A. Mehlich: Der Verteidiger in den Strafprozessen gegen die RAF

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Title
Der Verteidiger in den Strafprozessen gegen die Rote Armee Fraktion. Politische Justiz und politische Strafverteidigung im Lichte der Freiheit der Advokatur


Author(s)
Mehlich, Andreas
Extent
XXII, 352 S.
Price
€ 49,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Gisela Diewald-Kerkmann, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Dass die Verteidigung der RAF-Mitglieder in den 1970er-Jahren ein schwieriges Unterfangen darstellte und die Anwälte bei der Vertretung dieser Mandanten mit einem „Sonderproblem“ (S. 1) konfrontiert wurden, ist bekannt. Umso wichtiger ist die Beschäftigung mit der Frage, „ob und wie sie es gelöst haben“ (ebd.): In welcher Weise wurde das Recht der Beschuldigten auf einen fairen Prozess gewahrt respektive einer Selbstaufgabe der staatlichen Institutionen vorgebeugt? Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Dissertationsschrift, die von Hinrich Rüping und Carsten Momsen betreut und im Wintersemester 2011/12 von der Juristischen Fakultät der Universität Hannover angenommen wurde. Wie Andreas Mehlich in der Einleitung ausführt, versteht er seine Arbeit als einen Beitrag zur Geschichte der Anwaltschaft. Sein Ziel ist es, die politische und justizielle Auseinandersetzung mit dem Terrorismus hinsichtlich ihrer berufsspezifischen Auswirkungen zu erforschen.

Die Komplexität des Themas zeigt sich bereits in der Gliederung des Buchs: angefangen von der Rechtsstellung und Bedeutung des Strafverteidigers, vom Wesen und der Terminologie politischer Strafverteidigung in den Prozessen gegen die Rote Armee Fraktion über die Position der gegen den Willen der RAF-Mitglieder bestellten Pflichtverteidiger und die staatlichen Restriktionen gegenüber der Verteidigungstätigkeit bis hin zu methodischen Grundlagen des staatlichen Eingriffs. Betrachtet man diese Struktur, wird der bei juristischen Arbeiten bekannte Aufbau sichtbar, wobei jeweils „ein Allgemeiner Teil mit allgemeinen Ausführungen zur Fragestellung dem Besonderen Teil mit konkretem Bezug zur RAF vorangestellt wird“ (S. 4). Hieraus ergeben sich Probleme bei der historischen Kontextualisierung des Gegenstandes und partiell auch Redundanzen. Trotzdem überzeugt die stringente Argumentationsführung, überhaupt die analytische Durchdringung des Themas.

Treffend konstatiert Mehlich, dass die Anwälte in RAF-Strafverfahren – vor allem im Stammheim-Prozess von 1975 bis 1977 gegen die Gründungsmitglieder der RAF – das konventionelle Bild vom Strafprozess negierten und die Legitimation des staatlichen Strafanspruchs und der Strafgerichtsbarkeit anzweifelten (S. 41f.). Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden, in welchem Maße die Anwälte der RAF-Mitglieder „zwischen den Fronten“ standen. Es wurde ihnen unterstellt – nicht nur von Ermittlungs- wie Strafverfolgungsbehörden und Gerichten, sondern auch von Teilen der Politik und der Medien –, Helfershelfer von Rechtsbrechern zu sein. Immer wieder wurde in der bundesdeutschen Terrorismusdebatte eine „gesinnungsmäßige Solidarisierung“ der Anwälte kritisiert und beanstandet, dass zwischen verschiedenen Rechtsanwaltskollektiven und der Baader-Meinhof-Gruppe Verbindungen bestehen würden, die „nicht durch die anwaltschaftliche Berufspflicht abgedeckt seien“.1

Beispielsweise war in der „Kölnischen Rundschau“ am 26. Juni 1972 unter der Überschrift: „Terror-Advokaten muß Chance genommen werden“ zu lesen: „Mißtrauen der Bürger verdichtet sich zu fast kollektiver Ablehnung. Die schwarzen Schafe sind bekannt: Gegen Otto Schily, Klaus Croissant, Heinrich Hannover, Kurt Groenewold, Wolf-Dieter Reinhardt und andere richtet sich der Verdacht des Kassiberschmuggels, Solidarisierung mit den Mitgliedern der Baader-Meinhof-Bande, Begünstigung des Terrorismus und aggressiver, standesschädlicher Äußerungen gegenüber Grundgesetz und Demokratie“. Laut „Bild“ vom 21. August 1973 waren die Strafverteidiger „Briefträger für Bombenleger und Polizistenmörder, die Mordanleitungen von Zelle zu Zelle schmuggeln“. Demgegenüber kommt Mehlich zu dem Ergebnis, dass solche generalisierenden Behauptungen irreführend seien, „auch wenn sich im Nachhinein nicht alle Vorwürfe als unzutreffend herausgestellt haben und einzelne wenige Verteidiger durchaus bewusst die Schwelle der Illegalität überschritten“ (S. 272).

