Titel
Choosing Slovakia. Slavic Hungary, the Czechoslovak Language, and Accidental Nationalism


Autor(en)
Maxwell, Alexander
Erschienen
London 2009: I.B. Tauris
Anzahl Seiten
262 S.
Preis
€ 73,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Surman, Visiting Fellow, Leibniz Graduate School for Cultures of Knowledge in Central European Transnational Contexts, Marburg

In seinem Buch „Choosing Slovakia: Slavic Hungary, the Czechoslovak Language and Accidental Nationalism“ nähert sich Alexander Maxwell einem Thema, das in der Geschichtsschreibung der Habsburgermonarchie bislang wenig Berücksichtigung erfahren hat: Die Erzählung über die nicht linear verlaufene Entwicklung des slowakischen Nationalismus ist hier allerdings auch Hintergrund für einen sowohl für Historiker wie auch Sprachforscher durchaus interessanten Zugang zur Verknüpfung von Sprache und Nationalität – ein Untersuchungsfeld, das in letzter Zeit an Konjunktur gewonnen hat.1 Maxwell wählt hier allerdings einen Zugang der intellectual history (S. 75) und nicht der Linguistik, der mit äußerst genauer Lektüre der Quellen eine Reihe wichtiger Erkenntnisse hervorbringt.

Die theoretischen Vorannahmen Maxwells gründen in der Überzeugung, dass die Nationalismustheorien der letzten Jahrzehnte – und vor allem jenes eines slowakischen Partikularismus – fälschlicherweise die Verbindung zwischen Sprache und Nation generalisieren. Indem die Kontingenz der Nation- und Sprachentwicklung nicht verneint wird, setzt sich das Buch mit der angeblich linear verlaufenen „Erfolgsgeschichte“ dieser Verbindung auseinander. Maxwell unterstreicht dabei, dass die Sprach- und Nationsloyalitäten keineswegs identisch waren, und die Unterstützung der slowakischen Sprache durchaus nicht mit einer Absage an die ungarische Nation einhergehen musste, wobei der Autor zwischen Ungar (territorial) und Magyar (ethnisch) differenziert. Mit der Hervorhebung des Konzeptes von multiplen und gleichzeitigen Nationalitäten werden auch nicht erfolgreiche Identitätskonzepte angesprochen, vor deren Hintergrund die slowakische Sprache kodifiziert wurde. Weiterhin unterstreicht der Autor den Dualismus zwischen Sprache und Dialekt als eine bewusst eingesetzte Dichotomie und zwar nicht (nur) als ein Argument, eine Sprache zu disqualifizieren, sondern (wie etwa bei Jan Kollár) um eine eigene kulturelle Position im Rahmen einer größeren Nation zu beschreiben. Darüber hinaus wird vom Autor die Mannigfaltigkeit der grammatischen Konzeptionen des Slowakischen unterstrichen, vor allem vor dem Hintergrund der religiösen Spaltungen – die 1851 erfolgte Festlegung auf eine Grammatik (kodifiziert von Martin Hattala und Michal Miloslav Hodža) war nur durch eine überkonfessionelle Einwilligung möglich, in der katholische und lutherische Gelehrte von einigen ihrer Positionen abrücken mussten (S. 135-137). Damit gewinnt die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Nation nicht nur eine religiös-soziale Komponente, sondern auch eine regionale, denn die Hervorhebung eines von mehreren Dialekten und deren Erhebung zur Schriftsprache bedeutete auch Probleme für die Sprecher anderer Dialekte – die regionale Akzeptanz und Leserschaft von/in jeweiligen Skripten wird an mehreren Stellen eingehend diskutiert. Die konfessionell-sozial-regionalen Skript-Unterschiede waren oft mit den jeweiligen Nationen-Konzepten gepaart, und führten sowohl zu Konfliktlagen wie auch Abgrenzungen.

