C. S. Dixon: Contesting the Reformation

Cover
Titel
Contesting the Reformation.


Autor(en)
Dixon, C. Scott
Reihe
Contesting the Past
Erschienen
Malden, MA 2012: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
229 S.
Preis
€ 26,87
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc Mudrak, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Dieses Buch ist zugleich mehr und weniger als eine schlichte Geschichte der Geschichtsschreibung. C. Scott Dixon, versierter Reformationshistoriker an der Queen’s University in Belfast, nimmt sich in Contesting the Reformation nicht nur vor, ein kohärentes Bild der Forschungsgeschichte zur Reformation zu zeichnen. Davon ausgehend entwirft er zugleich ein eigenes „meaningful picture“ (S. 3) des Protestantismus im 16. und 17. Jahrhundert. Dixon verfolgt nicht en bloc die Genese und Grundsätze bestimmter Forschungsrichtungen. Er unterteilt sein Buch in verschiedene, mitunter recht vage thematische Sektionen, zu denen er dann die historischen Schulen Position beziehen lässt. Dabei konzentriert sich der Autor auf die englischsprachige Forschung, doch auch deutsche und französische Historikerinnen und Historiker werden kenntnisreich berücksichtigt. Berührt wird vor allem die Reformationsgeschichte des Alten Reichs, Frankreichs und Englands.

Im ersten Themenblock („Defining the Reformation“) stellt Dixon die Grundfrage, was überhaupt unter „Reformation“ zu verstehen ist. Als fixes Konzept sei die Reformation im 17. Jahrhundert entstanden, jedoch bis ins 20. Jahrhundert hinein Objekt konfessioneller Polemiken geblieben. Dixon arbeitet die möglichen historischen Einordnungen der Reformation – Mittelalter oder Neuzeit, Kontinuität oder Bruch – einsichtig heraus. Gegen die Gleichsetzung mit der katholischen Reformbewegung verwahrt sich der Autor. Für ihn bezieht sich die Reformation auf die Entstehung der protestantischen Christenheit. Eingängig sind auch die Hinweise auf die starke nationalstaatliche Prägung der verschiedenen historischen Schulen, die sich aufgrund der divergierenden geschichtlichen Abläufe mit anderen Problematiken konfrontiert sehen.

Zu Beginn des zweiten Teils („Religious Life“) stellt Dixon das vorreformatorische Panorama in zwei Perspektiven heraus, die beide die Reformation vorbereitet hätten. Manche Historiographien betonten die Missstände, die zuletzt zwar relativiert wurden, deren Dominanz in der zeitgenössischen Wahrnehmung in der heutigen Forschung aber unbestritten sei. Doch andere, positivere Bestandteile des religiösen Lebens, wie die pfarrgemeindliche Selbstverwaltung, bereiteten die protestantische Reformation ebenso vor. In diesem Kapitel werden weiterhin die verschiedenen Bewertungen der großen Reformatoren dargelegt. Bezüglich der Theologiegeschichte bringt es der Autor schnell auf den Punkt: „Unsurprisingly, given that Luther’s theology has been scrutinized for five centuries, there are few new ‚discoveries‘ to be made“ (S. 51). Der Leser fragt sich, ob das nur für die Theologie Luthers gilt.

Der dritte Abschnitt („The Anatomy of Reform“) beginnt mit der Diskussion um die Rolle der Medien für die Verbreitung der reformatorischen Ideen. In jüngeren Jahren wurden grundsätzlichere Zweifel an der Rolle des Buchs im reformatorischen Prozess laut. Auch die Praktiken der Druck-Rezeption, die weit in die mündliche und visuelle Kultur hineinreichten, sind seit einiger Zeit Gegenstand innovativer Debatten gewesen. Schließlich untersucht Dixon die Auseinandersetzung der Geschichtsschreibung mit den spezifischen Zugehörigkeiten und Räumen der Protestanten. Behandelt wird die Diskussion über die Reformation als städtisches Phänomen sowie über die sozialen Klassenbindungen und die mentalen Hintergründe der Reformationsanhänger. Auch Konversionen haben zuletzt starke Beachtung gefunden.

Der Blick auf die politische Reformationsgeschichte erfolgt im vierten Teil entlang der Frage, wie die Umgestaltung hin zu protestantischen Gemeinwesen funktionierte. Der Autor verweist unter anderem auf das Konzept der Gemeindereformation von Peter Blickle. Eine simple top-down-Geschichtsschreibung lehnt Dixon ab. Gleichzeitig betont er mit Blick auf den Forschungsstand: „Over the long term, the villagers could not hope to preserve local liberties in the face of the advancing state“ (S. 105). Die städtische Reformation war für Dixon ein komplexes politisches Ereignis. Gerade Bernd Moeller habe die Eintracht des städtischen corpus christianum unterstrichen. Andere Forscher, wie Thomas Brady, wiesen hingegen auf das Konfliktpotential hin, dass die evangelischen Bewegungen in die Stadtgemeinschaften trugen. Wie weitere Forschungen gezeigt haben, waren die Stadtbürgerschaften in Europa zumeist sehr wichtig für die Reformation. Für die Entstehung protestantischer Territorialstaaten im Zuge der Fürstenreformation seien die obrigkeitlichen Konfessionsentscheidungen und politischen Handlungen entscheidend gewesen. Die Forschung zu Reformation und Gewalt stellt Dixon mit den Bauernkriegen und dem holländischen Aufstand dar.

