. 405–423). Das Siedlungsgebiet scheint sich nicht wesentlich verändert zu haben, wie die Fundverbreitung deutlich macht. Eine gewisse Kontinuität von der römischen Zeit bis ins Frühmittelalter darf somit angenommen werden, wie auch die bisherigen Erkenntnisse der neuesten Grabungen mit Befunden des 7. Jahrhunderts unter dem Dom vermuten lassen. Im letzten Beitrag des Buches behandelt Schaub eingehender die wichtigsten Fundplätze im Aachener Umland, wie Kornelimünster (Varnenum) (S. 424–440). Orts-, Personen- und Sachregister runden den Band ab, wobei das Fehlen einer Bibliografie im Anhang zu bedauern ist.

Der erste Band der neuen Aachener Stadtgeschichte, der eher einer Aufsatzsammlung als einer konzisen Gesamtdarstellung gleicht, die man unter der Reihenüberschrift hätte erwarten können, bietet eine umfassende Sammlung und wissenschaftlich fundierte, dabei zudem verständliche Darstellung der wichtigsten Themen zur Stadtgeschichte. Leider konnte die relativ junge Stadtarchäologie noch nicht alle endgültigen Ergebnisse der wichtigen neueren Grabungen nutzen. Eine großformatige Karte des Aachener Raumes hätte dem insgesamt gelungenen und sorgfältig redigierten, reich bebilderten Band nicht schlecht angestanden. Man darf hoffen, dass die folgenden Bände ein ähnlich hohes Niveau – bei Vermeidung einiger konzeptioneller Schwächen – zu einem angemessenen Preis bieten.