Wie der Titel bereits suggeriert, konzentriert sich Maxwells Analyse auf die Konstruiertheit des Typus „großer slowakischer Held“ anhand von Beispielen wie Herkel, Kollár oder Štúr. Die genannten beschreibt er eher anhand der Konzepte von Hungaro-Slawismus, (Pan-)Slawismus und Tschechoslowakismus, wobei er auch multiplen Nationalismus berücksichtigt, also die Loyalität sowohl dem Staat bzw. Slawen und Slowaken (das heißt Slawen in Ungarn) gegenüber. Hungaro-Slawismus wird hier im Sinne eines territorialen Nationalismus beschrieben, der als Konkurrenz zur ethnischen Magyar-Konzeption von den slawischen oberungarischen Eliten entwickelt wurde. Dies manifestierte sich auch in der Dichotomie zwischen Ungar und Magyar, die in den slawischen Sprachen Ungarns konstituiert wurde, von den ungarischen-magyarischen Eliten, die großteils eine Magyarisierungspolitik propagierten, aber aus politischen Gründen abgelehnt oder als unwesentlich erachtet wurde. Maxwell zeigt anhand mehrerer Autoren der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, etwa von Samuel Hojč, Michal Hodža, Viliam Pauliny-Tóth oder Karl Zmertych, dass die jetzt als nationalistisch interpretierten Aussagen durch die Unterscheidung zwischen (ungarischer) Nation und (magyarischen, slowakischen etc.) Nationalitäten nicht als nationalistisch gedeutet werden sollten, da sie mit zwei verschiedenen Nationskonzepten operierten und argumentieren, wonach sich die slowakische Nationalität innerhalb der ungarischen Nation entwickelt habe. Auch etwa Kollár oder (der junge) Ľudovít Štúr wären in diesem Sinne zu interpretieren. Den Vorwurf des prägenden Einflusses der Zensur auf diese Aussagen, umgeht der Autor durch Einbeziehung von mannigfaltigen Quellensorten, die der Zensur nicht unterlagen.

Wie der Hungaro-Slawismus, wird bei Maxwell auch der (Pan-)Slawismus zu einem der leitenden slawischen Konzepte in Ungarn. Bereits der katholische Priester Anton Bernolák, der „erste Kodifikator“ der slowakischen Sprache Anfang des 19. Jahrhunderts, wird in diesem Sinne gedeutet: seine Schriftsprache, Bernolákovčina, war keine Absage an die tschechische Sprache, sondern an die lutherische Tradition der Bibličtina-Schrift, die zu seiner Zeit als „tschechisch“ galt (und tatsächlich zur Basis der tschechischen Schriftsprache wurde). Ján Herkel und Jan Kollár suchten nach einer pan-slawischen Sprache, in der unterschiedliche Dialekte vorkommen könnten. Kollár propagierte auch einen Tschechoslowakismus mit Bibličina als der verbindenden Schrift. Pavel Jozef Šafárik, Karl Kuzmány oder Juraj Palkovič waren gleichfalls dem Tschechoslawismus verpflichtet und publizierten ebenfalls in Bibličina – wobei nach der Idee des Slawismus die Dialekte, die sie verwendeten, möglicherweise aus Oberungarn stammten.

An der Schnittstelle beider Konzepte situiert Maxwell Ľudovít Štúr und seine Verbündeten Jozef Hurban und Michal Hodža. Auch diese sind nach Auffassung Maxwells kaum als slowakische Nationalisten zu beschreiben – ihr Vorstoß, eine neue Schrift zu entwickeln, gründete auf den politischen Repressionen gegenüber dem als separatistisch angesehenen (Pan-)Slawismus (Sprachkrieg und Magyarisierungspolitik 1841-1848) und der Hoffnung, durch eine nicht dem Tschechischen ähnliche Schrift die Loyalität zu Ungarn zu unterstreichen und damit die Repressionen zu beenden. Štúr plädierte allerdings weiter für das Konzept „einer“ slawischen Nation mit einem slowakischen Stamm. Dabei sollte Štúr's Skript beide Konfessionen in Ungarn verbinden, was er einerseits bei der Festlegung seiner Grammatik durch die Konsultation des bekannten katholischen Dichter Ján Hollý erreichen wollte, anderseits durch die Wahl eines „zentralslowakischen“ Dialektes im Gegensatz zur angeblich westslowakischen und daher nicht überall verstandenen Bernolákovčina. Der starke Widerstand gegen diese Konzeption, der vor allem auch von Kollár ausging, gründete darauf, dass dieser die Tschecho-Slowaken als einen kulturellen Stamm ansah und den von Štúr gewählten Dialekt als „Bauernsprache“ kritisierte.