Der anregendste Teil („The Social Dynamics“) beginnt mit der laut Dixon besonders neuen Forschung zur Frauen- und Geschlechtergeschichte. Danach aber stellt der Autor zwei zentrale Fragen an die Historiographie: Sinn und Unsinn von theoriegestützten Methoden; und die Bedeutung der (Nicht-)Religiosität der Historikerinnen und Historiker.1 Der Autor lässt dazu zwei Autoren am Beispiel des konfessionellen Martyriums zu Wort kommen. Brad Gregory argumentiert, dass man dieses nicht mit theoretischen Vorannahmen erfassen könne und dass heutige, rationale Begrifflichkeiten weder in der Lage seien, individuellen Glauben und Motivation der Märtyrer zu erfassen noch diese adäquat auszudrücken. Peter Burschel hingegen vertritt eine kulturanthropologische Methode, da auch das Märtyrertum ein sozial konstruiertes Phänomen gewesen sei und sich somit durch moderne, kulturwissenschaftlich begründete Methoden erfassen lasse. Doch Gregory geht noch weiter. Religion in der Geschichte ist für ihn ein so besonderes Phänomen, dass es kulturwissenschaftlich arbeitenden Atheisten in wesentlichen Teilen verschlossen bleiben müsse. Diese Zuspitzung weist Dixon zwar zurück. Dennoch steht er der theoriegeleiteten Methodik kritisch gegenüber, denn „these modern approaches, as Gregory warns, often assume priority in the historian’s mind“ (S. 141). Zentrale Aspekte des Märtyrertums könne man demnach mit der modernen Denkweise nicht erfassen.

Man hätte Dixon hier ein anderes Urteil gewünscht. Denn mit Lucien Febvre war einer der wichtigsten Religionshistoriker des 20. Jahrhunderts ein Agnostiker. Die Fortschritte durch die kulturwissenschaftliche Reformationsgeschichte sind nicht von der Hand zu weisen. Zudem besteht gerade in der deutschen Reformationsforschung mit der Dominanz der konfessionell festgelegten Kirchengeschichte nicht zu wenig, sondern zu viel religiöser Einfluss. Nicht zuletzt ist Religiosität eine viel stärkere „Brille“ für den Forscher, als es eine nicht-religiöse Theorie je sein kann.

Schließlich stellt Dixon in diesem Teil die Folgen der Reformation für die alltägliche religiöse Welt heraus. Neuesten Erkenntnissen zufolge verliefen die Konflikte darin weniger zwischen den Konfessionen als vielmehr innerhalb der Konfessionen zwischen Norm und Alltagsrealität. In diesem Zusammenhang stellt er auch die Frage nach der Raumkonstruktion und der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgenommenen Interessensverschiebung hin zum Gemeinen Mann. Peter Burke oder Jean Delumeau gingen dabei von einem zweischichtigen Modell aus: Eliten- gegen Volkskultur, wobei letztere akkulturiert worden sei. Robert Scribner und andere stellten eher die dialogische Konstruktion der frühmodernen Volkskulturen heraus. Diese Sichtweise habe sich weitestgehend durchgesetzt.

Der letzte Block („Confessional Cultures“) befasst sich mit der Konfessionsbildung. Wie hoch die kulturelle Resonanz der Reformation in den Pfarreien war, werde heute vorwiegend anhand einzelner Bestandteile der Religionskultur bewertet. Die berühmte Debatte über „success or failure“ der Reformation zeichnet Dixon nach mit Gerald Strauss, der ein Scheitern sieht, und Robert Scribner sowie sich selbst, die sich für einen zumindest partiellen Erfolg aussprechen. Abschließend untersucht der Autor die Konzepte zur protestantischen Konfessionsbildung. Prominent figurieren hier das Konfessionalisierungsparadigma, die sozio-religiöse Disziplinierung und die Formen der Inkorporierung von theologischen Ideen. Zuletzt umreißt Dixon Überlegungen zur Verbindung von Protestantismus und Modernität.

All das fügt sich zu einem auf den Punkt formulierten, anregenden und kurzweiligen Ensemble zusammen. Das Buch ist auch dafür geeignet, sich in die Forschungsentwicklung nur zu einem bestimmten Problemfeld einzuarbeiten. Die Bibliographien sind reichhaltig und weiterführend. Leider verpasst es Dixon, die Perspektiven und Desiderate für die künftige Forschung beim Namen zu nennen. Am Ende weiß der Leser dennoch mehr: Über die Reformationsgeschichte – und die Geschichtsschreibung an sich.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu James D. Tracy, Believers, Non-Believers, and the Historian’s Unspoken Assumptions, in: Catholic Historical Review 86 (2000), S. 403-419. Gläubige sehen Religion laut Tracy als ein persönliches Phänomen und die Person als in rational-bewusstem Handeln erklärbar. Atheisten sehen Religion sowie einzelne Personen demnach im Zusammenhang sozialer und kultureller Prozesse und sind theorieaffiner.

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