Gerade die Auseinandersetzung mit der inhaltlichen Ausgestaltung des Mandatsverhältnisses, mit Determinanten und Grundprinzipien der Verteidigungstätigkeit – etwa Rollenverständnis, Legitimationsanspruch, Selbstverständnis der Verteidiger – und nicht zuletzt mit der politischen Dimension ihrer Arbeit dokumentiert, dass die Situation der RAF-Verteidiger in den 1970er-Jahren durch spezifische Konfliktkonstellationen geprägt war. Dazu zählen nicht nur die öffentlichen Kontroversen in der bundesdeutschen Gesellschaft oder die staatlichen Reaktionen gegenüber der Verteidigungstätigkeit; diese Reaktionen umfassten etwa die zahlenmäßige Beschränkung der Wahlverteidiger, das Verbot der gemeinschaftlichen Verteidigung mehrerer Angeklagter durch denselben Verteidiger, die Möglichkeit der Untersagung des Kontakts von Gefangenen zur Außenwelt (Kontaktsperregesetz), die Überwachung des schriftlichen Verkehrs zwischen Beschuldigten und Verteidigern, die Einführung von Trennscheiben bei Gesprächen zwischen Verteidigern und Beschuldigten sowie den Ausschluss von Verteidigern. Der Gesetzgeber veranlasste „eine umfassende Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen“, die nicht selten in „bewusster Eile oder unter enormem äußerlich bedingtem Zeitdruck jeweils in Nähe zu den RAF-Verfahren verabschiedet“ wurden (S. 209).

1976 formulierte der Rechtsanwalt Hans Dahs in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“, dass die Rolle des Verteidigers durch die Strafrechtsänderungen eine erhebliche Veränderung erfahren habe: „Dem von staatlicher Bevormundung freien, mit neuen Rechten […] ausgestatteten Verteidiger des Strafprozeßänderungsgesetzes 1964 steht im Jahre 1976 ein Verteidiger gegenüber, dessen Stellung durch Telefonüberwachung, Ausschluß von Beweiserhebungen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren […], Ausschließung aus dem Verfahren und Überwachung seiner Korrespondenz mit dem inhaftierten Klienten charakterisiert wird.“2 Erschwerend kam noch hinzu, dass die Anwälte in Strafverfahren gegen RAF-Mitglieder – wie Mehlich zu Recht hervorhebt – „mit den an ihre Person gestellten Rollenerwartungen inhaltlich nicht übereinstimmten, weil sie sich weder als Organe der Rechtspflege im Sinne der herrschenden Konzeption sahen noch als Verbündete der RAF im Kampf für deren politische Ziele“ (S. 296). Damit hätten sich die RAF-Strafverteidiger in einem unauflösbaren Dilemma befunden.

Skepsis erscheint aber angebracht, ob im Kontext des bundesdeutschen Terrorismus tatsächlich von einem neuen Verteidigertyp gesprochen werden kann. Mehlich zufolge sind die RAF-Verteidiger „aufgrund ihrer erheblichen Verkürzung des Umfangs der dem öffentlichen Interesse dienenden Funktion als gemischt-öffentliche Interessenvertreter zu bezeichnen“ (S. 39); sie hätten als Garanten für ein rechtsstaatliche Grundsätze wahrendes Verfahren einseitig zugunsten der Beschuldigten am Verfahrensfortgang mitgewirkt. Einerseits ist der Begriff des „gemischt-öffentlichen Interessenvertreters“ nicht glücklich gewählt, andererseits demonstrieren allein die politischen Strafverfahren in der Weimarer Republik, dass bereits hier etliche Anwälte „als Garant für die dem rechtsstaatlichen Strafverfahren immanenten Grundsätze“ (S. 38) aufgetreten sind. Exemplarisch können Verteidiger wie Max Alsberg, Max Hirschberg, Rudolf Olden, Hans Litten und Paul Levi genannt werden, die nicht selten wegen angeblicher Unterstützung (zum Beispiel politische Solidarität mit den Angeklagten) angegriffen wurden.

Nach Meinung Alsbergs, einem der berühmtesten Strafverteidiger dieser Zeit, durfte sich die Rolle des Strafverteidigers nicht darin erschöpfen, „daß man zu wählen hat, ob man ihn als Spießgesellen des Angeklagten ansehen darf oder daß man ihm eine richtergleiche Stellung einräumen muß“.3 Wie der Jurist Edgar Isermann 1979 bemerkte, spiegelt sich hierin eine mehr als hundertjährige Auseinandersetzung wider, deren Kern es stets gewesen sei, „was in der Definition des Anwalts als ‚Organ der Rechtspflege‘ seine begriffliche Zusammenfassung gefunden hat“.4 Näher zu prüfen wäre also, in welchem Maße ältere Anwaltsbilder im Kontext der Prozesse gegen RAF-Mitglieder fortgeschrieben wurden. Insgesamt ist es für die Zeitgeschichtsforschung wichtig – nicht zuletzt angesichts der Komplexität des Themas –, auf rechtswissenschaftliche Arbeiten wie die vorliegende Studie von Andreas Mehlich zurückgreifen zu können.

Anmerkungen:
1 Hanno Kühnert, Strafverteidiger unter Komplizen-Verdacht, in: Frankfurter Hefte 27 (1972), S. 703–711, hier S. 705.
2 Hans Dahs, Das „Anti-Terroristen-Gesetz“ – eine Niederlage des Rechtsstaats, in: Neue Juristische Wochenschrift 29 (1976), S. 2145–2151, hier S. 2151.
3 Zit. nach: Edgar Isermann, Der Strafverteidiger als „Organ der Rechtspflege“ – ein historisches Danaergeschenk?, in: Werner Holtfort (Hrsg.), Strafverteidiger als Interessenvertreter. Berufsbild und Tätigkeitsfeld, Neuwied 1979, S. 14–25, hier S. 18. Alsberg verteidigte nicht nur Carl von Ossietzky, sondern auch den ehemaligen deutschen Kaiser und Hugo Stinnes junior. Vgl. Gerhard Jungfer, Max Alsberg (1877–1933). Verteidigung als ethische Mission, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988, S. 141–152.
4 Isermann, Der Strafverteidiger, S. 14.

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