Entgegen der Stilisierung Štúr's zu einem Nationalhelden führt Maxwell noch zwei weitere Entwicklungen an. Erstens war Štúrs Konzept bereits nach weniger als einem Jahrzehnt durch das vom katholischen Linguisten Martin Hattala vorgeschlagene ersetzt worden. Hattalas Schriftsprache wurde dabei als überkonfessionell angesehen, verwendete unter anderem eine (der Bernolákovčina ähnliche) etymologische Orthographie, die Štúrs phonetische ersetzte und gestand mehrere Konzessionen gegenüber der Bibličina zu. Den Anstoß dafür gab nicht zuletzt Štúr selbst, der seine ursprüngliche Idee als nicht erfolgreich ansah. Štúr selber wandte sich angesichts der ausbleibenden Verbesserung der Lage der Slawen in Ungarn später von der Habsburgermonarchie ab und schlug allen Slawen vor, die kyrillische Schrift anzunehmen und sich Orthodox taufen zu lassen.

Die allgemeine Akzeptanz von Hattalas Skript hat jedoch eine Schizoglossia nicht verhindert, und verschiedene Skripten existierten nebeneinander. Ebenso wurden auch unterschiedliche Nationskonzepte propagiert, etwa – mit Unterstützung aus Prag – um 1900 der Tschechoslowakismus. Wie Maxwell unterstreicht, blieb die Alphabetisierungsrate weiterhin niedrig und die Magyarisierungspolitik unterdrückte die Verbreitung der slowakischen Schriftsprache, die so nur einer schmalen „clique der Literati“ zugänglich war.

Schließlich, so Maxwell, lieferte erst der 1918 entstandene tschechoslowakische Staat die entscheidenden Impulse für die Ausbildung einer weiter verbreiteten slowakischen Identität. Maxwell führt das Scheitern der Idee des vom Staat propagierten Tschechoslowakismus weniger auf die Tätigkeit von Andrej Hlinka zurück, der von einem Befürworter der Verbindung zwischen Tschechen und Slowaken zu einem der einflussreichsten Kritiker und slowakischen Separatisten wurde; vielmehr betont Maxwell die Entwicklung des Unterrichtssystems, in dem zwar eine verbindende Ideologie propagiert wurde, aber die Verwendung der Hattalovčina in den slowakischen Schulen – als eine Kontinuität des Modells Kollárs von einer Sprache und zwei Dialekten – eine slowakische Identitätsbildung förderte.

Maxwells akribisch recherchiertes und dabei sehr gut lesbares Buch zeigt wie eine interkulturell und interdisziplinär orientierte Geschichtsschreibung aussehen sollte – das Literaturverzeichnis führt Titel auf Deutsch, Englisch, Latein, Tschechisch, Slowakisch und Ungarisch an, die angewendeten Konzepte stammen sowohl aus der Geschichts- wie auch den Sprachwissenschaften. Im Unterschied zu vielen neuen Nationalismusstudien, die die lokalen/regionalen Identitäten unter die Lupe nehmen, zeigt „Choosing Slovakia“ auch, dass eine Analyse des Eliten-Diskurses mit einem innovativen methodischen Zugang die etablierten Narrative herausfordern kann. Wenn an einigen Stellen die Analyse vielleicht schärfer sein könnte (vor allem was die politische Kontextualisierung angeht) ändert dies nichts daran dass Maxwells Zugang zur Nationalismusforschung nicht nur für Spezialisten äußerst anregend sein kann.

Anmerkung:
1 Vgl. z.B. Tomasz Kamusella, The Politics of Language and Nationalism in Modern Central Europe, Basingstoke 2009.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension